Beitrag 8

  • Lost in Stories


    Kapitel 1
    Dreams are my reality


    Kapitel 2
    Lost in Memories


    Kapitel 3
    Lost in Stories







    Dreams are my reality


    Die Sonne ging langsam unter und schillerte friedlich mit ihren sanften Farben durch die Baumgipfel. Der gewundene Pfad war durchzogen von Blütenblättern, die der Wind in seinem Spiel umher wirbelte.
    Yaschatan wurde langsam durch die Gangart des stattlichen Oskos wach, auf dem er lag.
    Der Osko war geschwächt und ihm lief der Schaum aus dem Mund, die spitze Mähne lag wild zu allen Seiten und der Schweiß des Tieres machte es unmöglich Yaschatan weiter in seiner Ohnmacht zu lassen.


    Der Osko war sehr groß. Ein Paarhufer, dessen Fell an das eines Wildschweins erinnerte.
    Kurz, rau und verdreckt. Die Statur erinnerte halb an die eines zu groß geratenen Stieres und halb an die eines übergroßen Ebers. Er schnaufte und versuchte sich auf den Beinen zu halten, gab ein dröhnendes Grunzen von sich und fiel mit einem Donnerschlag zu Boden.
    Yaschatan hielt sich am Zaum fest, knallte aber dennoch gegen das Horn des Tieres, welches sich am unteren Ende der Mähne befand.
    Er rollte sich mit einem Stöhnen vom Osko ab und prallte seitlich auf dem Boden.
    „Verdammter Mist!“, murmelte er „Du stinkst ja bestialisch...sieh zu, dass du Land gewinnst!“
    Er peitschte mit der flachen Hand dem Osko an die Seite, dass es schallte:
    „DEH!!!“
    Der Osko, riss die Augen wieder auf, sprang mit einem Satz hoch und beschleunigte seine gigantische Masse. Das Seil, welches Yaschatan noch geistesabwesend in der Hand hielt, war um seinen Fuß gewickelt und schleifte ihn mit ungebremster Geschwindigkeit der Masse des Oskos hinterher.
    „HALT AAAAN!!“, schrie Yaschatan „Halt sofort an, du Mistvieh!“
    Er spürte die Äste und Steine die auf dem Pfad gegen seinen Körper knallten und letztlich den großen Stein, der ihm einen schwarzen Schleier vor die Augen spannte und wieder schlafen ließ.


    Eine raue Zunge leckte über sein Gesicht und Yaschatan roch diesen widerwärtigen Geruch von verfaultem, süßlichen Fleisch: Der Osko.
    Yaschatan sprang mit einem Satz auf: „Lass das, du stinkendes Ungetüm! Das weckt ja sogar einen Toten wieder auf!“
    Der Osko sprang erschrocken zur Seite, schaute naiv und dumm und antwortete lediglich mit einem „Muh?!“ und fing an wiederzukauen.
    „Hau endlich ab!“, schrie Yaschatan, „Geh! Wem auch immer du gehörst... geh zurück zu deinem Besitzer. Ich benötige dich nicht!“
    Der Osko ging den Pfad zögerlich alleine weiter, schaute noch mal kurz zurück und verschwand in der Biegung des Weges.
    Yaschatan kam dieses Wesen irgendwie bekannt vor aber er konnte es beim besten Willen nicht zu seinen Gedanken ordnen. So etwas bizarres hatte er noch nie gesehen...


    Nun stand er da. Allein. Auf diesem Pfad. Mitten im Nirgendwo und er hatte keine Ahnung wo er war und wie er überhaupt hier her kam.
    Er klopfte seine verschmutzte Kleidung ab und richtete sie wieder halbwegs vernünftig an seinem Leib. Sein Gürtel war halb abgerissen und sein Hemd war mehr nur noch ein Fetzen, das gerade noch so am Körper hing.
    Plötzlich entstiegen seinem Kopf schemenhafte Bilder. Wie Trugbilder tauchten sie vor seinem geistigen Auge auf und spielten sich wie in einem Traum ab:





    Lost in Memories


    „Yaschatan, du alter Schürzenjäger!“, rief der alternde Tavernenbarde Harrah, „Schreibst du wieder Liebesgeschichten für deine Weiber?!“ und lachte laut auf.
    Yaschatan saß konzentriert und stirnrunzelnd mit seiner goldenen Feder am Tisch. Schon seit einer ganzen Weile hatte er die Feder nicht mehr aus der Hand gelegt und merkte nicht, dass in seinem Humpen schon seit einiger Zeit eine rege Wüste herrschte.
    Es regnete schon seit Stunden und einige Regentropfen suchten sich den Weg durch das Dach der Taverne aus Drachenhaut und tropften im Takt auf den schweren Holztisch. Er wollte in dem Regen nicht nach hause und entschloss sich in der Taverne weiter zu schreiben.

