Alanis lauschte aufmerksam. Den kleinen Becher mit dem Honigwein hielt sie eine Weile zwischen ihren schmalen Händen, drehte ihn hin und her. Alkohol, das wusste sie, war von jeher eine ihrer Schwächen gewesen und sie musste aufpassen, dass sie sich nicht wieder daran gewöhnte, den Schmerz und das Mitgefühl über das Gehörte mit dem tröstenden Effekt des Weins zu verbinden.
Gerade der Teil der Erzählung, die sich mit Melyannas Eiern befasst, nahm die Geweihte sichtlich mit. Mehr als einmal schluckte sie schwer beim Gedanken daran, was man der Schlangenhexe angetan hatte. Sie gab sich wenig Mühe, ihre Gefühle zu verbergen, denn sie wußte, dass Vladim sehr gut in der Lage war, sie zu lesen.
Nachdem Melyanna geendet hatte, schwieg Alanis für eine Weile und sah zwischen der Frau und dem Mann hin und her. Ihr Blick war sanft, vielleicht ein wenig melancholisch, aus Gründen, die sie allerdings für sich behielt.
"Erst einmal", hob sie schließlich an und seufzte. "Möchte ich sagen, dass ich Deinen Verlust bedauere. Es mag Dir kein Trost sein, aber ich möchte es dennoch nicht unausgesprochen lassen."
Nun nahm sie doch einen Schluck von dem Met.
"Lass mich aus meiner Erfahrung sprechen, wenn Du gestattest. Vladim ist sehr gut darin, Weltbilder zum Schwanken zu bringen. Das ist tatsächlich weder gut noch schlecht. Er wirft mich immer wieder auf Fragen zurück, die ich mir bisher nicht gestellt oder erlaubt habe. Fragen, die ich für mich eigentlich schon beantwortet hatte und die nun wieder ins Licht des Tages treten."
Ein kurzes Zögern, verbunden mit einem Blick in Richtung des Monsterjägers, der die Hoffnung ausdrückte, dass er ihre Worte nicht übel nahm. Dann konzentrierte sie sich wieder auf die anderen Frau.
"Veränderung schmerzt, weil sie uns zwingt, etwas zurückzulassen. Und weil sie uns verwundbar macht im Angesicht einer Zukunft, die wir nicht kennen und die vielleicht noch viel mehr Schmerz bereit hält als den, mit dem wir umzugehen gelernt haben."
Die grünen Augen der Geweihten waren voller Mitgefühl.
"Ich weiß nicht, ob es das ist, was Dich beschäftigt. Dafür kenne ich Dich zu wenig. Aber vielleicht ist es etwas, über das Du nachdenken kannst - und wenn Du es dann für Dich verwirfst, kannst Du aufs Neue beginnen, Dich mit den Gründen für Deinen inneren Tumult zu befassen."