Der Tempel Kapals

  • Die autoritäre Note in der Stimme des Mannes überzeugt Alanis davon, dass dies wohl wirklich der zweite neue Priester ist, der von der magonischen Heimatinsel angekommen ist. Sie preßt kurz die Lippen zusammen.


    "Nein", sagt sie. "Ich glaube nicht."


    Sie atmet tief durch und wartet ruhig ab, was nun geschehen mag. Sie hat sich diese Situation hereinmanövriert, nun würde sie sie auch durchstehen.

  • Alanis seufzt. Der jungen Novizin würde eine Reise in andere Länder gut tun. Aber wer war sie schon, das Mädchen zu verurteilen? Sie selbst war zu Beginn ihrer priesterlichen Laufbahn auch so engstirnig gewesen. Die Priesterin richtet sich auf und schenkt Lira einen langen strafenden Blick, bevor sie sich an Gorwin wendet.


    "Ich wollte den Kestor sprechen. Vom Laufen in den Tempel war niemals die Rede. Aber Eure Novizin hat mich darüber unterrichtet, dass er für eine Ketzerin nicht zu sprechen ist."


    Um die Art der 'Unterrichtung' anzudeuten, blickt Alanis auf den beschädigten Besen.

  • Gorwin blickt zwischen den beiden Frauen hin und her. Er mustert Lira, die in ihrer Empörung wie eine Flamme loht und Alanis, der eine gewisse Art von Kränkung nicht abzusprechen ist.


    "Eine Fremde hier oder eine wahre Ketzerin?" Er sagt es einfach in die Luft, zu niemandem bestimmten, dann wendet er sich an Alanis. "Wenn Lira Euch die Tür des Tempels weist, so ist das unumstößlich", brummt er. Er scheint nicht bereit zu sein, ein mögliches Fehlverhalten der Novizin offenzulegen. Aber der Griff um den Besen in seiner Hand wird fester. Er scheint nicht erfreut.

  • Alanis atmet tief durch. Inzwischen ist ihr vom Stehen vor dem Tempel kalt geworden und da es nun offenkundig keinen Weg hinein gibt, bleibt ihr wohl nur der Rückzug übrig. Aber eigentlich, muss sie sich zugestehen, ist mit dem Bau des Tempels genau das geschehen, was sie erwartet hat. Damorg ist ihr noch einen Schritt weiter entrückt. So sehr es sie auch für ihn freut, dass ihn seine starker Glaube und seine Beharrlichkeit, seine Überzeugungen zu vertreten zu diesem Amt verholfen haben, so sieht sie für sich selbst nur ein weiteres Zeichen darin, dass noch viel mehr zwischen ihnen steht als die Dinge die offensichtlich sind.


    "Ich hatte es auch nicht anders erwartet", gibt sie zurück, dann neigt sie leicht den Kopf. "Guten Tag."


    Sie wendet sich um und geht davon.

  • Gorwin warf Lira einen langen Blick. Diese hielt ihm einen Moment stand, dann sanken ihre Schultern ein Stück herunter.


    "Ja, ich weiß. Ab in die Schmiede und den Besen reparieren."


    Sie sagte es mit der gesunden, leicht aufmüpfigen Resignation der Jugend. Gorwin indes sah der Frau in Grün hinterher, die mit energischem Schritt im Schneetreiben verschwand, dann wischte er sich mit der Hand einige Flocken aus den Augenbrauen.


    "Was wollte sie genau?"


    "Den Kestor sprechen." Lira, schon in der Bewegung, verharrte noch einen Moment. "Eine Ketzerin! Hier in unserem Tempel. Das sollte doch -!"


    "Was sollte und was nicht sollte, entscheidet der Kestor."


    Lira nickte leicht und verschwand nach dieser Zurechtweisung in Richtung der Schmiede, aber nicht, ohne dabei besonders erbost durch den Schnee zu stapfen. Gorwin sah ihr nach und ging dann in den Tempel, um nachzusehen, wo Damorg war.

