Das Haus von Alanis am Oberen Stichweg (5)

  • Kassandra schmunzelt und hebt ihre tuchumwickelte Linke.
    "Ich kann nicht einfach verschwinden. Was das angeht war die Idee vielleicht doch nicht ganz so hirnrissig..."
    "Die letzte Richterwahl war vor vier Jahren... Oh, Stefanus hat gefeiert, daß er den Posten los ist. Vielleicht sollte mir das zu denken geben."

  • Kassandra lächelt und schüttelt den Kopf.
    "Ancalima hat die gleichen Befürchtungen. Daß der Wald sterben wird und sie mitnimmt, wenn sie sich auf die Bindung einläßt."
    Ihr Blick ist strahlend und intensiv, eine unerschütterliche Überzeugung spricht aus ihren Worten.
    "Das wird nie wieder passieren, Alanis. Ja, es hätte mich fast umgebracht. Und ich verstehe immer noch nicht, wieso. Aber jetzt... hast du dir diesen Baum angesehen? Wenn eines die nächsten Jahrhunderte - ja, Jahrtausende - überdauern wird, dann dieser Wald. Ich kann mir nichts - gar nichts - vorstellen vor dem diese Macht nicht bestehen kann..."

  • "Wenn das Lebensbaum dann so etwas wie eine Lebenversicherung des Waldes geworden ist, den er vor weiteren Angriffen gleich jeder Art schützen will - wieso bist Du dann noch seine Hüterin? Der Baum kann aus sich selbst heraus alle möglichen Kreaturen hervorbringen, die zu seiner Verteidigung aufmarschieren." Sie warf die fertigen Möhren ins inzwischen brodelnde Wasser. "Ich habe das auf einer Reise vor einigen Monaten erlebt, so ein Baum mit Bewußtsein kann wirklich gruselig werden, wenn er sich angegriffen fühlt." Die Geweihte verzog das Gesicht.

  • "Das", sagt Kassandra, "ist noch eines der Dinge, die ich nicht verstehe. Aber er hängt an den Viechern, die er `erträumt` hat. Möglicherweise hängt er genauso an mir. Zumindest bin ich ihm wichtig genug, daß er sich größte Mühe gegeben hat sowas wie ein Bewußtsein zu haben um den Knatsch zwischen uns aus dem Weg zu räumen und mit mir zu reden. Das hat er nämlich normalerweise nicht und es hat ihn ziemlich angestrengt..."
    Nachdenklich zuckt sie die Schultern. "Vielleicht braucht er mich als Verbindung zur Siedlung. Vielleicht braucht er auch einfach generell einen Hüter. Vielleicht ist ja der Faun mein Nachfolger gewesen... einer meiner Nachfolger. Im Amonlonde der Weißkutten..."
    Sie seufzt.
    "Vielleicht bekomme ich Kopfweh wenn ich zu viel darüber nachdenke. Im Moment ist alles gut und ich glaube nicht, daß der Baum irgendwelche Pilzsucher falsch einschätzt und in einem Anfall von Beschützerwahn vernichtet. Was ist da vor ein paar Monaten passiert mit diesem Baum mit Bewußtsein?"

  • "Wir waren in einem Land namens Runland, in dem ein Dryadenbaum versuchte, seinen Wald zu beschützen. Er versah alle seine Waldkreaturen mit roten Efeuranken, die sie aggressiv machten und alles angriffen, was auch nur ansatzweise menschlich war und den Wald betrat. Die Eichentempler und ich haben ganz schön einstecken müssen. Deswegen bin ich ein wenig besorgt." Das sah man ihr auch deutlich an. "Ein Wald denkt immer nur an den Wald - zumindest der in Runland. Er denkt nicht an Gefühle, Beweggründe, menschliche Konflikte. Nur an den Selbsterhalt."

