Auf der Reise ...

  • 14. Amethyst 251 nach Jargo
    An Bord einer Brigg auf hoher See


    Die Sonne befindet sich noch auf dem Weg zum Zenit und schon jetzt ist der Tag warm und schwül. Askir lockert sich die Halsbinde, während sein Blick über das Deck schweift. Das morgendliche Schrubben der Planken ist schon kaum mehr zu erkennen, denn an vielen Stellen tropft und fließt das schmelzende Teer aus den Plankenstößen heraus und hinterlässt hässliche, schwarze Flecken. Unter den Schuhen und blanken Fußsohlen der Matrosen wird er dabei mehr oder minder gleichmäßig über das Deck verteilt. Dies gefällt auch nicht dem ersten Offizier des Schiffes, der vom Achterdeck mit missmutiger Miene sein Schiff betrachtet.


    Schon seit drei Tagen liegt die "Kalypso", eine eigentlich schmucke Brigg, in den Kalmen fest, wo sie sich schlingernd und dümpelnd zum Takt der Wellen bewegt. An den Landlubbern an Bord, die noch keine Seebeine besitzen (und von denen einige diese auch nie entwickeln werden), kann man erkennen, dass diese Schiffsbewegungen für einen feinfühligen Magen schlimmer sind, als der Tanz über hohe Brecher in einem ausgewachsenen Sturm. Ihr Mageninhalt hatte sich (zur nicht besonders großen Freude der Crew) an der Reling hinunter zu den Abfällen und Exkrementen gesellt, die sich langsam aber sicher rund um das in der Flaute liegende Schiff ausbreiten und die Seefahrt ohne Wind auch in ein olfaktorisches Erlebnis verwandeln.


    Für ein paar Tage wird noch genug Trinkwasser an Bord sein, auch wenn der Kapitän dieses heute sicher noch rationieren wird. Denn es wäre nicht das erste Mal, das die Mannschaft eines Schiffes in einer solchen Flaute verdurstet wäre. Doch noch hat man an Bord die Hoffnung, dass die Flaute nicht lange anhält. Die selbsternannten Hellseher unter den Matrosen deuten die Wolken am Horizont und jede einzelne größere Welle als gutes Vorzeichen. Der Kapitän hat alle Segel, sogar die Royals, setzen lassen, um selbst den kleinsten Windhauch, so er sich denn zeigt, nutzen zu können. Es ist alles getan, was man in einer solchen Situation machen kann, und auch Askir weiß aus seiner langjährigen Erfahrung als Seefahrer, dass man jetzt nur noch warten kann.


    Nachdem der Schiffsarzt der "Kalypso" im letzten Hafen den Helden spielen musste, in dem er sich in einer mehr berüchtigt als berühmten Taverne in den Streit um eine Dirne einmischte, war das Schiff um einen Heiler ärmer: Dieser trieb am nächsten Morgen mit einem Dolch zwischen den Schulterblättern kopfüber im Hafenbecken. Glück für Askir, der als Schiffsarzt auf der Brigg anheuern konnte, denn wie auf den meisten Schiffen sind die Kapitäne froh, wenn sie überhaupt Jemanden finden, der halbwegs vernünftig eine Wunde nähen und einen Bruch richten kann. Auch, weil das die Matrosen beruhigt, die an Deck und in der Takelage eine nicht ungefährliche Arbeit verrichten.


    Der „Humpen-Baron“ seufzt leise, als er daran denkt, dass er im Lazarett noch nach seinen Patienten schauen muss. Ein Matrose mit Syphilis und eine Toppgastin mit einem Leistenbruch (dem typischen Matrosen-Leiden). Das Lazarett liegt, wie sein „Arbeitszimmer“ im Orlop tief unten im Schiffsrumpf. Bei der seit Tagen anhaltenden Hitze eine reine Sauna, in dem unablässig das Tropfen des Teers aus den Plankenstößen zu vernehmen ist und auch die ersten kleine Rinnsale Meerwasser durch den Rumpf dringen. Ein Ort, in dem man sich derzeit nicht gerne aufhält und weshalb Askir auch das Aufräumen der kleinen Kajüte mit den Arbeitsutensilien, die ihm sein Vorgänger in heillosem Durcheinander hinterlassen hat, seit Tagen vor sich her schiebt.


