Der Tempel Kapals

  • Lira wirkte für einen Moment so, als könnte sie sich hundert andere Dinge, die sie lieber täte, als sich jetzt zu unterhalten, doch dann gab sie sich einen Ruck und ging auch zum Tisch. Sogar ein Lächeln erhellte ihr hübsches Gesicht, als sie sich auf einen der neuen Hocker setzte, denn der Gedanke an die Heimat stimmte sie gut.


    "Mir fehlt es hier an nichts, danke." Sie zögerte einen kurzen Moment, weil sie ungern Schwächen zugibt, allerdings ein völliges Fehlen von Schwächen unglaubwürdig wirken mußte. "Meine Brüder und Schwestern fehlen mir etwas."

  • Damorg nickte ihr zu mit einem Schmunzeln auf den Lippen.


    "Ja so geht es den meisten Menschen die hier ankommen. Ich hoffe du wirst dich hier bald genauso wohl fühlen wie in deiner alten Heimat."


    Der Priester schürzte kurz die Lippen als er ihr erneut einen Blick zuwarf, der diesmal fragender Natur zu sein schien.


    "Erwartest du etwas von hier?"

  • Die Floskel am Anfang überging sie, auch, weil sie nicht recht wußte, wie sie damit umgehen sollte.


    "Was ich erwarte?" Das klang nun überrascht. "Ich habe nichts zu erwarten, denn der Herr Kapal trifft für mich die Entscheidungen und ich werde ihnen ohne sie in Frage zu stellen folgen." Letzteres sagt sie mit großer Überzeugung. Die blauen Augen glühen inbrüstig auf.

  • Damorgs Schmunzeln wurde breiter und er nickte der jungen Frau zu.


    "Das sind gut gewählte Worte. Wenn auch nicht ganz richtig. Du triffst die Entscheidungen. Kapal wird dich dabei nur für deine Fehler bezahlen lassen."


    Seine Worte waren weder abwertend noch von Hohn gezeichnet.


    "Es ist aber richtig, dass es Kapals Weg ist der dich hierher geführt hat. Aber ich möchte wissen, was du dir erhoffst."


    Er betonte das "du" um ihr deutlich zu machen, dass er nun eine ehrliche Antwort erwartete und nicht die, welche ihr der Glauben auf die Zunge legte.

  • Lira blickte Damorg einen Moment lang an, so als wolle sie aus dem Ausdruck seines Gesichts erfahren, ob er sie mit seinen Worten prüfen wollte. Ein Anflug von Vorsicht erschien auf ihrem Gesicht, war jedoch sofort wieder verschwunden.


    "Ich will Kapal dienen und ich will es gut tun. In nichts Anderem würde ich mich auszeichen wollen", gab sie zurück, Damorg ein sprödes, aber ehrliches Lächeln schenkend. "Ob nun Renascân oder eine andere der Provinzen, das ist mir gleich. Mit meiner Heimat verbindet mich nichts."

  • "Dann soll es so sein. Ich werde versuchen dir alles beizubringen was dich bei deinem Dienst an Kapal weiter bringt. Aber genauso wichtig ist mir, dass wir uns gut verstehen nur dann können wir selbst ein Bollwerk sein. Eine Gemeinschaft."


    Er räusperte sich und schaute kurz im Raum umher.


    "Auch für mich ist Vieles neu. Ich bin selbst erst drei Jahre hier und nun leite ich einen Tempel, also sprich offen zu mir, auch ich bin nicht frei von Makeln."

  • Lira schien für einen Moment verwundert über seine Worte. Derartige Unsicherheiten, wie Damorg sie eingestand, hätten die Vorsteher des Klosters, aus dem sie kam, niemals zugegeben und sie musste das Verhalten ihres Kestors erst einmal einordnen. Gemeinschaftssinn war wichtig, aber sie selbst hatte gelernt, dass vor allem eine gesunde Rivalität zählt, um sich vom Kapal auszuzeichnen und zu beweisen, dass man für ihn brannte wie Feuer und hart für ihn war wie Fels.


    Sie zögerte einen kleinen Moment.


    "Es steht mir nicht zu, hier irgendwelche Makel zu erkennen", sagte sie vorsichtig, wieder auf der Hut davor, ob er sie nicht vielleicht prüfen wollte mit dem, was er sagte. Dann aber kehrte das Feuer in ihre Augen zurück und erleuchtete ihr hübsches, ernsthaftes Gesicht. "Aber ich wünsche mir auch, dass dies hier ein Bollwerk sein wird. In Stein und in Menschen."

  • "Gut dann werden wir alles Menschen Mögliche dafür tun."


    Der Priester nickte ihr zu, als er aufstand zauderte er kurz. Ob er ihr zuviel verraten hatte? Er wollte aus dem Tempel eine Heimat machen für die anderen, aber auch für sich selbst. Dazu brauchte es Vertraun. Mit einem hässlichen Geräusch schob er den Hocker wieder an seinen Platz.


    "Wann immer du eine Frage hast, stelle sie. Entweder mir oder Growin. Scheue dich nicht eine Schwäche einzugestehen, auch wenn es dir schwer fällt. Nur so kann man sie ausmerzen."

  • Lira war im selben Moment aufgestanden wie er und schob den Hocker zurück unter den Tisch. Sie verzog bei dem Geräusch von frischem Holz auf Steinboden leicht das Gesicht und richtete sich dann zu ihrer leider nicht sonderlich eindrucksvollen Größe auf, den Rücken kerzengerade haltend.


