Ashabas Hütte am Oberen Stichweg

  • Schweigend nickt Ashaba und schaut aufs Meer hinaus. Der Tag wird heiß werden, denkt sie dabei.


    "Irgendwann werden wir alle in einer Taverne sitzen, die einen mit grauen Haaren, die anderen mit gar keinen und drüber sinnieren, was wir anders hätten tun können oder sollen. Und hoffentlich wird dann jemand auf die Idee kommen zu sagen, dass es nicht lohnt sich über vergangene Taten zu ärgern."

  • Alanis lässt sich rückwärts ins hohe Gras fallen.


    "Naja, das ist ein Satz, der sich so leicht sagen lässt!", klingt es zwischen Gänseblümchen, Scharfgarbe und langen Halmen hervor. "Aber der mit Wirklichkeit nun mal so rein gar nichts zu tun hat. Man kommt nicht umhin, im Leben falsch zu handeln und ich glaube nicht an Dinge wie Vergebung und Wiedergutmachung. Es kommt eben nur darauf an, genug Dinge zu tun, über die man sich nicht ärgern kann." Sie verschränkt die Arme unter dem Kopf und zählt kleine Wolkenschafe.

  • "Mit etwas Glück sind wir dann ja auch debil genug ihn zu glauben."


    Ashaba zuckt mit den Schultern.


    "Manchmal wünsche ich mir, dass ich niemals von der Insel hier her gekommen wäre und diese ganzen... Dinge nicht gesehen hätte. Alles wäre so unglaublich einfach und die Welt so klein. Keine Dämonen, die Welteroberer und -zerstörer hielten sich in Grenzen. Untote wären nur ein Märchen und die Götter würden sich nicht für dich interessieren."

  • Ein Arm mit erhobenem Zeigefinger hebt sich aus dem Gras.


    "Ich für meinen Teil habe nicht vor, debil zu werden, sondern immer jung und hübsch zu bleiben."


    Eine kurze Pause entsteht. Alanis wendet leicht den Kopf und blickt zu Ashaba hinüber und in ihrem Blick funkelt Verständnis für das, was der Sergeant sagt.


    "Ja, das wäre alles furchtbar einfach, die Ohren und Augen zu schließen und nichts mitzubekommen. Für den persönlichen Seelenfrieden wäre es nahezu großartig. Kein Schmerz, keine Entbehrung, kein Wahnsinn und keine ewigen Fragen, wie man nur den nächsten Tag überleben soll, ohne an der Welt zu verzweifeln. - Und irgendwann, in ein paar Generationen, wenn es alle so machen wie Du, marschiert dann irgendwann das dunkle Reich über Eure kleine Insel drüber oder der Dämonenmeister aus Aventurien kommt persönlich vorbei. Und Ihr werdet keine Ahnung haben, was Ihr gegen sie tun könnt, außer ihnen zu dienen oder zu sterben."

  • "Ich weiß." meint Ashaba und nickt. "Das war zwar nicht der Grund, wieso ich hier her kam, aber es ist der Grund, wieso ich hier noch bin."


    Langsam schüttelt sie den Kopf.


    "Manchmal muss man Opfer bringen und hoffen, dass man an diesem Opfer nicht selbst zerbricht."


    Sie seufzt tief und lehnt sich ein wenig zurück.


    "Es wäre alles einfacher, wenn man nicht mal das ahnen würde. Aber haben wir nicht alle... das Licht der Wahrheit zumindest zu einem Teil erblickt? Wie könnten wir da noch zurück?"

  • "Licht der Wahrheit?" Die Priesterin stützt sich auf den Unterarmen auf und betrachtet den Marienkäfer, der sich von ihrem grünen Mieder angezogen gefühlt hat und nun darauf spazieren geht. "Das ist eine interessante Formulierung. Viele Menschen verbinden ja 'Licht' mit etwas Gutem, was ich ja schlichtweg ablehnen würde. Ich würde es schlichtweg Neugierde nennen. Bei jedem geht sie in eine verschiedene Richtung und bei Leute wie uns ist diese Richtung eben - interessanter als bei anderen Menschen. Sie geht tiefer."

  • Ashaba verzieht das Gesicht.


    "Licht der Wahrheit ist in diesem Falle wohl nur eine reine Feststellung, weder positiv noch negativ. Aber wenn ich die Wahl hätte, wäre es eher negativ."


