• Alanis hob eine Augenbraue. Bei der Definition des silbernen Weges und seiner Bedeutung würden sie wohl niemals überein kommen. Also verkniff sie sich einen Kommentar dazu, weil sie vermutete, dass es der Situation wohl eher zuträglich war.


    "Natürlich sind wir Priester nicht allumfassend weise. Viele Dinge, die wir erzählen, sind direkt von den Kräften eingegeben, denen wir dienen. Einiges ist sicherlich Interpretation und damit möglicherweise vom Irrtum behaftet. Und einiges Andere - nun, ich kann nicht ausschließen, dass einige Priester lügen, weil sie es für sinnvoll halten, weil es eine politsche Funktion hat - oder weil sie einfach Menschen sind und Menschen lügen nunmal hin und wieder. Aber ich denke in Deinem Fall liegen die Dinge anders, als Du sie gerade siehst." Sie lächelte ihn aufmunternd an. "Wir sollten uns wieder setzen", erklärte sie dann und sah kurz über die Schulter zu den Mäntel, die hinter ihnen vergessen auf dem Boden lagen. Ihr Tonfall ließ erkennen, dass es keine Bitte war und sie versuchte, langsam ihre Hand zurückzuziehen.

  • Thraxas gab Alanis' Hand sofort frei. Ein bisschen so, als habe er gar nicht gewußt, daß er sie noch an seine Brust gedrückt hatte. Dann ging er hinter der Geweihten her zu den Mänteln und setzte sich, nachdem Alanis sich niedergelassen hatte.
    Schweigend blickte er über den See.

  • "Erst einmal", sagte Alanis nach einer kleinen Weile leise. "Ich glaube daran, dass die guten Priester dieser Welt - an wen oder was sie auch immer glauben mögen - nicht danach trachten, die Menschen zu belügen, um sich selbst in ein besseres Licht zu rücken oder einen persönlichen Vorteil daraus zu ziehen. Lüge, Täuschung...das sind für mich die Mittel, derer sich die Gegenseite bedient."


    Sie zupfte einen Grashalm aus und drehte ihn nachdenklich zwischen den Fingern, den Blick ebenfalls auf den See hinaus gerichtet.


    "Sprechen wir theoretisch und nehmen wir also die Geschichte von Madas Fall. Gehen wir davon aus, dass vor Urzeiten wirklich genau das passiert ist, was Dir die Priester Deiner Heimat erzählt haben: sie hat den Menschen die Magie gebracht, wurde von den Göttern bestraft und an den Himmel verbannt. Daraus hast Du gelernt, dass Magie etwas Gefährliches ist, das eigentlich nicht für die Menschen vorgesehen ist. Und im Kern ist das eine sehr wahre Aussage, die nach heute Gültigkeit hat." Sie machte eine kurze Pause, um ihre nächsten Worte zu überdenken. "Gäbe es also diese Geschichte nicht, wo wäre die Welt heute? Wenn man in diesen Landen nicht mit dieser Geschichte aufgewachsen wäre? Wieviele junge Leute wären den Verlockungen der Macht erlegen und hätten Undenkbares angerichtet - zusätzlich zu dem Grauen, das Eure Heimat eh schon seit Jahrzehnten plagt?"


    Eine erneute Pause.


    "Und dann nehmen wir an, dass die Geschichte nicht so geschehen wäre, weil vielleicht das Wissen verloren gegangen ist, wie es wirklich war? Oder weil man eine Erklärung gesucht hat, warum der volle Mond so viele seltsame Kräfte besitzt? Wäre trotz all dieser Annahmen die Geschichte nicht weiterhin wahr und richtig in ihrer Aussage und vor allem ihrer Funktion? Und wäre sie nicht richtig und gut für die Menschen oder gar eine Lüge - würden Deine Götter das nicht irgendwann ahnden, anstatt diese Geschichte weiter in den Händen der Priester zu belassen?" Sie drehte sich zu ihrem Schüler und musterte ihn. "Versteh mich bitte nicht falsch. Ich weiß, dass es die Götter gibt, weil sie machtvolle Wesen in den Elementen sind. Diese Erkenntnis hat nichts mit Glauben zu tun, sondern allein mit Wissen. Zweifele bitte niemals daran, dass Deine Götter wahr und wahrhaftig in ihrer jeweiligen Natur sind. Und dass die allermeisten Priester für sie sprechen."

