Beitrag 1

  • Des Königs aufrechte Krieger


    Die Dämmerung war schon lange vergessen und die „Goldene Feder“ füllte sich zusehends. Einheimische begossen das Ende eines Tages voll harter Arbeit während sich, Seite an Seite mit ihnen, einige Reisende von den Strapazen eines langen Rittes erholten. Der Tavernenbarde setzte an, seine ersten Lieder zum Besten zu geben und der Met floss bereits in Strömen.


    „Ihr werdet nicht glauben, was mir heute zugetragen wurde!“, tönte Olge, der Schmied aus seiner Ecke beim Fenster, „Da kam so ein Jungspund auf einem stattlichen Fuchs des Weges, um sein Pferd neu beschlagen zu lassen – es schien dringend zu sein und der junge Herr sah aus, als habe er genug …“, er sah Beifall heischend in die Runde,“ … also hat er von mir einen besonders günstigen Preis bekommen!“ An den umliegenden Tischen brach Gelächter aus, Krüge wurden gegeneinander gehauen. Wenn es gelang, die Wohlbetuchteren über’s Ohr zu hauen, war das immer ein Grund zu feiern.


    „Wie dem auch sei,“, hub der Schmied wieder an, „obwohl jeder weiß, dass ich weit und breit der beste meines Faches bin, brauche auch ich einige Zeit um vier Eisen anzupassen. So kam ich mit dem jungen Reiter ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass ich mit Gedvar, dem Sohn Einars, die Ehre hatte.“ Nach einem Blick in die Runde setzte er hinzu: „Ihr wisst doch – der Hofmarschall König Haakons! Der Mann, von dem niemand wusste, bis er Haakon in der Schlacht im Trevatal das Leben rettete.“ „Du weißt doch genau, dass die meisten von uns kaum Neuigkeiten hören!“, unterbrach ihn der Gerber des Dorfes, „Bei uns kehrt niemand ein, um vom fernen Königssitz Nachricht zu überbringen!“ „Das wird an deinem unsäglichen Duft liegen, Karle!“ warf der Müller ein und erntete dafür schallendes Gelächter. „Verflucht noch eins! Wollt ihr die Neuigkeiten nun hören oder nicht?“ Der Schmied bedachte sein undankbares Publikum mit erzürnten Blicken. „Aber natürlich, Olge, nun erzähl schon endlich!“ „Ja! Spann uns nicht länger auf die Folter!“


    Befriedigt setzte er wieder an: „Also, dieser Gedvar hatte einen geheimen Auftrag …“ „Ach – und das hat er ausgerechnet DIR auf die Nase gebunden?!“ „Schöne Geheimhaltung nenn’ ich das …“ „Jetzt reicht es aber!“ brüllte Olge ob der neuerlichen Unterbrechung, „Natürlich hat er mir das nicht einfach so erzählt. Aber ihr wisst doch alle, was für einen herrlichen Hollerschnaps meine Trudhild braut - dem konnte auch so ein hoher Herr nicht widerstehen. Nach ein paar Gläschen waren wir die besten Freunde - und der werte Gedvar ein wenig redselig. Und so berichtete er mir von der folgenden Begebenheit …“ Der Schmied war sich nun der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer gewiss und begann mit dunkler Stimme zu erzählen:


    „Es war im Grunde ein Abend wie viele auf König Haakons Burg zu Sassenach gewesen: Die edlen Herren und Damen hatten sich eingefunden, um ein weiteres Mal den Tag der siegreichen Schlacht im Trevatal zu feiern. Die Tafel bog sich unter der Last der Speisen – Bauer Hinnerk, sei gewiss, dein Schwein Martha hatte den Ehrenplatz in der Mitte der Tafel! Wein und Met flossen in Strömen und es wurde ordentlich aufgespielt. Der Abend schritt fort und die Stimmung der Edlen wurde immer gelöster. Die Damen hatten sich zurückgezogen und am unteren Ende der Tafel tobte bereits die erste Bierkrugschlacht. Plötzlich kam es zu einem Tumult bei den Wachen an den Türen des Festsaales. Die Zecher schreckten auf und befreiten sich von den Dirnen – doch bis sie ihre Schwerter gegürtet hatten um zur Verteidigung des Königs zu eilen, war dieser …“


    Olge machte eine Pause und sah bedeutungsschwer in die Runde:
    „… verschwunden.“


