Ein Gasthaus im Schnee...

  • Wenn im Leben alles mit Obst und Gemüse zu lösen wäre... . Alanis schmunzelte flüchtig und trank noch einen Schluck Tee.


    "Nichts, was im Leben geschieht, ist ohne Bedeutung", erklärte sie dann nachdenklich. "Für Dich war das, was Du gesehen hast, so wirklich, dass es Dich davon überzeugt hast, hierher reisen zu müssen. Ob es nun ein Wink des Lichts selbst war oder Sorge um eine Freundin oder auch eine Täuschung, die Dich ergriffen hat, ganz gleich. Aus allem erwächst Neues und alles Neue ist immer ein Gewinn."


    Sie schob ihre leere Tasse von sich und stand auf, ihre Schuhe in die Hand nehmend. Ihre Füße waren endlich wieder warm und trocken, ein wahrer Gewinn.


    "Weckst Du mich morgen früh?", bat sie Thraxas dann. "Ich glaube nicht, dass ich aus eigener Kraft aufwache, also lass Dir was einfallen." Eine kurze Pause, dann grinste sie kurz. "Etwas Nettes?"

  • Der Landsknecht lachte und sagte dann entrüstet: "Nie würde mir etwas nicht Nettes einfallen um Euch zu wecken, Euer Gnaden!" aber der Schalk war deutlich in seinen Augen zu sehen. "Ich werde mir etwas Nettes einfallen lassen, Frau Alanis. Seid unbesorgt." sicherte er der Geweihten zu.


    Er erhob sich. "Ich muß jetzt in den Stall. Ich wünsche Euch eine gute Nacht und einen erholsamen Schlaf! Möge Bishdariel über Eure Träume wachen!"


    Dann ging er hinaus und zum Stall hinüber.

  • "Schlaf gut", wünschte sie ebenfalls lächelnd. Auch wenn sie sich für einen Moment fragte, was wohl das Märchen des Tages - oder vielmehr Abends war -, gab es momentan nur ein Ziel, das sie hatte.


    Von der Wirtin nahm sie eine Öllampe mit und stieg in den ersten Stock hinauf, wo sie den kleinen Schlafsaal und darin auch ihre Habseligkeiten fand. Der Knecht hatte ihren Mantel an einen Haken gehängt, damit er trocknen konnte und das Bett, an dessen Fuß ihre Kiepe stand, schien frisch gemacht und in gutem Zustand zu sein. Allerdings war Alanis auch müde genug, um sich über Bettwanzen keine Gedanken mehr machen zu wollen. Sie stellte die Lampe auf dem Bettkasten ab, zog sich leicht mühevoll aus und hängte ihr Kleid neben dem Mantel zum Trocknen auf. Dann warf sie einen Blick auf ihre linke Hüfte, wo zu ihrer Erleichterung keiner der Fäden der genähten Wunde wieder aufgeplatzt war. Zufrieden fischte sie Nachthemd und Morgenmantel aus Wolle aus ihrem Korb, dessen Inhalt zum Glück trocken geblieben war und zog sich um. Aus einer kleinen Holzschachtel, die ganz unten im Korb gelegen hatte, nahm sie eine Phiole mit mattweißer Flüssigkeit, von der sie sich zwei Tropfen in den Mund träufelte, bevor sie dann endgültig ins Bett schlüpfte. Es dauerte einen kleinen Moment, in dem sie jeden Knochen im Leib spürte, bis die Mohntinktur zu wirken begann und sie gemeinsam mit der sich unter der Bettdecke ausbreitenden Wärme in tiefen Schlaf versetzte.

  • Am nächsten Morgen breitete sich langsam der Duft von frischem Brot und geschmolzener Schokolade im kleinen Schlafsaal aus. Thraxas hatte die Sachen leise auf dem Bett neben Alanis' abgestellt und war ebenso leise wieder verschwunden, in der Hoffnung, daß der Geruch und ihr Hunger die Geweihte wecken würden.


    Er selber hatte nun bereits sein Frühstück eingenommen und bepackte die Tiere für den Aufbruch.

