Der Tempel der fünf Gottheiten (2)

"Vielen Dank" , sagt Johanna, nachdem Enril mit dem Verbinden fertig ist und wackelt probeweise mit den Fingern. Dann schenkt sie allen Enrils Tee ein und zieht sich ihre Tasse schließlich heran, um sie zwischen den Fingerspitzen zu nehmen und genüsslich einen Schluck zu trinken. "Weißt Du, wieviele Menschen hier leben, Enril?"

Seltsam schweigsam schaut Nela von Enril zu Johanna und zurück. Sie scheint aufmerksam der Unterhaltung zu folgen. Mit beiden Händen hält sie sich an ihrem Becher fest und lässt einen Keks in dem Tee schwimmen bis er untergeht.
Dann legt sie das Kinn auf den Becherrand und beobachtet die zwei Frauen weiter schweigend aus ihren verschiedenfarbigen Augen.

"Nein. Ich gestehe ich habe meine ersten Wochen sehr zurückgezogen gelebt um erst einmal zu beobachten. Ich wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen. Hier ist vieles doch anders als man es daheim erlebt oder es gehört hat. Einige Leute hier sind doch... ziemlich... merkwürdig."

Johanna blinzelt überrascht und nimmt noch einen Schluck Tee.

"Merkwürdig? Die üblichen Merkwürdigkeiten, die sich in menschlichen Ansiedlungen zeigen, oder Dinge, die für Renascân typisch zu sein scheinen?"

Neugierde liegt in ihrem Blick. Beiläufig nimmt auch sie noch einen Keks und stippt ihn in den Tee, allerdings ohne ihn untergehen zu lassen.

"Ich bin mir nicht sicher... es soll hier ein Schwesternpaar geben das etwas seltsam ist und die Waschweiber sind auch... in Scorien wird ja auch getratscht aber so... man erzählt sich die wildesten gerüchte im zaunkönig. Wenn nur die Hälfte davon wahr ist dann..." sie schauderte.

"Waschweiber? Gerüchte?" Johanna wirkt ein wenig irritiert, aber nicht desto trotz amüsiert. "Klingt, als müsse man das erlebt haben, es sich eine Vorstellung davon machen zu können."

Sie stellt ihre leere Teetasse ab.

"Kann ich beim Eintopfmachen noch helfen?"

Sie schaut vom Topf zu Enril und zurück.

"Ja, das muss man wohl erlebt haben..." grinste sie. "Ich überlege ob man noch etwas rein tun könnte außer später Pfeffer und Kräuter zum abschmecken. Bisher haben wir größzügig Speck drin, Kartoffeln, Möhren, Bohnen und Zwiebeln..."

"Hm, habt Ihr vielleicht Kohl und Sellerie, oder Petersilienwurzeln - wenn Ihr welche hier habt?" Johanna steht auf und lugt in den Topf.

"Gehen wir doch kurz schaun ob wir was finden..."sie deutet auf die Tür zur Speisekammer.

Kurz verschwinden beide durch die Tür um dann Triumphal einen schon leicht schrumpligen Sellerie zu erobern und auch Petersilienwurzeln waren noch zu finden. Kohl gabs nur eingemachten...

"Tja, man merkt, dass der Frühling kommen muss. Die Vorräte sind wirklich arg zusammengeschrumpft."

Johanna setzt sich wieder an den Tisch, nachdem sie sich ein Messer und ein Schneidebrett geholt hat. Sie beginnt, die Sellerieknolle zu schälen, was mit der verbundenen Hand etwas ungelenkt wirkt. An den Bewegungen ihrer Hände kann man dennoch sehen, dass sie eine geübte Köchin sein muss. Sie würfelt die Knolle und wirft den Inhalt dann in den Kessel.

"Ich sollte also in der Präfektur vorsprechen. Sollte ich mich sonst noch bei jemandem vorstellen - außer dem Präfekten und den anderen Priestern?"

"Mhmmm, nein ich denke es wird fürs erste ausreichen sich beim herrn diLorenzo anzumelden - er stammt übrigens auch aus Tempturien. Aber wir könnten mal gemeinsam die Akademie, das Hospital und die Baustelle des Waisenhaus gesuchen. Und um andere Leute kennen zu lernen empfahl man mir den Zaunkönig...."

