Novigrader Gassen

  • Rieke hatte indessen wieder ihre Brille aufgesetzt. Die runden Gläser ließen ihr Gesicht so wirken, als sei sie in einem Zustand permanenten Erstaunens gefangen. Die Augen hinter den Gläsern aber waren scharf und kalkulierend.


    "Wie lange kommst Du ohne Nahrung und Wasser aus?", erkundigte sie sich, wieder über ihre Notizen gebeugt, ohne sich auf seine kleine Provokation einzulassen. "Waren das alle Vorteile, die ein Hexer haben kann? Oder gibt es noch etwas, das ich dringend wissen sollte, bevor ich Tränke in Dich hineinschütte, falls Du es nicht mehr kannst?"


    Ihre Mundwinkel zuckten kurz nach oben.


    "Über Deine Schwächen werde ich Dich natürlich nicht befragen. Es wäre dumm, wenn Du sie einer fast Fremden gegenüber zugeben würdest. Also, über das hinaus gehend, was ich eh schon beobachte konnte und vermutlich in Zukunft noch werde."

  • Vladims Schulterzucken sollten ihr eigentlich Antwort genug gewesen sein. Allerdings war nicht klar, wofür die waren. Also ergänzte der Hexer seine Aussage.


    "Himmel, du fragst mich echt Sachen. Hm...Essen und Trinken...kommt darauf an, ob ich halb tot bin oder voll im Saft stehe. Dieser Körper verlangt eine Menge Energie, die wird noch höher, wenn ich Tränke nutze - bestimmte Tränke. Ansonsten... würde ich sagen, wie ein normaler Mensch. Und ja, ich muss pissen und kacken, wie du auch!" Dabei grinste er anzüglich, was wieder als Provokation gedacht war.


    "Giftresistenz, falls ich darüber nicht schon einmal gesprochen habe. Ich kann mir unglaublich giftiges Zeug reingießen, bevor ich aus den Latschen kippe. Weswegen Hexertränke nix für Nichtmutanten sind!"

    "Schwächen? Das ich mich meist mit den falschen Menschen umgebe. Zählt das?" Wieder eine Provokation.

  • Tatsächlich sorgte Letzteres dann für eine Reaktion. Rieke blickte auf und lachte leise. Der erste wirklich warme, freundliche Laut, seit sie sich wiedergesehen hatten.


    "Das zählt. Aber das wundert mich ehrlich gesagt auch gar nicht. Wie ein edler Ritter einer Dame in Not beizustehen - ziemlich dumm. Aber es war vermutlich auch dumm, Dich nicht einfach im Laden liegenzulassen und die ganzen Probleme, die ich habe, auf einen Hexer zu schieben."


    Sie deutete auf ihren Versuchsaufbau.


    "Ich habe übrigens etwas über Dein Blut herausgefunden. Dass es toxisch ist, ist natürlich keine Überraschung. Allerdings scheint es bei Hexern ja so zu sein, dass das erwünscht und aushaltbar ist. In Deinem Blut allerdings sieht es anders aus. Die Tränke, die Du genommen hast, greifen die Bestandteile des Bluts an und die Produkte daraus sind teilweise noch schädlicher als die Tränke selbst."

  • Jetzt schien Vladim ernsthaft interessiert und trat näher an den Tisch mit den ganzen Alchemieutensilien.

    "Schädlicher als die Tränke selbst? Verdammte Greifenwichser!" fluchte er lautstark. Doch so schnell der Gefühlsausbruch war, so schnell hatte sich Vladim wieder unter Kontrolle.


    "Ist die Sache reversibel? Ich meine, gibt es etwas, dass du machen kannst? Das mit den Bestandteilen des Blutes, dass gegen die Bestandteile des Trankes arbeiten, davon wusste ich schon. Aber kann man die Sache wieder umkehren?"

