Das Waisenhaus

  • Johanna ließ die Worte auf sich wirken und schwieg für eine kleine Weile. Schließlich nickte sie leicht.


    "Ich vertraue darauf, dass ein Kind bei Euch in guter Obhut wäre. Zunächst möchte ich mit den beiden in Ruhe reden, dann würde ich sie für ein Kennenlernen zu Euch bringen. Ihr lebt in der Präfektur? "

  • "In der Präfektur, ja. Es ist gut, sie zunächst sanft zu fragen. Sie sind beide noch Kinder und es ist ein großer Schritt, vor dem sie sicherlich Angst haben werden. Wer könnte es ihnen verübeln? Wenn sie Zeit brauchen, scheut Euch nicht, sie ihnen zu geben. Da wir sowieso den Winter noch dazu haben, hat es keine Eile."


    Mara-Katharina lächelte leicht.


    "Es könnte ebenso eine Möglichkeit sein, auf lange Sicht eine gute Verbindung abzumachen, sollten sie nicht im Orden bleiben wollen. Auch wenn ich annehme, dass keine der beiden eine Hochzeit derzeit für sehr erstrebenswert halten mag."

  • "In vier, fünf Jahren sieht das vielleich ganz anders aus. Ich habe geheiratet, als ich sechszehn war." Johanna hob leise lachend die Schultern. "Aber es stimmt schon, noch sind sie Kindern. Und es ist gut, dass sie es sein können und hier in einem Umfeld groß werden, in dem sie eine Wahl haben."


    Sie trank noch einen Schluck Tee, der inzwischen merklich abgekühlt war.

  • Überrascht hob Mara-Katharina die Augenbrauen, denn sie hatte Johanna für ledig gehalten. Wäre ein Mann an ihrer Seite bekannt, würde sich ihr Bruder wohl kaum so verhalten, wie er es manchmal eben tat. Aber da sie nicht in der Position war nachzufragen, ließ sie es darauf beruhen.


    "Es ist eine ganz eigene Art von Wohlstand, eine Wahl zu haben."


    Sie lächelte sanft.


    "Auch das ist ein Grund Renascân zu lieben. Hier ist so viel so anders."


    Kurz zögerte sie und sprach dann doch einen Gedanken aus, der ihr bereits seit langem im Kopf herum spukte.


    "Sagt, dürfte ich eine etwas indiskrete Frage stellen?"

  • Eine indiskrete Frage? Johanna schwante Böses, doch sie machte gute Miene dazu. Darin war sie immerhin meisterhaft.


    "Aber natürlich." Sie nickte leicht. Mara-Katharina war sicherlicherlich nicht daran gewöhnt, dass man ihr etwas ausschlug.

  • "Wie ist es... finanziell um das Waisenhaus gestellt? Versteht mich bitte nicht falsch, Schwester. Das Gebäude scheint gut und solide gebaut zu sein und das was ich bisher von innen gesehen habe, ist sehr gemütlich. Aber niemand isst Mauerwerk und Möbel, so schön sie auch sein mögen. Gerade Waisenhäuser müssen gemeinhin mehr Münder durchfüttern, als für ihr Essen arbeiten können."


    Sie schaute Johanna aufmerksam an, etwas unsicher, ob sie mit ihrer direkten Frage zu weit gegangen war.

  • Johanna entspannte sich ein wenig, was man am Herabsinken ihrer Schultern sehen konnte.


    "Ich denke für die kommenden zwei bis drei Jahre sind wir gut aufgestellt, falls nichts Unvorhergesehenes passiert", erklärte sie dann und fügte im Geist hinzu 'Manchmal lohnt es sich eben doppelt, mit einem Mann zu schlafen.'. "Auch wenn wir uns bemühen, dass wir ein eigenes Einkommen aufbringen, um die Kosten zu senken, sind wir immer auf Spenden angewiesen. Und ich habe ein wenig die Ahnung, dass das Interesse für das Waisenhaus abflauen wird, wenn es endgültig nichts Neues mehr ist."

  • Mara-Katharina nickte sinnend.


    "Am Anfang mögen die Leute sich noch sehr lebhaft daran erinnern, dass sie Laya dafür danken sollten, was sie ihnen schenkt. Aber mit den Jahren.... Gedenkt Ihr Vorkehrungen zu treffen für diesen Fall? Ich würde Euch zu gerne dabei unterstützen."


    Die Frau legte die Hände locker gefaltet in den Schoß und sah Johanna an. Bis auf zwei schmale, goldene Ringe trug sie kaum Schmuck. Ihr Schleier und ihr Kleid waren mit einigen wenigen Perlen besetzt, die aber alle nicht von bester Qualität zu sein schienen.

