Das Haus von Alanis am Oberen Stichweg (5)

  • "Es liegt oben in meinem Altar", gab die Geweihte zurück und wischte sich die Hände an einem Küchentuch ab. "Ich habe den Stein, eingeschlagen in Stoff, von Ava bekommen, in eine Kiste gelegt und in der Schale verbuddelt, die zum Altar gehört. - Willst Du es sehen?", erkundigte sie sich vorsichtig.

  • Alanis seufzte erneut, so als gäbe es da noch etwas, das ihr auf der Seele lag, doch sie zögerte nicht und stieg die Treppe in den ersten Stock hinauf, direkt in ihr Arbeitszimmer. Ein riesiger, ausgetretener Teppich lag auf dem Boden und fast alle Wände waren mit vollgepfropften Regalen und Arbeitstischen bedeckt. Ordnung sucht man hier vergebens. An einer Wand hing ein großer Wandteppich, der das Zeichen der Elemente zeigte. Auf einem kleinen Tisch aus dunklem Holz darunter stand eine sehr große Schale, die mit Sand gefüllt war. Ein weiteres Elementezeichen war in den Sand gemalt worden und fünf bunte Steine - blau, weiß, braunr, rot und grün - lagen in den Schlaufen und dem Mittelpunkt der Zeichnung auf dem Sand.


    Alanis kniete vor der Schale nieder, in einer brüsken Bewegung und sprach leise einige Worte, mit denen sie um Zugang zu dem bat, was verborgen war und um den Schutz der Fünfe. Dann stand sie auf - ihre Knie knackten vernehmlich - und griff in den Sand hinein. Eine schmale, große Metallkassette kam zum Vorschein, die Alanis ohne zu zögern öffnete. Sie strich den Stoff beiseite, der darin lag, um an das zu kommen, was dieser Stoff umhüllte. Dann erstarrte sie.


    "Scheiße", sagte sie vernehmlich. "Das - ist er nicht."

  • Alanis sah nun wirklich ernsthaft beunruhigt aus.


    "Nein, glaube ich nicht. Sie arbeitet die meiste Zeit des Jahres für Valakor. Würde der mitbekommen, dass sie Chaosartefakte von A nach B schiebt, würde der ihr den Kopf abschlagen." Sie hielt den Stein, violett und grün und schmal, mehr wie ein Schiefersplitter geformt als wie ein Kristall, in den Händen. Mit der Fingerspitze fuhr sie über etwas, das aussah wie feine, goldene Adern, die sich durch das Gestein zogen. "Er sieht so aus, aber er fühlt sich nicht so an. Kein Schwindel, keine Übelkeit, kein abgrundtiefer Widerwille."

  • Vorsichtig nimmt Kassandra den Stein in die Hand.
    "Wenn sie das getan haben dann sieht der Tempel heute noch ne Spende", verspricht sie.
    "Wenn nicht mußt du mich gleich auffangen", fügt sie nach kurzem Zögern hinzu und beginnt dann leise zu singen:
    "Einen kleinen runden Stein, geworfen in den tiefen Brunnen,
    Eine Zeile meines Lied`s gesungen in den dunklen Schacht...
    Echo komm, laut oder leise, dumpf und hohl oder auch klar
    Zeige mir auf deine Weise ob Magie gewoben war.
    Oder nicht?"


    Alanis muß sie nicht auffangen, sie steht einen langen Augenblick mit geneigtem Kopf und scheint zu lauschen.
    "Da ist nichts", sagt sie schließlich nicht wenig erstaunt.

  • Alanis hatte die Szene mit angehaltenem Atem betrachtet, die Finger um das Amulett, das immer um ihren Hals hing, geschlungen. Als Kassandra ihr das Ergebnis ihrer Betrachtung mithalten, ließ sie die aufgestaute Luft mit einem tiefen Seufzer entweichen.


    "Dann - habe ich zumindest kein Problem. Gerade. Akut." Ein seltsamer Ausdruck huschte über ihr Gesicht. "Ich hab Thraxas gesagt, dass das Ding in Amonlonde ist. In den Bleikammern der Akademie. Zumindest sitzen er und ich gerade nicht auf einer tickenden Bombe. Auch wenn es nicht klärt, wohin die Magie gegangen ist."

