Das Haus von Alanis am Oberen Stichweg (5)

  • "Nein, ich denke nicht, daß es eine andere Quelle ist, denn das hätte Schwester Lora gesehen." wehrte Thraxas ab. "Es ist eine Kraft aus dem Licht und das Licht ist die Silberne, daran zweifle ich nicht. Und eigentlich ist es ja auch egal, warum ich diese Gabe habe. Wichtig ist, daß es keine Magie ist und wichtig ist, daß es eine Gabe des Lichts ist." stellte er fest.

  • "Hm", machte Alanis und blickte für einen Moment grüblerisch ins Herdfeuer. "Das 'Warum' finde ich persönlich ehrlich gesagt ziemlich wichtig. Denn niemand erhält ein solches Geschenk - der Götter, der Elemente, des Lichts - ohne Hintersinn und einfach so im Vorbeigehen." Sie machte eine wegwerfende Geste mit der Hand. "Aber gut, wenn es für Dich nicht wichtig ist, woher sie kommt, dann akzeptiere ich das."


    Vorerst. Sie steckte den ersten Bissen Fleisch in den Mund und kaute. Kalt. Aber köstlich. Sie seufzte leise und zufrieden, dann nahm sie den Faden wieder auf.


    "Und obwohl es das Licht ist, verletzte es Deinen Körper, wenn Du die Gabe anwendest", fasste sie ihren Wissensstand noch einmal in Worte. "Wie erklärst Du Dir, warum das geschieht?"

  • So,wie Alanis das verstanden hatte, hatte er das nicht gemeint, aber es zu korrigieren machte er nicht den Versuch, weil er glaubte es ihr sowieso nicht erklären zu können.
    Stattdessen beantwortete er die Frage der Priesterin. "Ich kann das nicht erklären." gab er zu. "Aber die Haelga und der Yuron haben versucht mir etwas darüber zu erzählen.
    Es soll so sein, daß sich die Kraft, die wirkt wenn man die Gabe anwendet oder die göttliche Kraft, die dann durch einen hindurchfließt oder so...ja also das sich diese Kraft, wenn sie nicht richtig kata...kano...kala..." suchte er das Wort, welches Yuron verwendet hatte. Es hatte etwas mit Wasser zu tun gehabt. "Äh, kanalisiert wird. Ja, kanalisiert, wie Wasser, also, wenn der Kanal der das Wasser führt nicht richtig befestigt ist, dann reißt das Wasser ja auch kleine Stückchen aus dem Ufer." sagte er dann glücklich das Wort gefunden zu haben. Und fuhr fort: "Und das macht die Kraft mit dem Körper genauso. Sie setzt dem Körper zu, wenn man nicht irgendwelche Dämme in seinem Inneren errichtet."
    Erst lächelte er Alanis stolz an, dann fragte er aber besorgt: "Oder habe ich das falsch verstanden?"

  • Alanis lächelte vor sich hin.


    "Sehr richtig", gab sie zufrieden zurück. "Ein Priester oder jemand, der eine Kraft wirkt, die ihm geschenkt wird, ist nur ein Gefäß und dieses Gefäß kann beschädigt werden, selbst wenn der Priester sehr glaubensfest oder erfahren ist. Ich habe das schon selbst erlebt und weiß, wie unangenehm das ist." Sie machte eine kleine Pause und verzog das Gesicht. Der tagelange Geschmack von Blut in ihrem Rachen und die rasenden Kopfschmerzen - das war nichts, was sie jemals wiederholen wollte. "Dieses Bauen von Barrieren...das ist ein Zusammenspiel von Körper und Geist. Sind Körper oder Geist unvorbereitet oder unwillig, entsteht Schaden."


    Dieses eine Worte betonte sie, um eine Reaktion des Landsknechts zu bewirken.

  • Thraxas verstand sehr wohl, was Alanis sagen wollte und nahm den Ball auf. "Unwillig kann ich ja eigentlich nicht gewesen sein, denn ich wußte ja nichts von dieser Kraft die durch mich floß und die in mir war. Ich muß sie jedes einzelne Mal unbewußt freigesetzt haben."
    Der Landsknecht machte eine säuerliche Miene. "Und ja,ich weiß, daß ich mich ausgesprochen unwillig gezeigt habe diese Gabe zu akzeptieren.
    Nein." korrigierte er sich sogleich. "Ich war ausgesprochen unwillig zu akzeptieren, daß ich eine solche Gabe habe, denn ich befürchtete es sei Magie und Magie ist ein Fluch und was anderes konnte es eigentlich nicht sein, denn wer bin ich schon, daß mir das Recht zu teil wird göttliche Kraft zu erbitten und zu lenken?
    Jetzt weiß ich, daß sie da ist und woher sie kommt. Ich heiße sie nicht wirklich willkommen, denn sie wird mein Leben verändern, auch wenn ich das nicht will. Und wenn die Leute mitbekommen, das ich diese Gabe besitze, dann wird das auch ihr Verhältnis zu mir ändern und das ist nichts, was ich für erstrebenswert halte."

