Das Gebäude der Späher

  • Emma schaut nicht zu dem Mann, sondern konzentriert sich auf die Späne, die sich vor ihr am Boden sammeln. Die Antwort des Mannes überrascht sie ein wenig. Fast hatte sie erwartet, mit einem "sie ist nicht da" weggeschickt zu werden. Doch dass er nach ihrem Namen fragt, lässt sie hoffen, dass er ihr tatsächlich weiterhelfen würde.


    "Ich bin Emma. Ich verkaufe Kräuter in der Unterstadt", antwortet sie immer noch angespannt.

  • Wieder vergingen bis zur Antwort einige lange Sekunden.


    "Aha. Emma. Die 'Ich' heißt also Emma. Und du verkaufst also Kräuter, Emma. In der Unterstadt. Aha. Aber das hier ist gar nicht die Unterstadt, Emma."


    Er sog tief, lange, und deutlich hörbar Luft ein und verzog mit einem hässlichen Schmatzen den Mund, als würde er etwas erschmecken wollen. Dann neigte sich sein Kopf wieder in die andere Richtung.


    "Sanddorn. Das ist Sanddorn, Emma. Habe ich recht, Emma?"

  • Schon wieder muss sich Emma kurz schütteln, weil die Gänsehaut ihren ganzen Körper kribbeln lässt. Dieses ständige Wiederholen ihres Namens machte den Mann noch unheimlicher.
    Als er sich nach dem Sanddorn erkundigt stutzt sie. Ja, ihre gesamte Kleidung und ihr Haar riechen noch leicht danach, doch sie hat nicht angenommen, dass es außer ihr noch jemandem auffallen könnte. Dieser Kerl ist ein Späher, der muss sich auf seine Nase und Augen verlassen können, denkt sie.


    "Ja richtig, ich hab heute Sanddornsaft eingemacht...", sie stockt kurz, dann gibt sie sich einen Ruck,"und wer bist du?"

  • Noch einmal sog der Mann Luft ein


    "Aaaaaaaaah. Ich mag Sanddorn, Emma. Ich mag Sanddorn fast so gerne wie Pfefferminze."


    Wieder das tiefe Einatmen durch die Nase, gefolgt vom Schmatzen


    "Nein, keine Pfefferminze. Zwar Honig, und Sanddorn, aber keine Pfefferminze. Das ist sehr schade, Emma. Sehr, sehr schade."


    Die Holzschnitze vor Emmas Füßen erhielten weitere Verstärkung


    "Man nennt mich Lamask. Das ist MEIN Name, Emma. DER 'ich' heißt Lamask, genau wie DIE 'ich' Emma heißt. Sehr lustig, nicht wahr, Emma? Zwei Ichs, jetzt und hier, und trotzdem heißen sie unterschiedlich, genau wie das dritte 'ich". Das hier, das ist Kehlenschlitzer, mein Messer. Kehlenschlitzer, Lamask, Emma."


    Und erneut atmete er sehr hörbar ein


    "Ich mag Sanddorn."

  • Verdammt noch mal, denkt Emma, warum muss dieser Kerl so unheimliches Zeug reden?


    "Kehlenschlitzer...das, das ist sehr passend für ein Messer..." stottert sie und kommt sich dabei ziemlich dämlich vor. Dann kommt ihr eine Idee. Sie zieht die Flasche Sanddornsaft aus der Tasche und hält sie Lamask hin.


    "Ich hab ein paar Flaschen zum Verschenken gemacht. Wenn du willst, kannst du die hier haben. Du kannst auch ein bisschen Pfefferminze dazutun, wenn du den Geschmack dann lieber magst. Thymian ist schon drin."


    Sie tastet mit der anderen Hand nach dem Beutel, indem sie verschiedene kleine Kräuterbündel für den Eigenbedarf hat, normalerweise auch Pfefferminze, doch der Beutel ist nicht da. Sie muss ihn zuhause vergessen haben.


    "Ich hab leider keine Pfefferminze dabei", meint sie dann entschuldigend. Immer noch hält sie die Flasche vor Lamask.