    Stimmen wurden laut: „Das glaube ich nicht, da hätten wir doch von gehört!“ „Ein König verschwindet doch nicht einfach!“ „Olge – du willst uns doch zum Narren halten!“


    „RUHE!!!“, brüllte der Schmied, „Wollt Ihr nun erfahren, was in unserem Königreich vor sich geht, oder nicht?“ „Ja, natürlich wollen wir!“ „Nun verrate uns doch, wie die Geschichte weitergeht!“ „Schankmaid! Noch ein Krug Met für Olge!“


    Nachdem wieder Ruhe eingekehrt und des Schmiedes Kehle frisch benetzt war, fuhr er fort:


    „… Der König war also vor aller Augen einfach …“, hier machte er noch einmal eine bedeutungsvolle Pause, „verschwunden. Die Ritter und Edlen waren außer sich, rannten hierhin, rannten dorthin, suchten unseren König überall im Schloss. Doch niemand wusste etwas über seinen Verbleib zu berichten. Man durchsuchte auch die Kammern der Damen, es hätte ja sein können, dass er sich hinter – oder vielmehr unter –“, hämisches Gelächter brannte durch die Taverne, „einem ihrer Röcke verbarg. Doch alles Suchen war vergebens. Der König war und blieb verschwunden. Schon eilten einige der eifrigsten Herren zum Burgtor, um die Umgebung zu durchkämmen. Doch weit kamen sie nicht. Einige versuchten, durch das Tor die Burg zu verlassen: Sie zogen das Falltor hoch und wollten ihren Pferden grade die Sporen geben, als … ja, als, sie einfach nicht mehr von der Stelle kamen!“


    Raunen durchzog den Raum. Viele versuchten, dem Blick des Nachbarn auszuweichen, damit dieser die Furcht in den eigenen Augen nicht sah. Ein jeder von ihnen hatte schon von dieser rätselhaften Macht gehört, die sich in den letzten Jahren im Land stetig verbreitete. Etwas war anders geworden, seit der Schlacht im Trevatal, doch niemand konnte sich recht einen Reim darauf machen. „Sie standen vor einem Traumtor!!“, befriedigt ob seines größeren Wissens sah sich der Köhler Aaron beifallsheischend um, „Ein alter Hut, davon habe ich oft gehört. Die schließen und öffnen sich, wie es ihnen passt - und niemand weiß, wohin sie führen …“ „Aber DU weißt es, nicht wahr?“ „Dir ist die Einsamkeit des Waldes wohl zu Kopf gestiegen?“ „Wer soll DIR schon etwas erzählt haben?“ Gelächter machte sich breit. Voll Zorn rief der Köhler aus: „Ihr mögt MIR nicht glauben, aber die Geister des Waldes werden euch eines besseren belehren!“ „Jaja, ist ja gut. Trink noch einen Becher.“ „Wir wollen wissen, was weiter geschehen ist!“


    „Schön, dass ihr euch doch noch für das Schicksal unseres Reiches interessiert!“ Olge hatte mittlerweile gerötete Wangen, ob von Zorn oder Met, ließ sich nicht herausfinden. „Die edlen Herren konnten die Burg also nicht verlassen. Sie versuchten es auf allen Wegen, der Herr zu Vogwen stürzte sich sogar von der Burgmauer, doch alle Bemühungen waren vergebens: sie fanden sich immer wieder nach ein paar Augenblicken verwirrt an der Stelle wieder, an der sie ihren Befreiungsversuch begonnen hatten. Schon gerieten die Damen in Angst und Schrecken, Schreie irrten durch die Gänge der Burg, als Hofmarschall Einar das Heft in die Hand nahm und für Ruhe sorgte. Er rief Edle wie Bedienstete im Festsaal zusammen und gemeinsam beriet man, was nun zu tun sei. Da ergriff der Ard, der Priester des Königs das Wort: „Wir befinden uns in einer ernsten Lage. Mir sind als Vertrauter des Königs viele Dinge zugetragen worden, von denen ich zur damaligen Zeit nichts wissen wollte. Am heutigen Tag jedoch bin ich froh ob dieses Wissens. Ich kann nur erahnen, was mit uns und unserem König in den letzten Stunden geschehen ist, aber ich will diese Ahnung mit euch teilen, damit wir gemeinsam einen Weg finden, uns und unser Königreich zu retten.“ „So sprecht doch!“, riefen die Edlen, „Helft uns, den König zu retten!“