  • Die Geweihte hörte aufmerksam zu und nickte hie und da. Immer neue Fragen erschienen auf ihrer geistige Liste und sie ahnte, dass noch einige anstrengende Gespräche vor ihnen lagen.


    "Ja, wer ist man schon." Alanis verzog schließlich den Mund zu einem schiefen Lächeln. "Was, denkst Du, wird sich am Umgang der Leute mit Dir ändern? Ihre Erwartungen an die Dinge, die Du tun kannst?"

  • "Ja, das wohl! Und ihr habt Schwester Lora gesehen, die vor mir niedergekniet ist und das ist falsch. Es ist aus zwei Gründen falsch. Einmal sollte ihro Gnaden nicht vor mir knien, sondern ich vor ihr und zum zweiten ist es falsch, weil ich nicht irgendetwas geleistet habe, was Respekt und Verehrung verdient, sondern einfach weil irgendwas in mir ist." Der Landsknecht redete sich in Rage.

  • "Warum würdest Du vor Schwester Lora knien? Und vor allem - vor welchem Teil von ihr? Vor der Frau oder vor der Vertreterin ihres Gottes?", gab Alanis mit einem gelassenen Lächeln zu bedenken. "Du solltest nicht darüber wütend werden, dass Deine Freunde vielleicht den selben kleinen Ritualen folgen würden wie Du selbst sie hin und wieder anwendest."


    Sie blickte kurz schuldbewußt auf ihren Teller herunter und stellte fest, dass er sich tatsächlich nicht von selbst geleert hatte. Es war fast wie auf Reisen - zu wenig Zeit.


    "Die Menschen sehen die Götter, die sie anbeten, in den Priestern. Die Priester sind Teil ihre Lebens, sie sind ihnen nahe und damit sind auch die Götter nahe. Die meisten Menschen wissen aber auch, dass Priester nichts anderes sind als Mittler, gänzlich ohne eine eigene Kraft, eben nur Gefäße für einen Willen, der nicht ihr Eigener ist. - Und dann kommt da der Landsknecht, der eine göttliche Gabe geschenkt bekommt. Die da ist. Präsent. In ihm. Hier in unserer Sphäre. Zu seiner Verfügung, von einer göttlichen Präsenz geschenkt, die offenbar fest davon überzeugt ist, dass der Landsknecht frei damit umgehen kann. Wie soll eine Schwester Lora da nicht staunen, dass ein Thraxas ein größeres Geschenk bekommen hat als sie selbst?"


    Ihre Stimme war sehr sanft geworden und etwas vibrierte darin, das sich schwer benennen ließ. Die Szene am letzten Abend des Festes der Drachen stand ihr wieder vor Augen und sie spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte.

  • Sofort wiegelte der Landsknecht erschrocken ab. "Ich glaube nicht, daß ich ein größeres Geschenk als Schwester Lora bekommen habe. Wir sind sicher nicht vergleichbar und zur freien Verfügung habe ich gar nichts."
    Etwas ruhiger fuhr er fort: "Frau Alanis, ich will und werde mit meiner Gabe nichts anderes tun als bisher auch. Ich möchte heilen und wenn es der Silbernen gefällt, dann in seltenen Fällen auch mit ihrer Hilfe, aber ich werde mit dieser Gabe nicht hausieren gehen und ich werde sie nicht zur Schau stellen. Ich will Thraxas bleiben, Feldscher und Armbruster. Ich möchte erreichen, das diese Gabe mich nicht mehr kaputtmacht, das ich die Kraft in den seltenen Fällen, in denen ich um sie bitten werde so lenken kann, das ich an Körper und Geist unversehrt bleibe.
    Ich will kein Priester werden und ich kann sicher keiner sein. Ich scheine mich überhaupt nicht dazu zu eignen Menschen auf den richtigen Weg zu führen und dort zu halten."
    Bei den letzten Worten vibrierte auch Thraxas' Stimme, aber vor so viel Bitterkeit, daß sie mit Händen greifbar schien.