  • Kassandra nickt.
    "Ich glaube da gibt es einen Unterschied", versucht sie Alanis zu beruhigen. "Ich bin keine Dryade. Und der Baum ist auch nicht... aggressiv. Vielleicht solltest du Tear nach diesen eldamar`schen Bäumen des Lebens fragen, die weiß da mehr drüber. Dieser hier... hat nicht wirklich ein Bewußtsein in dem Sinne. Er kann wenn er muß, und selbst dann ist es nicht so wie unseres. Die Unterhaltung war echt schwierig, die Hälfte meiner Fragen hat er nicht verstanden und ich die Hälfte seiner Antworten nicht... und er hat sich wirklich bemüht..."
    Sie zuckt die Schultern, ein wenig hilflos.
    "Er denkt nicht wirklich... er will nicht... er ist einfach. Es geht ihm um den Wald als Ganzes, der muß bestehen bleiben, aus welchem Grund auch immer. Er sagte... `es reißt ein blutiges Loch in die Realität, wenn der Wald nicht ist...`. Ich glaube fast, daß es ihn nicht mal stören würde, wenn ein einzelner Baum gefällt würde. Parmenion ist derjenige, mit dem du dann Ärger bekämst."
    Sie lächelt.
    "Er ist der, der es nicht duldet, daß im Wald gejagt wird. Der Baum... ich glaube der ist eher für größeres Unheil da. Und er ist gut. Er ist... Licht."
    Sie verdreht die Augen.
    "Hab ich das grade gesagt? Ich brauche dringend Alkohol... Ich halte ihn nicht für bedrohlich für Amonlonde. Im Gegenteil. Erinnere dich was alles bei ihm Zuflucht gefunden hat in einem Land, in dem der Fanatismus herrscht."

  • "Da im Schrank ist eine Flasche Portwein." Alanis zeigte mit dem Daumen auf den Schrank. "Ich nehme auch einen." Sie rührte gedankenverloren im Topf. "Ich hoffe Du hast Recht. Etwas so Mächtiges, das Dich nicht versteht und das Du nicht verstehen kannst. Hm.. . Und das klärt auch immer noch nicht die Anfangsfrage, nämlich die, wer begonnen hatte, den Wald anzugreifen."

  • Kassandra lässt sich das nicht zweimal sagen. Sie holt den Port aus dem Schrank und füllt zwei Gläser.
    "Eigentlich hatte ich bei Bramante Wein geholt. Aber den hab ich bei den Urschels liegen lassen", gesteht sie.
    Sie reicht Alanis ein Glas, prostet ihr zu, riecht an ihrem eigenen und nickt anerkennend.
    "Das konnte er mir nicht beantworten", nimmt sie dann das Gespräch wieder auf. "Vielleicht verstehe ich ihn falsch, aber er scheint der Meinung zu sein, daß es gar keinen Angriff gab. Das der Wald ihn einfach zu diesem Zeitpunkt als Kraftquelle und zur Stabilisierung brauchte. Was für mich keinen Sinn macht, immerhin hat der Wald vorher sieben Jahre lang existiert, ohne daß ihm irgendwas fehlte."
    Sie läßt den Port im Glas kreisen.
    "Naja, jetzt hat er den Wald und der Wald hat ihn und ich glaube... fest daran, daß es für alle zum Guten ist. Und wenn doch was passiert..."
    Sie nippt an ihrem Port "Immerhin kannst du dann sagen: `Ich hab dich gewarnt!` Wenn er dann Amonlonde platt macht. Oder überall singende Bäume wachsen läßt. Oder uns mit seinen Viechern überschwemmt. Oder einfach... alles ins Licht schickt."

  • Alanis erwiderte den Toast und nahm einen mehr als kräftigen Schluck.


    "Ich würde es ehrlich gesagt wirklich hassen, 'Ich hab es doch gesagt' sagen zu müssen", brummte sie leise vor sich hin. Mit einer Hand fischte sie mit einem Löffel die Möhren aus dem Topf und gab sie in die noch leeren Einmachtöpfe. Mit der anderen Hand gönnte sie sich noch einige Schlucke Portwein. "Dem Wald mag ja nichts gefehlt haben, aber er war ja in seiner Natur ein Konstrukt von Willen und Magie", gab sie zu bedenken. "Und solche haben vielleicht hin und wieder eine Schwachstelle."