  • Alanis wurde tatsächlich vom Geruch der Schokolade wach. Als sie sich aufsetzte und ein wenig desorientiert umblickte, fiel ihr Blick auf das Frühstück und ihr damit alles wieder ein. Anerkennend nickte sie vor sich hin. Noch leicht tapsig aufgrund der Nachwirkung des Schmerzmittels zog sie sich ein trockenes Kleid an und frühstückte dann zügig, aber nicht unangemessen kurz, durch den Raum humpelnd, bis sich ihre Muskeln gelockert und ihr Blick geklärt hatte. Dann packte sie zusammen und ging hinunter zur Wirtin, um von ihr einige Karotten und Äpfel zu erbitten.


    Wenig später erschien sie im Stall, die Kiepe geschultert.


    "Guten Morgen, Thraxas", sagte sie aufgeräumt und sah zum weißgrauen Himmel hoch. "Danke für das nette Wecken. Das weiß ich zu schätzen."


    Sie schaute, ob sie noch helfen konnte und schob dann Bergfuß die erste Bestechung in Form eines Apfels zu.

  • Bergfuß verschlag den Apfel gierig und stupste die Geweihte kurzerzeit später für einen weiteren an, bekam jedoch statt des erhofften Apfels von Thraxas einen Knuff auf die Nase. "Nein, Gierschlund! Jetzt bist Du erstmal dran mit arbeiten und lieb sein, dann gibt es vielleicht noch etwas!" lachte der Landsknecht und das Maultier quittiert mit einem empörten Schnauben, ließ sich dann aber brav nach draußen führen und die Geweihte aufsteigen.


    Wenig später waren sie auf dem Weg zum "Goldenen Smyrzling" am Gurkenpass, den sie am Abend erreichen würden.

  • Nachdem der Schnee innerhalb weniger Tage erst geschmolzen war und dann wieder zu fallen begonnen hatte, entschieden sich Alanis und Thraxas schnell, aber schweren Herzens weiter zu reisen. Die Wolkoven hatten es mit ihrer herzlichen Art und großartigen Gastfreundschaft geschafft ihnen einige unvergessliche Tage zu bereiten und die Tatsache, daß zufälligerweise noch einige weitere bekannte Gesichter und Freunde justamente am Gurkenpass festsaßen, hatte den Aufenthalt noch schöner gemacht.
    Aber nun war es Zeit gewesen weiter zu ziehen, denn sollte der Schneefall sich erneut verstärken wäre der Pass vielleicht nicht nur einige Tage, sondern Wochen unpassierbar.


    Am Abend erreichten sie ein weiteres Gasthaus direkt am Wegesrand und nachdem die Formalitäten erledigt waren und sie hungrig das Abendessen eingenommen hatten, saßen sie gemütlich und schweigend in der Ecke neben dem Kamin und genossen die Wärme.

  • Alanis hatte während des Reisetages nur das Nötigste gesprochen und meist blass und schweigsam in die verschneite Gegend geschaut. Nur Bergfuß hatte hin und wieder ein paar ermunternde Sätze und die eine oder andere Liebesbezeugung in Form von kleinen, verschrumpelten Winteräpfeln erhalten, die sie extra vom Gurkenpass mitgenommen hatte. Allerdings ließ die Geweihte nicht erkennen, dass sie sich in irgendeiner Weise unwohl fühlte. An Thraxas Nähe und kleinen enervierenden Aufmerksamkeiten im Umgang mit ihr schien sie sich inzwischen gewöhnt zu haben (sie selbst hätte es wohl Resignation genannt) und auch die Ereignisse der vergangenen Tage hatten das nicht ändern können. Es war wohl eher das Gegenteil der Fall.


    Während sie also mit dem Rücken an der Seite des warmen Kamins lehnte und die Augen halb geschlossen hielt, um in sich selbst und die Welt hinaus zu lauschen, trank sie ein Glas Wein und blickte hin und wieder prüfend zu ihrem Begleiter hinüber, so als könne sie in seinem Gesicht Antworten auf die Fragen finden, die sie bewegten. Da das allerdings erfahrungsgemäß nicht funktionierte, fragte sie schließlich leise:


    "Wie geht es Dir?"


