Beitrag 7

  • Der Weg des Gleichgewichts


    „Möchtest du noch etwas zu trinken?“ Asilith sieht den Wirt an und überlegt kurz. Die junge Frau verneint mit einem Kopfschütteln. Während der Tavernenbarde ein Lied nach dem anderen zum besten gibt und dabei die Gäste unterhält, sitzt sie da und trinkt den letzten Rest ihres Bechers aus.
    „Ich warte nun schon seit mehr als zwei Stunden auf diesen Taugenichts.“, denkt sie sich. „Der kann sich warm anziehen, wenn er kommt. Er denkt doch wohl nicht, das ich ewig ...“ Doch bevor sie den Gedanken zuende gedacht hat, stürzt ein junger Mann in die Taverne. Er bleibt mit seinem Fuß an der Türschwelle hängen und stürzt mit den Armen Wedelnd auf den ersten Tisch. Dabei reißt er sämtliche Becher um und bespritzt die Familie die dort sitzt.
    Asilith erhebt sich wütend und verlässt sogleich die Taverne. „So warte doch!“, ruft der junge Mann ihr hinterher, während der Wirt ihn schon an der Schulter festhält, um ihn zur Rede zu stellen. Zu spät, sie ist schon zur Tür hinaus.
    „Minastan, ich habe dir schon oft genug gesagt, das du nicht so hektisch sein sollst.“ Die Worte des Wirtes begannen mit tiefem Grummeln und endeten dann in Schreien. „Die nächste Bierkrugschlacht geht jetzt auf deine Kosten.“ Der Wirt geht zum Tresen und läutet eine alte Schiffsglocke, die dort angebracht ist.
    „Alle mal herhören! In einer halben Stunde beginnt die nächste Bierkrugschlacht. Minastan lädt uns dazu herzlich ein!“ Das Grölen und die Feierstimmung schwappen nun über in blanke Euphorie. „Geh’ schon mal genug Flicks holen, Minastan. Die Rechnung wird bestimmt nicht klein.“ Der Wirt grinst ihn Schadenfroh an und schubst ihn dann sanft aber bestimmt zur Tavernentür hinaus.


    Minastan weiß, das er sich das gefallen lassen muss. Immerhin wurde er schon oft genug vorgewarnt. Aber das es ausgerechnet heute passieren muss, lässt ihn fast in eine Tiefe Depression fallen. Es ist eine Frage der Ehre. Eine einmal ausgerufene Bierkrugschlacht kann man nicht wieder zurück nehmen. Wie ein nasser Sikeu steht er da und seufzt.
    „Du bist ein Tollpatsch, Minastan.“ Asilith’s Stimme dringt hinter der Ecke hervor.
    „Seit wir uns kennen, hast du das schon mehrmals eindrucksvoll bewiesen. Und ich soll dich zum großen Tanzfest begleiten? Vergiss es. Ich hatte sowieso nur aus Höflichkeit hier gewartet. Die Absage hättest du auch schon vorher akzeptieren können.“ Ohne ihn auch nur anzusehen geht sie an ihm vorbei und verschwindet in der Nacht.
    Minastan läßt den Kopf hängen. Zwei Tränen fallen auf den Boden zu seinen Füßen. Kurz darauf setzt er sich in Bewegung. Erst sehr langsam, dann immer schneller, setzt er einen Fuß vor den anderen. Schließlich läuft er eiligen Schrittes nach Hause und holt seine ersparten Flicks hervor und das sind nicht gerade wenig. Dann macht er sich wieder auf den Weg zurück zur Taverne, denn die Nacht ist noch jung und man muss anwesend sein, wenn die Schlacht beginnt.
    Kurze Zeit später steht Minastan wieder vor dem Wirt, der den Beginn der Schlacht einläutet. „Lass ruhig alle Flicks hier. Den Rest kannst du dir morgen wieder abholen ... wenn überhaupt noch einer übrig ist.“ Der Wirt klopft ihm auf die Schulter. „Lass es dir eine Lehre sein.“, sagt er, dann geht er lachend hinter den Tresen zurück.


    Minastan dreht sich um und verlässt den Schankraum. „Meine Tollpatschigkeit ist schon ein Fluch!“, schimpft er, nachdem er draußen ist. Er steckt seine Hände in die Hosentaschen und geht mit gebeugter Haltung in den Wald. Müde und genervt schlurft er über den schmalen Trampelpfad, der auf einen größeren Hügel führt und schließlich in einer Höhle endet.
    Hier ist der Ort an dem er sich immer aufhält, wenn er ein Missgeschick zu verarbeiten hat. Er setzt sich auf den üblichen Stein, lehnt sich zurück und sieht in den mit Sternen übersäten Himmel. Zwei Sternschnuppen beobachtet Minastan, doch er hält es für sinnlos, sich etwas zu wünschen, wie es in vielen Kulturen der Brauch ist.
