[Alanis Quest] "Spiel im Schatten"

  • Als Alanis in Proudmore vorgesprochen hatte, um sich nach Verbleib der Expedition in den Osten zu erkundigen, hatte man ihr in der Ordensburg zu verstehen gegeben, dass sie zu spät war und es keine Nachrichten für sie gab. So tat die Priesterin das, was sie am besten konnte und was man ihr in der Ordensburg empfahl - sie sprach im Lazarett vor und bot ihre Dienste als Heilerin an.


    Eigentlich hätte sie selbst einen Heiler nötig gehabt, doch im Angesicht der Kriegsversehrten, die tagein, tagaus in die hohen Hallen gebracht wurden, schob sie ihre eigenen Bedürfnisse weit zurück. Auch, weil sie sich vor dem fürchtete, was ein Heiler, der der Lukraniskirche nahe stand, wohl in ihr sehen würde.


    Zwei Tage nach dem Beginn ihres Dienstes ging es im Hospital herum, dass man wohl einen der wichtigsten Bürger der Stadt ermordet hatte. Richard von Lorchest, ein Mann mit viel Einfluss und sein Verlust ein sehr schmerzlicher Einschnitt in das soziale und wirtschaftliche Gefüge. Ein Mann, der eine trauernde Witwe und drei Kinder hinterließ. Alanis, die den Mann im Badehaus nicht nach seinem Namen gefragt hatte, schwieg dazu und beteiligte sich nicht an den Spekulationen über den verfluchten Mörder.


    In einer kleinen Wirtschaft in Proudmore hatte sie ein Zimmer unweit des Lazaretts gefunden, das sie für das Geld, das sie für ihre Dienste bekam, anmieten konnte. Doch sie verbrachte dort eh so gut wie keine Zeit.


    Sie arbeitete meist Abends oder Nachts, genoß die dunklen Stunden viel zu sehr und oftmals geschah es, dass sie vor Tagesanbrach das Lazarett verließ, um nach Hause zu gehen - und ihre Füße sie wie von selbst in die Schatten trugen, wo sie blieb, atemlos, lauernd, irgendwo zwischen Frust und Faszination gefangen. An Schlaf war es nicht zu denken, denn im Schlaf bekam sie Besuch von der schattenhaften Gestalt und was er tat und sagte, bewirkte, dass sie am Morgen von Lust und Grauen geschüttelt in ihrem einsamen Bett aufwachte und sich selbst für ihre Schwäche verfluchte.


    Die Heiler, mit denen sie zusammen arbeitete, bemerkten es nicht - die mundanen Heiler, wohlgemerkt. Im Blick der Lukranisgeweihten, denen Alanis oft begegnete, lag etwas, das die Priesterin nicht zu deuten wußte und über das sie auch nicht nachdenken wollte. So hielt sie sich von den Lichtgestalten fern und versuchte, ihre Arbeit zu tun, was ihr schwerfiel. Der Schattenmann hatte nicht gelogen mit seiner Ankündigung, dass sie das Böse in den Menschen sehen können würde und oftmals ekelte es sie geradezu an, Verletzte zu behandeln, deren Schlechtigkeit sie mit ebenso großer Sicherheit aufspüren konnte wie ihre Wunden. Doch sie tat, was sie tun mußte. Noch hatte sie sich unter Kontrolle.


    Alle zwei, drei Tage ging sie zum Hauptquartier des Ordens und erkundigte sich, ob die Expedition zurückgekehrt war. Blaß, hohlwangig und mit grauen Rändern unter den Augen, war sie kaum als die Frau wiederzuerkennen, die das Land vor einigen Wochen betreten hatte.

  • Epilog...


    Der adrett gekleidete Mann in den dreissigern, mit dunklem schulterlangen Haar und kalten Wolfsaugen, schmalen Lippen und markantem Kinn hatte eben dieses auf die Handaussenflächen seiner angewinkelten Arme gelegt und sah hinunter auf das Schachbrett.


    Sein letzter Zug - die weiße Damen hatte den schwarzen Springer des Gegners geschlagen - lag nur wenige Augenblicke zurück. Er nimmt neben einer Handvoll schwarzer Bauern seinen königlichen Platz neben dem Spielfeld ein.


    Dahinter stand ein filigraner Becher gefüllt mit edelstem Portwein. Der Mann mit den kalten Augen hatte ihn bisher kaum angerührt aber genoß das feine Aroma an Düften, dass ihm entströmte.


    Eine kleinere filigrane Hand tauchte aus der Dunkelheit der anderen Seite des Tisches auf und schiebt einen Bauern in die Parade, bietet der Dame Angriffsfläche und wird sie schlagen, weil sie trotz der Darbietung in eine unausweichbare Situation ihres eigenen Falls gerät... aber das würde in einem der nächsten Züge geschehen.