  • "Nunja, für Greifenhexer scheinen es die richtigen Tränke gewesen zu sein. Ich vermute, dass ihre Erschaffung sich so stark von der Deinen unterschieden hat, dass es zu dieser Reaktion gekommen ist."


    Sie runzelte leicht die Stirn.


    "Im besten Falle baut Dein Körper die Giftstoffe der falschen Tränke von selbst ab und wenn Du keine mehr nimmst, ist der Schaden zwar angerichtet, aber nicht mehr fortschreitend. Vielleicht wäre es sogar möglich, sie zu binden und die Heilung voranzutreiben."


    Sie nahm den Kupfertopf vom Feuer und schob einen Deckel über den Brenner, um die Flamme zu ersticken.


    "Im schlechtesten Fall verbleiben die gebildeten Gifte in Deinem Körper und der Zerfall ist fortschreitend. Das kann ich nur feststellen, indem ich Dich und Dein Blut weiter beobachte." Rieke räusperte sich. "Gehen wir einmal vom besten Fall aus. Dann sollten wir uns zeitgleich damit beschäftigen, Deine eigenen Trankrezepte auszuprobieren und die richtige Gewichtung der Zutaten herauszufinden."

  • "Dann sollten wir das tun." damit nickte Vladim Rieke zu und stellte sich neben sie.

    "Ein Freundin von mir, hat mir einmal eine Schwalbe gemischt. Ohne, dass ich Nebenwirkungen hatte. Die Verteilung war...pi mal Auge und hat keine Wut verursacht. Wobei sie keine Alchemistin per se ist. Eher so Halbprofi."

    Damit grinste der Hexer verlegen.
    "Dennoch - die Zutaten stehen da in meinem Buch und die Menge..." er schlug etwas fester mit der Faust auf den Tisch, "...finden wir heraus. Ans Werk. Schwalben und überlegene Schwalben brauche ich am meisten. Damit fangen wir an."

  • "Gut", nickte Rieke und maß den Hexer noch einmal mit einem langen Blick. "Dann fang schonmal an, die Zutaten pi mal Daumen zurechtzulegen. Essen steht auf dem Tisch da."


    Dann gähnte sie und begann, ihre Kapuze aufzuknöpfen, während sie durch den Raum ging und den Vorhang, der zum Schlafbereich führte, zur Seite schob.


    "In der Truhe da sind Bücher, wenn Du das lesen willst. Und der Abwasch müsste auch gemacht werden. Wasser ist in dem Fass."


    Sie sagte es über die Schulter, nicht zurückblickend, so als käme ihr gar nicht in den Sinn, dass sich Vladim irgendwie verweigern würde. Den kleinen Dolch, den sie im Stiefel trug, legte sie dennoch unter ihr Kissen, als sie wie ein gefällter Baum - ein kleiner, zugegeben - ins Bett fiel. Und die wenige Haare des Hexers von der Decke zu pflücken, vergaß sie auch nicht, bevor sie einschlief.


    Es verging einige Zeit, bis sie wieder erwachte, nur halb ausgeruht. Schlafen in Kleidung hasste sie, aber eine Alternative gab es zur Zeit nicht. Der Nachteil der Gruft war zudem, dass sie keine Ahnung hatte, wieviel Uhr es war.


    Also taumelte sie verschlafen hinter dem Vorhang hervor und sah sich um, um herauszufinden, wo Vladim steckte und was er in ihrer Abwesenheit angestellt hatte.

  • Finster blickte er der Alchemistin hinterher, aber als klar war, dass sie müde war, zuckte Vladim mit den Schultern und machte sich daran die Zutaten für seine Tränke - in diesem Fall Schwalbe - bereit zu legen. Eindeutig würde er nochmal Siofra besuchen müssen, um den Vorrat an Zwergenschnaps aufzufüllen. Starker Alkohol war meist ein Grundbestandteil der Hexertränke.

