Beitrag 4

  • Samstag, elf Uhr bis Sonntag, vierzehn Uhr


    Ein kecker Sonnenstrahl, einer goldenen Feder gleich, kitzelte sie im Gesicht. Sie drückte die Augenlieder fest zusammen, doch es war bereits zu spät – sie war wach. Sie wusste, es würde keinen Zweck haben, es noch mal mit Schlafen zu versuchen. Der Helligkeit im Zelt und auch der Hitze, die sich darin bereits angestaut hatte, entnahm sie, dass bald auch die anderen erwachen würden. Das Lager wäre in Kürze voller Leben und dann wäre es vorbei mit der Ruhe.
    Sie blieb noch kurze Zeit auf den Fellen liegen und genoss die Ruhe und die Friedlichkeit an diesem Sommermorgen.
    Dann jedoch trieben die Hitze und ein gewisses Bedürfnis sie aus dem Zelt. Sie blinzelte und streckte sich dem neuen Tag entgegen. Dann schnappte sie sich eine Kanne, öffnete den Bannkreis um das ihrige und das Nebenzelt und begann ihren Marsch zur Wasserstelle.
    Auf ihrem Weg durch das Lager kam sie an vielen Zelten vorbei. Sie waren oft unterschiedlich in Form und Farbe und verwiesen somit auf die verschiedenen Herkunftsländer und Kulturen ihrer Bewohner. Vor einigen waren schon kleine Kochfeuer für das morgendliche Mahl entfacht worden. Sie hob lächelnd eine Hand zum Gruße, als sie an einem jungen Mann vorbei kam, der die frühe Stunde mit dem Putzen seiner Rüstung nutzte. Der Recke grinste freundlich zurück und musterte sie dabei unverhohlen von unten nach oben. Eine junge Frau, nicht gerade die Schmalste, aber mit lebhaften Augen und federndem Schritt. Kurz blieb sein Blick an ihren spitzen Ohren hängen, kein Mensch also, aber wie auch, bei der Haarfarbe... dann wandte er sich wieder seiner Rüstung zu.
    Nachdem sie sich erleichtert, erfrischt und die Kanne mit Wasser gefüllt hatte, kehrte sie zum Zelt zurück, um ihrerseits ein kleines Feuer zu entfachen. Sie freute sich auf einen erfrischenden, warmen Tee. Während sich das Wasser über dem Feuer erwärmte, erwachte um sie herum das Lager zum Leben. Sie konnte leises Gemurmel und lautes Gähnen aus den Zelten vernehmen. Sanftes, perliges Lachen kam aus einem der näherliegenden Zelte. In einiger Entfernung schlug ein großer, grünhäutiger Mann seine Eingangsplane zurück. Noch vor einiger Zeit hatte sie um die roh wirkenden Orks einen großen Bogen geschlagen. Jedoch hatte sie vor diesen hier kaum etwas zu befürchten – sie gehörten quasi zum Inventar.
    Aus einem, dem ihren nahe stehenden Zelt, das sie recht gut kannte, drang ein gequältes Stöhnen. Sie würde dem Tavernenbarden später eine Tasse ihres Tees hinüberbringen. Vermutlich war er erst vor kurzem auf seine Felle gefallen um zu schlafen.
    Sie überlegte, welche Kräuter sie dem Tee für den überarbeiteten und wahrscheinlich heiseren Barden noch hinzufügen könnte. 'Etwas mehr Kamille für die strapazierte Stimme wäre nicht schlecht...', dachte sie. Ihr fiel ein, dass sie noch mehr Heilsalbe herstellen wollte. Nach der Bierkrugschlacht am Vortag war fast ihr gesamter Vorrat für die Behandlung von blauen Flecken und Schnittwunden draufgegangen.
    Das Kochen des Wassers unterbrach ihren Gedankengang. Sie goss etwas Wasser über ihre Teemischung in dem tönernen Becher vor ihren Füßen und stellte die Kanne ein Stück vom Feuer weg auf das Gras. Dann griff sie nach hinten, um nach dem kleinen Gefäß mit Honig zu angeln, das irgendwo beim Eingang des Zeltes stehen musste. Ihre Finger ertasteten es und kurz darauf saß sie mit ihrem honiggesüßten Tee auf einem kleinen, alten Fell vorm Zelt und sah dem Volk um sich herum beim Erwachen zu.