    „Hast du schon wieder einen Korb bekommen?“, hört er es von oben kichern. „Ich habe dir doch gesagt, das ein Versager wie du, bei ihr keine Chance hat.“
    Ein kleiner Mann, dessen Körperlänge nicht ganz einen halben Schritt misst, kommt von oben in den Höhleneingang gesprungen. „Ach halt den Mund, Deros. Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?“ Genervt dreht sich Minastan um. „Ich habe es dir doch gesagt.“, plaudert Deros weiter. „Sie ist eine Nummer zu groß für dich. Denk an die Mutprobe, die noch vor dir liegt. Wenn du das hinter dir hast, dann werden dir eine Menge Frauen hinterher rennen.“
    Minastan denkt an dieses alte Ritual, das er für genauso unnütz hält, wie die Bierkrugschlachten. Ein Zepter von einem Ende des Siedlungsgebietes zu dem anderen bringen. Das klingt nicht nach einer großen Aufgabe. „Es ist überhaupt nicht erwiesen, das dieses Zepter irgend etwas wichtiges macht.“ Deros Augen werden kleiner und beginnen leicht zu funkeln. „Du solltest die Tradition nicht in Frage stellen. Auch wenn es für dich nicht nach einer großen Leistung aussieht, so versteckt sich doch großes dahinter. Zweifle nicht daran. Im ganzen Land gibt es diese Zepter und alle müssen am gleichen Tag zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang von einem Altar zum anderen gebracht werden. Große Kräfte wohnen in diesen Zeptern.“
    Minastan winkt ab. „Alles Aberglaube. Wenn das alles wirklich so wichtig für das Wohl unseres Landes wäre, dann würden sie nicht mich für so etwas auswählen.“ Er sieht den Gnom mit abwertendem Blick an. „Du bist unter dem Sternbild des Zepters geboren und als solcher dazu verpflichtet.“ Minastan wendet seinen Blick wieder ab und atmet tief ein. Deros Augen funkeln. „Die Verantwortung ruht auf deinen Schultern. Daran lässt sich nichts ändern. Du solltest dankbar sein, das du diese Chance erhältst. Im Normalfall wäre Bergollian der Träger des Zepters geworden.“
    Minastan steht auf. „Er hatte das gleiche wie ich erkannt und wollte eben nicht länger warten. Er wollte schon immer weg von hier. Ich war nur nicht schnell genug, das ich vor ihm abgehauen bin.“ Er geht los, den Weg hinunter den er gekommen war. Deros blieb Kopfschüttelnd und mit einem aufgebrachten Ausdruck im Gesicht zurück.


    Einige Zeit verging, das Tanzfest war schon längst vorbei und der Tag des Zepters war gekommen. Ministan war in den letzten Tagen darauf vorbereitet worden und weiß, was er zu tun hat. Doch wie sein Mut auf die Probe gestellt würde, das konnte ihm keiner beantworten. Die Zepter-Läufer konnten sich niemals daran erinnern, was sie zu bestehen hatten.
    Minastan betritt nun die Höhle und sieht den Altar, in welchem das Zepter steckt. Ein Dach aus goldener Drachenhaut, ist über den Altar gespannt. Zumindest sagt man, das es Drachenhaut wäre. Diese Haut beleuchtet die ganze Höhle mit einem weitläufigen Licht. Doch als er, der Zepter-Läufer, über die Markierung tritt, beginnt sie so hell zu leuchten, das es ihn blendet. Nun geschieht etwas, das Minastan nicht erklärt bekommen hatte.
    Einige Sekunden ist er wie blind. Doch dann gewöhnen sich seine Augen an das helle Licht. Und als er endlich wieder sehen kann, erblickt er einen goldenen Drachen. Er ist nicht sonderlich groß. Gerade so, das seine Beine über den Steinaltar hinausragen und sich sein Rücken an der Stelle befindet, wo vorher das Dach aus Drachenhaut gespannt war.
    „Bist du der Zepter-Läufer?“, donnert eine Stimme in seinem Kopf, doch das Maul des Drachen bewegt sich nicht. „J..J..Ja.“, stammelt Minastan. Mit schlotterigen Knien steht er vor dem Drachen, dessen Blick ihm in sein Herz und seinen Geist zu sehen scheint. Schweißperlen bilden sich an seiner Stirn und er wagt es nicht, den Blick von dem Drachen abzuwenden, weil er befürchtet, das ihm dann schlimmes widerfahren könnte. Seine Beine scheinen wie verzaubert und seine Füße fühlen sich an, als hätte sie jemand am Boden festgeklebt. Wie erstarrt steht Minastan vor dem Drachen.
    Einige Minuten stehen sie so da und Minastan fasst mit jeder verronnenen Sekunde mehr Mut. Er fragt sich schon, ob er einfach das Zepter holen und losgehen soll. „Du bist zu ungeduldig.“, hallt es wieder in seinem Kopf. „Die Zeit ist gleich gekommen.“ Er wagt es nicht, sich auch nur einen Tippelschritt zu bewegen, weder Vor noch Zurück. Nach weiteren Minuten des Wartens, dringt ein kleiner Lichtstrahl aus einem Loch in der Höhlendecke nach unten. Doch verbleibt dieser nicht auf dem Rücken des Drachen. Er scheint geradewegs durch diesen hindurch und fällt auf das Zepter.