  • Damorg hatte sich in die steinerne Kammer unter den Tempel zurück gezogen. Beleuchtet wurde der Raum nur durch zwei Fackeln, das Licht reichte gerade einmal um die Umgebung nicht vollständig in der Dunkelheit verschwinden zu lassen. Damorg hatte sich, mit dem Rücken in der Richtung der Treppe, auf den Boden genkniet und hing scheinbar seinen Stillen Gebten nach. Es war kühl unter der Erde, hatte der kalte Winter doch das Erdreich tief gefrieren lassen, so bildeten sich in regelmäßigen Abständen kleine Wölkchen vor dem Mund des Priesters, die als bald in der Dunkelheit vergingen.

  • Gorwin ging langsam die Treppe zum Refugium hinunter. Die Winterkälte schmerzte ihn in seinen Knochen, die den Zoll dafür bezahlt hatten, dass er die Schlachten während des Bruderkrieges, an denen er teilgenommen hatte, überlebt hatte.


    Auf der letzten Stufe blieb er stehen und blickte schweigend in den Raum, in dem der Kestor weilte. Für einen Moment versuchte er zu ergründen, ob er gehört worden war. Wenn nicht, würde er sich wieder zurückziehen und den Tempelvorsteher seinem Gebet überlassen. Sollte Lira noch ein wenig in der Schmiede schmoren und auch die Verärgerung der Fremden war sicherlich kein Grund, um Damorg unnötig zu stören.

  • In der Stille war es für Damorg nicht schwer die Schritte zu vernehmen. Ebenso wenig stellte es für ihn ein Problem da, sie von jenen der jungen Novizin zu unterscheiden. Dennoch verharte er auf seinen Kinien und bewegte sich nicht.


    "Gorwin?"


    Die Stimme des Priesters war ruhig und klang ein wenig belegt vom langen Schweigen. Langsam drehte Damorg seinen Kopf ein wenig zur Seite, bis er den Schemen des alten Priesters in seinem Augenwinkel vernahm.

  • "Verzeiht die Störung, Herr", murmelte Gorwin und ließ sich die Zeit, über den dumpfen Klang seiner Stimme in dem Gewölbe nachzudenken. "Zwei kurze Dinge. Euer Essen steht vor Eurer Tür." Gorwin räusperte sich. Die Worte zu formulieren fiel ihm nicht leicht. "Und Lira hat - sich wieder etwas temperamentvoll in der Öffentlichkeit gezeigt. Nun stellt sich die Frage, wie wir mit Liras Aussage, dass wir keine Ungläubigen in den Tempel lassen, umgehen sollen."


    Das war, so mußte Gorwin zugeben, der eigentliche Grund, weswegen er Damorg gestört hatte. Er hatte keine Ahnung, wie man es mit diesen Dingen in Renascân hielt.

  • In Damorgs schattigen Umriss, der sich gegen das Zwielicht abzeichnete, war ein Nicken zu erkennen. Er räusperte sich leise.


    "Wir sollten in Ruhe darüber reden. Mich würde interessieren was du davon hältst."


    Als sich der Priester erhob, knackten die Knochen in seinen Beinen und im Rücken. Er unterdrückt ein Seufzen im Ansatz und drehte sich zu Gorwin um.

  • Als Damorg an dem alten Priester vorbei ging, um auf der Treppe nach Oben zu gelangen, nickte er mehrmals kurz, es wirkte resigniert. Eigentlich hatte er genau diese Aussage erwartet, aber dennoch etwas anderes erhofft. Wenn er seinen Gefühlen nachgeben würde, wäre seine Antwort klar, aber war das die richtige Entscheidung?


    Langsam setzte er Schritt um Schritt, ohne große Eile. Erst als am Ende der Stufen angelangt war drehte er sich wieder um.


    "Ich werde in Ruhe darüber nachdenken müssen, ob die Regelung die im Tempel der Fünf gilt, auch hier angebracht ist."

  • "Was genau vorgefallen ist, kann ich Euch nicht sagen. Ich habe Lira in die Schmiede geschickt, falls Ihr sie sprechen wollt."


    Der alte Priester nickte Damorg kurz zu. Das war es wohl auch mit seinem Teil des Gesprächs, denn sein Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, dass er sich eher mit der Instandhaltung des Tempels beschäftigte als mit den Fragen, wer denn nun hinein oder hinaus durfte.

