Das Präfekturgebäude (4)

  • Alanis verschränkte ihre Finger entspannt im Schoß. Also begann es jetzt. Sie atmete kurz durch und bemühte sich, Interesse und Entgegenkommen auf ihrem Gesicht zu zeigen.


    "Das ist richtig. Sofern ich nicht auf Reisen bin - was etwa die Hälfte meines Jahre einnimmt -, arbeite ich jeden Tag dort."

  • "Immerhin, immerhin. Man bekommt sicherlich viel zu sehen und hat viele Gelegenheiten für Gespräche und Austausch. Würdet ihr das Verhältnis der Heiler dort, und damit meine ich jetzt alle dort Beschäftigten, von der Leitung bis zur Hilfskraft, als vertrauensvoll einschätzen?"

  • Alanis nickte langsam. Nein, in diesem Fall musste sie nicht lügen. In ihren Worten jedoch klang ihre ureigenste Überzeugung jedoch ein wenig anders - sie vermutete, dass diese Frage in die Richtung ging, mit wem Edric alles über seinen Verdacht gesprochen haben mochte.


    "Nun, ich kann nicht behaupten, dass jeder immer in alles eingeweiht war - wo ist das denn auch so auf der Welt? Doch in allen Fällen, in denen die Mitarbeiter des Hospitals zusammengearbeitet haben, war stets ein sehr hohes Maß an Vertrauen zu spüren."

  • "Ich verstehe. In allen Fällen, in denen die Mitarbeiter zusammengearbeitet haben. Das ist natürlich erfreulich. Ein hohes Maß an Vertrauen ist ausgesprochen wichtig, erst recht, wenn es um wichtige Angelegenheiten geht. Wart ihr mit der Leitung des Hospitals zufrieden? Oder ist euch etwas zu Ohren gekommen? Sei es nun, was die Kompetenz angeht, die Abläufe, die Art und Weise, wie die Dinge geregelt, verteilt und gehandhabt wurden."

  • Alanis lächelte.


    "Ich bin seit fast 10 Jahren Feldscherin und habe auf einigen Schlachtfeldern große Lazarette geleitet. Wäre ich nicht zufrieden gewesen, wäre ich wohl kaum im Hospital beschäftigt gewesen. Ich schätze Meister Edric als einen gewissenhaften, klugen und umsichtigen Mann."

  • "Selbstverständlich, selbstverständlich. Und die anderen Bediensteten sehen das vermutlich ähnlich, nicht wahr? Oder kam es zu irgendwelchen Unstimmigkeiten in letzter Zeit. Zu ungewöhnlichen Konflikten, ungewohnten Verhaltensweisen? Sei es nun bei der Behandlung von Patienten, oder untereinander? Irgendetwas, was das hohe Maß an Vertrauen, die Zusammenarbeit, die Umsicht beeinträchtigt hat? Ungewöhnliche Belastungen womöglich..."

  • Alanis überlegte für einen Moment. Wenn er von den Syphilis-Erkrankungen wusste und sie log, dann wäre das schlecht. Wenn er es nicht wusste, dann könnte es sein, dass sie Edric damit umso tiefer hineinritt. Sie kaute kurz an ihrer Unterlippe. Schließlich entschied sie sich für Ehrlichkeit, soweit es ging.


    "Ich kann nicht in die Köpfe der anderen Heiler schauen, aber ich habe niemals mitbekommen, dass es zu Problemen gekommen ist. Auch nicht, wenn es einmal zu mehr Andrang im Hospital oder ernsteren Fällen kam. Momentan fehlen uns natürlich Jetta und Fergus sowie Delpior, der ja vor einigen Tagen verletzt wurde, aber selbst die Mehrbelastung durch ihr Fehlen war nicht so schlimm, dass es es nicht mehr gegangen wäre."

  • "Ja, dieser unglückliche Vorfall in der Unterstadt, ich habe davon gehört. Höchst bedauerlich, dass dabei ein Heiler zu Schaden kam. Vielleicht wäre Begleitschutz klüger und umsichtiger, oder gewissenhafter gewesen? Oder zumindest jemand, der diesen...diesen...der den Heiler hätte unterstützen können.Hätte das Herr Aristomachinaris nicht bedenken sollen? Oder ließ das Fehlen der anderen dies schlicht nicht zu? Wie seht ihr das, Frau Tatius?"