    Die aufgeregten Stimmen aus dem Fockmast lenken die Aufmerksamkeit des Mannes aus Havena dorthin, wo einige Matrosen wild gestikulierend nach Osten zeigen. Wortfetzen, die Wörter wie Wolken, Türmen und Sturm beinhalten, dringen an seine Ohren. Sein Blick gleitet nach Osten, wo aber noch kein Wölkchen über der Kimm zu sehen ist - doch das hat wenig zu sagen, hat man von der Fockbramsaling durch den höheren Standort und kann weiter über den Horizont hinaus blicken. Das Leuchten in den Augen des Kapitäns, der aus seiner Kajüte kommend aufs Achterdeck tritt, lässt jedoch die Hoffnung erahnen, welche in den Herzen aller Männer und Frauen an Bord aufglimmt.


    Erwartungsvoll hoffend lehnt sich Askir an die Finkennetze der nach Osten liegenden Steuerbordseite und blickt auf das Meer hinaus …

    "Das sicherste Mittel, arm zu bleiben, ist ein ehrlicher Mensch zu sein." (Napoleon)

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  • Ein freudiger Aufschrei von etlichen Kehlen ist zu vernehmen, als die Royals die ersten Böen des herannahenden Sturmes einfangen. Ein erleichterter Aufruf, der von den Offizieren mit knappen Befehlen unterdrückt wird. Auch wenn der schnelle und wenige Kauffahrer keiner Marine angehört, so herrscht, ausgehend von den in der Marine groß gewordenen Offizieren, der Geist und die Zucht einer Marine auch auf der „Kalypso“. Die Pfeife des Bootsmannmaates beginnt zu trillern.


    Askir, der schon einige Zeit auf den Fußpferden der Großbramrah steht und mit freudiger Aufregung den aufziehenden Sturm, gut erkennbar an den hoch aufragenden, gewaltigen Wolkentürmen über der Kimm, beobachtet, hört das Pfeifen auch an seinem Platz hoch oben in der Takelage. Kurz zuckt er zusammen, denn seine Instinkte aus seiner Zeit als Toppgast funktionieren noch. Gleichzeitig wird er gewahr, dass sein Rückweg nun von den Männern und Frauen belegt sein wird, welche just in diesem Augenblick die zwischen den Wanten befestigten Webleinen nutzend aufentern.


    Schneller, als man von einem Mann seiner Statur erwartet hätte, überwindet er die wenigen Meter zur Großbramsaling, wo er sich an die Bramstenge drückt, um die aufenternden Matrosen vorbei zu lassen. Wenig später haben diese ihre Plätze auf den Fußpferden eingenommen und Askir steigt zum Deck hinab. Befehle der Offiziere hallen empor und die ersten Eimer mit Meerwasser schweben zu den Rahen empor. Dort nehmen sie die Toppgasten in Empfang, um das salzige Nass über den Segeln auszuleeren.


    Kaum die Decksplanken wieder unter seinen blanken Füßen eilt der vertikal herausgeforderte Mann einem Niedergang entgegen, um den Matrosen nicht im Wege zu sein, die schon am laufenden Gut bereit stehen. Vom Hauptdeck geht es zum Unterdeck und den nächsten Niedergang hinab ins Orlopdeck. Unter seinen Füßen beginnt der Schiffsrumpf bei der zunehmenden Dünung leicht zu rollen, während Askir seine Schritte zur Krankenstation lenkt.