    „Ihr müsst verstehen, dass ich mich in einem Zwiespalt befinde – es fällt mir nicht leicht, das Vertrauen des Königs zu missbrauchen, sei es auch zu seiner Rettung …


    Unser geliebter König hat sich in den letzten Jahren sehr verändert, wie sicher jeder von euch bereits bemerkte. Keiner von euch treuen Untertanen konnte seinen Sinneswandel verstehen, doch viele ahnten die Gefahr, in die er sich begab. Er hat sich mit Dingen beschäftigt, die besser im Verborgenen geblieben wären…“ „Was redest du da, alter Mann!“, unterbrach ihn der Hofmarschall mit lauter Stimme, „Du fürchtest doch nur um deine Macht! Dir war die Beschäftigung des Königs immer ein Dorn im Auge, weil er dadurch hätte erkennen können, mit welchen Betrügereien du ihn und sein Volk solange getäuscht hast!“ Die Edelleute erstarrten vor Entsetzen – nie hatte jemand gewagt, so mit dem Priester des Königs zu sprechen! „Du weißt genau, wovon ich spreche, alter Mann … All deine vermeintlichen Visionen, die „Götter“-Erscheinungen während der Gebete – nichts als ein wenig Magie, kleine Veränderungen der Wirklichkeit, wie sie jeder hier im Raum hervorrufen könnte.“ Unter den Zuhörern machte sich Unruhe breit: Was redete Einar da? Ob er dem Irrsinn anheim gefallen war? „Einar, mein Sohn. Warum versuchst du diese treuen Menschen zu täuschen? Ein jeder hier weiß, dass DU es warst, der ihn in diese gefährlichen Machenschaften hereinzog, der ihn in die Gefahr brachte, in der er nun schwebt. DEIN Bündnis mit falschen Mächten ist es, das unseren geliebten König aus unserer Mitte gerissen hat.“ Der alte Priester bebte vor Zorn. Unruhe machte sich unter den Anwesenden breit. Eine der edlen Damen fasste sich ein Herz und rief: „Einar, so sag etwas! Sollst du wirklich dieser Schandtaten schuldig sein?“ „Wenn ihr damit meint, dass ich den König, meinen Freund, darin unterstützt habe, Wissen und Macht zu erlangen um sich aus den Klauen dieses verlogenen Priesters zu befreien, dann bekenne ich mich mit Freuden schuldig!“ „Seht ihn euch an!“, rief Ard und streckte seinen alten Körper zu voller Größe, „Er bereut noch nicht einmal seine Taten! Wachen! Legt diesen Verräter in Ketten!“, er wandte sich noch einmal an Einar und in seine Augen glänzten, „Bei Tagesanbruch wirst du den Tod sterben, den ein Verräter verdient.“ „Ich werde hoch erhobenen Hauptes gehen, wenn es meinem König dient. Aber zuvor bitte ich euch noch darum, ein paar letzte Worte mit meinem Sohn wechseln zu dürfen.“