    „Ja, genau!“, rief der Wirt Perp mit ein, „Was ist los mit dir?! Kriegst nicht genug vom Weibsvolk was?! Die gieren wohl schon nach deinen Geschichten, he?!“
    Ein kurzes Lachen hallte in der Taverne auf.
    „Also, ich reiß immer gleich das Schürzchen hoch, wenn ich geil bin und trage nicht noch stundenlang Geschichten vor!“, rief Harrah lachend in die Runde.
    „Anders kriegt er sie wohl nicht willig!“, brüllte Perp und entfachte ein höhnisches Gelächter.


    „HALTET EURE VERDAMMTEN FRESSEN!“, schrie Yaschatan, „Immerhin habe ich mit meinen Geschichten schon mehr Weiber verführt als ihr es euch in euren kühnsten Träumen je erhoffen würdet, ihr Bastarde! Also, Wirt...“, sagte er leicht spöttisch und betonend „Tu deine Arbeit und mach´ meinen Humpen voll. Nach Feierabend kannst du mit deinem dicken Weib weiter tratschen. Das heißt, falls sie dich zwischen ihren fetten Schenkeln wieder raus lässt!“.
    Das, brachte die Taverne nun endgültig aus der Fassung und es folgte der Höhepunkt des Gelächters.
    „Auf dich, Yaschatan!“, rief Harrah, „Auf meine Alte!“, rief Perp, „Auf´s Weibsvolk!“, rief Yaschatan und leerte den Humpen in einem Zug.
    Es wurde gesoffen, gepöbelt und gelacht und endete irgendwann im Laufe der Nacht sogar in einer stimmungsvollen Bierkrugschlacht.



    Das Saufgelage ging bis in die frühen Morgenstunden und Yaschatan erwachte als ihm plötztlich jemand einen kalten Lappen an die Stirn hielt. Er machte die Augen auf und sah seinen Sabber auf den Tisch fließen, auf dem er mit dem Kopf draufgeknallt und eingeschlafen war.
    Er kriegte die Augen kaum auf. Über einem Auge hatte er eine Platzwunde und auf der Nase eine große Schramme. Er hielt noch immer einen zerschlagenen Krug in der linken Hand und die zerschlagene Laute des Barden Harrah in der Rechten.


    Nun erkannte er auch allmählich wer ihm den kalten Lappen an die Stirn hielt: Es war Feveras, die Schöne aus dem Nachbardorf. Er glaubte mal was mit ihr gehabt zu haben...oder so... oder auch nicht?! Wie auch immer. Er spitzte krampfhaft die Lippen und versuchte ihr deutlich zu machen, dass er ihr einen Kuss zur Begrüßung geben wollte.
    Doch das einzige was er zur Begrüßung bekam, war eine schallende Ohrfeige.
    „Das denkst du dir wohl so, was?!“, fauchte Feveras ihn an.
    „Aber...aber ich...“, wollte er ausholen aber das einzige was er raus brachte war ein lautes Rülpsen.
    „Wir waren verabredet“, zischte sie, „Ich habe die ganze Nacht an den Heidelbeerbüschen gewartet, du Mistkerl! Wo warst du, he?! Und wo ist die Geschichte die du mir versprochen hattest???“
    Yaschatan bekam nur die Hälfte mit, weil er noch gar nicht in dieser Welt war, die sich hier gerade abspielte und spürte noch das Bier durch seine Adern fließen. Sein Kopf dröhnte und die Übelkeit in seinem Magen wurde größer... der Druck in seiner Blase noch mehr.