    Aus fiebrigen Augen blickt ihm der Koch entgegen, dessen kupferfarbenen Knötchen auf der Haut gerade von dem Loblolly mit einer Paste aus Quecksilber und Schweinschmalz bestrichen werden. Askir tritt an ihn heran und betrachtet die Papeln etwas genauer - ohne diese jedoch zu berühren. “Das sieht ja schon besser aus, als noch vor ein paar Tagen. Und wenn wir aus der Flaute und damit dem Gestank raus sind, dann dürfte das auch seinen Teil zur Genesung beitragen.“ Er blickt den Loblolly an. “Ich denke fünf Tropfen Quecksilber nach dem Backen und Banken können nicht schaden.“


    Dann wendet er sich zu der Matrosin, die in der anderen Hängematte im immer stärker werdenden Seegang hin und her schaukelt. Sie blickt ihn voller Vorfreude über die Stimmen und Geräusche an Deck, die sie als alter Salzbuckler wohl zu deuten weiß, an. Askir nickt ihr freundlich zu. “Ja, es scheint als wäre die Flaute zu Ende. Doch es könnte in den nächsten Stunden stürmisch werden.“ Er löst den kombrimiernden Druckverband, bevor er mit geschlossenen Augen die Leistengegend der Matrosin betastet. Besorgt zieht er die Brauen zusammen. Mit ängstlicher Miene blickt die Frau ihn an. Mit einem leisen Seufzen blickt er sie an. “Der Bruchsack hat sich trotz des Verbandes vergrößert - wir werden operieren müssen. Kein großer Eingriff, aber wir werden bis nach dem Sturm warten müssen. So lange musst Du liegen bleiben.“


    Der Blick der Toppgastin schwebt zwischen Sorge und Verärgerung, doch Askirs Worte waren fest und bestimmend. Er wendet sich von ihr ab, auch damit sie nicht die gleichen Gefühlsregungen in seinen Augen sieht. Auch wenn er schon einige Operationen durchgeführt hat zählt es nicht zu den Dingen, in denen er sich sicher ist. Im Endeffekt kann er nur auf sein Glück und damit auf Phex vertrauen. Sonst möge Boron ihrer Seele gnädig sein.


    Nach einem kurzen Nicken in Richtung des Loblollys betritt er sein „Arbeitszimmer“ und schließt hinter sich die Tür. Mit Freude quittiert er die Feststellung, dass es merklich kühler wird und dass das Geräusch von am Rumpf abfließenden Wasser wahrnimmt. Er setzt sich auf einen der zwei in der Kajüte vorhandenen Stühle und denkt an seine Operationen zurück. Auch an die Operation nach einem offenen Beinbruch in Lupien und an die Operation an Giacomos bestem Stück in Mythodea. Bei letzterer Erinnerung huscht ein amüsiertes Lächeln über seine Lippen …

    "Das sicherste Mittel, arm zu bleiben, ist ein ehrlicher Mensch zu sein." (Napoleon)

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  • Schröpfköpfe, rostiges Skalpell, Aderlass-Schale, Nadeln, Klistier, Knochensäge, Knochenbohrer, scharfes Skalpell, noch mehr Nadeln (da drunter auch eine Stricknadel), Zange zum Zahnreißen, Faden, Tupfer, Eimer für Amputationen, Glüheisen, Katzendarmfaden, mehr oder minder saubere Verbände und Tücher, Schüssel, Glas mit toten und mumifizierten Blutegeln, Wundhaken, …


    Askir wirft einen prüfenden Blick auf die Sachen, die er in der Truhe und dem alten, schon leicht verschimmelten Schrank, die in der kleinen Kajüte stehen, gefunden hat. Mehr Sachen, die man gebrauchen kann, als er ob der Unordnung erwartet hatte. Er ruft seinen Loblolly, der nach wenigen Augenblicken erscheint. “Nimmt die Sachen und wirf sie für ein paar Minuten in kochendes Wasser. Natürlich nicht die Blutegel, die kannst Du in der See bestatten. Die Verbände und Tücher wächst Du. Und dann kannst Du die Truhe und den Schrank mit Wasser und ein paar Tropfen Schnaps auswischen.“ Nach Bestätigung der Order durch ein Kopfnicken verschwindet der Stumme, dem man vor Jahren wegen irgendeines Vergehens die Zunge heraus geschnitten hat.