    Das Zepter leuchtet hell auf, noch heller als der Drache selbst. Die Kugel, die auf dem Zepter sitzt scheint zu verschwimmen und an deren Stelle kann man eine Goldene Feder erkennen, die in das Zepter eingearbeitet ist. Ein gebündelter Strahl aus Licht schießt aus der Feder und fällt auf Minastan’s Stirn. Ein kribbeln, das mit einer wohligen Wärme kombiniert ist, entsteht. Wie eingefroren in der Zeit, steht er nun da und auf seiner Stirn zeichnet sich ein Mal ab. „Du BIST der Zepter-Läufer.“, hört er wieder die Stimme des Drachen in seinem Kopf.
    Nachdem der Lichtstrahl verschwunden ist, kann sich Minastan wieder entspannen. Der Drache beginnt sich nun langsam aufzulösen. „Erfülle nun deine Aufgabe Zepter-Läufer.“ Das sind die letzten Worte, an die sich Minastan erinnern kann, nachdem das Geschehene aus seinem Gedächtnis getilgt wurde. Nun vollzog sich in Minastans innerem ein Sinneswandel. Er glaubt an die Macht des Zepters und dessen Bedeutung, obwohl er nicht genau weiß, wieso. Aber er fühlt es in seinem innersten.


    Minastan geht auf das Zepter zu und seine Hand umschließt den Stab, auf dessen Ende die Kugel sitzt und zieht es aus seiner Halterung. Es fühlt sich merkwürdig leicht an. „Schon beinahe Federleicht.“, denkt er. Minastan macht sich nun daran, seine Aufgabe zu erfüllen und verlässt die Höhle.
    Draußen erwarten ihn die Bewohner der Siedlung. Sie nicken ihm respektvoll zu und zeigen in die Richtung, in die er zu gehen hat. Er weiß, das er den Weg alleine gehen muss und das es einige Stunden dauern wird, bis er bei der anderen Höhle angekommen ist.
    „Ein Zepter-Läufer darf den Weg nicht verlassen, den das Zepter gehen muss, egal was um ihn herum passiert.“ Diese Worte hatte man ihm immer wieder eingeschärft. Kurz sieht er sich um und blickt in die Gesichter der Leute. Sie sehen ihn nun nicht mehr mit abfälligen Blicken an. Minastan fühlt wie sein Rücken sich ein wenig streckt und er sich Stolz fühlt.
    Er geht langsam los und hat schon die ersten zehn Schritt hinter sich gebracht. Plötzlich schießen ihm alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Eine Feier, die ihm zu Ehren gegeben wird. Frauen, die sich um ihn bemühen und sich nicht einfach nur kopfschüttelnd von ihm abwenden, wenn er sie fragt. Eine gewisse Euphorie durchströmt ihn und erfüllt seinen ganzen Körper mit diesem angenehmen Prickeln. Die Menschen, welche gekommen sind, um IHN zu sehen, stehen am Weg aufgereiht und ER schreitet hindurch.
    Nun beschleunigt er seinen Schritt, damit die Leute sehen, wie Stolz und voller Fleiß er seine Aufgabe doch erledigen kann. Doch Hektik und Übermut haben Minastan nur selten zum Erfolg geführt. In dem Augenblick, in dem sich sein Fuß in der Wurzel verhackt, hält er seine Nase so hoch, das sie das Zepter in seiner Hand, fast überragt. Der Länge nach reißt es ihn nach unten und sein Kopf landet im nächsten Busch.
    Beinahe hätte man das schnelle Schließen der Augenlider und das Abwenden der Köpfe aller Anwesenden hören können, wenn nicht das leise „Ouh!“, das von der Vielzahl der Stimmen verstärkt, bis in alle Ohren dringt, es übertönt hätte. Nachdem alle ihre Augen wieder geöffnet haben, bequemen sich einige, unter ihnen auch der Wirt, Minastan aus dem Busch zu befreien.
    „Konzentriere dich auf deine Aufgabe!“ Der Ratschlag des Wirtes wurde von allen Anwesenden mit einem Kopfnicken bestätigt. Minastan rappelt sich auf, zieht noch ein paar kleinere Blätter und Zweige aus seinen Haaren und auch aus der Nase und nickt bejahend. Er geht, nicht zu langsam und wieder auf den Boden der Tatsachen zurück geholt, den Weg weiter. Die Menschen verlassen nun ihre Plätze, um ihrem Tagewerk wieder nachzugehen.


    Alleine und voll konzentriert geht Minastan den Weg entlang und achtet darauf, ihn nicht zu verlassen. Das ist nicht allzu schwer, denn den ganzen Weg entlang sind kleine Pfähle in den Boden gerammt, um dem Zepter-Läufer eine Hilfestellung zu geben.
    Man mag nun denken, das ist doch ganz einfach, aber der Weg verläuft nun mal nicht geradeaus, sondern schlägt Haken und verläuft in merkwürdigen Kurven. Manchmal kommen sich zwei Kurven derart nahe, das man die Pfähle sehen kann und man versucht ist, den Weg abzukürzen, doch das ist streng verboten. Deshalb sieht Minastan nur auf die Pfähle um gar nicht erst zu wissen, wenn sich zwei Kurven einander näheren.