  • Damorg nickte und warf Gorwin einen kurzen Blick zu, in der Hoffnung vielleicht doch noch eine kurze Regung in seinem Gesicht zu erkennen. Als er sich bereits daran machte das große Schiff des Tempels zu durchqueren, hielt er noch einmal kurz Inne.


    "Danke, Gorwin."


    Dann ging er weiter.

  • Mit verkniffenem Gesicht saß Lira in der Schmiede und bastelte an dem Besen herum. Gerade hatte sie das Band um das Reisigbündel gelöst und den angebrochenen Stab heraus genommen. Sie wog ihn in der Hand und beschloß dann, dass das nun wahrlich nicht mehr zu reparieren war.


    Also nahm sie sich ein kleines Handbeil und machte sich auf um ein Stück weiter den Weg hinunter einem Haselnussstrauch zu Leibe zu rücken. Die Stecken sollten dick genug und auch gerade sein, so dass sich daraus ein neuer Besenstiel fertigen lassen sollte.

  • Der Weg des Priesters führte zunächst über die Küche in den zweiten Stpck des kleinen Turms, in dem sich das Zimmer des Kestors befand. Vor der Tür nahm er das Essen auf, welches Growin zuvor schon erwähnt hatte und betrat dann das Zimmer.


    An dem Tisch, der sich vor dem Fenster befand, durch welches zu dieser Jahreszeit nur wenig Licht herein fiel, nahm Damorg Platz. Das Essen war kalt, aber das störte den Priester nicht sonderlich, war sein Hunger doch eher gering. So schob er die Brocken mit dem Löffel in der Schüssel hin und her, während er sich mit einigen Gedanken befasst. Nur hin und wieder landete ein halb voller Löffel in seinem Mund.

  • Gorwin machte sich unterdes daran, den Holzstapel neben der großen Feuerschale neu zu beschicken. Dies war eigentlich Liras Aufgabe, aber er konnte sie genauso gut erledigen, während sie in der Schmiede darüber nachsann, was sie getan hatte.


    Ein Schmunzeln stahl sich auf das sonst recht unbewegte Gesicht des alten Priesters. In der jungen Novizin erkannte er sich selbst wieder, vor vielen Jahre, ungestüm, voller glühendem Glauben im Herzen. Wenn sie noch die nötige Disziplin lernte, dann würde sie eine vortreffliche Priesterin abgeben, eines fernen Tages.


    Holz klapperte laut, als er die Scheite neben der Schale zu Boden fallen ließ. Er stapelte sie auf, voller Geduld und voller Akribie, sich neben die Schale knieend, die eine angenehme Wärme durch seine Knochen schickte. Bis auf ihn war der Gebetsraum des Tempels menschenleer.

  • Es verging einige Zeit bis die Schüssel zur Hälfte geleert war und Damorg aufstand. Er nahm das Geschir mit sich nach unten in die Küche des Tempels. Dort wollte er auf Lira warten. Um sich in dieser Zeit nicht ganz nutzlos zu fühlen, began er mit dem Abwasch, die Spuren des Mittagessens war nicht zu übersehen, also stelle er sich an den Spülstein und erledigte die Arbeit.

  • Irgendwann klappte die Tempeltür wieder und Lira brachte einen Schwung kalte Luft hinein, als sie wieder eintrat. Den Besen hielt sie wie ein Fanal vor sich in der Hand und sah sich um. Sie ging an Gorwin vorbei, der noch immer vor der Feuerschale kniete und aufblickte, als sie an ihm vorbeiging, nasse Spuren auf den gerade einmal sauberen Boden hinterlassend. Er deutete mit dem Kopf ein Nicken in Richtung der Küche an und wenig später betrat die Novizin die Küche. Verdutzt blickte sie auf Damorg und den Abwasch. Sofort danach schoss ihr flammende Röte in die Wangen. Immerhin wäre das Spülen ihre Aufgabe gewesen, wenn nicht die Begegnung mit der Ketzerin und der Ausfall des Besens gewesen.