    Der Aventurier wendet sich derweil der Schiffsapotheke zu, in der er unter anderem Rosenwasser, Chinarinde, Quecksilber, Öl, Kalk, Schweineschmalz und Schnaps findet. Das Einzige, das ihm Sorgen bereitet, ist der nicht vorhandene Vorrat an Früchten an Bord. Durch den Dolch im Rücken verhindert hatte sein Vorgänger nicht mehr für Nachschub sorgen können - und er selber war so kurz vor dem Auslaufen an Bord gekommen, dass ihm das Fehlen erst aufgefallen war, als die Brigg schon außer Sichtweite des Landes war. Wenn man nicht ein Eiland oder einen Hafen anläuft, um den Mangel zu beheben, kann er sich bald auf die ersten Fälle von Skorbut einstellen. Ein Gedanke, den er aber noch verdrängt.


    Fast verliert er den Halt, als er die Türen des Schrankes verschließt. Das Schiff kränkt stark nach Lee. Askir taumelt etwas, bevor er sich fängt. Er greift nach seinem Mantel, den er sich auf seinem Weg zum Deck überstreift. Zwei Stufen auf einmal nehmend verlässt er das Orlopdeck und wirft im Unterdeck einen Blick durch den Rumpf, in dem zur Schlafenszeit die Matrosen, die keine Arbeit verrichten müssen, in ihren Hängematten dicht an dicht schlafen. Wieder kränkt das Schiff, dieses Mal jedoch scheint der Wind achterlicher einzufallen. Der Rudergänger hat die Brigg vor den Wind gedreht.


    Prüfend hebt Askir seinen Kopf aus dem Niedergang hinaus und wirft einen Rundumblick über das Deck. Dort sind die Matrosen damit beschäftigt die auf dem Deck verlastete Ladung zu sichern und Leinen über das Deck zu spannen. Unverkennbar: Da ist kein großer Sturm im Anzug, den es abzureiten gilt. Ein Blick in die Takelage unterstützt diese Einschätzung: Die Sturmsegel wurden gesetzt - und selbst diese nur gerefft. Und trotz der geringen Leinwandfläche fliegt das Schiff schon förmlich vor dem Wind. Getrieben in der grünlich schimmernden Weite der See, die mit den ersten, noch kleinen Brechern über die Reling und durch die Finknetze auf das Deck schwabbt.


    Der „Humpen-Baron“ zieht seinen Kopf wieder zurück und eilt, mit seinen Seefahrerbeinen die Schiffsbewegungen ausgleichend, über das Unterdeck nach achtern. Wenig später steht er in seiner kleinen Wohnkajüte und sucht im Seesack nach seinem Heilerbesteck. Bei einem Sturm ist mit viel Arbeit zu rechnen …

  • 16. Amethyst 251 nach Jargo
    An Bord der Brigg „Kalypso“ auf hoher See


    Mit starker Schlagseite pflügt die Brigg durch die schäumende See. Brecher, halb so hoch wie der Großmast, bäumen sich auf der Luvseite des Schiffes auf. Zwei Rudergänger stehen ohne Pause an dem Steuerrad und mit aller Kraft suchen sie den Zweimaster vor den Wind zu halten. Unter achterlich einfallenden Wind reitet die „Kalypso“ den Sturm ab. Mehr als ein Gebet hat Askir schon in den endlos und niemals endend wollend erscheinenden Stunden an Efferd gesandt. Auf dass keine gebrochene Rah, Spiere oder Stenge dem Schiff den Schwung nimmt, es vom Kurs vor dem Wind abbringt und unter einer quer auflaufenden Woge begräbt.