    Doch gerade diese eingeschränkte Sicht ermöglicht es, das er eine Person am Wegesrand übersieht. „Hallo Minastan.“ Er schreckt auf und dreht seinen Kopf in die Richtung aus der die Stimme kommt. „Bergollian?“ Minastans Augen werden groß. „Was machst du hier?“, fragt er. „Ich wollte, meine Aufgabe wahrnehmen, doch kam ich leider zu spät, wie ich sehe.“ „Wieso? Du hattest doch damals gesagt, das du nicht daran glaubst.“ „Das stimmt, aber scheinbar wurden wir beide vom Gegenteil überzeugt.“
    Minastan nickt knapp. „Ja, offenbar. Aber du weißt auch, das der Zepter-Läufer seinen Weg alleine gehen muss und sich niemand am Wegesrand aufhalten soll.“ Bergollian tritt nun auf den Weg und kommt näher zu Minastan. „Ich weiß. Aber dennoch würde ich das Zepter gerne einmal halten bevor ich wieder gehe. In der letzten Zeit habe ich von diesem Augenblick ständig geträumt. Es ist zu einer Sehnsucht geworden, dessen Ursprung ich mir nicht erklären kann.“
    Minastan sieht misstrauisch zu Bergollian hinüber. Es wird nirgends erwähnt, das man das Zepter nicht für einen kurzen Augenblick abgeben darf, um es anschließend wieder anzunehmen. Zudem hätte Bergollian das Zepter, aufgrund seines Geburtsstatus, genauso gut tragen können, wie er selbst. „Nun gut, halte es für einen kurzen Augenblick.“, sagt Minastan. „Aber bitte nicht allzu lange, die Zeit drängt.“
    Bergollian nimmt das Zepter langsam an, als Minastan es ihm hinhält. Seine Hand zittert leicht. Seine Augen laufen langsam, schon fast genussvoll über den Stab und sein Blick ruht anschließend auf der Kugel. Ein funkeln ist in seinen Augen wahrzunehmen. Gebannt steht er auf dem Weg und schaut mit offenem Mund auf das Zepter, wie ein kleines Kind, das ein außergewöhnliches Spielzeug in den Händen hält.
    Dann, wie auf einen unsichtbaren Befehl hin, gibt er Minastan das Zepter zurück. „Ich Danke dir. Das war mir sehr wichtig. Und nun werde ich dich alleine lassen, damit du deine Aufgabe erfüllen kannst.“ Ohne weitere Worte zu wechseln, dreht sich Bergollian um und verlässt den Weg wieder. Er verschwindet hinter einem der großen Büsche, ohne sich noch einmal umzusehen. Minastan betrachtet kurz das Zepter und geht dann weiter. Es wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen, bis er sein Ziel erreicht.


    Bergollian ist zufrieden. Er hatte seine Sehnsucht gestillt. Er schlendert durch den Wald und überlegt sich, wohin ihn sein Weg nun führen soll. Doch er kommt nicht dazu, einen Zielort zu bestimmen. Aus strahlend blauem Himmel fährt ein schwarzer Blitz hinunter und trifft ihn. Es gibt keine Vorwarnung, kein Donnern und auch kein Geräusch das nachträglich zu hören ist. Bergollian wurde getroffen und war sofort verschwunden, als ob er nie an diesem Ort gewandert wäre.
    Einen Augenblick später findet er sich in Dunkelheit wieder. Zunächst kann er nichts sehen, alles ist schwarz. Doch nach und nach gewöhnen sich seine Augen an die Schwärze und Bergollian nimmt Konturen und Formen war. Nach einigen Minuten kann er erkennen, das er sich in einem merkwürdigen Raum befindet. Die Wände sehen unregelmäßig und nicht natürlich aus. Bizarre Formen bilden die Wände. Er sieht sich kurz den Kreis an, in dem er aufgetaucht ist, aber die Zeichen sind ihm nicht bekannt. Überhaupt hat er keinerlei Ahnung, was er hier soll und was man von ihm will.
    „WO IST DAS ZEPTER!“ Eine Stimme dröhnt in Bergollians Kopf, wie ein Dutzendfach verstärkter Donnerhall. Er geht auf die Knie und hält sich die Ohren zu, doch das bringt nichts. „DU BIST EIN ZEPTER-LÄUFER. WO IST DANN DEIN ZEPTER?“ Er krümmt sich auf dem Boden, da ihm die Stimme starke Kopfschmerzen verursacht. „Ich habe kein Zepter! Ich habe es nur mal kurz gehalten! Das war alles!“, wimmert er laut in den Raum hinein. Einige Minuten vergehen und die Stimme ertönt in dieser Zeit nicht.