    „Ich... ich...emmm...wir waren verabredet?!“
    Und wieder knallte eine Ohrfeige in sein Gesicht.
    „Ja, waren wir! Du hast mich wohl schon vergessen, was?!“ kreischte sie „Du hast gesagt, dass ICH dein Traumweib wäre, das ICH deine Erfüllung bin und das du nur für MICH diese Geschichten schreibst!!!“
    „Hab ich das?“, fragte Yaschatan bewusst naiv, „Kann sein, ja. Aber jetzt hab ich´s mir anders überlegt. Du bist zu zickig um meine Muse zu sein. Du bremst...na ja, wie soll ich´s sagen...meine K r e a t i v i t ä t“, sagte er süffisant und winkte mit der Hand ab. „Also, zieh leine!“
    Völlig entrüstet stand Feveras vor ihm. Sie wusste nicht was sie darauf sagen sollte. Ihr schossen Tränen in die Augen und ihr Herz brach in tausend Teile. So, wie die Laute von Harrah. Nur, dass sie kein Gegenstand war und zudem Gefühle hatte.
    „Du Schwein!“, schluchzte sie „Und ich habe dir geglaubt!“ Sie stand wie ein Häufchen Elend vor ihm und winselte über diesen dreisten Verrat und Spott.


    „Jetzt hör mal zu“, sagte Yaschatan sachlich und lächelte spöttisch, „Du bist nur eine von vielen, ist das klar?! Warum einer ergeben sein, wenn mir Hunderte ergeben sein können, Süße?! Lass mich in Ruhe! Das mit uns war mal. Such dir´nen anderen Stecher!“
    „Einen anderen Stecher?!“, wiederholte sie entsetzt, „einen Stecher?!? Ich habe mich in dich verliebt! Ich habe dir geglaubt und du hast mich schamlos benutzt!“ Ihre Tränen hörten nicht auf zu fließen. „Ist das alles was du dazu zu sagen hast?“


    Yaschatan rülpste kurz auf und nickte desinteressiert.


    „Also, schön“, sagte sie zähneknirschend, „Gut, so soll es sein. Ich wünsche mir, dass du dich mal irgendwann in deinen Geschichten verrennst und nicht eher heraus gelangst, bis du endlich zu Verstand kommst! Es soll wie ein Fluch auf dir lasten. Ein Irrgarten deiner eigenen Gedanken, deiner eigenen Lügen. Und ich wünsche mir so sehr, dass deine Gefühle zerschmettert werden, so wie du es mit anderen gemacht hast!“
    Sie drehte sich um und ging schnellen Schrittes zur Tür hinaus. Die Tür knallte mit voller Wucht zu und erzeugte dann eine unangenehme Stille in der Taverne.


    „Pass bloß auf, du“, sagte Perp grinsend, der dabei war die Reste der zerschlagenen Humpen vom Boden zu sammeln, „Das Weib ist mit Sicherheit´ne Hexe!“
    „Ja, klar doch.“, entgegnete ihm Yaschatan, „Und jetzt vergessen wir das ganze und widmen uns den wichtigen Dingen im Leben eines Poeten. Mach mir noch mal´n Bier, Wirt!“
    „Jau!“, rief Perp lachend und schenkte nach...














    Lost in Stories


    Yaschatan stand noch immer auf dem Pfad und bemerkte die Dunkelheit. Wie lange hatte er schon hier gestanden? War er wach? Schlief er? Er wusste es nicht. Er hatte das Gefühl durch ein Traumtor gegangen zu sein und sich in einer fremden Welt zu befinden, bis er sich plötzlich wieder an Feveras erinnerte:
    „Dieses Miststück!“, murmelte er, „Hat mich dieses Weib tatsächlich in meine eigenen Geschichten verbannt?“.


    Seine Gedanken wurden durch ein seltsames Geräusch unterbrochen. Irgendwas kriechte vor seinen Füßen daher. Irgendetwas kleines, schleimiges... Bis er sehen konnte, um was es sich handelte.



    „Endlich lerne ich dich mal kennen, Yaschatan“, fiepste es, „Was verschlägt dich hier an diesen Ort?“.
    Er traute seinen Augen nicht. Es war die Schnecke Urimiel, die in manchen seiner Geschichten auftauchte.
    Urimiel war eine Mischung aus Schnecke und Fisch. Sie hatte ein Schneckenhaus aus Fischschuppen. An den Fühlern konnte sie Licht erzeugen um sich den Weg durch die Nacht zu bahnen.
    In seinen Geschichten brachte Urimiel die Weiber zu Yaschatan. Hübsche, ansehnliche, vollbusige Weiber, die sich des Nachts verirrt hatten und dann Urimiel ihr Schicksal in die „Hände“ legten.


