Der Dorfplatz von Renascân (3)

  • Eine Gestalt, die in der Frühlingssonne leuchtete wie ein Narzissenfeld, ging mit energischen Schritten genau auf die Prügelei zu und versuchte, sich durch die Reihe der Jungen zu drängen.


    "Auseinander." Johannes Stimme war sanft, aber fest.

  • Die Jungen ließen Johanna widerstandslos durch, zwei machten sogar kehrt und gaben Fersengeld. Als ob man sie nicht gesehen hätte.


    Auch die beiden Kontrahenten ließen voneinander ab. Der Blonde schaute die Priesterin mit großen, ängstlichen Augen an. Das Mädchen hingegen wischte sich mit einer trotzigen Handbewegung ein kleines Blutrinnsal ab, das aus ihrem Mund kam. Aus ihrem Blick sprach keine Furcht, eher zornige Gelassenheit.

  • Sofort ertönte ein Stimmengewirr. Der Blonde zeigte anklagend auf Tia, seine Gefolgschaft stimmte - zumindest zum großen Teil - ein.


    "Die wars. Sie hat Steine nach uns geworfen. Das tut sie immer."


    behauptete er und einige andere nickten bestätigend. Tia hingegen verhielt sich still. Ihr Mund war in einem bitteren Lächeln verzogen, ihr Kopf leicht gesenkt, als gehe sie das alles nichts an. Keineswegs ein Geständnis sondern vielmehr Resignation drückte ihre Haltung aus.
    Der Blonde erntete einen schwer deutbaren Seitenblick, der wohl so etwas wie Verachtung ausdrücken mochte, dann schüttelte sie unmerklich den Kopf.

  • Johanna blickte Tia an.


    "Stimmt das?", fragte sie. Noch immer lag in ihrer Stimme überhaupt kein Vorwurf. "Was könnte wohl ein kleines Mädchen so wütend und unvorsichtig machen, eine größere Gruppe anzugreifen?"

  • Tia hob den Kopf und sah Johanna an.


    "Es wäre doch dumm von mir, sie anzugreifen. Hätte ich die Möglichkeit, würde ich sie lieber gar nicht erst sehen."


    Verächtlich schnaubte sie.


    "Ich sollte auf dem Markt Brot kaufen. Da haben sie mich abgepasst. Sie haben meinen Vater beleidigt."


    Tia verschränkte die Arme und deutete mit dem Kinn auf den Blonden. Aus ihren Augen sprühte der neu erwachte Zorn.


    "Den da hätte ich geschafft, dann hätte er für immer die Klappe gehalten. Und die dort, die sind doch viel zu feige sich einzumischen."

  • Johanna schmunzelte.


    "Genau darauf wollte ich hinaus. Dumm bist Du sicher nicht."


    Ihr Blick wanderte zurück zu dem Jungen.


    "Und was meinst Du dazu? Was würden mir Deine Freunde, die gerade weggelaufen sind, für Geschichten erzählen, wenn ich sie frage, was hier passiert ist?"

  • Ein weiterer der Jungen, dessen Verschwinden die verbleibende Unterstützung auf zwei vermindert hätte, hielt im langsamen Rückwärtslaufen inne und scharrte unschuldig mit den Füßen auf der Erde, als hätte er nie vor gehabt sich in Luft aufzulösen.


    "Ich .. ehm..." brachte der Blonde hervor und schluckte. Ihm war wohl klar, dass er hier eine Priesterin der Herrin Laya vor sich hatte, die er tunlichst nicht anlügen sollte. Jetzt suchte er nach einer Möglichkeit die Wahrheit so zu beugen, dass es keine Lüge war, aber ihn trotzdem nicht bloß stellte. Er warf einen hilfesuchenden Blick zu seinen Kumpanen, die aber damit beschäftigt waren, selbigem auszuweichen.


    "Meine Mutter hat aber gesagt, er habe rumgehurt."


    sagte er dann in der Hoffnung, dass die Autorität seiner Mutter in aus dieser misslichen Lage befreien möge. Tia hingegen ballte wieder die Fäuste, bewegte sich sonst jedoch nicht.

  • "Ah, so ist das." Johanna ließ den Blick zwischen den Beteiligten der Szene hin und her gleiten. "Und wo genau hat dann sie einen Fehler gemacht, der es Dir erlaubt, sie anzugehen?"


    Sie deutete auf Tia.

  • Dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war, der Priesterin das zu sagen, was sie hören wollte oder sich zumindest reumütig zu geben, war an dem Jungen scheinbar vorbei gegangen.


    "Die selbe Brut."


    Kaum war das raus, kam die Erkenntnis scheinbar doch, jedoch wenige Sekunden zu spät.


    "Sagt meine Mutter." kam etwas verspätet und weniger sicher nach.