    Dann ist sie wieder zu hören. „Ich verstehe.“ Die Stimme ist nun viel leiser und verursacht auch keine Schmerzen mehr. Bergollian steht langsam wieder auf. „Was verstehst du?“ Zunächst gibt es keinerlei Reaktion, als ob jemand oder etwas überlegen würde. Dann erhält er tatsächlich eine Antwort. „Allein der Kontakt und die Tatsache, das du zu der richtigen Zeit geboren wurdest, hat genügt, um auf dich aufmerksam zu machen. Ich warte schon lange darauf, das ein Läufer den Weg verlässt, denn nur dann kann ich ihn hierher holen. Das ein zweiter Läufer zur gleichen Zeit auftaucht ist noch nie vorgekommen. Aber es eröffnet neue Möglichkeiten.“ Die Stimme sagt nun nichts mehr.
    Bergollian versucht nun, aus dem Bannkreis zu treten, in dem er sich befindet, doch das gelingt ihm nicht. Er schlägt und tritt gegen die Unsichtbare Barriere, doch kein Weg führt hinaus. Er findet sich nach mehreren Fehlschlägen damit ab, das er nichts tun kann, um dort heraus zu kommen.
    Etwa eine Stunde war vergangen, als die Stimme wieder in seinem Bewusstsein auftaucht. „Ich habe erst darüber nachdenken müssen und nun bin ich zu einer Lösung gekommen. Du wirst mir helfen. Freiwillig oder gezwungener Massen.“ „Wer bist du?“, wagte sich Bergollian zu fragen. „Ich bin das Chaos.“ Verwundert vernimmt er die Worte. „Was willst du von mir?“ „Meine Aufgabe ist es, die Ordnung zu stören. Doch in eurem Land hat die Ordnung schon viel zu lange das Gleichgewicht zwischen uns, zu ihren Gunsten entschieden. Es ist gestört und die Kräfte geraten ins Schwanken. Ich muss nun die Waagschalen ausgleichen, um die Kosmischen Kräfte in Einklang zu bringen und du wirst mir dabei helfen.“
    Bergollian hat bei diesen Worten eine böse Ahnung, die sich bald Bestätigen sollte. „Was verlangst du von mir?“, fragte er nun. „Du wirst den Weg eines Zepters stören und damit auch die Ordnung. Danach wird der Ausgleich stattfinden. Das Ausmaß des Chaos bestimmen die kosmischen Kräfte selbst, wenn das Gleichgewicht wieder hergestellt wird.“
    Zunächst hört sich das für Bergollian gar nicht so schlimm an. Die Kosmischen Kräfte zurück ins Gleichgewicht bringen scheint eine richtige Aufgabe zu sein. Doch andererseits könnte seinen Leuten irgendetwas schlimmes passieren, wenn etwas mit dem Zepter passiert. Ein Zwiespalt bildet sich in seinem Inneren. „Welche Folgen wird das für mein Land haben? Welches Chaotische Ausmaß ist wahrscheinlich? Wie schlimm kann es werden?“, fragte er nach einigen Überlegungen. „Die kosmischen Kräfte warten schon lange auf einen Ausgleich. Wahrscheinlich wird das ganze Land eine Naturkatastrophe erleben oder etwas schlimmeres.“
    Die Augen von Bergollian wurden groß. „Das ist Verrat an meinem eigenen Volk, das werde ich nicht tun.“, schreit er in den leeren Raum. „Es ist irrelevant, was du willst. Größeres hängt davon ab. Dein Volk oder dein Land sind unwichtig. Solltest du dich freiwillig entscheiden, dann biete ich dir an, deinen Herzenswunsch zu erfüllen. Du wirst mit der Frau vereint, die Asilith genannt wird.“
    Eine Tür oder etwas ähnliches öffnet sich an einem Ende des Raumes und dahinter kommt ein kleiner Raum zum Vorschein. Mitten darin steht eine Art bizarr aussehender Rahmen, in dem so etwas wie eine Flüssigkeit zu schweben scheint. Doch nun bewegt sich die Flüssigkeit und ein Bild wird sichtbar. „Sieh auf das Traumtor.“ „Asilith!“, ruft Bergollian erstaunt. Dann sieht er, wie ein schwarzer Blitz sie trifft und sie bewusstlos und auf dem Boden liegend, vor dem Tor wieder auftaucht.
    „Wirst du die Aufgabe freiwillig erfüllen?“ Im Hintergrund verändert sich nun das Bild und Minastan taucht auf, wie er konzentriert das Zepter den Weg entlang trägt. „Du musst ihn und das Zepter nur etwa zehn Schritt weit vom Weg abbringen. Eine leichte Aufgabe.“ Die Stimme bleibt ruhig. Keine Gefühle sind wahrzunehmen. Bergollian weiß, das Bitten oder Betteln nichts hilft. Einen kurzen Moment lang taucht wieder dieser Zwiespalt in ihm auf. Die Sorge um seine Leute und die Aufgabe, die das höhere Ziel verlangt, kämpfen miteinander um eine Entscheidung. „Nein! Für keinen Preis der Welt begehe ich diesen Verrat!“, schreit er erneut in den Raum. Entschlossenheit liegt in seiner Stimme. Einige Sekunden lang ist es ganz Still. „Ganz wie du willst. Dann wirst du gezwungen, denn kein anderer ist in der Lage dies zu tun. Nur ein geborener Zepter-Läufer kann meinen Zwecken dienlich sein.“
    Ohne Vorwarnung schießt erneut ein schwarzer Blitz innerhalb des Bannkreises auf Bergollian. Er schreit und fällt augenblicklich auf die Knie. Die Schmerzen sind sehr groß und er verliert schon nach wenigen Sekunden das Bewusstsein. Sein Körper liegt auf dem Boden und weitere Blitze schleudern auf ihn ein. Dann konzentrieren sich die Blitze auf seinen Kopf. Zuckend liegt er auf dem Boden. Kurz darauf ist alles vorbei.