    "Vielen Dank", sagte sie und wirkte zum ersten Mal dann nicht angespannt, sondern dankbar, fast ein wenig peinlich berührt, dass sie seine Freundlichkeit mit Mißtrauen vergolten hatte. "Ich weiß, daß ich noch viel zu lernen habe", gab sie dann zu. Sie lächelte, was sie sehr jung erschienen ließ, ein kurzes Aufblitzen, wie ein Sonnenstrahl auf grauen Meer. Dann zögert sie kurz. "Wird es eine Art - offizielle Eröffnung des Tempels geben?"

  • "Ich denke das wäre durchaus angebracht. Aber das wird noch etwas Zeit haben. Der erste Wintermond wird sicherlich angebracht sein. Es gibt noch immer viel zu tun."


    Der Priester machte sich auf den Weg zur Tür, bevor er die Küche jedoch verlies drehte er sich noch einmal um.


    "Wie alt bist du eigentlich genau?"

  • Damorg schüttelte den Kopf.


    "Nur so. Wenn du hier lebst, sollte ich wenigstens ein paar Dinge von dir wissen."


    Er warf ihr ein kurzes Lächeln zu bevor er sich wieder der Tür zuwendete und sich auf den Weg in die Halle machen wollte.

  • Lira überlegte kurz, ob sie es wagen konnte, die Frage zurückzugeben, auch wenn er schon halb auf dem Weg nach draußen war.


    "Wie alt seid Ihr denn?", fragte sie dann und setzte dann hinzu: "Ihr seid der jüngste Tempelvorsteher, den ich je gesehen habe."


    Letzteres klang nicht herausfordernd, sondern wurde von jugendlicher Neugierde und großem Respekt begleitet.

  • Damorg drehte sich erneut um und lehnte sich mit dem Unterarm in den Türrahmen. Mit einem Schmunzeln nahm er ihre Antwort auf.


    "Fast dreiundzwanzig."


    Er legte seinen Kopf schief.


    "Das stimmt wohl. Aber hier ist wie gesagt alles etwas anders."

  • Lira zog eine nachdenkliche Schnute, erinnerte sich daran, dass sie mit ihrem Kestor sprach und bekam ihr Gesicht wieder in den Griff.


    "Ja, das habe ich schon gemerkt", gab sie schließlich zu und beschloss, sich dem Gespräch dann doch etwas zu öffnen. In ihrem Kloster hatte man ihr hin und wieder vorgeworfen, so höflich zu sein wie ein Kieselstein. Sie wußte zwar nicht, was das mit ihrer Fähigkeit, eine gute Priesterin zu werden, zu tun hatte, aber vielleicht waren die Ratschläge ja nicht vollends unnütz. "Ich finde den Fünfgöttertempel - seltsam. Das ist ungewohnt. Werden wir uns auch um die Nische dort kümmern?"

  • "Ja das ist es wohl. Ungewohnt."


    Damorg warf Lira einen musternden Blick zu.


    "Es war aber zu Zeitden der Gründung einfach nicht anders möglich und es wird sicherlich noch einige Zeit brauchen bis jeder der Fünf seinen eigenen Tempel hat."


    Er leckte sich kurz über die Lippen.


    "Und ja wir werden uns natürlich weiter um die Nische kümmern, erst wenn jeder der Fünf seinen eigenen Platz gefunden hat wird Kapalsflamme dort vergehen."

  • Grüblerisch legte sich Liras mit einigen Sommersprossen betupfte Stirn in Falten und lehnte die Hüfte gegen die Spüle.


    "Es wird Kapal sicherlich sehr gefallen, dass dieser Tempel der Erste ist, der aus dem Fünfgöttertempel hervorgeht", stellte sie dann fest und heftete den Blick wieder auf Damorg. "Mein alter Kestor sagte, der Bau wäre auf Euer Bestreben hin geschehen. Gab es Probleme im alten Tempel?"


    Nun war sie unverhohlen neugierig und es war ihr auch etwas unwohl dabei, solche Fragen zu stellen.

  • Der Priester schüttelte den Kopf.


    "Nein es gab keine Probleme. Ich finde nur das es angemessen ist, dass eine Temepel des Kapal aus Stein errichtet ist und er sich nicht ein Gebäude aus Holz mit seinen Geschwistern teilen muss. Außerdem gebührt jedem der Fünf sein eigener Tempel. Ich habe nur mit dem angefangen, was längst überfällig war."


    Er zuckte im Ansatz mit den Schultern.


    "Ich hoffe die anderen Tempel werden bald folgen."

  • Damorg nickte erneut.


    "Ja das stimmt. Wir sind nun drei Priester und eine Novizin."


    Auch in seinen Worten schwang etwas Stolz mit. Als er die Novizin erwähnte warf er Lira ein freundliches Lächeln zu.


    "Pius wirst du sicherlich auch noch kennelernen, aber er ist von einem etwas anderm Schlag als wir, das merkt man schnell. Deshalb wird er wohl auch drüben im alten Tempel bleiben."


    Der Priester wog seinen Kopf leicht nach links und recht.


    "Außerdem bin ich sehr zuversichtlich, dass wir in den kommenden Monden noch einen weiteren Novizen bekommen werden."