    Ohne Unterlass, jede kleine Pause für ein Minuten Schlaf nutzend, arbeiten die Männer und Frauen an Bord. Kämpfen gegen die Naturgewalten, die das Schiff und sie zu verschlingen trachten. Kaum ein Platz auf und im Schiff, in dem es noch trocken wäre. Klamm und feucht die Kleidung bis auf die Bruche. Kalt und durchweicht der Schiffszwieback, das einzige Essen in diesen Stunden, in denen das Feuer in der Kombüse aus zu bleiben hat. Drei Kameraden gingen über Bord und ihre vor Schreck geweiteten Augen waren der letzte Anblick, bevor ihr Leib von der tosenden See verschluckt wurde.


    Fluchend wirft Askir seine Galena dem grünen Nass entgegen. Fest hält seine linke Hand eine der über das Deck gespannten Leinen umklammert. Erst vor wenigen Minuten war er aus dem feuchten Dunkel des Orlops an Deck getreten, um eine Galena zu rauchen. Doch das Spritzwasser eines Brechers hat ihn nur wenig später durchnässt - einschließlich seiner Galena. Auch wenn er nicht, wie in seinen früheren Zeiten, in der Takelage rumklettern musste, liegen arbeitsreiche Stunden hinter ihm. Mehr als ein Matrose hatte in der Takelage oder auf dem Deck den Halt verloren und hatte so den Weg zu ihm gefunden.


    Mit schnellem, kundigem Blick schätzt Askir die Lage an Deck ein. Es bestätigt sich, was er sich schon im immer voller werdenden Lazarett gedacht hatte: Wie viele Kauffahrer hatte die Brigg keine große Besatzung, da jeder Platz für Handelsgüter gebraucht wurde. Wenn der Sturm unvermindert anhält und weiterhin Matrosen ausfallen wird bald der Kapitän selbst aufentern müssen, um die Segel zu bedienen. Oder - Phex und Efferd bewahre - er selbst. Ein letzter Blick gleitet hinauf zu den tief hängenden, schwarzen Wolken, dann hangelt er sich hinüber zum nächsten Niedergang und steigt diesen hinab …

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  • 22. Amethyst 251 nach Jargo
    An Bord der Brigg „Kalypso“


    Bis gestern hat der Sturm gewütet und viele der leichteren Fälle waren in ihren Matten im Mannschaftslogis verstaut worden, da der Platz im Lazarett nicht mehr ausgereicht hat. Erschöpft von den unzähligen Stunden, in denen er gearbeitet hat, sitzt Askir gemeinsam mit Fion am Bugspriet. Schweigend rauchen die beiden Männer ihre Galenas. Fion, der als Smutje an Bord angeheuert hatte, konnte seit diesem Tag auch das Feuer in der Kombüse wieder entfachen, so dass die Mannschaft heute auch ihr erstes warmes Essen seit Tagen zu sich nehmen konnte.


    Fion und Askir waren überein gekommen, dass sie das Schiff im nächsten Hafen, welcher das auch sein mag, verlassen werden. Erst die Flaute, dann der Sturm, weit vom eigentlichen Kurs abgekommen, die ersten Fälle von Skorbut unter Deck – nein, das Schiff war nicht vom Pech verfolgt. Askir hatte zudem den Verdacht, dass ein „Paulus“ an Bord ist. Der Maat war ein ständig vom Alkohol benebelter, unfähiger und brutaler Mann. Und er war der Schwager des Schiffeigners. Nein, auf einem Schiff mit einem „Paulus“ kann ein Seefahrer nicht ruhigen Gewissens bleiben …

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  • 29. Amethyst 251 nach Jargo
    An Bord der Brigg „Kalypso“


    Askir schlägt die Augen auf. Über seinem Kopf schwingt seine Koje im Rhythmus der Schiffsbewegungen. Schweißtropfen stehen auf seiner Stirn. Die Augen starren weit aufgerissen an die Decke. Nur langsam beruhigt sich sein Atem. Langsam dringen die Geräusche der knarrenden Masten und des an den Planken ablaufenden Wassers in sein Bewusstsein.