    Danach wurde ihm langweilig und er blätterte durch die Bücher von Rieke, allerdings waren die so einschläfernd, dass er sie wieder beiseite legte. Da er nun nicht den Abwasch machen wollte, außer er würde die Alchemistin wecken wollen, setzte er sich an den Tisch und schaute in die verschiedenen Tiegel und Behältnisse. Aber da war nichts wirklich interessantes zu finden.

    Also aß er etwas, wobei er dies an dem Alchemietisch machte. Die Zeit verging wie zähflüssiger Honig und die Minuten rannen extrem langsam dahin. Und so saß er da und langweilte sich.

    Er saß auf dem Hocker und drehte sich mal in die eine, mal in die andere Richtung und zählte dabei die Umdrehungen, die er schaffte. So fand ihn Rieke, als sie aufwachte und die Gruft zurückkehrte.

  • "Ach Du meine Güte", sagte die Alchemistin trocken, als sie Vladim betrachtete. "Doch soviel zu tun?"


    Sie tappte verschlafen durch den Raum und kramt eine kleine Dose mit getrockneten Pflanzenblättern hervor, bevor sie den Brenner wieder ans Laufen brachte und sich erst einmal Teewasser aufsetzte. Dabei schweifte ihr Blick über den Abwasch - ein kurzes Nasenzucken folgte - und über die Zutaten, die er herausgelegt hatte.


    "Schwalbe, ja? Hast Glück, dass ich die Substanzen noch habe. Sind schwierig zu bekommen und wirklich teuer. Mehr als zwei oder drei kann ich Dir nicht machen, dann müssen wir sehen, dass ich das aus anderen Substanzen gewinnen kann. Das wird dauern - aber ich vermute, dass Du eh Zeit mitgebracht hast, nicht wahr?"

  • Der musternde Blick des Hexers traf Rieke.

    "Ich hätte abwaschen können, aber wollte nicht riskieren, dich zu wecken. Aber da du jetzt wach bist..." Damit stand Vladim auf und machte sich daran die Teller, Tassen und Schalen mithilfe des Wassers aus dem Fass zu säubern.

    "Was die Zutaten angeht, so habe ich auch noch etwas in meinem Besitz. Und ja, der Rest muss wieder besorgt werden, wozu ich aber genauso deine Hilfe brauche. Als Alkoholersatz kannst du gerne Erdfeuer von mir bekommen, dass ich starker Zwergenschnaps."

    "Und ja, ich habe Zeit." Damit machte er sich an den Abwasch.

  • "Alkohol ist definitiv die Basis von -." Rieke blätterte in ihren Aufzeichnungen. "Allem."


    Dann jedoch schien die Realität eines spülenden Hexers in ihren Kopf einzudringen und sie hüstelte.


    "Du willst hier doch nicht wohnen, oder? Ich meine, noch haben wir uns nicht gegenseitig umgebracht, aber ich könnte mir vorstellen, dass das sehr schnell passiert, wenn wir eine Weile aufeinander hocken."

  • Der Mutant hielt mit der Arbeit inne und sah Rieke überrascht an.


    "Soll ich jetzt spülen oder nicht? Ich wollte nur zusehen, dich nicht zu wecken." Dann ließ er die Teller, Tassen und das Besteck liegen und verschränkte leicht genervt die Arme.


    "Da will man mal helfen, dann ist das auch nicht gut genug." grummelte Vladim in sich hinein.

    "Die Götter mögen bewahren, dass wir mal zusammenleben müssen. Das ist eine rein geschäftliche Beziehung!"

  • Rieke verdrehte wieder einmal die Augen, doch danach legte ein Grinsen ihre Augenwinkel in feine Fältchen.


    "Auch noch empfindlich, der Herr Hexer. Ich meinte ja auch nicht, dass Du sofort jetzt gehen sollst. Und das Abwasch muss definitiv gemacht werden und ich hasse Abwaschen."


    Dann schnaubte sie abfällig, was sich vermutlich eher auf das Abwaschen bezog.