  • "In der Präfektur wurde mir schon vor einiger Zeit dazu geraten, mir einen reichen Gönner zu suchen." Johannas Lächeln fiel nun eher dünn aus. "Ich weiß immer noch nicht so ganz, ob der gute Schreiberling damit andeuten wollte, es sollte optimalerweise ein Mann sein."


    Ihre Stirn legte sich kurz in Falten in der Erinnerung an diese Unverschämtheit und sie hob die Schultern.


    "Alles in allem - ja, natürlich habe ich darüber nachgedacht. Es geht mir aber nicht um Almosen, sondern um Selbstständigkeit. Hätte Ihr dazu eine Idee?"


    Milde, graue Augen musterten die Besucherin.

  • Entrüstet öffnete Mara-Katharina ihren Mund.


    "Das ist doch... wie kann sich jemand derart erdreisten? Wie kann man einer ehrbaren Dame, einer Priesterin gar..."


    Eindeutig ein wunder Punkt.


    "Der Zweck heiligt nicht die Mittel und... Prostitution..."


    Sie sprach das Wort leiser aus, als wollte sie nicht wirklich, dass es jemand hörte.


    "Wenn Ihr erlaubt, werde ich meinen Bruder bitten dem nachzugehen. Dergleichen Unverschämtheiten darf kein Raum gegeben werden."

  • Johannas Augen rundeten sich und ihr rutschte ein "Euer Bruder? Besser nicht!" mit mehr Elan heraus, als sie eigentlich beabsichtigt hatte. Sie schlug eine Hand vor den Mund. Auch hier eindeutig ein wunder Punkt.


    Johanna beeilte sich, ihre Verlegenheit mit einem Schluck Tee herunterzuspülen.


    "Was ich sagen wollte - das ist ein sehr freundliches Angebot, aber ich denke am Ende stände ein Wort gegen das andere. Wobei das meine wohl sicherlich schwerer wiegen würde, aber gerade das versuche ich zu vermeiden."

  • Mara-Katharina krauste die Nase.


    "Das verstehe ich. Aber sollte dergleichen noch einmal vorkommen, so geht bitte dagegen vor. Am Ende stellt dieser Wüstling nicht nur Eure Ehrbarkeit in Frage sondern auch die jeder anderen Dame. Wenn er schon vor einer Priesterin der Bärin nicht Halt macht, wie geht er dann erst mit einer Bauerntochter um, auch wenn die sich nie etwas zuschulden kommen ließ?"


    Sie schüttelte unwillig den Kopf. Die Reaktion bei der Erwähnung ihres Bruders schien sie entweder geflissentlich zu ignorieren oder nicht mitbekommen zu haben


    "Ja, also... Möglichkeiten. Es käme sicherlich darauf an, in welchem Alter die Kinder sind und was Ihr ihnen zumuten möchtet. Auf lange Sicht könnte man einem der älteren Jungen einen Bauernhof geben mit Feldern zu bewirtschaften. Ab einem gewissen Alter könnten die Kinder beim Lesen der Kartoffeln helfen und dergleichen. Es wäre eine sehr direkte Art an Nahrung zu kommen ohne etwas dafür ausgeben zu müssen. Es müsste zunächst eine gewisse Investition getätigt werden um an Saatgut und dergleichen zu gelangen, aber da lässt sich sicherlich etwas machen.
    Eine weitere Möglichkeit wäre, einigen der Begabteren eine Ausbildung in Diplomatik zukommen zu lassen und eine Schreibschule einzurichten, in der man Schreiben aufsetzen lassen kann. In einer Hafenstadt wie dieser ist das sicherlich gefragt. Verträge folgen einer gewissen Ordnung, die jemand ohne entsprechende Ausbildung nicht kennt. Es wäre hier vermutlich ein rares Gut. Sind sie alt genug um ihrer eigenen Wege zu gehen, haben sie bereits eine fundierte Ausbildung, mit der sie in jeder größeren Stadt ein Auskommen haben können."


    Mara-Katharina seufzte leise.


    "Jede dieser Lösungen nimmt ihnen ein Stück Freiheit, was mehr als bedauerlich ist. Aber es gibt ihnen Brot und etwas zum Anziehen."

  • Johanna nickte.


    "Momentan bestellen die Kinder den Garten und unterhalten mit den Erträgen einen Stand auf dem Markt. Das ist unsere erste Einkommensquelle. Die zweite ist, dass die älteren Jungen und Mädchen bei den Ernten anderer Bauern helfen und einen kleinen Lohn erhalten, den ich ihnen zum Teil lasse, damit sie es lernen, mit Geld umzugehen."