    Er war zurück, wie man es ihm prophezeit hatte: Er wird im Schlaf derselben Nacht zurück kehren, in der er von seinem Drachen nach Weltenwacht entsandt wurde. Doch scheinbar hatte sich an seine Rückkehr im Schlafe ein Traum angeschlossen. Kurz setzt sein Herz aus, als er sich für einen Augenblick fragt, ob es nur ein Traum war.


    Der Mann dreht sich auf die Seite und greift zu seinem Seesack, der nicht weit von ihm auf dem Boden liegt. Mit zittrigen Fingern sucht er in dessen Inneren, bevor er eine Flasche Portwein heraus nimmt. Es dauert eine Weile und mehr als ein Fluch kommt über seine Lippen, bevor er die Flasche geöffnet hat und an seine Lippen setzt. In gierigen Schlucken fließt das Gesöff seine Kehle hinunter.


    Tief atmet er durch, während die Bilder seines Traumes noch immer vor seinem inneren Auge aufflackern. Die kalten Finger der Nebelschwaden umfangen ihn, Fesseln gleich. In seiner Nase liegt der Gestank, welcher aus dem Nebel zu ihm dringt. Der faulige Geruch von Verwesung und der Süßliche frischen Blutes. Schatten schälen sich aus dem Nebel hinaus. Sein Atem wird schneller, doch zu bewegen, zu fliehen vermag er nicht.


    Er nimmt abermals einen Schluck aus der Flasche, während zwei Gestalten, dicht an dicht, auf ihn zu torkeln. Im Ungleichgewicht befindlich zwei Körper, mit Ketten und Tauen aneinander gebunden. Fäden im Fleisch an jenen Stellen, an denen sie aneinander genäht. Tiefe Wunden in ihren Leibern künden von unendlichem Leid. Die Töne, welche ihren aufgesprungenen Lippen entweichen, sprechen von unsagbarem Schmerz. Das unendliche Dunkel in ihren fahlen, tief liegenden Augen zeugen von ewiglicher Pein.


    Askir beginnt am ganzen Körper zu zittern, die Flasche entweicht seinem schwach werden Griff. Ohne, dass er es wahrnimmt schlägt sie auf den Planken auf und rollt, den Schiffsbewegungen folgend, über den Boden. Wie eine Spur frischen Blutes glänzt der rote Wein auf dem Holz. Hinter den gequälten Kreaturen schält sich eine weitere Gestalt aus dem Nebel. Das Funkeln unter der Kapuze ist unmittelbar auf Askir gerichtet. Die blutbesudelte Schlächteraxt schwingend zerteilt er den Nebel und fordernd streckt er die Hand nach Askir aus …


    Die ersten Sonnenstrahlen dringen gerade über die Kimm, als Askir auf das Deck hinaus tritt. Torkelnd gelangt er an die luvseitige Reling. Die Finkennetze mit festem Griff umfassend streckt er sein Gesicht dem Wind entgegen. Weiß treten die Knöchel seiner rechten Hand hervor, in deren Inneren er das Amulett mit dem Zeichen des blauen Drachens fest umklammert hält. Schwer geht sein Atem und aus seinen übernächtigten Augen, unter die sich tiefe Ränder eingegraben haben, blickt er auf die weite See hinaus …

  • 31. Amethyst 251 nach Jargo
    An Bord der Brigg „Kalypso“


    Über der Kimm sind die ersten Gipfel der Berge des näher kommenden Festlands zu sehen. Möwen fliegen kreischend ihre Kreise um die Mastspitzen. Der Geruch des salzigen Wassers trägt schon die Verheißung von Land in sich. Schon bald wird die Brigg in eine Bucht einlaufen, in der sich ein Hafen befindet, wo Fion von Bord gehen wird. Er hat sich, ebenfalls noch erschüttert von den Ereignissen in Weltenwacht, vornehmlich von den aus der Niederhölle zu kommenden Kreaturen, entschieden nach Dargaras zurück zu kehren. In der Taverne „Zur tanzenden Plautze“ möchte er zur Ruhe kommen.


