Ragnar Grauwolf - Ein Lebewohl..

  • Mit Pergament und Feder bewaffnet, einer Flasche Whiskey und einen Becher, setzt Ai sich an einen Tisch an der Feuerstelle in der namenlosen Taverne in den Dunklen Landen. Sie füllt den Becher beinahe bis zum Rand, lässt einige Tropfen auf den Boden fallen und trinkt.
    Während sie in die Flammen starrt und um sie herum die Menschen, Elfen und Orks zur Ruhe kommen und leise Gespräche nach der gewonnenen Schlacht an den Tischen erklingen, füllen sich ihre Augen mit Tränen.
    Sie greift nach der Feder und taucht sie in das Tuschefass.
    Lange Augenblicke schwebt die Feder über dem Pergament, eine Träne fällt darauf.


    Ich habe so viel zu sagen.
    Was geschehen ist, war niemandes Schuld, weil niemand es besser wusste, bis jetzt. Was ich sehe, ist, dass nur gutes daraus erwachsen wird. Der Krieg hat gelernt, er hat begriffen, ich habe es in seinem Gesicht gelesen. Eurem Rudel werden Kinder, Welpen geboren werden, ich weiß es. Ich werde auf sie achten, solange es mir erlaubt ist. Tatsächlich, ich kann es kaum glauben, erfüllt mich Stolz. Es macht mich froh.
    Leere Worte, Ragnar, so scheint es mir. Mein Herz ist übervoll und ich finde nicht die Worte, es dir zu sagen. Du hast mich gerettet. Heute Nacht hast du mich gerettet - wie ich euch gerettet habe. Du warst die schützende Hand über mir und hast mir den Trost und die Geborgenheit gegeben, die ich brauchte. Es ist gut. Aber mein Herz weint, weil du mich verlassen hast, kaum, dass du in mein Leben getreten bist. Ich schüttle den Kopf darüber, es gibt so vieles, worüber ich mit dir reden wollte, so vieles, was ich zu sagen gehabt hätte.
    Einige wenige Stunden lang, Ragnar Grauwolf, bist du mir ein Vater gewesen. Du hast gesehen, was niemand sonst sieht, hast erkannt, was niemand sonst je begreift. Ich habe begriffen, dass Härte und Grausamkeit nicht das selbe sind. Dass die Wahrheit so hart und klar ist wie dein Blick, den ich erwiderte, weil mir keine Wahl blieb.
    Im nächsten Jahr werde ich zurückkehren und Dramuks Kinder werden Teil eures Rudels sein. Ich nicht. Du weißt es, Ragnar, auch, dass ich es gewollt hätte. Wärst du noch hier, wieviel schwerer würde der Abschied werden? Ich bin ein Kind dieser, meiner Welt, und obwohl ich deinem Rudel mit Liebe und Respekt begegne und sie jetzt als Teil meiner Familie betrachte, kann ich niemals bei ihnen leben. Bittere Tränen wird es mich kosten, aber es ist gut. Es ist eine Ehre, ich erkenne es an.
    Was mich betrifft, bist du zu früh gegangen. Du wirst mir fehlen, als wärest du mein Leben lang da gewesen. Es macht keinen Unterschied. Danke dafür, dass ich dich ein wenig kennen durfte, Khan.


    Längst sind die Tränen versiegt, der Becher ist leer, als Ai die Feder sauberwischt und das Tuschefässchen verschließt. Sorgfältig faltet sie das Pergament und versiegelt es. Noch einmal füllt sie den Becher, bevor sie aufsteht. Sie übergibt das Schriftstück den Flammen und sieht zu, wie es verbrennt. Dann geht sie nach draußen, einige wenige Sterne werfen ihr trübes Licht durch die Wolkendecke. Als Dramuk, der Khan des Krieges, in einiger Entfernung vorbeigeht, lächelt sie ihn an. Sie trinkt den Whiskey und nach einer Weile kehrt sie zu den Männern und Frauen in der Taverne zurück, wo sie, bald wieder lachend und scherzend, ihre Arbeit verrichtet.