  • "Ich zweifle nicht daran, dass es Götter gibt." erwiderte Thraxas etwas unwirsch. "Und ich hoffe und glaube, dass fast alle Geweihten der guten Götter aufrechte Menschen sind. Natürlich könnt ihr recht haben. Die Magie gelangt aber immer wieder in die Hände schwächer , die sie nur für ihre Belange nutzen, aber warum wird die Magie von der Kirche generell dämonisiert? Warum kann man den Leuten nicht einfach sagen, dass Magie nur in den falschen Händen ein Fluch ist und sonst ein Segen sein kann?" fragte er und fuhr aber gleich fort mit einer Antwort. "Weil die Kirche sich in Ihrer Macht über die Menschen bedroht sähe, weil Magier eben ähnliche Dinge vollbringen können. Ist das redlich? "

  • "Thraxas." Alanis schmunzelte. "Glaubst Du ganz ehrlich, dass der große Teil der Menschen so selbst einsichtig wäre zu erkennen, dass er selbst diese 'falschen Hände' ist?" Sie flocht den Grashalm zwischen ihren Fingern geschickt zu einem Ring, ihrem Schüler hin und wieder einen Blick zuwerfend. "Aber ja, vielleicht geht es darum, dass die Kirchen sich bedroht fühlen. Aber vielleicht geht es auch darum, dass der einfache Mensch nicht erkennen kann, dass das, was durch die Hand der Götter geschieht, immer einen Hauch perfekter ist als das, was der beste und wohlmeinendste Magier vollbringen kann?" Sie zog die Beine in den Schneidersitz und bog kurz ihren schmerzenden Rücken durch, bis es knackte. "Für Leute wie uns ist es leicht, die Zusammenhänge zu durchdringen und zu hinterfragen. Risiken und Nutzen abzuschätzen. Die Balance, die eine gute Kirche finden muss, ist die zwischen dem Schutz und der gleichzeitigen Ermunterung ihrer Gläubigen, offen für Neues zu sein. Die wenigsten schaffen das."

  • Der Landsknecht schnaufte. "Für mich ist nichts mehr einfach zu durchschauen!" erwiderte er mißmutig. "Es gab eine Zeit, in der ich dachte, ich würde die Rolle verstehen, die die Götter mir zugedacht hatten. Ich würde die Hinweise richtig deuten, aber alle, alle meine Deutungen haben sich als falsch erwiesen. Selbst in der wichtigsten Sache, die mir die Götter aufgetragen haben, hatte ich schlußendlich keinen Erfolg."
    Dann nahm er seinen Blick vom See und blickte Alanis an, die Geweihte konnte den Schmerz in seinen Augen schon sehen, bevor sie ihn in der Stimme hörte: "Wahrscheinlich war es keine Aufgabe, die die Götter mir gaben, sondern eine aus meiner Hybris entstandene und deshalb mußte sie auch an meiner Hybris scheitern."

  • Alanis neigte leicht den Kopf, um ihm zuzustimmen, aber es lag keine Häme in dieser Regung, sondern Verständnis.


    "Wenn Du diesen Gedanken in Dir trägst, dann wird er nicht falsch sein", erklärte sie ihm freundlich. "In dem Moment, in dem man denkt, dass man den Weg verstanden hat, wird man die Dinge abseits des Weges abtun, auch wenn sie vielleicht wertvolle Ratgeber sein könnten." Sie legte ganz kurz tröstend die Hand auf seinen Arm. "Aber das geht allen Menschen so. Das wunderbare Geschenk der Elemente - der Götter - ist es aber, uns unsere Arroganz einsehen zu lassen. Und selbst dann haben wir immer noch die Wahl: entweder wir verharren in unserer Engstirnigkeit, verschließen uns vor dem Schmerz weiterer Erkenntnisse und bleiben kleine Geister oder wir öffnen unseren Blick und wachsen an dem, was sich uns zeigt. Auch, wenn uns das unsere Irrtümer und unser Versagen offenlegt."