    In ihren letzten Worte schwingt Bitterkeit mit, die sie entweder nicht verberge kann oder will. Mit einer schwungvollen Geste säbelt sie noch jeweils ein Stück Käse und Brot ab und reicht es Alanis.


    "Noch Hunger?"

  • "Immer." Alanis setzt sich auf und angelt nach Brot und Käse. Beides ist schneller verschwunden als man sehen kann. "Warum gehst Du den grauen Weg, wenn Dir Erkenntnis und Weiterentwicklung so ein Graus sind?" Fragend richtet sich ihr Blick auf Ashaba, die sich so grundsätzlich von der überzeugten, wohlgesetzten Gestalt unterscheidet, die sie im 'Brennenden Tisch' zur Richterwahl getroffen hat.

  • "Der graue Weg ist das nicht." begehrt sie auf.


    "Der Graue Weg lehrt, was gelehrt werden muss. Manchmal ist es schmerzhaft zu lernen. Aber er zeigt dir niemals mehr, als dir zu wissen beschieden ist. Das Licht der Wahrheit... der absoluten Wahrheit sollte keinem Sterblichen gegeben werden. Es brennt dir alles aus, was du zu wissen glaubst."


    Die Ruhe, die sie gerade wieder gefunden zu haben scheint, droht zu wanken, als sie diese Worte spricht. Auch wenn ihr noch so viel mehr auf der Zunge liegt, bricht sie ab und schaut angestrengt aufs Meer hinaus. Ihr Puls hat sich merklich erhöht.

  • Alanis zuckt kurz zusammen und hebt beschwichtigend eine Hand.


    "Das spricht nicht gegen das, was ich gesagt habe, denn Erkenntnis und Entwicklung sind in allem Lernen enthalten, wie reglementiert es auch immer sein mag - von welcher Macht auch immer, die darüber bestimmt, wie weit wir gehen dürfen. Absolute Wahrheit ist den Elementen vorbehalten - oder Deinen Göttern, wenn Du es so formulieren willst. Wer danach strebt, ist arrogant. Wer es eröffnet bekommt, ist kein Mensch mehr."


    Sie denkt an den Archivar des Wassers, einem Mann, der so viel Wissen gesammelt hatte, dass für alles, was ihn als Menschen auszeichnete, kaum noch Platz gewesen war.

  • Ashaba wirft Alanis einen sinnenden Blick zu. Halim hatte kaum noch etwas menschliches, als sie ihm begegnete. Aber auch nichts Göttliches. Im Grunde könnte man ihn bedauern für das, was er gesehen hatte. Und jetzt stellt sich ihr die Frage, wie viel von ihrer Menschlichkeit sie verloren hat bei diesem Kurzen Aufblitzen des Lichtes.


    "Ja."


    sagt sie etwas gepresst.


    "Ja, das ist wohl so. Wer danach strebt ist dumm."

  • Alanis setzt sich endgültig auf und schlingt die Unterarme um die Knie, die sie anzieht.


    "Tänzeln wir hier gerade um irgendetwas herum?", fragt sie schließlich und ein prüfender Blick trifft Ashaba. "Und von Dummheit habe ich nichts gesagt."

  • "Ich aber. Und das Wort "Dummheit" habe ich durchaus bewusst genutzt. Im Übrigen: Ja, wir tänzeln drum herum wie die Vögelchen im Frühling."


    Die kurze Belustigung, die sich in ihr Gesicht geschlichen hat, vergeht schnell wieder.


    "Entschuldige."


    Sie wischt sich müde über die Augen.


    "Es ist... diese Sache beschäftigt mich. Stets. In den letzten paar Wochen ohne Unterlass. Möglicherweise tut sie das, weil ich mich niemandem mitteilen darf. Das bringt mich noch um und ich bin weit davon entfernt meinen Frieden damit zu machen obwohl ich den Weg bereits gewählt habe, den ich beschreiten werde. Jeder trägt sein Päckchen, nicht wahr? Es wird leichter, wenn man es teilen kann und schwerer, wenn man gezwungen ist, es allein und auf den eigenen Schultern zu tragen."

  • Alanis wirkt fast amüsiert.