    Thankmar Rhytanian
    Botschafter Magoniens zu Montralur

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  • Alanis schüttelte den Kopf und nun zuckten ihre Mundwinkel nach oben.


    "Ihr zitiert mich." Dann wurde sie wieder ernst. "Wir sind Heiler und wir sind in Renascân, das ich als sicheren Ort voller guter Menschen kenne. Wir wollen den Menschen ebenfalls Gutes. Wie hätten wir - wie hätten Edric oder Delpior oder ich erwarten können, dass so etwas passiert? Keiner von uns dreien, die wir erfahrene Heiler sind, hat damit gerechnet. Würdet Ihr damit rechnen, zusammengeschlagen zu werden, wenn Ihr an die Tür Eures Nachbarn klopft, weil Ihr ihm mitteilen wollt, dass sein Fenster vom Wind eingedrückt wurde?"

  • "Natürlich nicht. Ich sagte es ja, höchst unglücklich. Ich hoffe, die Genesung schreitet gut voran, schließlich ist er ja in besten Händen, wer wüsste das besser als er selbst? Dennoch, sehr tragisch. Wer hätte dies auch voraussehen können, dass dieser Mann so brutal reagiert. Ja, manchmal neigen Menschen dazu, unerwartete Dinge zu tun, andere gar zu schädigen. Vieles ist unerwartet, unvorhersehbar. Man kann sich manchmal in den Menschen täuschen. Da habt ihr gänzlich recht, Frau Tatius."

  • Die Priesterin nickte leicht.


    "Delpior ist in ein paar Tagen wieder auf den Beinen, ja." Sie sah dem Mann ruhig in die Augen, obwohl der Puls an ihrem Hals deutlich pochte. "Habt Ihr noch eine Frage an mich?"

  • "Einige, ja."


    Stipe Marpus lächelte weiterhin provozierend sanft - und sprach in einem ebensolchen Tonfall.


    "Ihr sagtet ja, dass ihr Herrn Aristomachinaris, beziehungsweise die Hospitalleitung, sehr schätzt. Gibt es jemanden, zu dem Herr Aristomachinaris besonderes Vertrauen hatte? Sicherlich, seine Fähigkeiten und Kenntnisse sind hervorragend, aber auch ein sehr guter Heiler wird sich sicherlich Ratschläge von besonders vertraueten Mitarbeitern einholen."

  • Alanis legte den Kopf zur Seite.


    "Natürlich zu seiner Stellvertreterin Jetta, die ja sonst kaum in ihrer Position wäre. In der Zeit ihrer Abwesenheit habe ich sehr eng mit ihm zusammengearbeitet, was ja auch nötig war, da die Restbesatzung des Hospitals momentan fast nur aus Hilfskräften besteht."

  • "Frau Marwick also. Ich verstehe. Umso bedauerlicher, dass gerade nun Frau Marwick nicht in Renascân weilt, ebenso wie Herr Wolbert. Umso glücklicher können wir uns schätzen, dass die Garde über ein ausgezeichnetes Lazarett verfügt. Ist euch bekannt, ob Herr Aristomachinaris im Rahmen seiner besonders engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Frau Marwick diese auch in die Führung der Bücher miteinbezogen hat? Während ihrer Abwesenheit war dies bei euch ja nicht der Fall, wie ihr sagtet, da habe ich euch doch recht verstanden, Frau Tatius?"

  • "Stimmt, das sagte ich. Ich mache mir nicht viel aus Buchhaltung, weswegen ich mich damit nicht befasse. Jetzt bleibt mir wohl nichts anderes übrig."


    Über die erste Frage dachte sie kurz nach.


    "Was Jetta angeht, so wäre es reine Mutmaßung. Logisch wäre es natürlich, weil vier Augen immer mehr sehen als zwei, aber ich kann mich nicht erinnern, dass ich die beiden wirklich aktiv dabei gesehen hätte, dass sie die Buchhaltung zusammen gemacht haben."