Enril griff sich eine Schüssel, Mehl, Milch, Salz und etwas hefe und begann einen Brotteig zu kneten.

Johanna kümmert sich unterdes um die Petersilienwurzeln, die sie kleingeschnitten in den Topf gibt, dann gießt sie das Gemüse mit Wasser auf und schiebt den Topf über das Feuer, damit der Eintopf durchzuziehen beginnen kann.

"Die Gewürze und Kräuter vermute ich ja bei Euch" , sagt sie munter zu Enril. "Und was die Besuche angeht - gerne. Der 'Zaunkönig' ist die ortsansässige Taverne?"

Sie lachte munter. "Ja, irgend etwas muss mich geritten haben eine Kiste mit Gewürzen einzupacken. Ja der Zaunkönig ist die Taverne und das Gasthaus von Renascan"

Nela lugte in ihren Becher rein. Auf dem Boden konnte sie die aufgeweichten Kekskrümel entdecken, die sich langsam aber sicher endgültig in Brei verwandelten. Kurz war sie versucht ihre Finger in den Becher zu stecken, hielt aber in der Bewegung inne und schaute Johanna unschuldig an, ob sie etwas bemerkt hatte.
Um schließlich doch an den Matsch zu kommen, nahm sie einen Schluck und schaute dann nach, wie nahe sie schon gekommen war. Nicht viel, musste sie feststellen. Die Idee den Matsch zu erhöhen bis sie dran kam, fand sie nur minder begeisternd. Was würde Enril sagen, wenn sie ihre Kekse alle der Reihe nach in ihrem Becher versenkte?

Ein Löffel erscheint vor Nelas Augen - Johanna hat Augen wie ein Adler. Sie grinst die Freundin vielsagend an und geht dann zum Kochtopf zurück. Dem Feuer fügt sie noch ein Scheit an der Seite hinzu, dann sucht sie nach einem großen Kochlöffel, mit dem man später umrühren konnte.

"Wenn ich nicht so unglaublich müde wäre, würde ich glatt vorschlagen, wir gehen später noch auf ein Gläschen Wein in die Taverne."

Aber tatsächlich unterdrückt sie mit Mühe ein Gähnen.

"Das können wir morgen immernoch.." meinte sie fröhlich und zeigte Johanna eine Schublade wo Kochlöffel lagen.

Glücklich nahm Nela den Löffeln in Empfang und grinste Johanna an. Dann tauchte sie den Löffel ein. Die Zungenspitze hatte sie dabei angestrengt zwischen die Lippen geklemmt.
Ihre Versuche den Brei zu löffeln scheiterten kläglich an der Tatsache, dass sie selbigen nur noch mehr verrührte. Der Tee nahm alsbald eine etwas trübe Färbung an, was aber Nela nicht davon abhielt einzelne Stückchen heraus zu fischen und wieder in den Tee plumpsen zu lassen. Zwischendurch nahm sie ungeachtet der Pampe immer mal wieder einen Schluck und verlor sich völlig in ihrem Spiel bis ihr Magen vernehmlich knurrte.

Irritiert schaute sie unter die Tischkante auf ihren Bauch und legte dann eine Hand drauf. Suchend schaute sie sich um und fixierte dann den Kessel über dem Feuer. Sofort schlich sich ein zufriedener Ausdruck auf ihr Gesicht. Vernehmlich seufzte sie und stützte das Kinn auf die Hände.

"Johanna?"

Johanna blickt auf.

"Ja, Nela?"

Sie krauselte die Nase und schnupperte.

"Das riecht lecker. Wann ist es fertig?"

fragte sie. Dann schaut sie Johanna mit großen, treuherzigen Augen an.

"Und krieg ich auch was davon?"

Johanna lacht.
"Ich glaube nicht, dass man Dich hier hungrig in's Bett gehen lassen wird. Allerdings wird es noch ein wenig dauern, bis das Gemüse weichgekocht ist." Ihr Blick gleitet zu Enril. "Vielleicht können wir uns ja schon einmal die Kammer ansehen, in der wir übernachten werden."