    Mit einer mürrischen Handbewegung bedeutete Ard seine Zustimmung. Aus der Menge löste sich ein junger Mann, der den Vorgängen mit Unglauben gefolgt war. Es konnte doch niemand seinen Vater für einen Verräter halten? Nach all dem, was dieser für König und Volk getan hatte … Sein Vater zog ihn in eine nahe gelegene Nische und sprach hastig: „Mein Sohn, du musst mir nun genau zuhören. Wir haben nicht viel Zeit.“ Schluckend nickte Gedvar. „Die nächsten Tage werden sehr schwer für dich werden, aber ich habe festes Vertrauen in dich, dass du die vor dir liegende Aufgabe bewältigen wirst.“ „Wovon sprichst du, Vater? Welche Aufgabe? Was geschieht hier?“ „Dummheit und Arroganz regieren in diesen Momenten das Königreich. Der König wusste sich nicht mehr zu helfen und floh mit Hilfe eines Zaubers. Den Bannkreis legte er um die Burg um den Priester daran zu hindern, seine Schergen nach ihm auszusenden. Du musst wissen, dass Ard seit einiger Zeit Macht über den König ausübte. Er hatte ihn mit einem Band an sich geschmiedet, welches in seiner Gegenwart nicht zu brechen war – und glaube mir, wir haben alles versucht. Der König befindet sich nun in einer Zitadelle am östlichsten Ende unseres Königreiches. Du wirst schon einmal von ihr gehört haben: ihre schimmernden Ziegel erzeugen bei sich nähernden Besuchern den Eindruck, das Dach sei aus Drachenhaut gefertigt. Man nennt sie deshalb auch die Zitadelle des Drachens.“ „Ja, natürlich habe ich von ihr gehört, Vater. Es heißt, es gingen seltsame Dinge in ihren Mauern vor sich. Nicht wenige Reisende kamen mit von Grauen erstarrten Gesichtern und weißen Haaren von ihr wieder zurück. Doch nie erfuhr man, was sie derart erschrak. Sie verloren nie ein Wort darüber.“ „Das wundert mich nicht, denn sie begegneten dort ihrer eigenen Schande … Doch reicht die Zeit nicht, dir dies alles zu erklären, man wird mich gleich fort bringen.“, mit ernstem Blick sprach er weiter, „Im Morgengrauen werde ich den Tod eines Verräters sterben …“ „Nein!!!“, schrie Gedvar verzweifelt, „Vater, das werde ich nicht zulassen! Es muss etwas geben, das ich dagegen tun kann. Ich werde …“


    „Du wirst gar nichts außer mir gehorchen.“, unterbrach ihn sein Vater, „Du hast die wichtigste Aufgabe deines Lebens zu erfüllen. Eine Probe deines Mutes und deiner Treue wie sie dir noch niemals abverlangt wurde. Hör mir nun zu und unterbreche mich nicht: Während ich morgen meinen Weg zum Schafott antrete, musst du mit einem gesattelten Pferd und Reisegepäck für eine längere Reise am Burgtor bereit stehen.“ „Aber es kommt doch niemand hinaus!“ „Im Moment mag das richtig sein, doch bevor mich morgen das Beil des Henkers trifft, werde ich all meine Macht nutzen, um den Bannkreis zu brechen, so dass du die Burg verlassen kannst. Niemand wird dich sehen, da alle auf dem Henkersplatz sein werden, um …“, Bitterkeit schwang in seiner Stimme mit, „meinem Ableben bei zu wohnen.“ Gedvar schluchzte auf. „Wenn du ein lautes Knacken vernimmst, ist der Bann gebrochen. Dann nimm dein Pferd und reite so schnell du kannst gen Osten. Sieh dich nicht um und halte dich von viel genutzten Wegen fern – man wird versuchen, dich zu finden und an deinem Vorhaben zu hindern. Du musst den König in der Zitadelle des Drachens erreichen und ihm von den Vorgängen hier berichten. Er hat dort die Hilfe vieler weiser Männer, sie werden wissen, was zu tun ist.“ Noch einmal sah Einar seinem Sohn eindringlich in die Augen. „Du musst es schaffen, ihn zu erreichen. Wenn nicht schnell etwas geschieht, wird das Königreich endgültig unter die Macht Ards und seiner Schergen fallen. Und was dann geschieht, möchte niemand von uns erleben.“ „Du kannst dich auf mich verlassen, Vater.“, Gedvar hatte Tränen in den Augen, doch seine Miene drückte Entschlossenheit aus. „Ich werde dich nicht enttäuschen. Dein Opfer wird nicht vergebens sein.“ „Ich weiß, mein Junge. Und nun geh und bereite dich vor – meine Wünsche werden dich auf deinem Weg begleiten.“ Ein letztes Mal umarmte Einar seinen Sohn, dann rief er: „Los, ihr Schergen, hier ist ein Unschuldiger, der darauf wartet, in den Kerker geworfen zu werden!“ In dem nun folgenden Getümmel bemerkte niemand das Verschwinden des Sohnes dieses offensichtlich geistig verwirrten Verräters.


    Früh am nächsten Morgen stand Gedvar am Tor bereit. Als er das Knacken hörte wollten ihn Schmerz und Verzweifelung übermannen. Mit einem Ruck straffte er sich und schwang sich auf sein Pferd. Nun hing alles von ihm ab. Er würde das Opfer seines Vaters nicht ungesühnt lassen …“


    „Er ritt bei Tag wie bei Nacht, bei Regen wie bei Sonnenschein. Er hielt sich fern der großen Straßen und so kam es, dass es ihn in unser Dorf verschlug. Er machte halt an meiner Schmiede und meine Listigkeit entlockte ihm sein Geheimnis.“ Zufrieden stellte der Schmied fest, dass er alle mit seiner Geschichte gefesselt hatte. Es herrschte Totenstille in der Taverne.