    Sie deutete aus dem Fenster.


    "Tatsächlich hatte ich darüber nachgedacht, ob wir nicht tatsächlich noch ein Stück Land in der Nähe erhalten könnten, um es zu bestellen. Sowie die Erlaubnis, im Wald Holz zu schlagen."

  • Überrascht zog Mara-Katharina die Augenbrauen hoch.


    "Ist es denn nicht erlaubt einfach so Holz zu schlagen? Vielleicht gehe ich etwas zu unbedarft an die Sache. Wenn Ihr das so sagt, dann hört es sich nicht so an, als ob noch viel Raum wäre für weitere Betätigung. Könntet Ihr denn mit diesen Erträgen auskommen?"

  • Johanna zuckte mit den Schultern, der weiße Priesterkragen mit der Schwanenbrosche verrutschte ein wenig.


    "Ich habe ehrlich gesagt nicht explizit nachgefragt, aber die Bäume, ebenso wie das Wild sind zumindest in meiner Heimat Bestandteil des Landes und damit Eigentum der Obrigkeit."


    Ihr Teebecher war leer, sie hielt ihn aber dennoch weiter in der Hand, weil in dem gebrannten Ton noch die Wärme des Getränks zu spüren war. Wegen ihrer Erkältung war sie ziemlich durchgefroren.


    "Weitere Möglichkeiten wäre die Anschaffung von größeren Nutzvieh, dann müßten wir allerdings auch anbauen und das Polster, über das wir verfügen, schrumpft deutlich. Zudem wäre auch hier ein Stück Land von Nöten."

  • "Land soll nicht das Problem sein."


    sagte Mara-Katharina.


    "Ich habe mir sagen lassen, dass man hier in Renascân Land schlicht beantragen kann und es dann kostenlos überlassen bekommt. Es gibt nur die Auflage, dass man es nicht veräußern kann. Die Hanggrundstücke direkt am Meer taugen vermutlich sowieso für nicht allzu viel mehr als Weidefläche."


    Sie legte den Kopf ein wenig schief und machte ein betont unschuldiges Gesicht.


    "Ich möchte fast davon ausgehen, dass mein Bruder sich darum reißen wird einen Grundstock an Vieh stellen zu dürfen. Was haltet Ihr von einem Widder und zwei Schafen?"

  • Johannas Lippen zuckten und schließlich musste sie grinsen. Breit, sonnig und fast unwiderstehlich.


    "Das wäre ein ebenso passendes wie praktisches Geschenk. Ich denke ich kläre in den nächsten Tagen, ob es möglich wäre, ein Hanggrundstück zu erwerben und Ihr übernehmt zu geeigneter Zeit den Part, in dem sich der hohe Herr um ein Geschenk reißen wird."


    Zumindest eine kleine Labsal für ihren verletzten Stolz - das mußte sie sich gegenüber klar zugeben. Aber viel mehr noch eine tragfähige Idee für die Zukunft.

  • "Um ehrlich zu sein glaube ich nicht einmal, dass ich viel Überzeugungsarbeit werde leisten müssen. Er ist ein guter Mensch mit hehren Zielen. Nur manchmal sieht er nicht, wo Not am Mann ist und es erscheint manchen wie Gedankenlosigkeit, dass er darüber hinwegzugehen scheint."


    Ihr Lächeln war liebevoll. Sie wusste, dass ihr Bruder stur wie der Bock war, den er im Wappen trug und doch allles für seine Herde tat. In Scorien war Familie alles und Scorien trug er im Herzen.

  • Mara-Katharina nickte.


    "Das hat er schon immer getan. Es ist seltsam, wenn ein Fünfjähriger versucht die so viel ältere Schwester zu beschützen. Er hat zwar seinerzeit furchtbare Prügel bezogen, aber das hielt ihn nicht davon ab, es beim nächsten Mal genauso zu handhaben. Ich hatte furchtbare Angst, als er das erste Mal mit unserem Vater ausgezogen ist um in den Wäldern Claudianer zu jagen. Aber wie sich herausstellen sollte, ist er zäh und bisher ist er immer wieder nach Hause gekommen."


    Sie lächelte versonnen und leerte ihren Becher.


    "Es wäre vermessen zu behaupten, dass irgendein Mensch ausgelernt hätte. Man mag jung oder alt sein, irgendeine Lektion hält die Herrin Akestera doch noch bereit."