    Der dazugehörige Blick ließ allerdings vermuten, dass sie sich mit Halbwahrheiten und Sätzen unter drei Worten nicht zufrieden geben würde.

  • Zuerst wollte der Landsknecht mit einem einfachen "gut" antworten, bemerkte aber Alanis' Blick, lächelte und sagte: "Das hängt davon ab, wie man es sieht." meinte er wenig hilfreich, um dann aber doch eine genauere Antwort folgen zu lassen, weil sich der Blick der Geweihten schon zu verdüstern anfing.
    "Meinem Körper geht es gut. Die Wunde am Kopf ist nicht schlimm und schmerzt auch nicht mehr. Im Großen und Ganzen bin ich recht ausgeruht. Was meinen Geist angeht..." begann er und sah dann von Alanis weg aus dem Fester, "...so bin ich mir da nicht so sicher. Zum einen freue ich mich und auf der anderen Seite ist mir in den vergangenen Tagen ein weiterer schrecklicher Fehler klargemacht worden und ich überlege, ob ich diesen hätte vermeiden können und ob es überhaupt etwas geändert hätte."

  • Alanis Blick war nun hellwach und aufmerksam.


    "Hat es etwas mit Deinen Fragen bezüglich der Magie und der klerikalen Kraft zu tun?", schoß sie ins Blaue. Wenn er von einem Gespräch mit Tomori zurückkehrte und direkt danach mit drei Priestern dieses Thema ansprach, dann wollte sie verdammt sein, wenn das nicht etwas miteinander zu tun hatte. "Und der Rolle dieser Kräfte in der Geschichte, die Du mir erzählt hast?"


    Sie vermied es, Namen zu nennen. Im Schankraum war nicht viel los, dennoch lohnte es sich immer, vorsichtig zu sein.

  • Thraxas nickte. "Ja, es hat etwas mit den Fragen zur Magie zu tun. Eure Antwort und die Antwort der beiden anderen stellen alles auf den Kopf, was ich in meiner Heimat über die Magie gelernt habe. Es stellt alles in Frage, was die Geweihten darüber predigen. Es negiert Gewissheiten von über 35 Jahren meines Lebens." sagte er, noch immer aus dem Fenster schauend.
    Dann schnellte sein Kopf herum und er fixierte die Geweihte mit einem stechend scharfen Blick. "Und wenn die Kirche über die Magie lügt, welchen Anlass habe ich dann dem Rest ihrer Märchen zu glauben?" Thraxas' Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn.

  • Alanis Kopf zuckte bei soviel Heftigkeit ein wenig zurück und kollidierte sachte mit der Wand des Kamins. Mit dieser Reaktion hatte sie nicht gerechnet, auch wenn sie sich selbst gegenüber zugeben musste, dass sie nicht gänzlich unerwartet kam. Man konnte nicht erwarten, dass nichts geschah, wenn man Weltbilder ins Wanken brachte.


    EIn Hauch von Bedauern kehrte in ihren Blick ein.


    "Du hast gar keinen Anlass, der Kirche zu glauben", erklärte sie ruhig. "Niemand hat das. Nirgendwo ist das Wesen der Elemente, der Götter, deckungsgleich mit dem, was die Priester über sie erzählen. Aber Du hast genug erlebt, um beurteilen zu können, was ein Märchen ist und was nicht. Und welche Funktionen Märchen haben können, um die Menschen zu leiten - im Guten wie im Bösen."


    Sie leerte ihr Weinglas mit einem Zug und goß sich nach. Dann schob sie die Flasche zu Thraxas hinüber.


    "Dieselbe Fragen solltest Du Dir übrigens nicht nur über Deine Götter stellen - sondern auch über den Silbernen."

  • Thraxas schob die Flasche unangetastet zurück. Seine Augen verengten sich. "Warum sollte ich den Silbernen in der gleichen Weise hinterfragen, wie die Geschichten der Geweihten der Zwölfe? Was meint ihr damit?"

