Der Tempel Kapals

  • Alanis zog ironisch den Mundwinkel hoch.


    "Er hat mir auf dem Kopf zugesagt, dass er für mich mehr Macht sieht, als er jemals für sich oder unsere anderen Glaubensbrüder und -schwestern erwarten würde. Aber dass es genau einen Grund gibt, der mich daran hindert, genau das zu erreichen."

  • Er nickte der Priesterin nur stumm zu um sein Verständnis auszudrücken. Ein schmales und resigniertes Lächeln zeigte sich ebenfalls auf seinen Lippen.

  • "Ganz gleich, wie es um unsere Gefühle bestellt war -." Alanis sagte ganz bewußt 'war', denn über die Istzustand wollte sie nicht reden. "Wir haben uns gegenseitig im Weg gestanden. Mit unseren unausgesprochenen Erwartungen und dem ewigen Abwägen, auf welcher der beiden Seiten unseres Leben wir gehen wollen. Das musste ein Ende haben. Aber ich hätte es nicht beenden können, wenn ich Dir dabei in die Augen geschaut hätte."

  • Erneut nickte der Priester.


    "Das hätte ich auch nicht gekonnt, selbst wenn ich schon früher erkannt hätte, dass es besser so gewesen wäre."


    Er schien endgültig resigniert.

  • "Du hast gesagt, dass Du daran gewachsen bist und ich hoffe, das bin ich auch."


    Alanis Kehle schnürte sich zu und sie trank noch einen Schluck Wein, um wieder zu Stimme zu kommen.


    "Ich hasse es zu sagen 'Es war besser so', aber wahrscheinlich war es das wirklich. Dass wir hier sitzen, werte ich als neuen Anfang, nach dem wir hoffentlich gemachte Fehler nicht mehr wiederholen werden."

  • Der Wein stieg dem Priester langsam zu Kopf. Auf leeren Magen war dieser keine gute Idee gewesen. Er hätte bei Wasser bleiben sollen. Seine Augen wurden leicht glasig.


    "Ich denke wir haben beide daraus gelernt. Fehler macht man nur einmal."

  • Alanis hatte wieder das Kinn in die Hand gestützt und lauschte für eine Weile dem Regen auf dem Tempeldach. Sie sagte gar nichts. Die Finger ihrer freien Hand drehten Kreise auf dem Rand ihres Weinbechers, während sie Damorg musterte. Schließlich gab sie sich einen Ruck, denn vermutlich hätte sie noch ewig dasitzen können.


    "Ich denke ich sollte gehen", sagte sie dann und schob den Becher von sich. Dummerweise mit einer so brüsken Bewegung, dass die Hälfte des Inhalts über ihre Hand und den Ärmel des Kleids schwappte. "Na toll." Jetzt klang sie auch resigniert. "Ich kann auch nichts richtig machen."

  • Damorg war schnell auf den Beinen und hatte eins der Küchentücher zur Hand, dass er von der Arbeitsfläche gefischt hatte. Er reichte es der Priesterin.


    "Da bin ich vom Gegenteil überzeugt."

  • Alanis murmelte etwas Unverständliches und griff mit einem knappen, dankbaren Nicken nach dem Tuch in seiner Hand. Dass ihr ein kurzes Aneinandervorbeigleiten ihrer Fingerspitzen allerdings einen so nachhaltigen Schock den Arm hinauf senden würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Nicht nach allem, was geschehen war -. Dennoch hätte sie sich in diesem Moment gewünscht, ihe liebgewonnenen Handschuhe zu tragen, die unerwünschten Kontakt von ihr fern und damit die Erinnerungen bezähmt in der hintersten Ecke ihres Geistes hielten.


    Sie erstarrte kurz, atmete durch und beschäftigte sich dann mit ihrem Ärmel und dem Tisch. Dass ihr das Blut aus dem Kopf wich, merkte sie fast sofort und sie setzte sich wieder.


    "Ach, Mist."

  • Damorg blieb etwas verdutzt auf der Stelle stehen und blickte die Priesterin an. Scheinbar verstand er nicht was vor sich ging. Mit einer fast nervösen Geste fuhr er sich mit der rechten Hand über seine Narbe im Gesicht.


    "Ist alles in Ordnung?"

  • "Ja, alles bestens." Alanis grinste schief. "Wein auf nüchternen Magen ist echt eine schlechte Idee. Im Hospital ist es gerade ein bisschen anstrengend und ich vergesse meist, etwas zu essen."


    Ihre Finger und ihr Gesicht fühlten sich kalt an, trotz der warmen Luft.

  • "Möchtest du noch lieber etwas essen bevor du gehst? Wir haben zwar nicht mehr viel da, aber etwas wird sich sicherlich finden lassen."