    Askir, der einer Galena frönend am Bugspriet sitzt, hat sich entschieden doch noch etwas auf See zu bleiben. Ob auf diesem oder einem anderen Schiff wird sich zeigen. Doch letztendlich ist es die frische Seeluft, die für ihn den Duft der Freiheit in sich birgt und die er jetzt so bitter nötig hat. Soviel Zeit, die er in der Krankenstation entbehrlich war, hat er an Deck verbracht, um die Alpträume hinfort wehen zu lassen. Doch noch immer Kreisen seine Gedanken fast unentwegt um die Ereignisse, die er an dem Ort, an den ihn der Blaue entsandt hat, miterleben durfte und musste.


    Inat kämpfte für den Kupfernen. Wenn nicht bis zum Ende, so doch am Anfang. Der Kupferne steht für die Herrschaft und die Ordnung, die ohne Gnade ist und der Freiheit nur wenig Raum gibt. Schon aus diesem Grund kann Askir keine Sympathie für ihn aufbringen. Doch letztendlich war er ein Heerführer, der einen Krieg geführt hat. Nicht mehr oder weniger brutal, als es andere Krieger und Heerführer auch tun. Selbst Jene, die aus der zweiten Drachenwelt nach Weltenwacht entsandt wurden, haben Blut an ihren Händen. Nichts, was Askir ihnen zum Vorwurf machen würde, doch eine Betrachtung, die Inats Taten weniger ungewöhnlich erscheinen lassen.


    Auch wenn er durch seine Macht auch andere Waffen nutzte, als nur das Schwert und seine Krieger in die Schlacht zu führen, wie Schweine zur Schlachtbank getrieben werden, so handelte er doch seiner Aufgabe und seiner Pflicht entsprechend. Müssen nun alle, die zum Sieg oder zur Vorherrschaft ihres Drachen über Leichen gehen, mit einer solchen Strafe durch den Goldenen rechnen? Wäre nicht eine Todesstrafe, die sofort vollstreckt wird, ehrlicher und gnädiger gewesen als die Verbannung in ein Reich ewigen Schmerzes und immerwährender Pein?


    Sei er ein Halbgott oder nicht, was zu beurteilen Askir weder zusteht noch er in der Lage dazu ist, so dürften die Drachen zumindest die Macht haben ihm den Tod zu bringen. Und wenn die Sendbotin, so wie sie sagte, wahrhaftig in der Lage ist selbst Drachen zu töten, was auch die Stimme der Zeit überraschte und beunruhigte, so müsste Inat Laron für sie leicht zum Tode zu richten sein. Aber was hat sich Inat so Besonderes zuschulden kommen lassen, dass er eine solche Strafe verdient?


    Ebenso der Silion. Dass er gemordet hat steht außer Frage und er selbst hat es eingestanden. Seine Verurteilung wegen Mordes war gerecht - und wenn sich Jemand erwischen lässt, dann hat er es auch verdient. Doch was nutzt ein Gesetz, in dem das Strafmaß niedergeschrieben ist, wenn für ihn auf Grund dessen, was er ist, eine andere Strafe gewählt wird. Drei Jahre war es her, dass die Kaiserin den Nicht-Magiern dieselben Rechte zusprach, wie den Magiern. Alle wurden vor dem Gesetz gleich. Und doch war der Silion nicht gleich.


    Askir nimmt einen weiteren Zug von seiner Galena, während er an den nach dem Urteil geäußerten Wunsch der Silions (oder wie immer man die in der Mehrzahl nennt) zurück denkt, den Verurteilten auch nach den Regeln ihres Ordens bestrafen zu dürfen. Es wurde ihnen verwehrt und noch immer meint Askir in ihren Augen Enttäuschung und ein Funken Zorn gesehen zu haben.