  • Kassandra tut es Alanis mit dem Port nach und wiegt dann den Kopf.
    "Es ist trotzdem seltsam. Wir wissen beide, daß Magie gewissen Regeln folgt. Weder taucht sie einfach grundlos auf, noch verschwindet sie einfach so. So unberechenbar sie auch sonst gerne ist..."
    "Der Baum weiß übrigens auch nichts mehr davon, mal von Arkana gepflanzt worden zu sein und in Fras Hinterhof gestanden zu haben... Behauptet er zumindest."

  • "Was!?" Kassandra starrt die Freundin an, jeglicher Scherz vergangen.
    Lange starrt sie einfach nur, dann hebt sie beide Hände vors Gesicht und stöhnt.
    "Das darf nicht wahr sein... "
    Sie nimmt die Hände runter.
    "Warum erfahre ich das erst jetzt? Was habt ihr mit dem Ding gemacht?"

  • "Ich war da ein wenig blöd, ich gebe es zu.... ." Alanis druckste ein wenig herum. "Ich habe es mir in der Vergangenheit mit Hilfe der Elemente angesehen und bin zusammengebrochen. Übelkeit, Schmerzen, das ganze Programm. Zu dem Zeitpunkt wurden wir immer wieder angegriffen und da ich in der Vergangenheit keine Möglichkeit sah, das Ding zu zerstören oder irgendwo zu verstecken, hat Ava es in ihren Rucksack gepackt und mitgenommen. Jetzt ist es in Sicherheit. Erstmal." Sie verzog den Mund. "Ganz schön dämlich, etwas zwischen den Zeiten herumzuschleppen, ich weiß. Und ich bin mir ja noch nicht einmal sicher, ob die Vergangenheit auch der Strang der Vergangenheit ist, den wir kennen und aus dem auch Du kommst. Und ob in irgendeiner Zeithose eine Arkana einen Warpstein hatte."

  • "Ihr habt den mitgenommen!?!!", fragt Kassandra entsetzt. "Seid ihr wahnsinnig??" Jetzt hält sie nichts mehr, sie läuft zweimal durch die Küche und rauft sich die Haare. Mitsamt der Haube darüber.
    "Alanis, keine der... Szenarien, die wir unterwegs besucht haben, war Teil unserer eigenen Zeitlinie. Bei den Kuttenträgern bin ich mir nicht so ganz sicher, aber die anderen beiden... der Tisch hieß zu keiner Zeit `halber Haifisch´, die Outilisten haben Amonlonde nicht erfolgreich aus der Zeit gestoßen und zur Zeit der Piraten wären an der Stelle, an der der singende Wald stand, die Arakurer gerade mal mit dem Bau der Komturei fertig gewesen." Voltan ist verbrannt und nicht in ein Schwert gelaufen. Wir alle sind durch die Unterwelt geflüchtet...
    "Und ihr nehmt da fröhlich brandgefährliche Artefakte mit... "
    Sie bleibt mit dem Gesicht zur Tür stehen und läßt ihren Kopf dagegen sinken.
    "Das ist nicht dein Ernst..."

  • "Leider doch, ja. Ich werde mich um die Entsorgung kümmern, bis dahin ist es erstmal sicher verwahrt." Alanis schenkte sich Portwein nach und schob dann die Flasche über den Tisch in Kassandras grobe Richtung. "Ich hätte es natürlich dort liegenlassen können. Aber die Piraten hatten einige Magier dabei und die Gefahr war deutlich gegeben, dass einer von denen das Ding findet und ein anderes Amonlonde damit dem Erdbogen gleich macht." Sie kratzte sich verlegen am Kopf. "Die Leichen, die sie zurückgelassen haben - mit herausgerissenen Herzen und solche Dinge - haben mich davon überzeugt, dass sie zu allem fähig gewesen wären."

  • Kassandra blickt auf.
    "Du hast den jetzt?", fragt sie und klingt dabei alles andere als glücklich.
    "Es gibt doch immer eine Realität, in der unglaublich widerliche Sachen passieren. Bestimmt gibt es eine, in der Baul Amonlonde unterjocht. Eine, in der Branador es einäschert. Eine, in der Celos herrscht. Deshalb nimmt man doch den Unfug, den man dort vorfindet nicht mit nach Hause!"