    Hier und da erkannte sie eines der verschlafenen Gesichter und so winkte und grinste sie mal in die eine und mal in die andere Richtung. Nach einer Weile kam eine weibliche Gestalt aus dem Zelt direkt neben ihrem und setzte sich zu ihr ans Feuer. Sie bot der noch ziemlich verknautschten Frau einen Becher Tee an, welchen diese dankbar annahm. Eine zweite Gestalt, diesmal männlich, kam aus dem Zelt gekrabbelt und begann, nach einem knappen Morgengruß, auf dem Feuer ein Frühstück zu brutzeln.
    Während sie gemeinsam Bratkartoffeln und ein wenig Speck verzehrten, diskutierte die Dreiergruppe über die Nützlichkeit des für die Nacht angelegten Bannkreises. Insgesamt war er recht praktisch, jedoch verhinderte er, das Freunde in Not bei ihnen Unterschlupf finden konnten. Ebensowenig schützte er vor Pfeilen oder anderen Geschossen. Die Frau war der Ansicht, dass die größte Gefahr, feindliche Magie nämlich, durch den Bannkreis ausgeschlossen wurde, ihr Gefährte hingegen gab zu bedenken, dass jeder Schutz gegen Magie nichts nütze, wenn über einem das Zelt abbrenne, ausserdem könne ein Magier, der eine höhere Stufe innehätte, den Bannkreis problemlos überwinden. Sie, mit ihren spitzen Ohren meinte dazu nur, sie habe sich sicherer als sonst gefühlt und das sei den Aufwand schon wert gewesen.
    Schließlich räumten sie das Geschirr beiseite und besprachen die Pläne für den Tag. Zunächst wollten sie die Marktstände besuchen und dann später den Tag in der Taverne ausklingen lassen. Sie merkte an, sie müsse noch Heilsalbe herstellen und ihr fehle noch die ein oder ander Zutat. Die fände sie sicherlich auf dem Markt, versichterte der Mann ihr.
    Auf dem Markt gab es, wie immer, viel zu sehen. Hier bot ein Gemüsehändler seine Waren feil, dort lockten die leuchtenden Farben eines Tuchmachers. Zwei Schmiede beschlugen Pferde, jedoch reparierten sie auch Rüstungen. Hinter einem Stand sagte eine alte Hexe die Zukunft voraus und unter einem schimmernden Dach aus Drachenhaut (wenn man dem Händler Glauben schenken mochte) wurden magische Artikel, sowie Komponenten aller Art vertrieben. Bei einer Kräuterkundigen erstand sie schließlich ihre benötigten Heilpflanzen für die Salbe und die Frau kaufte bei einem anderen Stand einen Satz „Selbstbeschreibendes Notenpapier“, welches, laut der Anzeige, beim Texten und Komponieren von Liedgut automatisch die Ferse und Noten aufschreibt, ohne dass der Künstler einen Federstrich tun muss. Ihr Gefährte, selber Händler und zudem noch Arzt, kam mit einer Schriftrolle über ein Medikament, dass aus der Panzerung von Rieseninsekten gewonnen wird, wieder.
    Sie schlenderten noch eine Weile umher, doch taten sie es mehr zum Vergnügen, denn an sich hatten sie alles, was sie benötigten. Schließlich beschlossen sie, die Taverne aufzusuchen und sich die Kehlen mit einem kalten Met zu kühlen.
    In der Taverne war die Hölle los. Wo immer so viele Menschen und menschenähnlich Wesen mit verschiedenen Kulturen und Anschauungsweisen aufeinandertreffen, gibt es Spannungen und Reibungen. Saßen an der Theke ein paar, die in Ruhe ihren Met genossen, flogen vier Tische weiter die Fetzen. Wie so oft ging es um Ehre und Verrat und nicht selten wurden solche Rangeleien nach draussen verlegt, wo hin und wieder ein echter Kampf aus dem Konflikt wurde. Meist jedoch konnte jemand unparteiisches den Streit schlichten und am Ende hoben die Kontrahenten das Glas in freundschaftlichem Einvernehmen. Heute jedoch waren es nicht die üblichen Streithähne; zwei Magier gifteten sich durch den halben Schankraum hindurch an. Die Luft war energiegeladen und selbst nichtmagische Wesen konnten die Spannungen, die hier unterschwellig immer weiter anwuchsen, spüren. Die Spitzohrige zog den Kopf ein und zog die Nase kraus. Das war nicht gerade harmlos, was hier abging und es wunderte sie nicht, dass ihre Freundin, die Frau vortrat um die Wogen zu glätten. Mit energischer Stimme trat diese nun zwischen die beiden Zauberer – ein Fehler! Denn genau in dem Moment platzte einem der beiden der Kragen und er wirkte mit hochrotem Kopf einen mächtigen Fluch auf den anderen, nur, dass ihre Freundin genau in der Schusslinie stand und den Spruch volle Breitseite abbekam. Wie ein gefällter Baum ging sie zu Boden und die Spitzohrige und der Gefährte der Frau konnten nicht schnell genug hineilen, um sie vor einer Kollision mit einem Stuhl zu bewahren. Der aufgebrachte Magier befand sich in einem Zwiespalt, einerseits wollte er noch mal loslegen, um seinen Kontrahenten jetzt, in der allgemeinen Verwirrung, zu erwischen, andererseits wusste er, dass er der Frau, die er unabsichtlich getroffen hatte, helfen musste. Er entschied sich für letzteres und ließ sich neben der Getroffenen auf dem Boden nieder und wirkte seinen Gegenfluch. Danach war er zu ausgepowert, um weitere, große Magie zu wirken und der Streit der Magier verlief sich von selbst.
