Das Waisenhaus

  • Johanna reimte sich aus Mara-Katharinas Worten so einiges zusammen und strich gedanklich ihren Plan, Saarweiler irgendwann mit dem Kopf auf die Tischplatte zu rammen. Sie würde zumindest ein Kissen unterlegen. Oder zwei. Johanna seufzte. Er konnte vermutlich wohl einfach nicht aus einer Haut.


    "Darf ich jetzt einmal eine indiskrete Frage stellen?", erkundigte Johanna sich nach einem kleinen Schweigen.

  • "Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass Euer Name nicht bereits gefallen sei und dass ich versucht habe mir einen Reim darauf zu machen. Genau genommen war ich neugierig, Euch endlich persönlich kennenzulernen. Aber in der Tat bin ich wegen des Ordens hier. Mein Bruder heißt diese Sachen gemeinhin gut, jedoch würde er sie selbst nie anstreben. Und noch ist unsere Tante diejenige, die in diesen Dingen das Sagen hat und mein Bruder hält sich geflissentlich heraus. Dieser Orden ist das Kind der Frauen unserer Familie und er tut gut daran, diese Tradition nicht anzutasten."


    Der Gedanke, dass Johanna meinen könnte, dass Veit sie hergeschickt haben könnte um dem Waisenhaus etwas Gutes angedeihen zu lassen- möglicherweise als eine Art Entschuldigung oder Friedensangebot - , kam ihr scheinbar gar nicht.

  • "Oh - öhm." Johannas Wangen erblühten rosafarben. "Ich meinte eigentlich - nach Renascân gekommen. Nicht zu mir gekommen."


    Ein Lachen gluckste in ihrer Kehle.


    "Aber es ist schön, dass der Punkt jetzt auch geklärt ist."

  • Erst schaute Mara-Katharina reichlich verdutzt.


    "Oh. Naja, ja. Schaden kann es nicht."


    sagte sie und kicherte mädchenhaft. Als ihr aufging, was sie gerade tat, verminderte sie das Kichern zu einem Lächeln.


    "Also hier in Renascân. Teils teils. Bei uns ist es Tradition, dass die Frauen ein Wegebuch führen. Es ist ihre Aufgabe dieses Buch zu füllen mit Wissen, das sie in ihrem Leben erfahren. Einige von uns gehen deshalb auf Reisen. Ist eines dieser Bücher gefüllt, wird es aufgenommen in unsere Bibliothek. Das ist es, was ich gerade tue. Dass mein Bruder hier ist, ist ein Glücksfall, denn ohne ihn wäre ich wohl niemals auf den Gedanken gekommen, dieses Wegebuch hier zu füllen."

  • Die Laya-Priesterin lauschte interessiert.


    "Das ist eine schöne Tradition, muss ich sagen", bestätigte sie dann und ließ damit das Thema 'Veit' erst einmal fallen, weil sie Mara-Katharina nicht zu sehr piesacken wollte. "Die perfekte Verquickung von Dienst an den Göttern und einem entspannten Privatleben. Das haben nicht viele aufzuweisen, die sich so zweiteilen müssen."

  • "Jeder Gläubige tut seinen Dienst an den Göttern auf seine ihm mögliche Weise. Da die Götter mir mehr Möglichkeiten gegeben haben, sehe ich es als meine Aufgabe sie auch zu nutzen."


    Mara-Katharina hielt kurz inne um ihre Gedanken zu ordnen.


    "Aber Ihr habt schon Recht. Bei allem Pathos und bei aller Hingabe muss ich doch zugeben, dass mein Leben meistens recht angenehm und sorglos ist. Umso mehr bewundere ich Menschen wie Euch, die sich niemals einfach zurückziehen um eine Pause zu haben und Ruhe vor der Welt."

  • "Diese Pausen brauche ich auch, aber sie sind meistens nicht lang. Tatsächlich sind die Reisen in die Ferne Erholung für mich, obwohl ich auch dort eine Aufgabe erfülle. Ich habe Orks getroffen, Zwergen und sogar Elben. Einen riesigen Widder, der auf zwei Beinen ging. Werwölfe." In Johannas Gesicht leuchtete etwas auf. "Ich freue mich über jeden Tag, an dem man gänzlich neue Freunde finden kann, ganz gleich, woher sie stammen."

  • Mit großen Augen verfolgte Mara-Katharina diese Aufzählung.


    "Würdet Ihr... würdet Ihr mir möglicherweise zu einem anderen Zeitpunkt die Ehre erweisen und mir von all diesen Sachen erzählen? Diese Erlebnisse, diese... Wesen."


    Sie hatte sich leicht vorgebeugt und ihre Augen leuchteten.


    "Es ist nur, dass ich selbst wahrscheinlich nicht mal einen Bruchteil dieser Sachen mit eigenen Augen werde sehen können oder gar am eigenen Leib erfahren. Aber es ist so furchtbar spannend. Es ist, als würde man Märchen erzählen, die sich aber als wahr herausstellen."

  • Johanna nickte nachdrücklich.