    „Und DU lässt dich noch von dem armen Jungen zuviel entlohnen, du Hund!“ „Was fällt dir ein, den Retter des Königs über’s Ohr zu hauen?!“ „Dieses Mal hast du es zu weit getrieben.“ Olge sah sich verwirrt um. Was hatte er denn getan? Ohne ihn wüssten sie doch alle nicht einmal, was in jüngster Zeit geschehen war. Ein wenig mehr Dankbarkeit wären schon angebracht … Doch da sah er schon die ersten mit erhobenen Fäusten auf sich zukommen. „He! Was soll denn das? Ihr wollt doch nicht …“ „Doch Einar,“, unterbrach ihn der Gerber, „wir wollen und wir werden. Wir sind dein großes Getue ohnehin schon lange satt.“ Ein Tumult brach aus, Fäuste und Bierkrüge flogen, ein jeder rangelte mit jedem. Da plötzlich ertönte eine Stimme, ihr Klang ließ ahnen, dass ihr Besitzer widerspruchslosen Gehorsam gewohnt war: „Ruhe!!! Was herrschen denn hier für Sitten? Betragt euch gefälligst respektvoll, wenn Männer des Königs zugegen sind!“ Langsam kehrte wieder Ruhe ein. Tische und Stühle wurden wieder an ihre angestammten Plätze gestellt, Scherben wurden aufgesammelt und in den ersten Krügen schäumte schon wieder der Met. „Die Männer des Königs!“, rief der Meier aus. „Was verschlägt euch in diese ferne Ecke seines Reiches?“ Der Hauptmann der Gruppe ergriff wieder das Wort: „Wir sind auf der Suche nach einem Verräter, der die Schuld daran trägt, dass großes Unheil über unser Königreich hinein gebrochen ist. Er sieht gar harmlos aus – ein junger, gut gekleideter Mann auf einem roten Fuchs. Doch das Erscheinen täuscht: Er ist es gewesen, der unseren König entführt und das Reich in Gefahr gebracht hat!“ Er sah sich um, Misstrauen im Blick. „Wir haben seine Spur in der Umgebung dieses Dorfes verloren und so ist es wahrscheinlich, dass er hier durch gekommen ist. Wer von euch Bauern hat ihm Unterschlupf gewährt? Wer hat ihn versteckt?“ Er blickte jedem in die Augen als versuche er, mit purem Willen die Wahrheit aus ihnen heraus zu bekommen. „Derjenige, der uns helfen kann, diesen Verräter zu fangen, wird reich entlohnt werden!“ Schon wollte sich Olge erheben, als er von vielen Händen wieder auf die Bank zurück gedrückt wurde. Ein leises Flüstern drang an sein Ohr: „Wenn du ihnen auch nur einen Ton sagst, wird dieser dein letzter gewesen sein.“ Schweigen breitete sich aus in der Taverne. Die Bauern blickten verlegen zu Boden oder bemühten sich, Löcher in die rußgeschwärzte Decke zu starren. Die Bewaffneten begannen bereits, von einem Bein auf das andere zu treten, als der Hauptmann endlich sagte: „Nun gut. Vielleicht wisst ihr ja wirklich nichts. Ich könnte mir auch nicht erklären, weshalb ihr einen solchen Mann schützen solltet.“ Er wandte sich an den Wirt: „Wir benötigen Unterkunft und Nachtmahl, sorgt dafür, dass alles bereit steht, wenn wir unsere Pferde versorgt haben.“ Mit diesen Worten verließ er, gefolgt von seinen Männern, den Raum.