  • Zum ersten Mal in dieser "Unterhaltung" wandern die graugrünen Augen des Mannes, und zwar hin zu der Flasche.


    "Ein Geschenk? Ich mag Geschenke. Aber ich dachte, Emma, dass du Kräuter verkaufst. Das hast du doch gesagt, du verkaufst Kräuter in der Unterstadt. Und nun verschenkst du Sanddornsaft in der Oberstadt, Emma."


    Er verstaute das Stück Holz in einer Tasche am Gürtel, dann stand er langsam auf, während er sich mit der freien Hand die ins Gesicht gefallene Haarsträhne hinters Ohr strich. Er machte einen Schritt auf Emma zu, vielleicht einen Hauch zu nah. Er war nicht allzu groß, aber er überragte die Kräuterfrau natürlich. Sein Körperbau war eher drahtig, aber mit kräftigen Schultern.


    "Manche sagen, Geschenke erhalten die Freundschaft, Emma. Wie siehst du das?"

  • Emmas Herz pocht so laut, dass sie meint, ihr Brustkorb müsste zerspringen. Als Lamask aufsteht, kostet sie es eine Menge Körperbeherrschung, nicht zurückzuweichen.


    "Ja ich schenk sie dir", antwortet sie und muss sich schon wieder räuspern, "und ja ich verkaufe auch Kräuter, du kannst in den Laden kommen, falls du einmal etwas brauchst"


    Sie drückt Lamask ruckartig die Flasche in die Hand.


    "Aber das ist ein Geschenk...weil du gesagt hast, dass du Sanddorn magst. Bitte schön...die Freundschaft erhalten? Nun...sicher...bestimmt ist es gut Freunden ab und zu eine Freude zu machen..."


    Zu nah! zu nah!, kreisen ihre Gedanken währenddessen immer wieder um das Selbe.

  • Lamask nickte. Man konnte fast glauben, dass sein Grinsen etwas weniger schief wurde, als er die Flasche betrachtete und dann ebenfalls in einer seiner Gürteltaschen verschwinden ließ. Aber nach wie vor stand er für Emmas Geschmack etwas zu nah.


    "Sanddornsaft. Danke sehr, Emma. Sanddornsaft, geschenkt in der Obarstadt. Nicht verkauft in der Unterstadt, im Laden. Falls ich etwas brauche. Ja, bestimmt ist es gut Freunden ab und zu eine Freude zu machen. Da hast du recht, Emma. Das sehen wir ganz genauso, Kehlenschlitzer und ich. Ich und Kehlenschlitzer.


    Sein Kopf zuckte in Richtung seiner rechten Hand, in der er noch immer sein Messer hielt


    "Aber wir kennen uns doch erst seit gerade eben, Emma. Freundschaft ist selten, Emma."


    Erneut sog er Luft durch die Nase


    "Ja, ich mag Sanddorn. Magst du Sanddorn auch, Emma? Ich mag auch Pfefferminz. Pfefferminztee mag ich sehr, Emma. Guter Pfefferminztee...ist gut. Gut, wie eine gute Freundschaft. Hast du eine Freundschaft mit Narvi, Emma?"

  • Emma will am liebsten schreiend davonrennen, weil dieser Kerl ständig Andeutungen auf sein Messer macht. Sie zweifelt kurz an der Idee Lamask eine Flasche Sanddornsaft zu schenken. Doch wenn sie jetzt geht, erfährt sie nicht, wo Narvi ist und auch nichts über die Zettel. Der Trotz kämpft mit ihrer Angst und gewinnt schließlich die Oberhand.

    "Ja, ich bin mit Narvi befreundet", antwortet sie entschlossener, als sie sich fühlt,"und ja, du und ich kennen uns noch nicht lange. Du hast recht, Freundschaft ist selten, sehr selten sogar. Und trotzdem schenk ich dir den Saft, nicht weil ich dich kenne oder weil wir befreundet sind, sondern einfach aus dem Grund, weil du mir gesagt hast, dass du Sanddorn magst und ich ohnehin ein paar Flaschen zum verschenken habe. Warum soll ich dir also keine abgeben?"