    "Aber selbstverständlich. Die Weitergabe von Wissen ist auch mir wichtig. Hier in der Schule bedeutet Wissen schließlich auch einen guten Start in ein zufriedenes Leben."


    Sie faltete die gepflegten Hände, an denen man jedoch bei genauerem Hinsehen die Spuren von harter Arbeit erkennen konnte, entspannt auf der Tischplatte.


    "Ich schlage vor ich spreche bei Euch vor, wenn ich mit den Mädchen gesprochen habe und bringe sie dann für ein Kennenlernen mit. Seid Ihr in der nächsten Woche gut zu erreichen oder würde ich Euch an gewissen Tageszeiten stören?"

  • Mara-Katharina lächelte leicht.


    "Ich denke ich bin gut zu erreichen. Es gibt nur wenig, was ich nicht für diese Sache unterbrechen könnte."


    Sie erhob sich und strich ein paar Falten aus dem Kleid. Sofort war die Wache wieder vorhanden und postierte sich hinter ihr.


    "Dann werde ich Euch wieder Eurer Arbeit und Eurer Familie überlassen. Habt vielen Dank für die Zeit, die ihr erübrigt habt, Schwester."

  • "Sehr gerne, hohe Dame", lächelte Johanna und begleitete ihre Besucher dann aus dem Haus. Als sie die Küche verließ, schnupperte sie genießerisch. Honig. Daraus würden einige Leckereien entstehen.

  • Der Winter hielt Renascân noch fest in den Händen, und obwohl die Schneedecke unlängst abgeschmolzen war und nur noch dreckige Häuflein hier und dort den Wegesrand säumten, war es immer noch lausig kalt.


    Feine Flocken stäubten vom grauen Himmel herab, als ein etwas zottliger Mann, seinen Mantel eng an sich gezogen und die Kapuze über den Kopf, an das Waisenhaus herantrat und dort anklopfte.


    Mit einem weit geöffneten Mund gähnte er in die trübe Welt. Scheinbar war es einfach noch zu früh am Tag - zumindest für seine Verhältnisse.

  • Überraschend schnell ging die Tür auf - es waren keine sich nähernden Schritte hinter der Pforte zu hören gewesen. Tatsächlich verrieten das Kopftuch und der Korb unter Frau Marthes Arm, dass sie sich landfein gemacht hatte, um in die Stadt zu gehen. Als sie den Besucher sah, machte sie erstmal keine Anstalten, ihn hereinzubitten.


    "Ja?", fragte sie mürrisch - offenbar war auch sie ein Morgenmuffel.

  • Mirav machte keinerlei Anstalten, sein Gähnen vorzeitig zu beenden, als die Tür geöffnet wurde. Und so durfte Marthe noch einen Wimpernschlag den Schlund des Mannes begutachten. Dann schließlich erwiderte er den herzlichen Gruß mindestens ebenso warm


    "Ah, ja, Morgen auch. Ist denn Schwester Johanna auch da?"

  • Marthe machte ein Geräusch, das wie Hrumpf klang und verlagerte den Korb von der einen Armbeuge in die andere.


    "Ja, Ehrwürden ist oben und unterrichtet die Kinder." Sie musterte den Besucher von oben bis unten, wohl, um zu entscheiden, ob es der Besucher wert war, dass sie nochmal durch das ganze Haus lief. "Worum gehts denn?"

  • "Ah. Verstehe. So früh schon Unterricht."


    Der Mann hob kurz beide Augenbrauen, dann blickte er betont verstohlen nach links und rechts. Er hielt eine Hand an eine Seite des Mundes


    "Ach, wegen mir wird sie das gerne unterbrechen."


    Ein schelmisches Grinsen umspielte seinen etwas zottligen Bart


    "Ist was persönliches. SEHR persönlich. Und so."


    Er zwinkerte recht unzweideutig.

  • Marthe legte den Kopf zur Seite und atmete tief ein. Dann stemmte sie die Hände in die recht kräftig angelegte Taille.


    "Für Schweinkram wird se mir nich gestört!", antwortete sie und wirkte recht empört. Dann setzte sie, nachdem ein paar Gedanken durchgesickert waren, hinzu: "Also, nur wenns göttergefällig ist."

  • Mirav presste die Lippen zusammen und zog die Mundwinkel hoch, dabei nickte er heftig


    "Ich versichere, dass es dabei sich um eine göttergefällige Angelegenheit handelt. Und zum Schaden der Kinder wird's auch nicht sein."


    Er bleckte kurz seine Zähne - ein nicht sonderlich gut erhaltenes Exemplar von einem Gebiss.


    "Aber ihr wollt mich doch sicher nicht auf die Herrin selbst schwören lassen, oder? Das wär' ja fast schon...aber das wollt ihr ganz bestimmt nicht. Also wenn ihr dann jetzt bitte Schwester Johanna herbitten würdet, dann wär' ich euch sehr dankbar."


    Ob das nun ein Lächeln oder ein Grinsen sein sollte, was aus seinem Gesicht blitzte, das ließ sich sehr schwer sagen.