    Askir, obwohl selbst in der Lage ein wenig Magie zu wirken, zweifelt nicht daran, dass es richtig war die Nicht-Magier den Magiern gleich zu setzen. Doch durch seine Zeit als stellvertretender Legat der Nebelstadt hat er Dinge gesehen und gehört, hat Gespräche geführt und Sachen erfahren, wegen denen ihn nicht wundern würde, wenn ein Bürgerkrieg ausbrechen würde. Die Magier fürchten um eine weitere Reduzierung ihres Einflusses, bis sie nur noch geduldet werden – oder nicht mal mehr das. Der Kommandant des Schildes der Schöpfung hat einen großen Einfluss auf die Kaiserin, der, seinen die Vorwürfe an ihn nun gerechtfertigt oder nicht, zu viel Unmut führt.


    Es gibt noch mehr Kleinigkeiten, die Askir ängstigen und zeitgleich doch neugierig machen auf das, was sich in Weltenstadt wohl entwickeln wird. Wenngleich er nicht weiß, ob ihn der Blaue noch mal nach Nebelstadt entsendet, so hofft er doch wieder auf die Dracheninseln gerufen zu werden, um sich dort über das Schicksal von Weltenwacht näher zu informieren. Er schnippt seine Galena weg, die in den Wogen verlischt, während er aufsteht und in seine Kajüte geht …

  • 01. Achat 251 nach Jargo
    An Bord der Brigg „Kalypso“


    Das Schiff pflügt mit achterlichem Wind durch das Kristallmeer und das Land scheint zum greifen nah. Die Häuser und die Hafenanlage der immer näher kommenden Hafenstadt sind schon mit bloßem Auge zu erkennen, während sich die Männer und Frauen an Bord auf das Anlegemanöver vorbereiten. Die Toppgasten sind schon an den Rahen, bereit die Segel zu reffen. Und in mehr als einem Augenpaar sieht man die Hoffnung auf einige feuchtfröhliche Tage an Land. Eine Hoffnung, die wohl nicht lange halten wird, denn in der Offiziersmesse hatte Askir gehört, dass das Schiff nur die Ladung löschen und neue Frachte laden wird, bevor es direkt wieder ausläuft. Durch den Sturm hatte der Kapitän schon genug Zeit verloren, die er nun aufzuholen gedenkt.


    Doch Askir selbst mag dies egal sein. Schließlich hat er (trotz vieler Bitten des Kapitäns an Bord zu bleiben) seine Heuer in Empfang genommen und seine Sachen gepackt. Fion hatte sich schon in den frühen Morgenstunden verabschiedet: Als der Morgennebel das Schiff einhüllte hatte der zweite „Humpen-Baron“ die Chance genutzt und hatte seine Reise nach Dargaras aufgenommen. Wenn Phexens Glück mit ihm war sitzt er sicher schon ein Bier trinkend in der Taverne „Zur tanzenden Plautze“.


    Bei dem Gedanken an ein gutes Getränk läuft Askir das Wasser im Mund zusammen. Kurz schweifen seine Gedanken zurück an den wohlschmeckenden Cidre im „Cooper‘ Inn“ in Weltenwacht, den er genoss, während die hübsche „Streit“ einige Weisen auf ihrer Harfe spielte. Ein leichtes Seufzen entweicht seinen Lippen und vermischt sich mit dem Pfeifen des Windes. Die ersten Befehle schallen über das Deck und mit einem Shantie auf den Lippen beginnen die Toppgasten die Segel zu reffen, während die Matrosen an Deck an den Tauen ziehen.


    Die Brigg läuft in den Hafen ein. Wenig später, nach einer Verabschiedungsrunde und einigen aufmunternden Worten zu seinen ehemaligen Patienten, verlässt Askir die „Kalypso“ und betritt die Anlegestelle

    "Das sicherste Mittel, arm zu bleiben, ist ein ehrlicher Mensch zu sein." (Napoleon)

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