    "Und Du hast gerade selbst bestätigt, dann dies eine geschäftliche Beziehung ist. Welche Geschäftspartner teilen sich Tisch und Bett, hm?"

  • Der Blick, den ihr Vladim zuwarf, war schwer zu werten. Er musterte sie eine ganze Weile, dann schubste er sich selbst vom Tisch ab, wo er angelehnt gestanden hatte und nahm den Abwasch wieder auf.


    "Bist nicht mein Typ." war alles, was er darauf sagte.

  • "Melitele sei gepriesen", gab Rieke knochentrocken zurück. "Es ist so lästig, dass sich ständig Männer in mich verlieben. Das Abweisen kostet so viel Zeit."


    Sie setzte sich an den ersten Versuch, "Schwalbe" herzustellen. Die kleine Waage, die sie benutzt, quietschte leise. Bald schon waberte der Geruch nach Kräutern durch die Gruft und Rieke murmelte leise Zahlen vor sich hin, die sie minutiös in ihr Buch eintrug.


    "Fertig", sagte sie schließlich und blickte auf. "Jetzt müssen wir Dich nur noch verletzen und dann schauen wir mal, ob der Trank etwas bringt oder ob Du nur die Boden vollbluten wirst."

  • Der Abwasch war beendet und die letzten Teile trockneten in der warmen, stickigen Luft der Gruft auf einem der steinernen Sarkophage. Vladim hatte mehr aus Langeweile zugeschaut, wie penibel Rieke alles notierte und genau abmaß, wieviel sie für die Schwalbe aufwendete.

    Als die Alchemistin zu dem Teil mit der Verletzung kam, nahm der Hexer sein Kukri auf, dass rasiermesserscharf geschliffen war und zog es sich über den nackten Unterarm, dass sofort Blut hervorquoll. Dann hob er die frisch geschaffene Schwalbe auf und trank den Trank in einem Schluck herunter. Der Körper des Mutanten krampfte kurz und sofort war sichtbar, dass die Wunde sich schloss.


    Sowohl Vladim als auch Rieke beobachteten die Wundheilung, die sich innnerhalb Augenblicken vor ihren neugierigen Gesichtern vollzog.

  • Der Hexer schaute sich das Heilungsbild genau an.


    "Fühlt sich an wie sonst auch immer. Normalerweise bin ich nach der Einnahme des Tranks ein wenig Schmerzempfindlicher."


    Damit pickte er sich selbst mit einer gespülten Gabel ins Bein.

    "Ja, ist immer noch so."


    Damit drehte er sich wieder Rieke zu.

    "Scheinst alles gut gemacht zu haben. War jetzt auch nicht soo schwer. Habe ja selbst schon dabei zugekuckt, wie eine Schwalbe hergestellt wurde.2

  • Rieke reagierte gar nicht auf das Lob. Stattdessen runzelte sie die Stirn.


    "Schnaps und Kräuter sind ja gut und schön. Aber zumindest hast Du jetzt das Handwerkszeug, um mir die Zutaten zu besorgen, die ich für weitere Tränke brauche."


    Sie blätterte in ihrem Buch.


    "Und wenn Du dabei bist, könntest Du sehen, ob Du an Ghulblut kommst. Ich habe eine Idee, was ich damit machen will."


    Ihre grünen Augen richteten sich über den Brillenrand auf den Hexer.


    "Ist das ein Problem? Ich kann nicht einschätzen, wie gut Du wirklich bist."

  • Vladims Schulterzucken war Antwort genug. Vielleicht war er nicht gut oder sah sich selbst nicht gut genug.


    "Wir sind auf einem Friedhof. Da sollte es schon Ghulblut geben. Ich schau mich draußen einfach mal um..."


    Mit diesen Worten nahm er sich seine Kram und gurtete sich die Schwerter um, bevor er die Gruft verließ. Ohne ein Wort des Abschieds verließ er die Gruft und ließ Rieke in der steinernen Kammer zurück.