Die Küste von Renascân

  • "Eigentlich - nichts", gab Alanis zögernd zu. Sie machte sich nicht wirklich etwas aus weinseligen Abenden im 'Zaunkönig' und hatte eigentlich vorgehabt, ihre Abende so zu verbringen, wie sie es fast immer tat. Alleine. "Ich habe keine Pläne."

  • "Magst du mit zu Bellaria kommen?", bietet Kassandra an.
    "Wir könnte bei Bramantes vorbeigehen und ein oder zwei Flaschen mitnehmen. Dann müssen wir Lilas Weinkeller nicht plündern. Und dann huldigen wir der Schwankmaid bis die leer sind."

  • Hadra sah ungewohnt aus: Die sonst eigentlich fast immer halb offenen Haare hatte sie straff zurück gebunden. Die wenigen hervor schauenden Strähnen tropften von dem Wasser, mit dem sie sie durchnässt hatte. Sie trug eine Tunika mit eng anliegenden Ärmeln, ebenso eng anliegende lederne Hosen. Mit anderen Worten: So hätte sie sich niemals unter Leute gewagt.


    Einige Meter von sich entfernt hatte sie eine Kerze in den Sand gesteckt und positionierte sich nun.


    Ihre Hände hatte sie in einer Haltung vor der Brust, die eine Kugel formte. Die Füße suchten einen festen Stand im Sand. Einige Minuten lang verharrte sie in dieser Position, leerte ihren Geist bis sie nur noch ihren eigenen Herzschlag hörte. Dann füllte sie ihn wieder an. Langsam ließ sie Steine in den Bach gleiten, leitete den Strom um, bildete Strudel und verengte das Bett, bis die Magie schneller floß, heftiger und ein Sog entstand. Dann begann sie ihren Spruch zu intonieren.


    "Wut entflamme, Zorn entbrenne, Feuer, bahn' dir deinen Weg. Flammen lodern, bringt Zerstörung. Tod, das sei dein einzig Ziel."


    Zwischen ihren Händen hatte sich eine Flamme gebildet, die sich um sich selbst zu drehen begann. Immer schneller und schneller, bis sich eine Kugel formte. Als sie sie los ließ, schoß sie nicht wie üblich in rasender Geschwindigkeit von ihr weg, sondern war deutlich langsamer. Das nahm ihr aber nichts von ihrer zerstörerischen Kraft. Das Wachs der Kerze verpuffte in einem Feuerball und der Sand schmolz zu einer glatten Fläche zusammen, wo sie gestanden hatte.
    Hadra sank in die Knie und ließ sich in den Sand fallen. Dann begann sie haltlos zu kichern. Destruktiv. Ja. Was auch sonst?

  • Mit genug Mühe hatten die Gaukler die Wagen über den Strand gezogen und tiefe Furchen hinterlassen, die der Wind jedoch schon längst wieder verweht hatte. Am oberen Teil der Sandfläche, möglichst weit entfernt von der Wassermarke, war ein großes Zelt aufgestellt worden. Die Außenmasten erhoben sich etwa vier Meter hoch, der Mittelmast noch viel höher. Die Stoffbahnen waren oft geflickt worden und die Farbe war ausgeblichen. Das einstmals leuchtende Rot war zu einem hellen lachs verblasst, das blau zum himmelblau.
    Drum herum hatte man einige wesentlich kleinere Zelte aufgestellt. In der Mitte befand sich eine Kochstelle, die von den Zelten abgeschirmt wurde. Die Hunde tollten über den Strand, bissen sich gegenseitig in die Schwanzwurzel und haschten nach der Gischt.


    Ein Mann war gerade dabei ein Viereck abzustecken, einige Frauen zimmerten an einer Bank und stellten sie zu den anderen, die bereits um das abgesteckte Arreal herum standen. Das kleine dunkelhaarige Mädchen befestigte bunte Stoffwimpel an der Umzäunung.


    Nach einigen Stunden regen Treibens schien alles so weit hergestellt. Des Abends, als die Dämmerung sich herein senkte, versammelten sie sich um die flackernde Feuerstelle, wärmten ihre Hände an heißem Wein. Halb verwehte Lieder fanden den Weg zu den Sternen und nach einem gemeinsamen Gebet in der Stille, gingen die meisten in ihre Zelte um dort den Morgen und die erste Vorstellung abzuwarten.