    „Jetzt guck nicht so, Yaschatan! Du hast mir diese Gestalt gegeben. Ich entspringe deinem Kopf! Keine Ahnung, wie du auf solche Ideen kommst...“, fiepste Urimiel und schaute zu ihm hoch. „Schon´ne Ahnung wie du hier wieder raus kommst, Großer?“
    „Ich...ich... ich weiß nicht“, stotterte Yaschatan, „Ich weiß ja nicht mal wie ich hier rein gekommen bin.“
    „Hmmmm“, überlegte Urimiel „Du bist sicher müde. Du solltest dich erst mal ausruhen. Kriech mir nach!“
    „Sehr witzig!“, entgegnete Yaschatan und folgte ihr.


    Sie gingen durch einen seltsamen Wald mit noch seltsameren Bäumen. Die Bäume waren an den Ästen verwachsen und bildeten eine Einheit. Die Wurzeln waren nicht im Boden verankert, sondern schwebten frei in der Luft. Der Waldboden war moosig und mit komischen Pilzen bedeckt, die sprechen konnten. Yaschatan schenkte ihnen weiter keine Aufmerksamkeit, obwohl ein Pilz kurz weilen seinen Namen rief und dann anfing zu kichern.



    Sie kamen an eine Höhle, deren Eingang recht klein war und blieben stehen. „So, hier kannst du dich ausruhen und in Ruhe nachdenken“, sagte Urimiel.
    „Worüber nachdenken?“, fragte Yaschatan, „Ich will hier raus! Ich will nach hause!“


    In diesem Moment flog ein Uhu mit Eselsohren und Entenfüßen an ihnen vorbei.
    „Diese Welt ist ja irre! Ich will weg hier!“


    „Nein, Nein!“, bremste ihn Urimiel, „Du bist irre!“ grinste sie „Also, dann...gute Nacht und viel Erfolg!“ Urimiel kroch langsam davon und verschwand im Dunkel der Nacht.


    Yaschatan wusste nichts mit sich anzufangen und bekam allmählich Angst, gefolgt vom plötzlichen Sinneswandel, dass er sich tatsächlich in seiner eigenen Geschichte befand und das dies kein Traum war oder etwaige Nachwirkungen der durchzechten Nacht.
    Er schaute kurz zum Höhleneingang rüber und bemerkte kurz, wie ihn zwei Augen aus der Höhle beäugten. Er entschloss sich lieber nicht hinein zu gehen, aus Angst, irgendwelchen suspekten Wesen zu begegnen. Er traute seiner Fantasie nicht.


    Seine Wunde über seinem Auge begann wieder weh zu tun und zu pochen. Er zupfte etwas Moos vom Boden und presste es sich auf die Stelle. Er war ihm fast so, als hätte er ein leises „Aua!“ vernommen, als er das Moos vom Boden pflückte.
    „Ich muss hier schnell wieder raus“, flüsterte er zu sich selbst, „Aber ganz schnell!“
    Er setzte sich nieder und schlief, noch sitzend, ein.



    Er wachte am nächsten Tag wieder auf und stellte fest, dass er direkt an Ort und Stelle eingeschlafen war. Er war noch immer in dieser Welt, noch immer in seiner Geschichte.
    Er hatte gehofft, dass dies nur ein schlechter Traum war, das alles wieder gut wäre...
    Doch dem war nicht so. Yaschatan war gefangen in seinen eigenen Hirngespinsten und wusste keinen Ausweg.
    Es half nichts, diese Mutprobe musste er nun bestehen.
    Er spürte wie sich der Druck in seiner Blase bemerkbar machte. Er schaute sich um und ging zu der nächsten Weide, die vor dem Höhleneingang stand. Er griff sich in flink in den Schritt und wollte sich gerade entleeren, bis er auf einmal eine tiefe, langsame Stimme vernahm:
    „Ich glaube du spinnst wohl, Mensch!“ und noch im gleichen Atemzug sah er aus dem Augenwinkel einen schweren Ast auf sich zu rasen, der dann mit voller Wucht in sein Gesicht knallte. Yaschatan flog mit offener Hose nach hinten und knallte auf den Hintern.
    „Sieh zu, dass du deinen Müll anderswo ablädst und nicht an so einer prachtvollen Weide wie mir, Mensch!“. Das Reden verstummte und Yaschatan hatte das Gefühl, jede einzelne Ader der Blätter in seinem Gesicht zu spüren, die am Ast hingen.
    Er fasste sich ins Gesicht und stöhnte: „Verdammter Mist!“, fluchte er „Jetzt werde ich sogar schon von einem Gebüsch verprügelt...“
    „Ähem!!“, räusperte sich die Weide laut.
    „Emmm...“, sagte Yaschatan eingeschüchtert, „Ich...ich meinte natürlich, wie konnte ich nur den Gedanken hegen an so eine prachtvolle, wunderschöne, faszinierende Weide zu...“
    „Ja, ja“, unterbrach ihn die Weide, „Ich hab schon verstanden. Und jetzt geh!“