    Sofort erhob sich erregtes Stimmengewirr. „Was sollen wir tun?“ „Wir müssen Gedvar helfen!“ „Wir müssen ihn warnen!“ Da erhob sich der Köhler: „Lasst mich ihn warnen. Wenn ich das Dorf verlasse, wird niemand Fragen stellen oder mich gar in den Wald verfolgen. So kann ich mich unauffällig auf den Weg machen.“ „Ein guter Plan, Aaron!“, erntete er allgemeine Zustimmung, „So machen wir es!“ In diesem Moment flog die Tür auf und der Hauptmann baute sich in der Taverne auf. „Haben wir euch überführt! Ein ganzes Dorf beteiligt sich an einer Verschwörung gegen den König! Wir haben jedes Wort gehört – versucht also gar nicht erst, euch heraus zu reden.“ „Aber werter Herr Hauptmann,“, ertönte da eine winselnde Stimme aus der Ecke am Fenster, „wenn ihr so genau zugehört habt, muss euch doch aufgefallen sein, dass ICH mich nicht beteiligt habe…“ Olge sackte unter dem Blick des Hauptmannes noch weiter in sich zusammen. „Ein Verräter verrät Verräter … wenn es nicht so traurig wäre, wäre es zum Lachen.“ Der Hauptmann wandte sich an seine Gefährten: „Diesen dort knüpft als erstes auf.“ Die Soldaten zogen ihre Schwerter. Da sprang auf einmal der Meier auf und brüllte aus voller Seele: „Sollen wir uns das gefallen lassen? Das Unrecht über uns regiert? Lieber sterbe ich im gerechten Kampf als das ich in Unrecht lebe!“ Auch andere schlossen sich ihm an, bewaffnet mit allem, was sie fanden. Bierkrüge, Messer, Stuhlbeine fanden den Weg in ihre Hände. Die Soldaten standen wir erstarrt. Plötzlich erschallte ein Ruf: „Was steht ihr da und haltet Maulaffen feil? Nun streckt sie doch endlich nieder!“ Und sie hoben ihre Schwerter.


    Als erster fiel der Barde durch einen glatten Streich. Auch der Gerber musste sein Leben lassen, bevor der erste Soldat danieder sank. Doch nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hatten, kämpften die Bauern mit dem Mut der Verzweifelung. Der Kampf erschien wie eine Ewigkeit und dauerte doch nur wenige Minuten. Blutend und erschöpft standen die verbliebenen Dörfler in den Trümmern von Tischen und Bänken. Erst langsam schlich sich die Erkenntnis dessen, was sie getan hatten, in ihr Bewusstsein. Wieder nahm der Meier das Heft in die Hand und holte sie aus der Erstarrung: „Nun reißt euch zusammen, es gibt viel zu tun. Wir haben uns entschieden, auf der Seite des Rechts zu kämpfen und das werden wir auch tun.“ Er wandte sich um zu zwei Tagelöhnern, die noch recht unverletzt wirkten: „Ihr zwei geht los und hebt bei der Kreuzung am See Gräber für die Toten aus. Dann sorgt dafür, dass sie alle bestattet werden.“ An den Köhler gewandt befahl er: „Los, Aaron, du nimmst dir zwei Mann und führst die Pferde in den Wald zu deiner Hütte. Bindet sie so an, dass sie Wasser und Futter für mehrere Tage finden. Danach kommt ihr wieder hier her.“ Er drehte sich um: „Wirt, du nimmst dir Olge zur Hand und befreist die Taverne von allen Kampfspuren – nichts darf mehr an den Aufenthalt der Soldaten erinnern.“


    „Ihr andern verbindet eure Wunden und ruft alle Bewohner des Dorfes zusammen. Berichtet ihnen, was hier geschehen ist. Versucht auch so viele Waffen wie möglich aufzutreiben – wir werden sie brauchen. Nach dem heutigen Tag werden wir nicht mehr schweigend zusehen – wir werden unserem König helfen!“ Jubel erscholl aus allen Ecken, die Augen der müden Streiter leuchteten wieder. Jeder machte sich auf den Weg, zu tun was ihm befohlen war. Sie berichteten den Daheimgebliebenen von den Geschehnissen und davon, was nun geschehen sollte. Neben Proviant begann sich die merkwürdigste Waffensammlung, die je gesehen worden war, neben der Taverne anzuhäufen. Von Dreschflegeln über Mistgabeln, verbogenen Schwertern über Schlachtermessern, Spießen über Knüppeln – alles, was sie der Verteidigung des Königs beisteuern konnten, trugen sie zusammen.


    Und so kam es, dass sich im Morgengrauen des darauf folgenden Tages eine große Gruppe Bauersleute aufmachte, ihrem König zu Hilfe zu eilen und großes Unheil von ihrem Land abzuwenden.