    Sie holt tief Luft und klammert ihre Hände an die Falten ihres Rockes.

    "Und ich mag Sanddorn auch ziemlich gerne und Pfefferminze auch. Könntest du mir bitte sagen, ob Narvi da ist?"


    Emma nimmt ihren ganzen Mut zusammen und sieht Lamask an, während sie auf eine Antwort wartet.

  • Lamask schaut sie nun wieder direkt an, dann nickt er leicht und kommentiert Emmas lange Antwort mit einem kurzen und eher leisen


    "Aha."


    Endlich macht er wieder einen Schritt zurück und sieht kurz die Treppe nach oben, bevor er sich wieder Emma zuwendet.


    "Ja, warum eigentlich nicht."

    Nochmals ein kurzer Blick nach oben


    "Finden wir es heraus...NAAAAARVI!!!"


    Emmas Ohren bebten, als Lamask wie aus dem Nichts heraus den Namen die Treppe hinauf rief - nein, brüllte. Donnerte.
    Dann sah er wieder Emma in die Augen, als wäre nie etwas geschehen.


    "Möchtest du Pfefferminztee, Emma?"

    Thankmar Rhytanian
    Botschafter Magoniens zu Montralur

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  • Emma ist unglaublich erleichtert, weil Lamask einen Schritt zurück macht. Dann zuckt sie vor Schreck heftig zusammen, denn Lamask brüllt Narvis Namen so laut, dass es vermutlich noch sämtliche Nachbarschaft gehört hat.
    Wenn das so weitergeht bleibt mir noch mein Herz stehen vor Schreck, denkt sie und versucht ihren Atem zu beruhigen. Dann trifft sie wiedereinmal Lamasks Blick und sie verliert sich kurz in den hellen starrenden Augen.
    Unheimlich, ist das beste Wort, dass Emma als Beschreibung für diesen Blick einfällt.
    Als Lamask fragt, ob sie Tee möchte, ist sie hin- und hergerissen. Einerseits will sie unbedingt auf Narvi warten, sonst hätte sie auch gleich weglaufen können, andererseits macht Lamask ihr Angst.
    Jetzt sei keine Memme, redet sie sich selbst Mut zu und gibt sich einen Ruck.


    "Ja, ich nehme gern einen Pfefferminztee, danke", sagt sie und versucht zu lächeln, was ihr nicht so recht gelingen will, weshalb sie es vorerst aufgibt.

  • Emmas Zusammenzucken löst bei Lamask keinerlei Reaktion aus. Mit einem lapidaren


    "Gut! Dann Pfefferminztee!"


    Geht er an Emma vorbei in einen Flur, der rechts von der Eingangstür nach hinten verläuft


    "Aber mach' die Tür zu. Da draußen laufen jede Menge Irre herum."


    Er bleibt abrupt stehen, dreht sich zu Emma, legt sich den Zeigefinger an die Schläfe und beginnt ihn dort zu kreisen, während er sein schiefes Grinsen nun noch etwas schiefer grinst.


    "Völlig Verrückte. Verstehst du, Emma?"



    Nach einer weiteren ebenso abrupten Drehung verschwindet er dann hinter dem Flur, im Gehen wirft er Kehlenschlitzer in die Luft und fängt ihn mit einer flinken Handbewegung hinter seinem Rücken wieder auf, bevor er ihn in eine honigbraune Lederscheide steckt, die zwischen zwei Taschen an seinem Gürtel untergebracht war.