    Er rappelte sich auf und ging einem Plätschern nach, was sich ihm kund gab. Nicht weit von der Höhle floss ein Bach. Er beugte sich über ihn um sein Gesicht zu waschen und die Schmerzen des Schlags zu stillen.
    Es war eine Wohltat und stimmte ihn zugleich wieder munter.
    „Na wenigstens habe ich noch einen normalen Bach in meiner Fantasie erschaffen können“, sagte er zynisch, „Ich habe mir schon Sorgen gemacht, dass ich nur Unfug im Kopf habe.“


    Er blickte in den Bach um sich anzuschauen und seine Wunden zu inspizieren. Plötzlich veränderte sich sein Gesicht und wurde zum Gesicht einer Frau. Einer Frau, die ihm sehr bekannt vorkam. Ihr Gesicht war rund, sie hatte langes, rotblondes Haar und große rehbraune Augen.
    „Yaschatan“ hörte er sie rufen. Er erschrak und sprang zurück als hätte er einen Geist gesehen. Sein Herz raste und er zitterte am ganzen Körper. Er kroch langsam auf allen Vieren wieder zurück um sich sicher zu gehen, dass dort niemand gewesen sein konnte. Er erblickte wieder ihr Gesicht, blieb jedoch dort und versuchte sie im Wasser zu berühren.
    Als er in den Bach fasste, schlug das Wasser lediglich kleine Wellen und beruhigte sich nach einer Weile wieder.
    „Yaschatan“, hauchte sie wieder „Du bist es wirklich. Welch eine Ehre dich hier zu treffen.“
    „Wer...wer bist du?“, fragte Yaschatan verdutzt und war gleichzeitig überwältig von ihrer Schönheit. Noch nie hatte er ein Weibsbild gesehen, was ihn derart entzückte wie sie.


    „Ich bin Geselda, erinnerst du dich nicht? Du hast mich einst erschaffen, als du noch wahre Geschichten geschrieben hast, die Tief aus deinem Herzen kamen.“
    Yaschatan überlegte aber sie fiel ihm nicht ein.
    „Wahre Geschichten?“ fragte er sich selbst, „Tief aus meinem Herzen?“
    „Entschuldige, aber ich kann mich nicht erinnern.“, entgegnete er höflich.


    „Du kannst dich nicht erinnern?“, fragte sie leicht traurig, „Ist es wirklich schon so lange her, dass du aus reinem Herzen Geschichten erbracht hast, Yaschatan?! Schreibst du jetzt nur noch um Weibsvolk zu beeindrucken?“
    „Ich...ich weiß nicht...“, antwortete er und runzelte die Stirn.


    „Du erinnerst dich nicht an unsere Geschichten? Du hast mich geliebt, erinnerst du dich nicht? Du hast mir all deine Zeilen geschenkt, all deine Sehnsüchte und Wünsche gewidmet, all deine Liebe in die Geschichten mit uns eingebracht. Was ist daraus geworden?“


    Langsam kamen die uralten Erinnerungen an Geselda zurück und traten aus seiner Verdrängung ins dunkle Vergessen wieder ans Tageslicht.