  • Johanna mußte über den Rettungsversuch etwas breiter lächeln.


    "Also sagst Du, dass die Kinder die Fehler der Eltern in sich tragen und deswegen schlecht sind?"


    Sie sah dem Jungen direkt in die Augen. Interesse lag in den grüngrauen Tiefen und unendliche Milde, aber auch ein Funkeln, das Schärfe versprach, wenn man es zu weit trieb.


    "Habe ich Dich da richtig verstanden? Also würdest Du zum Beispiel auch sagen, dass das Kind einer herzlosen Mutter auch ein herzloser Mensch ist?"

  • Die Kontrahentin war jetzt vergessen. Wie ein Hase in der Falle schaute der Blonde Johanna mit großen, verschreckten Augen an.


    "Nein....?" kam als Antwort, sehr langsam. Es war wohl als Aussage gemeint, schien aber vielmehr eine zerknirschte Frage. Er wusste wohl, dass es ihm jetzt an den Kragen gehen würde und versuchte mühsam den Schaden zu begrenzen.

  • Johanna beugte sich zu dem Jungen hinunter und ihre Mundwinkel hoben sich noch ein Stück weiter.


    "Gute Antwort. Sonst hättest Du mich nämlich beinahe eine herzlosen Frau genannt."


    Eine kleine, aber energische Hand legte sich auf seine Schulter.


    "Es ist gut, auf Deine Eltern zu hören, denn sie haben in ihrem Leben viele Erfahrungen gemacht, die Dir nützen können. Aber hin und wieder vergessen Eltern gerne auch etwas. Zum Beispiel, dass das einzig wahre Urteil über einen Menschen nur die Fünfe treffen können, weil sie alles über ihn wissen. Ganz im Gegenteil zu den Menschen, die niemals alles wissen können."


    Ihr Blick wurde bezwingend.


    "Du weißt nicht, welche Fehler Du selbst in Deinem Leben noch machen wirst. Und ich glaube Du wirst Dich über jeden Menschen freuen, der Deine Fehler kennt, Dich oder gar Deine Kinder aber nicht auf dem Marktplatz beschimpft."

  • Er senkte den Kopf und kaute zerknirscht auf seiner Unterlippe. Tia war scheinbar gar nicht mehr wirklich von Belang.


    "Ja, Schwester Johanna." sagte er obwohl er nicht sicher war, dass er alles verstanden hatte.


    Zumindest konnte er sich jetzt überhaupt nicht vorstellen, dass er mal Kinder haben könnte. Urks.. Ob er seiner Mutter sagen sollte, dass sie....? Für den Moment entschied er sich dagegen um einer zweiten Schelte zu entgehen. Vielleicht irgendwann einmal.

  • Johanna forschte im Gesicht des Jungen nach und seufzte innerlich. Mal sehen, wie lange das halten würde -.


    "Dann ab. Geh spielen, solange Du noch die Zeit dafür hast", sagte sie und deutete auf die freien Dorfplatz.

  • Und schon stob der Junge mit seiner Gefolgschaft davon.


    Tia, die davon ausging, dass das jetzt noch nicht zu Ende war, blieb wo sie war. Ruhig schaute sie der Bande hinterher. Ihre Unterlippe war leicht angeschwollen, aber sonst schien sie bei bester Gesundheit zu sein, wenn man den Staub auf ihrer Kleidung nicht mit zählte.
    Sie schaute Johanna an und hob einen Mundwinkel, der mit mehr Enthusiasmus als Lächeln hätte gewertet werden können.


    "Ihr werdet mich jetzt nicht so einfach davon kommen lassen, oder?" stellte sie mehr fest als dass sie fragte.

  • Für einen Moment stockte sie, dann schlug sie einen anderen Weg ein.


    "Ich weiß, ich hätte einfach weiter gehen sollen und nicht auf das hören, was sie sagen. Vielleicht hätte ich auch einfach einen anderen Weg nehmen können. Ich habe ihn zuerst geschlagen."


    Das letzte Bekenntnis klang trotzig.


    "Aber eigentlich war es das nicht wert. Ich weiß."

  • "Ja, dass Du ihn zuerst geschlagen hast, habe ich gesehen", sagte Johanna trocken und kramte in ihrer Umhängetasche, um Tia ein Taschentuch daraus zu reichen. "Hier. Dein Gesicht sieht als, als wärst Du vom Karren überfahren worden."

  • Etwas zögerlich nahm Tia das Taschentuch an und tupfte sich an der Lippe herum. Testweise fühlte sie mit der Zunge die Schwellung und zuckte dann mit den Schultern.


    "Danke. Wird wohl gehen. Ich sah schon schlimmer aus."


    stellte sie fest und hielt etwas unschlüssig, was sie damit tun sollte, das Taschentuch in der Hand.