  • Alanis verspürte den Impuls, schützend die Arme vor dem Körper zu kreuzen, aber sie beherrschte sich. Sie hatte die Szene von vor einigen Tagen nicht vergessen, als Thraxas Serana so sehr erschreckt hatte, dass diese völlig aufgelöst Trost bei ihr gesucht hatte. Sie hoffte sehr, dass er seinen Zorn nicht auf sie richten würde, aber das musste sie wohl nun offenbar aushalten. Sie erwiderte seinen Blick ohne große Scheu.


    "Ein Avatar ist niemals die göttliche Entität selbst, ebenso wenig wie die Kirche des Lichts, die seinen Willen predigt, und das dürfen wir niemals vergessen. Was wir als den silbernen Weg kennenlernen, ist immer Interpretation und in meinen Augen niemals die vollständige Wahrheit." Sie lächelte kurz, aber warm. "Auch wenn ich natürlich keine Zweifel daran habe, dass der Weg an sich richtig und gut ist."

  • Thraxas entspannte ich etwas, weil er an kleine Veränderungen in Alanis' Haltung ihre Anspannung sah. Er lehnte sich zurück und sah wieder aus dem Fenster. "Keine Sorge, Frau Alanis, ich weiß, daß der Avatar nur ein Teil des Drachen ist und niemals seine Gesamtheit sein kann. Deshalb ist der Avatar auch nicht unfehlbar, denn wenn der Drache in seiner Aufmerksamkeit abgelenkt ist, so kann es sein, daß der Avatar selbst fehl geht. Ich habe bereits mit anderen zusammen Handlungen und Anweisungen des Avatars in Frage gestellt oder nicht ausgeführt, weil sie mit meiner Überzeugung so schnell nicht in Einklang zu bringen waren.
    Wenn Ihr genauere Ausführungen zur Fehlbarkeit von Avataren wünscht, dann solltet Ihr mit Helmbrecht sprechen."
    Kurz schaute er die Geweihte an, dann schloß der Landsknecht die Augen und sagte: "Und die Kirche des Lichts ist für mich keine Authorität in Glaubensfragen und bei der Interpretation des Willens des Drachen und der Auslegung des Weges für mich nicht mehr Wert, als jeder einzelne andere Silberne. Es gibt Leute dort, deren Meinung ich sehr achte, aber nicht weil sie Mitglied dieser Kirche sind, sondern trotzdem."
    Dann öffnete er seine Augen wieder und schaute Alanis um Entschuldigung bittend an. "Es tut mir leid, wenn meine zum Teil heftigen Reaktionen Euch eine Einschätzung schwer machen. Seid versichert, ich werde Euch niemals Schaden zufügen - es sei denn Ihr gleitet in die Finsternis. Den letzten Teil sagte Thraxas nicht laut.

  • "Ich -." Die Geweihte schaute kurz zu Boden, aus dem Konzept gebracht und errötete leicht. "Das weiß ich, Thraxas. Sieh meine Reaktion nicht als Wertung Deines Verhaltens, sondern als schlechte Gewohnheit, die aus schlechten Dingen entstanden ist."


    Sie schüttelte kurz den Kopf, sowohl über sich als auch, um wieder zu ihrem Gedanken zurückzukehren. Sie hob den Blick wieder zu ihrem Gesprächspartner.


    "Weißt Du, was für eine Frage seit dem Abend in meinem Kopf herumgeht? Wie die Sache mit Tomori ausgegangen wäre, wenn Dir die silberne Avatarin nicht gesagt hätte, dass Du mit Deinen Bestrebungen, sie zu retten, auf dem silbernen Weg bist." Sie stockte kurz. Das hatte sie eigentlich gar nicht sagen wollen und sie wirkte fast erschrocken darüber. Nun stand sie doch mit einem Bein in einer Kontroverse, die sie eigentlich bisher hatte von sich forthalten wollen. "Auch wenn man solche Gedankenspiele nicht spielen sollte, weil sie einen frustrieren."