    Geselda: Die Frau, die er nie bekommen konnte, die Frau, die ihm den Atem raubte, die Frau, die nur in seiner Fantasie existierte. Die Perfektion seiner Vorstellung von einer Frau.
    „Ja...ich erinnere mich. Geselda...meine Liebe. Die Liebe, die ich nie zurück bekam. Geselda, meine Sehnsucht. Die Sehnsucht, die ich nie erfassen konnte. Außer...ja, außer ich habe geschrieben. Dann warst du präsent. Kein Weib konnte dir das Wasser reichen. Niemand!“


    „Finde dich endlich damit ab, dass ich deine wahre Liebe nie sein kann“, sagte Geselda.
    „Ich existiere nicht wirklich und wahrscheinlich sind dir in letzter Zeit viele Frauen begegnet, die dir das hätten geben können, was ich dir nie hätte geben können. Warum befreist du dich nicht endlich von mir?!“
    „Aber Geselda“, sagte Yaschatan traurig, „Du bist mein Traumweib. Du bist meine Liebe. Alle anderen sind mir egal. Ich weiß, du würdest mich nie verlassen!“


    „Aber ich bin nicht real. Ich existiere nur in deinen Geschichten“, entgegnete Geselda ruhig, „So, wie du es siehst wirst du wahrscheinlich nie bereit für die wahre Liebe sein. Du kannst deine Liebe nicht in einem Trugbild finden. In einem Ideal, welches du erschaffen hast und dich sperren und verschließen gegen Frauen, die für dich Gefühle hegen. Befreie dich, Yaschatan. Befreie dich...“ und ihre Worte zogen wie ein Echo durch den Wald und ließen Yaschatan in seiner stillen Trauer am Bach zurück.


    „Geselda!“, rief Yaschatan in den Bach hinein, „Geselda, geh nicht, bleib bei mir!“


    Doch die Antwort blieb so stumm wie seine Tränen, die in den Bach tropften. Seine Sehnsucht, die er erfunden und erschaffen hatte, wurden wie seine Tränen vom Bach hinfort getragen.


    Er verweilte noch eine kurze Weile, stand dann auf und schaute zu den Baumgipfeln hinauf. Die Sonne schien ihm durch das Geäst ins Gesicht und küsste ihn sanft. Er schloss die Augen und spürte den leichten Wind in seinem Haar.
    „Sie hat recht“, hörte er sich sagen, „Sie hat verdammt noch mal recht! Wieso habe ich meine Hoffnung und Sehnsucht in jemanden gelegt, der nicht existent ist?“


    Er spürte auf einmal seine inneren Barrieren brechen. Jeglicher Zwiespalt war fort.
    Es tobte in ihm wie etwas, was sich schon lange einen Weg nach außen suchte. So, wie ein Vulkan, der mit einem Propfen jahrelang verschlossen gehalten und daran gehindert wurde, seine brodelnde Lava in die Lüfte zu schießen. So, als hätte er sich aus seinem eigenen Bannkreis befreit, der nur zum Schein vor jeglichen Gefühlen schützen sollte, um nicht selbst verletzt zu werden.


    Seine Augen öffneten sich weit und wie von Sinnen fing er plötzlich an durch den Wald zu schreien.


    Es war ein Schrei der Befreiung, ein Schrei von Schmerz und unerfüllten, utopischen Wünschen. Ein Schrei, der in tausend Echos durch den Wald hallte und jeglichen Vogel vor Schreck aus den Büschen und Bäumen flüchten lies. Ein absoluter Schrei der Erlösung und Befreiung. So, wie er sich noch nie hatte gehen lassen...


    „Ich verstehe“, flüsterte er, „Ja, ich verstehe genau.“
    Tränenüberströmt sank er zu Boden und verlor das Bewusstsein.-




    „He, aufwachen, Schlafmütze“, sagte eine zarte Frauenstimme und er spürte einen sanften Kuss auf seiner Stirn, „Du sollst doch nicht so viel trinken, Yaschatan“
    Yaschatan blickte auf und sah die Umrisse einer Frau. Einer wunderschönen Frau. Es war Feveras, die ihn sanftmütig mit einem milden Lächeln anschaute.
    „Ich hab auf dich gewartet, Hübscher“, flüsterte sie ihn lieb an.
    Yaschatan hob seinen Kopf, rappelte sich auf, nahm ihre zarten Hände und sagte:
    „Jetzt brauchst du nie wieder zu warten, Liebste. Nie wieder! Jetzt bin ich immer bei dir...“





    Ende