    Schneller als gedacht erwacht Bergollian aus seiner Bewusstlosigkeit. „Erfülle nun deine Aufgabe.“, ertönt die Stimme in seinem Kopf. Er nickt und schließt die Augen. Einen Augenblick später öffnet er sie wieder und erblickt die Stelle im Wald, von der er vor kurzem weggeholt wurde. Wie eine Maschine sieht er sich kurz um. Der Weg des Zepter-Läufers taucht vor seinem Geistigen Auge auf.
    Dann läuft er los. Es scheint seinen Körper kaum anzustrengen, trotz der hohen Geschwindigkeit, die er schon nach wenigen Augenblicken erreicht. Geschickt weicht er Bäumen, Sträuchern und Tieren aus, die seinen Weg kreuzen. Kaum Schweiß bildet sich in seinen Drüsen. Die ganze Natur um ihn herum, scheint bemerkt zu haben, wer hier unterwegs ist und macht den Weg für ihn frei. Doch ob es nun aus Angst, oder aus dem verstehen heraus geschieht, das kann niemand wissen.
    Schon nach kaum einer Viertel Stunde Laufzeit hat er eine bestimmte Stelle des Weges erreicht. Die Höhle in der das Zepter für das kommende Jahr ruhen soll, ist schon in Sichtweite. Abrupt stellt Bergollian das Laufen ein, trottet zwei Schritte und bleibt dann nach zwei weiteren Schritten des Gehens einfach stehen. Langsam geht er in die Hocke, schließt die Augen und verweilt für einige Minuten. Wie ein Raubtier wartet er auf seine Beute und alles um ihn herum hält den Atem an.
    Blitzschnell schlägt Bergollian seine Augen auf. Das Knacken eines Astes, der auf dem Weg lag, hat Minastans Position verraten. Wie sollte er auch Ahnen, das jemand auf ihn Jagd macht. Der Körper des Jägers schnellt nach oben und hechtet durch einen großen Busch, ohne überhaupt zu sehen, wo genau seine Beute läuft. Doch offensichtlich ist das nicht notwendig.
    Den Bruchteil einer Sekunde, bevor Bergollian aus dem Busch springt, hört Minastan das laute rascheln der Blätter und Äste. Er dreht aus einem Reflex heraus seinen Kopf nach rechts und sieht Bergollian in die Augen. Einen Moment steht die Zeit still und Minastan begreift in jenem Augenblick, wer da auf ihn zuspringt. Ausweichen ist nicht möglich. Wie in Zeitlupe umschließen Bergollians Arme Minastan und reißen ihn Blitzartig vom Weg herunter. Die Kraft und Geschwindigkeit des Angriffs lassen keinerlei Gegenreaktion zu. Minastan wird zusammen mit dem Zepter vom Weg gedrängt. Als die beiden weit genug vom Weg entfernt zu Boden gehen, taucht sofort ein schwarzer Blitz aus dem Himmel und trifft die Beiden.


    Minastan versucht sich aus der Umklammerung seines Gegners zu befreien. Er sieht nichts, genauso wie bei Bergollian zuvor, müssen sich seine Augen erst an die Dunkelheit gewöhnen. Doch bevor das geschieht, merkt er, das sich die starke Umarmung löst. Sehr schnell atmend liegt er auf dem Boden und umklammert das Zepter. Wie ein ängstliches Tier weicht er in der Dunkelheit zurück und stößt gegen eine Wand. Er tastet und bemerkt, das sie sich merkwürdig glatt anfühlt.
    Seine Augen gewöhnen sich langsam an das Dunkel und sein Atem wird ruhiger. Dann erkennt er, wer ihm gegenüber steht. Fassungslos fällt Minastan die Kinnlade herunter. Er kann nichts sagen. Für eine kleine Ewigkeit starren sich er und Bergollian in die Augen.
    „Ich verstehe, das du überrascht und Ängstlich bist.“, ertönte nun die Stimme des Chaos. „Dir wird hier nichts passieren. Du wirst lediglich eine Zeitlang hier verweilen und dann schicke ich dich zurück.“ Ein Blitz trifft Minastan und er fällt bewusstlos zu Boden.
    Als er erwacht weiß er nicht, wie viel Zeit vergangen ist. Er sieht sich um und erschrickt. Bergollian hockt ihm gegenüber auf dem Boden und starrt in die Leere. Er rührt sich nicht. Wie eine benutzte Marionette lehnt er an der unsichtbaren Bannkreiswand. Minastan geht zu ihm hinüber und berührt seine Schulter. Dann schüttelt er ihn. Doch er zeigt keinerlei Regungen. Danach sucht er den Kreis und die unsichtbare Wand ab. Doch auch er kann keinen Ausweg finden.