  • Am nächsten Tag, kurz vor Mittag, schob sich eine bunte und sehr laute Schar über den Strand. Die Kinder des Waisenhauses schienen beim Anblick des Strandes, der Welle, aber vor allem des Zirkuszelts, jegliche Zurückhaltung zu vergessen und die mahnenden Worte der Erwachsenen, die sie begleiteten, mußten mehr als einmal wohlwollend wiederholt werden.


    Johanna, die von einigen der älteren Jungen schon überragt wurde, ging irgendwo in der Mitte des fröhlichen Haufens und unterhielt sich mit eben jenen Jungen über deren berufliche Zukunft, während sie ein waches Auge auf die Jüngeren hielt, die Fangen spielten.

  • Kläffend und aufgeregt mit dem Schwanz wedelnd begannen zwei Hunde um die bunte Gruppe herum zu hopsen. Der eine war sehr klein und schwarz mit einem weißen Ohr. Der zweite war deutlich größer und hatte langes, hellbeiges Fell. Seine Statur und die Form der Schnauze waren fast schon wolfsartig.


    Neben dem abgesteckten Arreal lag ein Stapel Holzplanken, deren näheren Zweck man so nicht direkt erkennen konnte.


    Die zwei Pferde und die Maultiere grasten am oberen Rand des Strandes friedlich vor sich hin und hatten nur kurz die Ohren gespitzt und die Meute betrachtet. Völlig entspannt ließen die zwei edleren Tiere das Striegeln über sich ergehen. Auf den Bänken um die Manege herum hatte ein Kind gesessen, das nun eilig aufsprang und wild hantierend zwischen die Zelte lief.

  • Abwartend stand der junge Magier viele Schritte von der Frau entfernt. Nervös spielte er mit den Ärmeln seines Gewandes und wartete ab, was geschehen würde.


    Hadra hatte hektische rote Flecken im Gesicht. Ihre Frisur sah einigermaßen zerstört aus. Nur zwei Meter vor ihr hatte der andere eine kreisförmige Spur in den Sand gelaufen, dann entfernten sich seine Fußstapfen zu der Stelle, an der er jetzt stand. Ihre Handschuhe hatte sie sich von den Händen gezogen und rieb sich über die Fingerknöchel. Sie warf dem anderen noch einen Blick zu und nickte.
    Dann streckte sie die Hand aus. Als habe sie eine unsichtbare Wand berührt erstarrte sie in der Bewegung und sackte dann lautlos in sich zusammen.

  • Einige Wochen später.


    Der Himmel war an diesem Tag bewölkt und nur selten fand ein Sonnenstrahl den Weg auf die Erde. Das Meer schien das Grau des Himmels nur widerzuspiegeln, so dass es schwer war, Horizont und Wasser voneinander zu unterscheiden.


    Hadra kniete im Sand. Sie trug Hosen und dazu eine recht eng anliegende Tunika, von der ihr kein Zipfel in den Weg wehen konnte. Ihre Haare hatte sie zu einem festen Zopf zusammen gebunden und geflochten. Die Handschuhe lagen neben einer Tasche auf einem Felsen etwas weiter entfernt. Locker lagen ihre Hände auf den Knien. Sie begann ihren Atem zu verlangsamen, ließ die Luft bewusst in ihre Lungen strömen und wieder hinaus. Ihr Blick verlor sich irgendwo zwischen hier und dem Horizont und fixierte nichts wirklich.
    Vorsichtig öffnete sie ihre Quelle und ließ den Fluß ungehindert fließen. Dann begann sie das Flußbett zu verbreitern, räumte Hindernisse aus dem Weg, so dass die Kraft breiter, aber langsamer fließen konnte.

  • Ein ganzes Stück entfernt von Hadra


    "Hier her!"


    "Jetzt wirf doch endlich"


    "Zu mir, zu mir"


    "Den bekommst du nicht"


    "Hab ihn! Punkt!"


    Jubel bricht aus. Bei einem Teil der Gruppe jedenfalls, der andere murrt etwas.


    Wie konntest du den nur durchkommen lassen?"


    "Hättest du ja selber was machen können, was verlierst du auch den Apfel?"


    "Drei zu Zwei", lässt sich von einer etwas außerhalb stehenden Person vernehmen.


    "Los abbeißen!"


    Ein blonder junger Mann starrt auf den sandigen Apfel in seiner Hand. Kritisch beäugt er ihn, in der Hoffnung eine Stelle zu finden, die noch nicht sandig war.


    "Los, jetzt mach schon."


    Er verzieht das Gesicht und beißt ab. Dann wirft er den Apfel in einem hohen Bogen einem anderen zu.