  • "Es geht selten um das, was man selbst von sich glaubt", versuchte Alanis, ihm gut zuzureden und fühlte sich ein wenig hilflos. Obwohl sie von ihren eigenen Worten überzeugt war, konnten sie kaum bei jemandem wirken, dem das Leben Gefühle eingegeben hatte, die in diesem Moment alles Reden zunichte machen konnten. Ernst sah sie ihn über dem Tisch hinweg an, in ihren Augen lag ein bestimmender Ausdruck. "Es geht immer nur darum, was die Anderen in Dir sehen - und die Mächte, denen Du dienst. - Und lass mich Dir etwas sagen: ich bilde mir ein, die Menschen zu kennen. Und ich erkenne in Dir jemanden, der ein großartiger Anführer ist. Du darst nur nicht vergessen, dass es zwar Deine Entscheidung sind, jemandem voranzugehen, aber dass die Menschen noch immer die Gabe haben, sich frei entscheiden zu dürfen. Und dafür bist Du nicht verantwortlich."


    Wenn er ihr sagen konnte, dass er in sie und ihre Fähigkeiten glaubte, dann konnte sie das ebenfalls. Und es war keine Lüge, sondern kam sehr bestimmt und ehrlich aus tiefster Seele.

  • Thraxas lächelte gequält. "Ich möchte den Menschen dienen. Ich möchte in dem kleinen Teil, den ich beeinflussen kann, die Welt zu einem besseren Ort machen."
    Seufzend fuhr er fort: "Vielleicht kann mir diese neue Gabe dabei helfen und dann werde ich sie dankend annehmen und begrüßen."

  • Alanis schlug unter dem Tisch die Beine übereinander und ließ sich auf ihrem Stuhl ein kleines Stückchen tiefer rutschen. Sie seufzte.


    "Kräfte zu besitzen ist ein wunderbares Geschenk. Aber sie werden Dein edles Ansinnen nicht leichter machen machen. Im Gegenteil: diese Kräfte des Glaubens werden Dich mit einer ganz neuen Art von Hilflosigkeit bekannt machen. Denn wo vorher in Dir und Deiner Menschlichkeit die Begrenzungen dessen lagen, was Du tun kannst, werden die Grenzen nun anders gezogen - aber sie werden dennoch da sein. Und das kann einen in die Verzweiflung treiben."


    Auch wenn ihre Worte nüchtern klangen, der Ausdruck in ihrem Gesicht war es nicht.


    "Ich denke dass Du recht klar siehst, dass Deine Gabe sehr wahrscheinlich trotz ihres guten Kerns die Probleme in dieser Welt nicht grundlegend verändern wird." Ihr Gesichtsausdruck wurde freundlicher. "Was aber nicht heißt, dass es die Menschen mit dem großen Herzen nicht im kleinen Rahmen immer wieder versuchen sollten", nahm sie eine Bemerkung von Thraxas vor einige Stunden wieder auf und dann wurde sie sich bewußt, was sie da eigentlich tat. "Entschuldige, ich klinge nicht so optimistisch, wie ich es sollte", gab sie zerknirscht zu.

  • "Ihr klingt realistisch, Euer Gnaden." erwiderte der Landsknecht lächelnd. "Und genau deshalb habe ich mich entschieden zu euch zu kommen. Ich brauche jemanden, der den Realitäten ins Auge sieht und mich nicht mit Schönfärberei zu beruhigen sucht.
    Ich mag ehrliche, offene Worte und da seid ihr genau die Richtige."

  • Inzwischen war es vor den Fenstern stockdunkel geworden. Es hatte wie erwartet angefangen zu regnen und das stete Wehen des Windes trug die kühle Feuchtigkeit langsam ins Haus, wenngleich das Herdfeuer sein Bestes tat, um sie zu vertreiben.


    "Gut. Das beruhigt mich." Ein kurzes Lächeln folgte, in dem ein Hauch Unsicherheit mitschwang. "Ich bin im Verlauf meiner Priesterschaft nicht wirklich diplomatischer geworden, was meine Meinungen angeht. Und es wäre doch schade, wenn der erste Mensch, der mich freiwillig als Meister wählt, sich daran stören würde."


    Sie entschied, dass sie keinen Hunger mehr auf das Abendessen hatte. Aber aus den Resten würde sich am nächsten Tag sicherlich etwas Schönes zaubern lassen, als vergewisserte sie sich, dass Thraxas satt war und räumte das übrig gebliebene Essen in den Topf und stellte ihn auf den Küchenschrank. Von dort nahm sie zwei größere Tongefäße herunter und brachte sie zum Tisch, ebenso zwei Gabeln.


    "Eingemachte Früchte - mit und ohne Alkohol. Was Du lieber magst." Sie schob eine Gabel zu Thraxas hinüber und öffnete dann das Gefäß, das lediglich Früchte, Gewürze und Zucker enthielt. Mit einem sehr zufriedenen Gesichtsausdruck fischte sie sich eine Himbeere heraus.