  • "Du hast ihm gesagt..." Kassandra bricht kichernd ab.
    "Na, danke. Der war mir ja grade schwierig genug..."
    Sie schenkt Alanis einen langen Blick.
    "Ja, ich hatte auch schon die Befürchtung daß das Ding ... Sachen mit dir anstellt. Gut, daß wir das geklärt haben."

  • Ein wenig brummig blickte Alanis zu Boden, als sie Kassandras Blick auf sich ruhen fühlte.


    "Schwierig wird es, wenn er rausfindet, dass ich ihn belogen habe." Sie verschränkte die Arme vor der Brust. "Und ich bin mir ziemlich sicher, dass das Chaos keinen Einfluss auf mich haben kann, solange ich den Elementen folge und unbedingt an sie glaube." Ein wenig verzog sich ihr Mund. "Außerdem bin ich schon so kaputt, da kann es sich nirgendwo festsetzen."

  • Kassandra wirft einen weiteren Blick auf die Unordnung um sie.
    "Liebes, gegen so was zu bestehen, damit haben auch Leute Probleme, die stärker sind als du", versucht sie Alanis zu trösten.
    " Und seit wann bezieht du die Fünfe mit ein?"

  • Alanis schmunzelte und folgte Kassandras Blick.


    "Ich kann Dir versichern, dass mein Arbeitsplatz seit Jahren so aussieht und nicht erst seit Kurzem." Sie hob ein wenig hilflos die Schultern. "Wenn man einmal eine Ecke aufgeräumt hat, ist die andere schon wieder unordentlich. Da kann man nichts machen."


    Sie nahm die fünf bunten Steine aus der Schale mit dem Sand, hielt sie auf der Handfläche und blickte grüblerisch darauf.


    "Dass die Fünfe hier das Sagen haben, ist unstrittig. Und meine Fünf und ihre Fünf sind gar nicht so weit entfernt."

  • Thraxas betrat die Küche und wunderte sich, daß niemand mehr da war. Dann hörte er leise Stimmen von oben und ihm war klar, daß die Frauen sich nun im Arbeitszimmer befinden mußten. "Gut," sagte er leise zu sich, "dann hat das ja noch etwas Zeit."
    Der Landsknecht nimmt einen tiefen Schluck aus der Flasche Portwein, die auf dem Tisch stehen geblieben ist und macht sich dann daran einige Dinge aus der Speisekammer zu holen, um sie für das Essen vorzubereiten.

  • "Hast du nicht mal mit vier Elementen angefangen?", fragt Kassandra nach. Nicht, daß sie jemals mit Elementaristen über die Anzahl der Elemente streiten würde. Wo die sich doch schon untereinander nicht auf eine gemeinsame einigen konnten.

  • Die Geweihte grinste.


    "Das waren schon immer fünf. Also zumindest bei uns. Wir kommen ja auch nicht aus Dargaras und haben direkt mal neun davon."


    Sie streckte die Hand nach dem Stein aus.


    "Gut. Dann stelle Ich den jetzt ins Regal. Und sehe ihn mir an, als Mahnmal dafür, dass ich nicht lügen und keine Zeitbrüche erzeugen soll."

  • "Ach, es gibt Leute, die haben zwölf oder dreizehn", winkt Kassandra ab.
    "Ja, tu das. Und als Erinnerung daran, daß man sowas nicht mit nach Hause nimmt. Nie", sagt sie eindringlich. "Das nächste Mal läßt du`s bitte wirklich in der Akademie. Oder in den Bleikammern des nächsten Tempels." Sie schaut Alanis ins Gesicht. "Versprich mir das!"

  • Im Alanis Gesicht arbeitete es sichtlich.


    "Das ist schwierig zu versprechen, wenn die Umstände nicht genau definiert sind." Sie warf Kassandra einen entschuldigenden Blick zu. "Ich kann versprechen, dass ich solche Dinger nicht mehr durch die Gegend trage, wenn nicht eine sichere Aufbewahrungsmöglichkeit in der Nähe ist."

  • Kassandra seufzt.
    "Gut, damit kann ich leben", nimmt sie das Versprechen an. Daß die Umstände eine solchen Fundes nicht kontrollierbar sind weiß sie ja selbst.
    "Warum hast du`s nicht in der Akademie gelassen? Oder in Gothis Tempel? Oder bei Malglin?", fragt sie dann, ohne daß sich aus der Frage ein Vorwurf hören läßt.