  • Der Fluß erstreckte sich weit. Viel weiter als sonst. Er war flacher und hatte weniger Strömung doch es war anstrengend zu verhindern, dass die Hindernisse wieder in das Flußbett rollten, es wieder verengten und den Strom reißend machten.


    Um nicht einfach loszulassen, begann sie kontrolliert genau das zu tun: Sie ließ die Steine wieder ins Wasser gleiten und erhöhte so die Geschwindigkeit Strömung. Die letzten Hindernisse fanden nur mühsam ihren Platz wieder. Die letzten kleinen Strudel entstanden und formten das gewohnte Bild.


    Vorsichtig ließ Hadra von dem Bild ab. Langsam fokussierte sie wieder und nahm die Welt wieder als das wahr, was sie darstellte. Ihr Herzschlag schlug wild von der Anstrengung und die Tunika klebte an ihrem Oberkörper.


    Müde ließ sie sich nach hinten fallen. Ein kleiner Schritt. Immerhin. Besser als nichts.

  • Lutz platzierte die Muschel auf dem Löffel, der wie eine Wippe auf einem Stein lag.


    "Vorsicht! Gleich wirds haarig!" murmelte er und klemmte die Zungenspitze zwischen die Lippen.


    Dann peilte er und tippte auf das andere Ende des Löffels. Mit einem


    "Huuuuuuuuuuuuuuuiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii!" sah er dem kurzen Flug der Muscheln hinterher, die in Richtung eines weiteren Steins katapultiert worden war.


    Als die Muschel landete, ahmte er das Geräusch berstender ... vermutlich Gebäude nach und klatschte in die Hände.


    "Sergeant, wir müssen das Ding noch ein wenig ausrichten. Der Wind lenkt das Geschoss ab. So ists, Rekrut, weitermachen und noch ein Versuch." murmelte er wieder und belud erneut sein Katapult.

  • Grauer Himmel und tief liegende Wolken trübten den Himmel über Renascân. Das Meer war ruhig und das schieferfarbene Wasser ging am Horizont kaum sichtbar in den Himmel über.


    Leise gluckernd brachen sich die Wellen am Strand und erfüllten ein leuchtendrotes Band mit scheinbarem Leben, indem sie es dort, wo das Wasser an Land rollte, sanft hin und her bewegten. Ein Knubbel darunter bewegte sich deutlich hektischer bis ein kapitaler Krebs mit empört erhobenen Scheren unter dem wogenden Rot hervor trippelte und offenbar verstört von der hier so fremd erscheinenden Farbe eilig das Weite suchte.

  • Hadra hatte sich einen ruhigen Platz gesucht. Mit durchgestrecktem Rücken saß sie vor dem Stein, das Gesicht der Seeseite zugewandt. Mit geschlossenen Augen lauschte sie dem Rollen der Wellen. Sehr bewusst spürte sie die Wärme der Sonnenstrahlen auf der Haut, die sich wie Hände nach ihr ausstreckten um sie zu streicheln.
    Mit tiefen Atemzügen sog sie die salzige Luft in ihre Lungen und atmete langsam, gemessen wieder aus. Locker lagen ihre Hände auf den Knien, die Handschuhe neben ihr im Sand.


    Das Meer in ihr rollte im Gleichklang mit dem grauen Wasser des Perlmeeres gegen die Mauer, die sie errichtet hatte. Ohne Hast, aber stetig und mit Kraft, als würde etwas immer und immer wieder anrennen. Als hätte dieses Etwas Zeit, alle Zeit der Welt und die Gewissheit, dass die Mauer nicht ewig halten würde. Als würde es im Verborgenen auf einen Riss warten im Bollwerk, einen winzigen Haarriss, der das ganze so mühsam errichtete Gebilde angreifbar machen würde.


    'Wieso lässt du es... nicht weg machen?' fragte das Gesicht, das sich unbemerkt in ihre Konzentration geschlichen hatte. Mit den fragenden Augen von zwei Fünfjährigen.


    Mit einem Keuchen riss sie die Augen auf und schüttelte den Kopf. Ihre Handflächen hatten sich deutlich erwärmt. Sie rieb die Hände über ihre Knie und schob sie dann tief in den Sand, der von der Nacht noch kühl war. In schneller Abfolge tauchten weitere Erinnerungen auf. 'Das ist nicht natürlich, nicht göttergefällig.'. Eine ernste Miene dazu, helle Augen, die sie ruhig fixieren. Das Geräusch der Brandung hatte zugenommen. Ein Blick aufs Meer hinaus sagte ihr, dass es noch immer im gleichen, steten Rythmus an den Strand rollte. Und doch donnerte es in ihren Ohren. 'Wie kann das dann sein?' hörte sie sich weiter alles in Frage stellen. Wieder versenkte sie sich und begann mühsam das Meer zu beruhigen. Leise sprach sie auf es ein, glättete die Wogen bis es wieder zu seiner sanften Stetigkeit zurückgefunden hatte.