  • "Vier Augen sehen immer mehr als zwei, sehr schön gesagt, ja. Nun ja, ein ungünstiger Zeitpunkt, die Abwesenheit von Frau Marwick. Ebenso wie der Ausfall von...diesem...ungünstig jedenfalls, wenn ohnehin schon zwei bewährte, vollausgebildete Kräfte fehlen. Aber schließlich wächst man ja mit seinen Herausforderungen. Zumindest bis zu einem gewissen Punkt, da werdet ihr mir sicher zustimmen, gerade jetzt, da auch ihr nicht umhin kommen werdet, euch mit den Büchern befassen zu müssen. Herr Aristomachinaris war darin natürlich sehr erfahren, er kannte zweifelsohne in seiner Position die Details und, wie sagt man so schön, die Feinheiten und Kniffe. Ein wunderbar lautmalerisches Wort, wie ich finde. Das kam ihm zweifelsohne zugute, auch in dieser schwierigen Lage, nicht wahr?


    Sagt, Frau Tatius, wirkte Herr Aristomachinaris eigentlich irgendwie angespannt auf euch? Während der Zeit, in der ihr aufgrund der Abwesenheit von Frau Marwick sehr eng mit ihm zusammengearbeitet habt? Sei es jetzt aufgrund besonders schwerer Fälle, wie sie nun einmal auch vorkommen können? Oder aufgrund privater Probleme vielleicht? Hat er jemals etwas in dieser Richtung angedeutet?"

    Thankmar Rhytanian
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  • Alanis schüttelte den Kopf.


    "Nein, von privatem Problemen weiß ich nichts - eigentlich überhaupt nichts über sein Privatleben. In den letzten Tagen war er natürlich ein wenig angespannt, aber das hat mit den Vorgängen zu tun, über die die Präfektur ja schon Bescheid weiß."


    Sie lächelte wieder. Es war Zeit für einen Vorstoß.


    "Aber ich vermute ich bin ja eher hier, um über alles andere Auskunft zu geben und nicht über das, was Ihr schon wisst."

  • "Wofür ich euch natürlich sehr dankbar bin. Ihr wisst also nichts von privaten Problemen, die Herrn Aristomachinaris belastet haben könnten. Allerdings überrascht es mich, dass ihr bei einer derart engen Zusammenarbeit nichts über sein Privatleben wisst. Haltet er es für möglich, dass er es bewusst bevorzugt hat, dies von seinen engen und engsten Mitarbeitern gänzlich abzuschirmen? Das ist doch überraschend. Schließlich arbeitet man tagtäglich miteinander, in gutem Vertrauen aufeinander. Wer weiß, vielleicht hängt sogar das Wohl eines Patienten einmal davon ab, dass der eine auf den anderen zählen kann, vielleicht sogar blind vertraut. Wenn es um Leben und Tod gehen kann. Ist das nicht so, Frau Tatius?"


    Die letzten beiden Sätze betonte Marpus kaum merklich. Aber sie klangen anders.

    Thankmar Rhytanian
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  • "Nun, Herr Marpus, meiner langen Erfahrung als Schlachtfeldheilerin kann ich sagen, dass man mit einem Heiler, den man kaum kennt, dennoch sehr effizient und vertrauensvoll arbeiten kann. Ich maße mir nicht an zu sagen, ob Edric etwas bewußt zurückgehalten hat? Vielleicht hat er das. Vielleicht hat er das auch nicht und ich habe es nicht mitbekommen."


    Sie schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und blickte den Mann weiter offen an. Dennoch spürte sie, wie die Wände merklich näherzukommen schienen.

  • "Wir alle haben Schlachtfelder erlebt. Jeder die seinen. Und alle haben sie gemeinsam, dass sie ihren Blutzoll gefordert haben, ganz gleich, wie effizient und vertrauensvoll auf beiden Seiten gearbeitet wurde. Vielleicht sogar deswegen?"


    Für einen kurzen Augenblick hob Marpus seine Hände, um sie mit den letzten Worten wieder auf den Tisch fallen zu lassen