  • Thraxas hielt seine Augen auf Alanis gerichtet und seine Stimme sachlich. "Haltet Ihr mich für überheblich und selbstverliebt, Euer Gnaden? Für blind gegenüber den Tatsachen? Für verbohrt, engstirnig und starrsinning? Wie habt Ihr mich bisher erlebt, Meisterin?" fragte er gerade heraus und für Alanis sicher überraschend.

  • Alanis brauchte nicht wirklich lang, um ihm darauf eine Antwort zu geben. Sie lächelte dabei sachte und in ihren Worte lag keine Spitze.


    "Selbstverliebt - nein, das trifft es nicht. Dafür müßte Dein Starrsinn auf Dich selbst gerichtet sein, was er nicht ist. Aber verbohrt, engstirnig und überheblich - ja, das kann ich nicht abstreiten." Sie legte den Kopf leicht zur Seite. "Eben all die schlechten Eigenschaften, die man den Silbernen so nachsagt."


    Sie sprach das gelassen aus, so als glaubte sie ganz fest, dass sie mit seiner Reaktion auf ihre Worte umgehen konnte. Innerlich war sie sich dessen aber nicht so sicher, weswegen ein wachsamer Ausdruck in ihren Augen trat.

  • Thraxas lag eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, aber er schluckte sie herunter und lächelte. "Ich danke Euch für Eure Offenheit, Meisterin!" sagte er.
    Auch, wenn ich glaube, daß Ihr falsch liegt. dachte er.
    "Vergesst nicht, daß auch Ihr eine Silberne seid und führt jetzt nicht ins Feld, daß Ihr den Ruf erst später gehört habt und auf dem Weg noch am Anfang und sich die schlechten Eigenschaften deshalb noch nicht so weit entwickelt haben." fuhr er in plauderndem Tonfall fort.

  • Alanis hob eine Augenbraue.


    "Ich habe niemals behauptet, dass ich diese Eigenschaften nicht besitze", gab sie zurück und musterte Thraxas durchdringend, so als wüßte sie recht genau, was er dachte. "Aber ich habe mit der Zeit gelernt, dass es nur Unglück nach sich ziehen kann, wenn ich meinen Glauben, meinen Weg und meine Überzeugungen als das Maß der Dinge für andere Menschen definiere. Denn dann stände ich auf einer Stufe mit einer Menge anderer Fanatiker, die ich eigentlich verachte."

  • "Ich habe Fanatiker immer nach der Durchsetzung Ihrer Ansichten be- und verurteilt." erwiderte der Landsknecht leicht verwundert. "Und wie definiert man dann das Maß der Dinge? Warum darf man nicht das Ziel verfolgen die Menschen zu überzeugen, daß der Weg den man selber geht auch ihr weg sein kann oder sollte?" fragte er und schob dann noch etwas nach, was halb Frage und halb Feststellung war. "Und also eigentlich verachtet Ihr mich, Euer Gnaden?"

  • Alanis schüttelte den Kopf.


    "Ich verachte Dich nicht. Aber mich verärgert es, dass Du ein Mensch bist, der bereits nach zwei Stunden meint, jemandem vom grauen Weg retten zu müssen, ohne die Person auch nur ansatzweise kennengelernt zu haben. Das ist oberflächlich und einseitig und ich weiß, dass Du mehr kannst als das." Sie runzelte die Stirn. "Bleib beim kann, aber spar Dir das sollte, solange die Person noch dem Weg des Lebens folgt. Und selbst wenn ein Mensch für alle guten Wege verloren scheint, so kann es nur die Aufgabe des Priesters sein, ihn auf einen guten Weg zurückzubringen - aber welcher gute Weg das ist, muss dieser Mensch selbst entscheiden und nicht der Priester, denn sonst bringt man den Menschen von der einen Zwangslage in die andere."