    Immer noch das Zepter in der Hand setzt er sich resignierend auf den Boden. Er weiß, er kann nichts tun. Doch plötzlich beginnt die Kugel des Zepters zu glühen. Ein kleiner goldener Vogel, in dessen Federschwanz die goldene Feder zu sehen ist, erscheint. Der Vogel ist nicht größer als eine Elster. Er sitzt auf der Kugel und sieht Minastan eindringend an. „Es gibt noch Hoffnung.“, hört er die Worte des Vogels. „Ich kann die Barriere zerstören und das Chaos ablenken. Doch du musst das Ritual vollziehen, das dich anschließend wieder zum Weg zurück bringt. Begehst du einen Fehler oder lässt dich stören, so sind die Folgen nicht abzusehen.“ Ein heller Strahl schoss aus den Augen des Vogels auf seine Stirn und Minastan wusste was zu tun war. Er war bereit.
    Der Vogel verwandelt sich in eine gleißend helle Form aus purem Licht und zerstört die Barriere des Bannkreises. Das Licht füllt nun den ganzen Raum aus. Minastan ist für wenige Sekunden geblendet, doch er springt schon auf und beginnt, das Ritual zu sprechen.
    Doch das aufeinandertreffen der zwei Kräfte hat Entladungen zur Folge, die quer durch den ganzen Raum schießen. Zwei gegensätzliche Entladungen treffen den auf dem Boden liegenden Bergollian. Er erwacht aus seiner Starre und springt auf. Ein lautes, höhnisches und geistesgestörtes Lachen kreischt aus seinem Mund.
    Minastan ist fast am Ende angelangt, als er bei den letzen Worten durch Bergollian von hinten gestoßen wird und sich verhaspelt. Ein Tor, das sich schon im Begriff war zu öffnen, springt auf und verschluckt Minastan. Zeitgleich verschwindet die helle Lichtform in einem Ohrenzerreißendem Schrei. Dann Stille ....


    In dem kleinen Nebenraum liegt immer noch das junge Mädchen Asilith. Durch den Schmerzensschrei schreckt sie auf. Verwirrt sieht sie sich um. Sie hat keinerlei Ahnung, wo sie ist. Das einzige Licht, das den kleinen Raum erfüllt, kommt von dem wabernden Ereignishorizont des Traumtores. Sie geht darauf zu und schon formt sich ein Bild. Sie sieht das Land, in dem sich ihre Siedlung befindet. Alles ist grün und wunderschön friedlich.
    Das Bild scheint wie durch die Augen eines Vogels zu sehen, denn nun bewegt es sich und fliegt über den Wäldern hinweg. Der Anblick lässt sie unbewusst sehnsuchtsvoll seufzen, denn das ist der Ort, wo sie jetzt gerne wäre. Kurz bewegt sich das Bild schneller und dann erblickt sie die Siedlung. Sie erkennt die Häuser und die Gärten. Alles sieht ganz normal aus.
    Dann bewegt sich das Bild wieder. Es fliegt weit weg von der Siedlung und überquert den Weg des Läufers. Noch viel weiter fliegt es, immer weiter und schon bald weiß sie, das jenes Waldstück, das ihr gezeigt wird, viele Stunden von dem Ort entfernt liegt, wo sie wohnt. Das Bild bleibt über einem Baum stehen und bewegt sich dann langsam nach unten. Dort kann sie jemanden erkennen, der schwer atmend an einem Baum stützt und dann hektisch weiter läuft. Wer es ist, kann sie nicht erkennen, nur, das er etwas trägt. Viele Minuten folgt das Bild dem Mann. Dann verändert es sich plötzlich wieder und sie kann erneut die Siedlung erkennen.
    Und plötzlich geschieht es. Sie sieht, wie die Erde zu Beben beginnt. Ihr Atem wird schneller und das Herz schlägt heftiger. Dann kann sie einen schnell wachsenden Berg erkennen ... einen Vulkan. Angst erfüllt die Augen und ihr ganzer Körper beginnt zu Zittern. Das Beben wird heftiger und Rauch steigt schon aus dem großen Berg auf. Angstschweiß steht ihr auf der Stirn und vereinzelte Tropfen rinnen schon über ihr Gesicht.
    Die Häuser auf der bebenden Erde brechen zusammen und sie kann sehen, wie die Menschen unter den Trümmern begraben werden. Der Angstschweiß mischt sich nun mit den Tränen, die langsam aber stetig aus den Drüsen dringen. Nun verdunkelt sich der Himmel und ein Ascheregen fällt von oben herab. Ihr Blut selbst scheint nun Angst zu haben, denn ihre Gesichtsfarbe wechselt erst langsam, doch dann sehr schnell in Kalkweiß. Ihr Blick klebt auf dem Ereignishorizont und dahinter sieht sie die schreckliche Wahrheit.
    Ihre Welt, ihr Leben, ihre Freunde … alles wandelt sich in Schmerzen, Chaos und Tod. In ihren Augen spiegeln sich bläuliche Blitze und Feuerrote Explosionen. Lava und Magma ergießt sich durch die Täler und ein plötzlicher Steinregen, aus dem Krater des Vulkans, prasselt auf die Oberfläche dessen, was sie noch vor kurzem ihre Heimat genannt hat.