    "Du hast eine schwerwiegende Aufgabe und entschuldigst mich bei mir?" Ungläubig schüttelt die Priesterin den Kopf. Ihre Miene wird nun wieder ernst, das leichte Lächeln verschwindet. "Ich hoffe für Dich, dass diese Sache zumindest so sehr dem entspricht, was Du vertreten kannst, dass Dein Weg nicht vollends ein Zwang ist."

  • "Es wäre leicht, wenn ich das sagen könnte."


    Sie lächelt gequält und schon wollen alle Gedanken der letzten Wochen wieder auf sie einstürmen. Um nicht weiter daran denken zu müssen, schüttelt sie den Kopf und versucht ihre Miene zumindest äußerlich aufzuhellen. Es mag ihr nicht ganz gelingen, aber zumindest zu einem Teil.


    "Wie dem auch sei."


    wechselt sie das Thema.


    "Mir wurde zugetragen, dass du dich im Hospital verdingen willst?"

    Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.
    Homunkulus (~835 - 902)

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  • Alanis mustert Ashaba einen langen Moment, dann nickt sie leicht. Der Themenwechsel kann natürlich nicht unbemerkt bleiben, aber sie respektiert ihn ohne Weiteres.


    "Ich brauche eine Aufgabe, wenn ich hier lebe. Nichtstun ist nicht meine Art. Und von Luft und Liebe kann ich nicht leben. Auf Reisen war es kein Problem, genug Geld zu verdienen, sogar soviel, dass ich ein Haus bauen und bis zu seiner Fertigstellung in der Herberge wohnen kann."


    Sie hebt die Schultern.

  • "Im Gegensatz zu anderen Orten dieser Welt ist Renascân ja noch verhältnismäßig günstig. Wenn man irgendwo anders schon Silberstücke zahlt, bekommt man hier die Ware noch für Kupfer. Trotzdem hast du natürlich Recht. Auch diese paar Geldstücke muss man haben. Wie lang bleibst du denn nun? Ich gehe nicht davon aus, dass ihr zwei jetzt Kinder bekommen und sesshaft werden wollt."


    Der letzte Satz war mehr Feststellung denn Frage. Damorg als Vater einer Kinderschar konnte sie sich wahrlich nicht vorstellen.

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    Homunkulus (~835 - 902)

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  • "Wie lange ich bleibe?" Ein seltsames Lächeln zuckt um Alanis Lippen, die sie kurz aufeinander gepresst hat, als Ashaba von Kindern gesprochen hat. Das Aufflackern in ihren Augen lässt erahnen, dass der Sergeant zielsicher ihren Finger in eine alte Wunde gelegt hat. "Einige Wochen, erst einmal. Im Herbst habe ich dem guten Arnulf versprochen, ihn nach Forlond zu begleiten. Falls es da keinen Ärger gibt, bin ich zum Winter wieder hier und genieße zum ersten Mal in meinem Leben die kalte Jahreszeit im eigenen Haus."


    Die Bemerkung mit den Kindern übergeht sie dann vollständig und hofft, dass keine Nachfrage kommt.

  • "Hm, ja, der Katschmarek hat mit mir über diese Sache gesprochen. Die Lage klingt recht aussichtslos. Wie schätzt du sie ein?"


    Wäre ihr klar gewesen, dass sie gerade alle persönlich unangenehmen Themen umschifften, wäre sie wohl dankbar dafür gewesen. So fiel es ihr nicht einmal auf, was ihre Worte bei Alanis auslösten und dass sie diese nicht mehr aufgriff. Der Gedanke an den Priester als Vater war einfach zu absurd.

  • "Du hast vermutlich tiefergehende Informationen, die ich nicht habe. Mein letzter Stand ist, dass das, was einmal die Siedlung war, nach den Auseinandersetzungen mit den Nymbra in recht desolaten Zustand gefallen ist und es wohl noch einen gut ausgebauten Hafen gibt. Mit diesen Nymbra scheint indes so eine Art Friede zu herrschen, aber es gibt Gerüchte, daß irgendetwas Anderes vor sich geht - wohl etwas, das man der Öffentlichkeit nicht enthüllen will."


    Alanis hat sich so weit wieder gefangen, dass sie Ashabas Blick voll erwidern kann. In ihren Augen liegt die stumme Aufforderung, sie beide auf den selben Kenntnisstand zu bringen.