    Die Antwort war so einfach wie sinnlos 'Ich weiß es nicht.'.

    Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.
    Homunkulus (~835 - 902)

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von Ashaba ()

  • Schweigend saß die Frau im Sand, den Rücken an den Stein gelehnt. Die Dämmerung war gekommen, was sie aber nicht sonderlich zu stören schien. Der Wind peitschte vom Meer kommend an Land und hatte einige Strähnen aus dem Zopf gerissen um damit zu spielen. Kalt war es geworden und die Böen taten ihr übriges.


    Hadra richtete den Blick in sich hinein, tastete suchend nach dem, was sie nicht finden würde. Es war ihr zur Gewohnheit geworden, die sie nicht ablegen konnte. Sie wusste genau, dass da diese Kuppel war, aber etwas hatte sich auf ihre Sicht gelegt, wie undurchdringlicher Nebel, so dass sie das Gebilde nicht finden konnte. Manchmal machte es sie rasend, doch heute hinterließ es nur eine unfassbare Leere.


    Bei der Garde war man erst fassungslos gewesen, dass sie diese Entscheidung allein getroffen hatte. Sie hatte empfindliche Strafen auferlegt bekommen. Nicht dafür, dass sie sie getroffen hatte - denn, das mussten sie zugeben, die Entscheidung war richtig gewesen - sondern dafür, dass sie keinen der Vorgesetzten einbezogen hatte. Aber wie hätten sie das verstehen sollen? Das war eine Sache gewesen, die sie mit sich selbst hatte ausmachen müssen.


    Unbemerkt hatten sich ihre Augen mit Tränen gefüllt. Diesmal versuchte sie nicht sie zu unterdrücken sondern ließ sie einfach kommen.

  • Emma läuft zügig den Strand entlang, beinah sieht es aus, als würde sie rennen. Ihr Herz klopft so schnell, dass sie das Gefühl hat, es könnte jeden Moment aus ihrer Brust herausspringen. Als sie es nicht mehr aushält, bleibt sie stehen, schlingt die Arme um ihren Oberkörper und starrt auf das Meer. Die Wellen rollen gemächlich an den Strand und Emma zwingt sich, in ihrem Rhythmus zu atmen. Eine ganze Weile steht sie so da, atmet und starrt auf die Wellen. Saugt die endlose Weite in sich hinein.


    Als die Panik endlich nachlässt, kauert sie sich auf einen Felsen und stützt den Kopf auf die Knie. Sie möchte noch nicht zurück in die Stadt. Hier draußen fällt es ihr leichter, klar zu denken. Hier kann sie den Unterschied zwischen realer Welt und Erinnerung erkennen. Früher war ihr das nie schwer gefallen. Sie musste das in den Griff bekommen. Schon bald würde sie wieder zusammen mit der Garde nach Pirmasens reisen. Da konnte sie nicht als
    Nervenbündel aufkreuzen.


    Frustriert vergräbt sie eine Hand in dem feuchten Sand. Normalerweise helfen ihr Gebete, sich zu sammeln. Oder sie zählt Rezepte auf. Doch in ihrer Panik entfallen ihr sogar Verse, die sie schon seit frühester Kindheit kannte. Das macht ihr am meisten Angst. Die Augenblicke, in denen sie jegliche Orientierung verlor und die Erinnerung sämtliche Gedanken verschlang. Fröstelnd zieht sie den Umhang fester um sich und steht auf. Sie will nicht länger darüber nachdenken. Sicher findet sich im Laden etwas zu tun.

  • Im Wind schwankend wie eine dicke Kogge in wildester See brummt ein Käfer heran. Den rundlichen, schwarz glänzenden Leib stemmt er trotzig gegen den Wind. Vor ein paar Tagen hatte ihn die warme Sonne hervorgelockt, einen frühen Frühling zu wagen. Doch jetzt ist es wieder kälter geworden. Als er in Emmas Windschatten kommt, schießt er voran, da plötzlich der Widerstand fehlt. Mit einem leisen Geräusch landet er auf ihrer Schulter und kriecht in eine Falte ihrer Kleidung, die ihm ein wenig Schutz bietet. Ob er plant dort zu bleiben? Schlecht zu gefallen scheint es ihm offenbar nicht.