  • Thraxas hob überrascht eine Augenbraue. "Aber nicht doch, Euer Gnaden!" erwiderte er. "Man sollte genau solche Gedankenspiele spielen und noch viele mehr davon. Nur meist muß man sie alleine spielen und dann bleibt einem nur die eigene Weisheit - mit der es manchmal nicht weit her ist. Wenn man es aber zu zweit oder sogar zu noch mehr spielen kann, dann ist das viel besser."
    Der Landsknecht lächelte schmal und sagte: "Hätte mich die Silberne nicht bestärkt oder Tomori nicht willkommen geheißen, dann hätte ich sicher nicht solange durchgehalten. Es gab immer wieder Phasen des Zweifels, weil mich so viele einen Narren und Tor gescholten haben und jedesmal habe ich sie überwunden, weil ich wußte, daß sie alle nicht so tief sehen konnten wie ich. Weil sie nur das sahen, was sie sehen wollten oder was Tomori sie in den kurzen Zeiten in denn sie aufeinander getroffen waren sehen ließ. Ich sah tiefer, weil Tomori mich auch Dinge sehen lassen mußte, die sie vor anderen verbergen konnte.
    Als sie dann aber ging, da war ich am Ende und die Zweifel hatten gesiegt. Ich dachte, ich hätte den Weg lange verlassen und wäre nicht mehr Wert ihm weiter zu folgen."
    Tränen stiegen in die Augen des Mannes.
    "Ich ging zur Silbernen selbst, kniete vor ihr und bat um Vergebung für mein Versagen, entschlossen in der großen Schlacht, auf die wir warteten den Tod zu suchen und zu finden. Aber sie sagte mir, es gäbe nichts zu verzeihen und zeigte mir, was ich erreicht hatte. Zuversicht durchströmte mich und die Zweifel wurden zurückgedrängt, aber leider nicht vernichtet."

  • Alanis hörte ihm geduldig und mit mifühlender Miene zu. Je weiter er sprach, desto mehr spürte sie, wie sich ihr Hals zusammenzog. Sie blinzelte, weil ihre Augen ebenfalls feucht zu werden drohten, doch dieses Mal hatte sie sich unter Kontrolle. Nicht wie bei jenem Gespräch mit dem Sigmariten Miron in dem stockdunklen Raum, in dem sie für einen Moment zusammengebrochen war, weil sie glaubte, mit allem, was in diesen Tagen auf ihren Schultern lag oder gerade erst offenbart hatte, nicht fertigwerden zu können. Bloß nicht weinen, beschwor sie sich. Sie brauchte Abstand, um Thraxas eine gute Ratgeberin sein zu können und den würde sie nicht finden, wenn sie sich zu sehr auf ihn einließ. Aber das war ziemlich, ziemlich schwer... .


    Spontan rückte sie ein wenig näher und nahm eine seiner großen Hände in die ihren. Ein Spiegelbild jener Geste, mit der er sie vor einigen Wochen so irritiert hatte, die nun aber weniger Überwindung kostete als sie gedacht hatte. Aufrichtige Anteilnahme lag in ihren Augen.


    "Es tut mir so Leid", sagte sie leise. "Dass sie Dir den Zweifel nicht vollends genommen hat. Das würde es wenigstens für Dich erträglich machen." Sie seufzte leise und scheiterte am kläglichen Versuch eines Lächelns. "Ich suche nach Argumenten, die Dich zu dieser oder jener Entscheidung bewegen könnten, aber ich finde keine, die Du sicher nicht schon einmal gehört hast. Ein Teil von mir denkt, dass Du vielleicht auserwählt bist, um die silbernen Tugenden zu den Menschen zu bringen und dass die Geschichte um Tomori und Dich ein Mahnmal für Andere darstellen soll. Ein anderer Teil von mir denkt, dass Du mit Deiner Fokussierung auf den silbernen Weg nicht siehst, dass es andere Wege geben muss, die einen hin und wieder leiten, damit man nicht im selben Maße engstirnig wird wie die, die über Dich spotten."