    Er Blickte in die Richtung der Anrichte sowie der Speißekammer und überlgte einen kurzen Augenblick.

  • Länger bleiben? Keine gute Idee. Gehen und nach zwei Schritt umfallen? Auch keine gute Idee. Alanis beschlich der Gedanke, dass ihr Leben wieder einmal vollkommen hassenswert war - dass daran aber sicherlich nichts zu ändern war.


    Sie stand wieder auf und horchte in sich und ihren schlotternden Knie hinein. Es würde gehen.


    "Das ist lieb, aber lass mal. Ich gehe jetzt nach Hause, koche mir was und schlafe ein, zwei Stunden, bevor ich wieder ins Hospital gehe."


    Momentan bestanden ihre Tage eigentlich nur aus Essen, Schlafen und Arbeiten. Es wurde wirklich Zeit, dass sie mal wieder aus Renascân heraus kam.

  • Der Priester seufzte leise und warf Alanis einen mitleidigen Blick zu den er nicht verbergen konnte.


    "Wie du meinst. Soll ich dir jemanden suchen der dich begleitet?"

  • "Oh ja. Deine Novizin am Besten. Die würde sich freuen!", gab Alanis trocken zurück und milderte ihre Worte mit einem Lächeln. Sie hatte früher Groll gegenüber Lira empfunden, Abneigung und Eifersucht. Als sie dem Gefühl nun nachspürte, war davon nichts mehr übrig, nur ein mildes Gefühl von Wehmut. "Hat sie Dir eigentlich erzählt, dass sie und ich mal aneinandergeraten sind bei meinen steten Versuchen, mich hier einzuschleichen?"


    Sie legte sich ihren noch feuchten Mantel um die Schultern.

  • Der Priester nickte.


    "Sie hat mir einmal von einer Frau erzählt mit der sie sich hier gestritten hat. Nach ihrer Beschreibung bin ich davon ausgegangen das du das warst. Ja."


    Er blieb an der stelle stehen, lehnte sich nach hinten an die Arbeitsfläche und verschränkte seine Arme vor der Brust.


    "Dann gib ein wenig Acht auf deinem Heimweg und lass nicht wieder fast ein Jahr verstreichen bis du dich blicken lässt."

  • Alanis war schon halb aus der Küche, als sie sich nochmal umdrehte.


    "Werde ich sicherlich nicht", sagte sie, nun wieder ernst. "Aber wann das sein wird, kann ich jetzt noch nicht sagen. Erstmal alles sacken lassen; ich war nicht sonderlich gut darauf vorbereitet, heute herzukommen."


    Sie nickte ihm zu.

  • Alanis sah ihn einen Moment lang an, dann machte sie kehrt und ging durch den Tempel zum Ausgang. Draußen war es noch immer feucht und ein wenig kühler. Sehr erträglich.


    Sie öffnete die Tür und als sie sich hinter ihr geschlossen hatte, blieb sie einen Moment wie verloren und mit hängenden Schultern vor der Pforte stehen. Gegenüber, am Tempel der Fünfe, stand das Sträußchen alter Damen noch immer unter dem Vordacht und tratschte. Eine von ihnen, der Alanis in der vergangenen Woche die gichtigen Knie versorgt hatte, hob grüßend die Hand.


    Alanis straffte ihre Gestalt, setzte ein unverbindliches Lächeln auf und erwiderte den Gruß. Dann ging sie, in Gedanken versunken, gen Unterstadt davon.

  • *später*


    Ein Bursche mit nicht gerade sauberen Kleidern und leichtem Bartflaum betritt, sehr unsicher wirkend, den Tempel. Drinnen sieht er sich um, ein gefaltetes Dokument in die Luft haltend, ohne genau zu wissen, wem er dieses nun eigentlich präsentieren möchten, denn niemand ist anwesend.


    "Hallo? Halloooo?" ruft er gedämpft in den Raum "Ich habe eine Nachricht an den Kestor."


    Warum Meister Solera von der Hafenmeisterei ausgerechnet ihn ausgewählt hatte, das wusste er nun wirklich nicht. Eigentlich wäre er mit dem Herumschleppen und Auflisten von Waren beschäftigt genug gewesen, aber scheinbar sollte es wohl so sein. Die Frau, das hatte er gesehen, hatte mehrere Briefe abgegeben. Und einen hielt er nun in Händen, den er an den Priester Damorg übergeben sollte.


    Es dauerte eine Weile, bis ein älterer Priester aus einem Nebenraum gekommen war, um den Burschen von seiner Nachricht zu erlösen. Zwar nicht Damorg selbst, aber er wollte ihn sofort weiterreichen.


    Und so kam erreichte ein Brief mit heiklem Inhalt, abgesendet von Alanis Tatius, den Priester Damorg.

    Thankmar Rhytanian
    Botschafter Magoniens zu Montralur

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