    Die Frau hingegen hatte noch einige Stunden Kopfschmerzen, was die Spitzohrige nachdenklich machte, denn sie konnte zwar Wunden behandeln und Pfeile ziehen, aber magische Verletzungen oder Schmerzen konnte sie nicht heilen. Sie sprach mit dem Arzt darüber, doch der konnte ihr dazu auch keinen guten Rat geben.


    Später, sie saßen alle zusammen in der Taverne, kam ein alter Bekannter und erzählte von seinem Sohn, der auf einer Reise eine Frau kennengelernt hatte, die er nun zu heiraten gedachte. Alle baten den Bekannten, seinem Sohn die besten Glückwünsche zu überbringen und sie dachte still bei sich, wann denn der Sinneswandel bei dem Jungen eingesetzt habe, denn als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er unausstehlich gewesen. Noch immer diesem Gedanken nachhängend, merkte sie gar nicht, wie sich ihr jemand von hinten näherte, bis sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Sie wandte sich um und erblickte ihren Freund, den Tavernenbarden, der sich lächelnd und mit klarer Stimme für den Tee am Vormittag bedankte. Sie grinste ihn herzlich an und meinte, das habe sie doch gern gemacht und ob er ihr nicht ein lustiges Liedchen spielen wolle. Er bejahte und griff auch gleich in die Saiten und sang mit volltönender Stimme von dem Jungen, der als Mutprobe auf das achtbeinige Götterpferd Sleipnir springt, das ihn mit in die göttlichen Reiche nimmt und der daraufhin nie mehr gesehen wurde. Sie genoss die Darbietung und so war sie es, die als erste am Abend eine Silbermünze in seine Hand drückte, obwohl er sie zunächst gar nicht annehmen wollte. Schließlich tranken sie einen Met nach dem anderen zusammen und fielen irgendwann morgens totmüde auf ihre Felle.
    In ihrem Schlaf besuchten sie die Traumgeister und sie musste aufstehen und mitgehen, auch wenn sie total verpennt war. Ein seltsamer Ort war das, wo sie sich befand – alles nebelig und gedämpfte Geräusche. Sie sah Schattenwesen und irgendwer flüsterte ihr immer wieder ein, dass die Lösung hinter dem Traumtor liege. Sie verstand nicht, was für eine Lösung, denn sie erkannte die Frage nicht. Dennoch; 'Die Lösung liegt hinter dem Traumtor!'. Sie drehte sich um, um zu fragen, doch da war sie schon wieder in ihrem Zelt und keiner sonst war da; keine Schattenwesen und auch keine Traumgeister. Sie schüttelte den Kopf, drehte sich um und schlief weiter. Ungestört.
    Am nächsten Morgen war allgemeines Einpacken angesagt. Die Zelte wurden abgebaut und verpackt, das Lager aufgelöst. Irgendwie war jeder traurig, denn das Zusammentreffen war wieder mal viel zu kurz gewesen. Sie erzählte ihrer Freundin beim letzten Grillen von ihrem Traum und diese meinte, dass da eine bestimmte Bedeutung hinterstecken müsste. Jedoch kamen sie beide nicht dahinter und auch der Gefährte ihrer Freundin hatte keine zündende Idee.
    Dann packten sie auch den Rest zusammen, gingen noch mal über den Platz und verabschiedeten sich bei allen; den Orks, den Rittern, den Magiern, der ganzen Tavernencrew und den Barden natürlich und dann stiegen sie alle in ihre Autos und fuhren nach Hause... .