Der Sitz des Hauses Saarweiler in Renascân

  • Luisas Gesicht zeigte die Faszination, die das jüngere Mädchen für das Buch empfand. Sie betrachtete sich die Zeichnungen, die den Text komplettierten und hob schließlich den Kopf zu Mara-Katharina, um eine recht schüchterne Frage zu stellen.


    "Warum sind in einem Buch für Erwachsene Bilder?"

  • "Viele Erwachsene können nicht lesen. Und damit sie doch etwas davon haben, sind da die Bilder. Außerdem..."


    Sie lächelte verschmitzt.


    "... sind Bilder einfach schön und erfreuen das Herz."


    Die aufgeschlagene Seite zeigte eine recht kurze Geschichte.


    "Die ist schön. Möchtest du sie uns vorlesen?"

  • In der Welt der Mädchen - zumindest der der letzten Jahre - schien die Tatsache, dass Erwachsene nicht lesen konnten, nicht bekannt zu sein. Zwei sehr erstaunte Augenpaare, ein blau, eins braun, richteten sich auf Mara-Katharina.


    Luisa konzentrierte sich dann auf das Märchen und begann, es langsam vorzulesen. Sie hatte eine hübsche Vorlesestimme und ihr Finger fuhr die Reihen entlang, ohne sie jedoch zu berühren.


    Johanna derweil hatte sich wieder zurückgelehnt und trank Schokolade. Sie beobachtete die hohe Dame und die beiden Kinder - und lächelte, wie es so ihre Art war.

  • Mara-Katharina setzte sich aufrecht und legte die Hände leicht gefaltet in den Schoß. Aufmerksam sah sie Luisa zu, die die Geschichte vorlas. Ihr würde es furchtbar schwer fallen zu entscheiden. Das wusste sie jetzt bereits.


    Sie wusste jedoch auch, dass es schwierig werden würde, beide Kinder als Mündel anzunehmen. Ihre Geldmittel waren nicht unbegrenzt und so sehr ihr Herz das auch wollte... Jetzt musste noch keine Entscheidung getroffen werden. Über den Winter würden beide eine erste, rudimentäre Ausbildung bekommen und die sollte ihnen bereits von Nutzen sein auch wenn sie den weiteren Schritt nicht machten. Schwester Johanna hatte gut gewählt, aber anderes hatte sie auch gar nicht erwartet.


    Als Luisa geendet hatte, ließ Mara-Katharina noch einen kurzen Moment des Schweigens folgen und lächelte warm.


    "Schwester Johanna hat euch gut gelehrt. Was soll ich euch bloß noch beibringen?"


    Sie ließ den Mädchen noch Zeit in dem dicken Buch zu blättern. Er und die anderen Bände des Codex provinciorum waren wohl die wertvollsten Werke, die sie selbst ihr Eigen nannte. Sie sollten Teil ihrer Mitgift sein, sollte sie einmal heiraten.


    Mit einem Seufzen erhob sich der Hund und kam langsam und mit hängenden Ohren herüber getappt. Mit leichtem Schwanzwedeln hob er die Schnauze und legte sie auf Girtes Bein.


    Mara-Katharina wandte sich an Johanna.


    "Ihr habt eine gute Wahl getroffen, Schwester Johanna. Und gerade das wird es mir nicht einfach machen."

  • Johanna neigte leicht den Kopf und betrachtete die Mädchen mit dem Stolz einer Mutter. Sie liebte jedes der Kinder auf seine Weise, ob nun die ein wenig aufmüpfige, aber kluge Girte, die ohne Scheu den Hund streichelte oder die die stille Luisa, die immer ein wenig Zeit brauchte, um mit jemandem warm zu werden, dann aber absolut loyal war.


    Beide hatten gemeinsam, dass ihre Augen strahlten, als sie durch die Folianten blätterten - ganz vorsichtig.


    "Die Mädchen wissen, dass es nur eine von ihnen sein wird", sagte Schwester Johanna leise zu der Hohen Dame und blickte sie direkt an.

  • Mara-Katharina lächelte ein wenig wehmütig.


    "Es tut mir leid diesen Kindern so eine Welt zu zeigen, im Wissen, dass sich für eine der zwei die Tür wieder schließen wird."


    Kaum merklich schüttelte sie den Kopf.


    "Nun gut. Sei es, wie es ist. Die Fünfe werden es so fügen, wie es gehört. Werdet Ihr sie regelmäßig hier her schicken? Könntet Ihr sie drei Mal in der Woche erübrigen? Am Anfang am Besten beide zur selben Zeit. Später dann möglicherweise einzeln."

  • Johanna schüttelte leise lächelnd den Kopf.


    "Man kann das Leben nicht bestehen, wenn man denkt, dass jede geschlossene Tür das Ende ist. Es ist immer irgendwo ein Fenster, durch das es weiter geht. Wenn auch in eine gänzlich andere Richtung, aber ein Fortschritt ist es allemal."


    Sie neigte den Kopf in Richtung der Mädchen.


    "Das versuche ich den Kindern zumindest zu vermitteln. - Mädchen, wir müssen aufbrechen."Vorwurfsvolle Blicke aus zwei Kinderaugenpaaren trafen sie. Johanna konnte verstehen, dass es schwer sein würde, sich von dem Haus der von Saarweilers und dem, was es versprach, zu lösen.


    '"Dreimal die Woche ist kein Problem. Wenn es Euch passt, dann würde ich die beiden übermorgen in der Frühe, zur siebten Stunde, wieder vorbei bringen."

  • "Gerne."


    Mara-Katharina lächelte und sah die beiden Mädchen noch einmal an.


    "Bis dahin wird alles Notwendige vorbereitet sein."


    Kurze Zeit später kehrte wieder Ruhe im saarweilerschen Haus ein. Man räumte die Reste der Essensplatte und die Becher weg. Mara-Katharina verschwand ins obere Stockwerk. Wenig später hörte man das leise Kratzen einer Feder auf Papier.

  • Mit einem Lappen um die Hände gewickelte holte sie die Form aus dem Ofen heraus und stellte sie rasch auf dem Tisch ab. Bereits jetzt kam die Hitze durch den Stoff. Auf der Oberfläche war das Brot etwas dunkler, als es schön gewesen wäre. Aber man konnte ja nicht alles haben.


    Wieder nahm sie die Form mit den Lappen und stürzte sie. Problemlos löste sich das Brot aus der Kuchenform. Wer hätte das gedacht? Weil das Teig so flüssig gewesen war und nicht von allein die Form gehalten hatte, hatte sie ihn kurzerhand in die Kuchenform gegossen. Grundsätzlich sah das nicht schlecht aus und roch auch gut. Mit einem scharfen Messer schnitt sie den dampfenden Brotring an und zog ein Stück hervor. Heißer als gedacht. Innen war er komplett durchgegart, die Kruste war knusprig. Ein glückliches Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Im hellen Teig sah man die kleinen Speckwürfel und Stücke von getrockneten Tomaten.


    "Hrrrmpf." sagte der Hund, der mit zurückgeklappten Ohren auf seinen Hinterläufen saß und weder Brot noch Magd aus den Augen ließ.