Das Haus der Witwe Kramer

  • "Renascân macht sich mitschuldig - Freiheit für Isidor Langara!!! Lorenisch-Vinagy für alle Zeit!!!Nieder mit Altweiningen!!! Tod und Verderben den blutrünstigen Aufständischen!!!"


    Stirnrunzelnd betrachtet Emma die Zeilen, die sich in unsicherer Handschrift vom hellen Papier abheben. Sie kennt sich in politischen Dingen nicht sonderlich gut aus, aber die letzte Zeile beunruhigt sie. "Tod und Verderben", das klang schon ziemlich ernst, oder aufgebracht...
    Vielleicht wissen Mira oder Narvi etwas darüber. Mit Narvi wollte ich sowieso noch sprechen, überlegt sie. Mira hatte gerade ziemlich viel zu tun, doch vielleicht hatte Narvi ja kurz Zeit. Sie steckt die drei Fetzen zusammen mit dem neuen Zettel in ihren Beutel.


    Die Früchte über dem Feuer kochen nun schon eine ganze Weile, die muss sie zuerst fertig machen. Sie nimmt einige Kräuter aus verschiedenen Behältnissen und gibt sie zu den Beeren, dann wartet sie noch einige Augenblicke. Zu dem Sanddornduft mischen sich nun die Kräuteraromen, die dafür sorgen sollen, dass der Saft nicht zu schnell schlecht wird. Zusätzlich hat sie noch einige stärkende Kräuter dazugegeben. Nach einer Weile nimmt sie den Kessel vom Feuer und stellt einen weiteren bereit. Diesen überdeckt sie mit einem sauberen Tuch und bindet es mit einer Schnur ordentlich fest. Als der Kessel etwas abgekühlt ist, gießt sie den Beerenmatsch auf das Tuch und wartet, bis der Saft hindurchgelaufen ist. Anschließend rührt sie etwas Honig in den entstandenen heißen Saft und füllt ihn in Tonflaschen, die sie gut verkorkt.
    Sie nimmt ihren Beutel und steckt auch eine Flasche des frischen Sirups hinein und macht sich auf den Weg zum Haus der Späher.


    -> weiter beim Haus der Späher

  • Als Emma zurückkommt hängt sie eilig den Kessel mit Wasser über das Feuer. Sie gießt den Silberkrautauszug ab und holt die Kräuter, die sie für den abendlichen Tee der Witwe Kramer benötigt. Sie holt das frische Leinkraut und gibt etwas getrocknete Brenessel und Heidekraut dazu. Als das Wasser kocht brüht sie das ganze auf und bringt den Silberkrautaufzug zum kochen. Sie beginnt gerade Gemüse für einen Eintopf kleinzuschneiden, als sie hört, wie die Witwe Kramer vorn den Laden abschließt.


    "Da liegen noch Kräuter vor der Tür Emma!", ruft die alte Frau und Emma springt auf.


    "Die hab ich ganz vergessen! Ich räum sie schnell nach oben!", antwortet Emma und schnappt sich den Berg Beifuß, um ihn in ihr Zimmer zu bringen.
    "Dein Tee ist gleich soweit und das Essen ist auch bald fertig", sagt sie im vorbeigehen.


    Die Alte lächelt und deutet auf die Kräuter.
    "Häng die nur in aller Ruhe auf, solange du noch Licht hast. Ich kümmere mich um das Essen", sagt sie und deutet auf ihre knotigen Hände "Seit du mir den Tee machst sind die viel besser geworden, da kann ich mich schon mal dafür bedanken."
    Emma lächelt erfreut und geht nach oben in ihr Zimmer. Langsam wird es immer schwieriger einen Platz für die Kräuter zu finden, die ganze Decke hängt voll. Der Winter kann kommen, denkt sie zufrieden, dieses Jahr habe ich reichlich Vorräte.

  • Der Winter bringt eine Menge Schnee, aber auch jede Menge Kundschaft. Die Leute kommen wegen Schnupfen oder sie sind im Schneeausgerutscht und haben sich das Handgelenk verstaucht.
    Emma steht in ihrem Zimmer und zählt die Kräuterbündel. Als sie fertig ist nickt sie zufrieden und kritzelt ein paar Zahlen auf einen
    Zettel. Die Vorräte haben ordentlich abgenommen, aber sie macht sich keine Sorgen, dass es knapp werden könnte.
    Ein Hoch auf die Götter, die das Land hier so abwechslungsreich gestalteten, denkt sie. In den tiefen Wäldern in Wildau war es viel schwieriger gewesen, genügend Vorräte anzulegen.


    Sie sieht sich in dem kleinen Zimmer um und atmet den Kräutergeruch tief ein. So schön es hier ist, der Wunsch zu Reisen ist auch im Winter nicht verschwunden. Ein bisschen mehr von der Welt sehen…Aber allein war das auf keinen Fall möglich. Nur zu gut waren ihr noch die Ereignisse der Reise hierher bewusst.
    Während ihre Gedanken kreisen fällt ihr ein, was Narvi am Fest der Akestera zu ihr gesagt hatte: Dass die Garde vielleicht Interesse an ihren Diensten hätte. Da wäre sie in sicherer Begleitung...


    Entschlossen steht sie auf, steigt in die Küche hinunter und füllt Kräutermischung in einen Beutel.
    Was nützt es schon Wunschgedanken bloß nachzuhängen, jetzt würde sie Nägel mit Köpfen machen. Zügig machte sie sich auf den Weg um Mira zu suchen.


    --> weiter im Wachgebäude der Oberstadt

  • Ein Jahr später…



    Emma schreckt schlagartig aus dem Schlaf und sieht sich hektisch im Zimmer um. Erst als sie im schwachen Dämmerlicht langsam die vertrauten Schemen ihrer kleinen Kammer ausmacht, kann sie sich ein wenig beruhigen.
    „Nur ein Traum“, wiederholt sie in Gedanken immer wieder und zwingt sich tief durchzuatmen. Fröstelnd steigt sie aus dem Bett und zieht sich schnell etwas Warmes an. Sie muss etwas tun. Bestimmt gibt es irgendwo im Haus eine Ecke zu schrubben oder im Gärtchen etwas Unkraut zu zupfen… Etwas hektisch reißt sie die Tür auf und betritt den kleinen Hinterhof.


    Draußen ist es noch fast dunkel. Eine dünne Schneeschicht liegt immer noch auf den Beeten. Ein Rest Wintergemüse steht noch feinsäuberlich in Reihen und weit und breit ist kein Unkraut zu sehen. Missmutig schaut sie zum Himmel, der wieder einmal wolkenverhangen ist. Wenn doch bloß der Winter endlich vorbei wäre!
    Sie wartet noch, bis es etwas heller ist, dann nimmt sie ihren Umhang und macht sich auf den Weg. Im Haus hält sie es nicht mehr aus. Es zieht sie nach draußen. Vielleicht brachte ihr ein Spaziergang ja etwas Ruhe.




    -->weiter in „Die Küste von Renascân“