  • Thraxas ließ seine Hand kurz in der von Alanis ruhen, drückte diese dann sanft und entzog sie Ihr. Während er wieder in die Augen der Geweihten sah sagte er: "Wir alle sind dazu auserwählt mit unseren Taten und Worten ein Beispiel für die Menschen zu sein, Licht ins Dunkel zu bringen und die Tugenden zu verbreiten. Ich bin da nicht besser geeignet als jeder andere.
    Es ist ganz gut, daß meine Zweifel nicht gänzlich verschwunden sind, denn die Grenze zwischen Gewissheit und Starrsinn ist schmal. Ich danke der Silbernen, daß sie mich weiterhin mein Handlungen in Frage stellen läßt, denn nur so kann ich mich verbessern."
    Nun ging sein Blick wieder zum Fenster, in dem nichts mehr zu sehen war, weil die Nacht das Draußen gelöscht hatte, trotzdem schien der Landsknecht in die Ferne zu sehen. "Ich kenne die anderen Wege wohl, euer Gnaden. Auf einigen bin ich bereits früher gewandert, aber keiner ist vergleichbar mit dem Silbernen, keiner hält für mich mehr Antworten bereit und kann mir ein besserer Leitstern sein, um im Licht zu bleiben."


    Seine Augen kehrten zu Ihren zurück und er setzte hinzu: "Ihr habt gesehen und gehört, was mich beim Gänseessen packte. Es ist nicht die einzige Gelegenheit gewesen, in der ich vom Weg hätte abkommen können, das Licht verlassen und den viel leichteren Weg durch die Schatten hätte nehmen können, aber die Besinnung auf die Ideale denen wir auf dem Pfad des Silbernen folgen bewahrten mich davor und werden es hoffentlich bis an mein Ende tun.
    Um die anderen Wege zu wissen ist sicher sinnvoll, aber sich von Ihnen leiten zu lassen liegt nicht in meinem Interesse."
    Sein Blick nahm an Intensität noch zu: "Ich strebe danach, so gut wie möglich in der Mitte des silbernen Pfades zu wandeln, die Verlockung der Leichtigkeit der anderen Wege ist da wenig hilfreich.

  • Alanis schüttelte den Kopf und an den Falten auf ihrer Stirn sah man, dass sie mit dem, was sie von ihm gehört hatte, ganz und gar nicht einverstanden war. Ein heftiges Gefühl wallte in ihren Augen auf, gleißend und zornig. Gegenüber der übermütigen guten Laune des vergangenen Abends oder ihrer gewohnten, mühsam antrainierten stoischen Ruhe war dies ein Kontrapunkt, wie er deutlicher nicht sein konnte.


    "Thraxas, die anderen Pfade abseits des Lichts oder abseits des silbernen Wegs sind nicht leicht. Ob nun die Wege anderer Drachen oder der Weg durch den Schatten. Und wage nicht, mir zu erzählen, der Weg durch den Schatten sei leicht." Nun schimmerte ihr Blick doch wieder feucht, doch sie riss sich zusammen. Ihre ineinander gefaltenen Hände, eine für sie so typische Geste, waren weiß, so fest fassten sie sich. "Sie sind nur anders, diese Pfade und jeder kann einem alles abverlangen. Verzeih mir, aber wenn ich das so sage - das ist die berühmte silberne Arroganz."


    Sie hieb mit der flachen Hand auf die Tischplatte und ihr Weinglas klirrte leise mit der Flasche, neben der es stand, zusammen. Einige andere Gäste in der Schankstube wandten sich ihnen zu, weswegen sie leise, aber mit drängender Stimme weitersprach:


    "Und etwas in mir weigert sich zu verstehen, warum es nötig ist, Dutzende Leben zu riskieren oder gar einen gewalttätigen Tod sterben zu lassen, nur um eine einzige Seele, die vielleicht die Chance hat, irgendwann ins Licht zurückzukehren, zu retten. Einen Leitstern zu haben - ja! Aber dafür die Seelen all jener Angehörigen, jener Freunde, jener Liebsten der Menschen, die Tomori umgebracht hat, in Trauer und Wut zu reißen, die in die Dunkelheit führt - nein. Das kann ich nicht verstehen. Darin sehe ich keinen Gewinn für das Licht."


    Sie atmete tief und zittrig durch und ihre Stimme klang auf einmal wieder ruhig, wenngleich auch ein wenig belegt.


    "Das musst Du mir erklären, damit ich es verstehe. Wirklich verstehe."