  • Narvi genießt es seit einigen Wochen wieder flinker laufen zu können- endlich!
    Sie bricht seither immer öfter zu Wanderungen auf, macht Rast bei Erschöpfung und bleibt eigentlich nie still stehen, selbst bei der Wache nicht, damit ihre Beine nciht schwer und dick werden. Ihre Kameraden mussten sich an ihre übermäßigen ständigen Bewegungen gewöhnen. So schritt sie bei einer banalen Torwache seither vor-zurück-vor-zurück-seitwärts-rechts-links-schräg vor-auf die Zehen-in die Knie-auf einem Bein hoch...
    So mancher verwechselte diese ständige Bewegung mit Nervosität, jedoch ruhte Narvi mehr in sich als jemals zuvor. Früher wäre ihr das nie passiet, aber mit einer unendlichen Dankbarkeit für ihr wieder erlangtes Gehvermägen lächelte sie sogar manchmal scheinbar grundlos(!) vor sich hin und Leuten ins Gesicht- die sie nicht unsympatisch fand.
    Mit ebendieser Beschwingtheit kam sie gerade aus dem Wald gelaufen, als sie ihren Namen laut gerufen hörte. Sie verfiel sofort in einen schnellen Trab, den sie sich eine gewisse Strecke zutraute ohne Schmerzen zur Folge zu haben. Da sie Lamasks Stimme erkannte, konnte nur jemand nach ihr gefragt haben ODER er hatte sich wieder an etwas gestört, weshalb sie ihm nciht aus dem Kopf ging. Da kam es auch schonmal vor, dass er übertriebenermaßen ihren Namen rumbrüllte- so aus Prinzip, dachte sie sich....wie auch immer...Lamask eben.
    Sie sah Emma vor dem Gebäude der Späher stehen und rief von Weitem


    Emma, schön dich zu sehen! Sie winkte ihr zu und kam schnell näher.

  • Ungläubig starrt Emma auf Lamasks Rücken. Irre, da draußen, klar..., denkt sie etwas bitter, doch ein kleines Lächeln schleicht sich auf ihr Gesicht und diesmal ist es echt. Sie will gerade hineingehen, als sie Narvi hört. Erleichtert dreht sie sich um und wartet bis sie beim Gebäude ist.


    "Narvi ist hier." ruft sie Lamask zu. "Wir wollten gerade Pfefferminztee trinken", erklärt sie dann Narvi, und schaut immer noch etwas verwirrt und verunsichert drein.

  • Narvi kam bei Emma an und umarmte sie.


    Auf den Wachhund ist immer Verlass, der gibt Laut wenn ich verlangt werd´
    säuselte sie extrem leise in Emmas Ohr, da sie um Lamasks gutes Gehör wusste, und zwinkerte ihr zu. Dann setzte sie sofort in normaler Lautstärke hinzu.
    Na, was gibt´s?
    "Vielleicht haben wir ja ein Anliegen vorliegen, dass dringend einem Ortswechsel bedarf- wenn wir Glück haben?!" dachte sie bei sich und wollte Emma am Liebsten möglichst undauffällig weglotsen.

  • Die Anspannung fällt von Emma ab, als Narvi sie umarmt und sie muss grinsen, als sie ihr etwas in ihr Ohr flüstert.


    "Ich wollte dich zu einem Spaziergang einladen", antwortet Emma ihr. Dann deutet sie auf das Gebäude. "Lamask hat mich willkommen geheißen. Aber da du ja jetzt da bist..."


    Sie sieht Narvi fragend an, unsicher, wie Lamask reagieren wird, wenn sie seine Einladung zum Tee jetzt doch abschlägt. Auf keinen Fall möchte sie ihn zum Feind haben. Vielleicht konnten sie den Tee ja später trinken.

  • ...können wir ja spazieren gehen. Pfefferminztee schmeckt kalt auch ganz klasse. So beendet sie Emmas unvollendeten Satz.


    Sie ruft ins Gebäude kurz angebunden rein.
    Ich muss Emma was zeigen und wir haben was zu bereden. Wir trinken den Tee später, Lamask. Wiedersehn!


    Sie schnappt sich Emmas Arm und zieht sie Richtung Wald. Noch eine kleine Spazierrunde kann sie noch verkraften.
    Na,
    wie geht es dir? Schön dich mal wieder zu sehen! Ich hab schon einige
    Ideen gewälzt und frage mich wie wir es angehen wollen...naja, erstmal
    du. Was treibt dich her?


    Narvi wirkt viel redseeliger als noch zu Beginn des Jahres. Etwas verändert sich...