    Da, dort läuft jemand. Ein Mann. Er flüchtet vor einer Geröll-Lawine in eine Höhle. Der Ereignishorizont nähert sich dem Höhleneingang, um den Blick auf die Person zu ermöglichen. Ihre Augen verengen sich, um den Blick schärfer zu stellen. Sie kennt ihn. Ein Eiskalter Schauer läuft ihr über den Rücken und die feinen Härchen im Nacken richten sich auf, als sie ihn erkennt, Minastan. „Wieso ist er dort? Was hat er in der Hand? … Das Zepter!“ Ihr wird nun klar, das sie ihn vorhin gesehen hat, wie er verzweifelt durch den Wald lief. „Aber wieso ist er dort und nicht auf seinem Weg?“ Ihre Gedanken kreisen umher und ihr kommt in dieser Situation nur eines in den Sinn. „Verräter! Du hast deine Aufgabe nicht erfüllt!“
    „Oh, du hast Unrecht. Er ist kein Verräter.“ Diese Stimme kam von hinten. Sie dreht sich um. „Bergollian!“, ruft sie. „Was machst du hier? Wo sind wir?“ Sie steht ungläubig vor dem Tor.
    “Du bist eine Närrin. Ich selbst habe Minastan dorthin geschickt. Vor ein paar Minuten war er hier und hätte gut deine Hilfe gebrauchen können, als er versuchte dies alles noch aufzuhalten.“ Ein kurzes Nicken weist auf das Bild hinter ihr.
    Asilith’s Kopf schnellt zurück. Ein weiterer Erdstoß erschüttert den ganzen Berg, in welchem sich die Höhle befindet. Ihre Augen sehen es. Doch ihr Verstand kann es nicht fassen. Und inmitten dieses wackeligen Bildes steht Minastan. Er ist gegen eine Wand gelehnt und sieht zur Höhle hinaus. Für Asilith scheint es, als ob sein Blick sie sieht. Die Todesangst steht hilfesuchend in seinem Gesicht geschrieben. Doch sie kann ihm nicht helfen.
    In diesem Unglücklichen Augenblick erkennt sie die Wahrheit. Viele Jahre hatte er sich um sie bemüht und niemals hätte sie gedacht, das er solchen Mut aufbringen kann. Er versuchte alle zu retten und ihr Herz macht nun den tragischen Fehler, sich jetzt in ihn zu verlieben. Hilflos sinkt sie auf die Knie und muss sich mit ihren Armen stützen. Doch den Blick kann sie nicht abwenden. Minastan’s Schicksal ist besiegelt. Das Erdbeben wird heftiger und Risse bilden sich über der Höhle. Die Lavaströme haben schon vor einigen Minuten einen sicheren Weg, der von dort fortführen könnte, abgeschnitten.
    Sie schreit. „NEIN !“ Die Tränen tropfen zu Boden. Hinter ihr ertönt das geistesgestörte Lachen von Bergollian. Sie windet sich innerlich. Die Schmerzen sind so groß, das sie fast das Bewusstsein verliert. Ihr schluchzen dringt in jede Ecke des Raumes. Plötzlich hört sie auf. Sie nimmt einen Riss in der Höhlendecke war. „Verschwinde da!“, schreit sie verzweifelt. Doch Minastan kann sie nicht hören.
    Im nächsten Augenblick bemerkt er selbst, wie sich die Höhlendecke verändert. Er sieht nach oben und seine Augen weiten sich, sein Mund öffnet sich und entlässt einen Schrei, der im Grollen und Rumpeln der hernieder fallenden Steine erstickt wird. Asilith muss mit ansehen, wie er unter der zusammenbrechenden Höhlendecke begraben wird. Keine Rettung in letzter Sekunde, niemand der ihm zu Hilfe eilt.
    Der Ausdruck blanken Entsetzens steht in ihrem Gesicht. Schnell atmend und auf ihre Hände gestützt, kniet sie vor dem Tor und dann wird ihr Schwarz vor Augen. Sie bricht zusammen in die Erlösende Ohnmacht, die ihr Ruhe bringt.
    Bergollian verlässt den Raum und keine Augen sehen nun auf das Traumtor, das immer noch den Steinhaufen zeigt, unter dem Minastan begraben liegt. Wie zum eigenen Vergnügen öffnet sich nun das Bild und man sieht das ganze Land. Übersäht von tiefen, neu aufgerissenen Tälern. Überall steigt schwarzer Qualm empor. Das Leben ist nicht mehr existent.
    Nun wird das Erdbeben noch stärker und es gibt kein sicheres Stück Land mehr, auf der großen Insel, die einst einem Paradies glich. Wie ein Feuerwerk, das Götter belustigen soll, speien nun alle neuen und alten Vulkane das flüssige Gestein.
    Dann geschieht das Unfassbare und das Land beginnt an seinen Seiten zu bersten. Ganze Landmassen stürzen in den Ozean und Stück für Stück versinkt in den Tiefen Wassern.