  • "Ich stimme nicht mit Euch überein!" brummte Thraxas nur und schaute dann wieder über den See. Er mußte gerade tierisch aufpassen, Alanis nicht derb vor den Kopf zu stoßen. Wie konnte sie, die die Herrlichkeit der Silbernen erlebt, die den Anfang des Weges gegangen war und sicherlich auch schon Einblicke in seinen weiteren Verlauf hatte, nicht davon überzeugt sein, daß der Weg der Silbernen der Weg war, der den Menschen das meiste Glück verhieß. Der Weg, der zu einer Welt in Recht und Ordnung, Anstand und Ehre führte, mit Barmherzigkeit gegenüber den Schwachen und Gnaden gegenüber denen, die kleine Fehler begingen. Welcher andere Weg versprach eine dermaßen großartige Welt?


    Er stürzte sich stattdessen auf eine andere Frage, die Alanis' Antwort aufgeworfen hatte. "Wieso sollte es nur die Aufgabe eines Priesters sein, den Menschen den rechten Weg zu zeigen? Sollte es nicht Aufgabe aller Rechtgläubigen sein durch ihr Vorbild zu ermuntern? Und was zeichnet einen Priester anderes aus, als das er von einer Kirche dazu bestimmt worden ist?" fragte er die Geweihte.

  • "Oh, das merke ich", gab Alanis geduldig zurück und lächelte. "Aber der silberne Weg ist nunmal nicht für jeden gemacht - gäbe es sonst nicht nur die eine Gottheit, das eine strahlende Licht, das uns alle leiten soll? Die Wege der Menschen sind so divers wie das Leben selbst und jeder hat seine Funktion, ob wir sie nun als kleine Sterbliche durchschauen können oder nicht. Daher ist meinem Glauben nach jeder Weg mit Respekt zu behandeln - und keiner besser als der Andere. Wenn Du also das nächste Mal wieder meinst, Menschen von ihrem Weg retten zu wollen, dann wünsche ich mir von Dir mehr Respekt für ihren Weg. Denn Du hast es selbst zugegeben - Du wurdest schon einmal eines Besseren belehrt, was Deinen Glauben und Deine Überzeugungen angeht. Es wäre doch sehr schade, wenn Du Dich gerade vielleicht wieder irrst, aber es nicht bemerkst, weil Du noch nicht bereit für neue Erkenntnisse bist."


    Sie versuchte erneut, eine bequemere Sitzposition zu finden und blinzelte zum Himmel hinauf, an dem sich eine Wolke vor die blasse Frühlingssonne geschoben hatte.


    "Wer sind denn die Rechtgläubigen? Und was beweist, dass sie das Rechte glauben?"

  • Ja, einige Wege sind mit Respekt zu behandeln, andere dagegen nicht und natürlich gibt es bessere und schlechtere Wege und das nicht jeder Weg für jeden gemacht scheint, liegt daran, daß der Mensch dann für den Weg noch nicht bereit ist. wollte Thraxas der Geweihten sagen, aber dann hatte sie ihn mit ihrer Frage vollkommen aus dem Konzept gebracht. Ungläubig und überrascht wiederholte er die Frage: "Wer sind die Rechtgläubigen?" und fügte dann lächelnd an: "Ah, ein Test, Meisterin! Die Rechtgläubigen sind diejenigen, die die lichten Götter verehren und nicht die Dämonen der Finsternis anbeten." schloß er und sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, daß damit seiner Meinung nach alles gesagt war.

  • Thraxas ahnte worauf Alanis aus war, machte ihr Spiel aber weiter mit. "Ja, da die Anhänger der Drachen jetzt nach unserer Definition lichten Göttern folgen, sind es grundsätzlich Rechtgläubige." erwiderte er.