    "Ich schlage also vor, dass Du erst einmal richtig ankommst und Dich einlebst. Ich zeige Dir morgen einige Übungen zur Meditation und Entspannung und dann gehen wir weiter. - Ich vermute wir haben keinen Zeitdruck?"


    Fragend legte sie den Kopf zur Seite.

  • Der Landsknecht nahm sich ebenfalls eine Frucht aus Alanis' Topf, genoß sie und beantwortete dann erst Alanis Frage. "Ich würde gerne im Frühjahr weiterziehen können, wenn es möglich ist, aber wenn nicht, dann werde ich auch länger bleiben."
    Dann sah er kurz zum dunklen Fenster und dann wieder zu Alanis. "Euer Gnaden, solltet ihr irgendwann feststellen, das wir nicht weiterkommen, so bemüht euch dann nicht fruchtlos, ich möchte eure Zeit nicht über Gebühr beanspruchen."


    Eine weitere Frucht verschwand in seinem Mund.

  • Die Priesterin schüttelte amüsiert den Kopf.


    "Wenn es soweit kommen sollte, dann werde ich es Dir sicherlich sagen. Aber nicht, weil Du mir 'Zeit stehlen' könntest. Ich hätte Dich nicht eingeladen, wenn ich denken würde, dass ich etwas verlieren könnte. Im Gegenteil." Ihr Blick wurde leicht melancholisch. "Meine Meister drängen mich seit Jahren, dass ich einen Schüler nehmen soll, um ausgeglichener zu werden und auf meine alten Pfade zurückzukehren. Auch wenn das hier jetzt nicht wirklich ihren Vorstellungen entsprechen dürfte, weil Du nicht elementegläubig bist und ich nicht vorhabe, Dich zu überzeugen."

  • Thraxas lachte. "Und sicher wären sie begeisterter über einen jüngeren, formbareren Eleven."
    Dann grinste er breit und setzte hinzu: "Und ob ich wirklich dazu tauge, euch eure Mitte finden zu lassen, wird sich erst noch weißen müssen. Ich hoffe, ich bewirke nicht das Gegenteil!"

  • Alanis wiegte leicht den Kopf hin und her und dachte an ihre Meister.


    "Ich glaube zumindest Khai Thee - unser Hochgeweihter - wäre über einen weiblichen Lehrling erfreuter als über einen männlichen. Er mag Frauen in jeder Form und ...ehm... ja." Sie winkte ab und schmunzelte. "El Gar, mein eigentlicher Meister seit über zehn Jahren, würde sich einfach darüber freuen, dass ich jemanden gefunden habe, der mich eine Weile begleitet. Er war auf dem diesjährigen Fest der Drachen mit seiner neuen Novizin im Grünen Lager. Sie ist sehr jung und es kam mir vor, als täte es ihm ein wenig Leid, dass er nun noch weniger Zeit für mich haben wird."


    Sie fischte nach einer weiteren Himbeere...sie liebte Himbeeren.


    "El Gar hat mir vor Jahren gesagt, dass man die Dinge wirklich erst vollends versteht, wenn man sie jemandem erklären muss. In der Medizin habe ich das auch schon feststellen können, nur nicht in meiner Priesterschaft. Ich bin also sehr gespannt - und weigere mich zu glauben, dass Du das Potential hast, mich ernstlich aus dem Gleichgewicht zu bringen."

  • Zu Alanis erster und letzter Bemerkung schmunzelte Thraxas. "Wir werden sehen, wie gut oder schlecht ich für euer Gleichgewicht bin, Euer Gnaden. Natürlich hoffe ich, gut für euch zu sein!" entgegnete er.
    "Es wäre schön, wenn ich beim nächsten Fest euren Meister mal kennenlernen könnte. Aber jetzt ist das unwichtig. Ich teile seine Meinung, daß es hilfreich sein kann, Dinge vollständig zu verstehen, wenn man sie erklären muß."

  • "Bevor ich allerdings mit dem Erklären anfangen kann, musst Du mir noch einiges erklären", spielte sie dann den Ball zurück und furchte kurz die Stirn, als sie sich gedanklich zu sortieren versuchte. "Wenn Du sagst, dass Du diese Gabe schon länger in Dir hast, welche Momente könnten es in der Rückschau gewesen sein, in denen Du sie angewandt hast? War es nur Heilung?"


    Die Wärme des Feuers machte sie müde und sie gähnte leise hinter der vorgehaltenen Hand. Eigentlich war es noch zu früh ins Bett zu gehen - sonst würde sie am Folgetag wieder um fünf Uhr aufwachen.


    "Wobei eine Heilung natürlich einen eindeutig zu beobachtbaren Effekt hat."