• Die Geweihte nickte vor sich hin.


    "Also wenn wir davon ausgehen, dass die Anhänger des grauen Drachen dem Licht folgen - wie genau misst Du den Licht-Gehalt in ihrem Leben? Immerhin bist Du der Meinung, jemand wie Ashaba sei nicht Licht genug und müsse auf den silbernen Weg geführt werden, um noch lichter zu werden."

  • Thraxas lächelte nicht. "Ich bin der Meinung, daß jeder der einem anderen Weg folgt letztendlich auf den Silbernen Weg geführt werden sollte. Alle anderen Wege sind Vorbereitung für diejenigen, die dem silbernen Weg noch nicht folgen können oder wollen. Meiner Meinung nach erreichen wir die Vollkommenheit im Licht nur über den Weg des Silbernen, den Weg des Lichts." sagte er und es klang vollkommen überzeugt.

  • Alanis hingegen lächelte immer noch. Sie wirkte völlig gelassen, weil sie derartige Unterhaltungen schon oft geführt hatte.


    "Dann warten wir noch eintausend Jahre oder mehr. Und geben der Finsternis all die Zeit, die sie braucht, während sich die Lichten darum kümmern, andere Lichte und ihren Weg nicht zu akzeptieren, anstatt um jene, die wirklich Hilfe gebrauchen können."

  • Thraxas hob eine Augenbraue. "Ihr werft mir vor, mich nicht um die zu kümmern, die unserer Hilfe mehr bedürfen, als die Anhänger der Drachen?" fragte er leicht verwundert. "Und was sollte falsch daran sein, denjenigen, die weniger intensive Hilfe brauchen, einen kleinen Schubs zu geben, wenn die Gelegenheit günstig ist?"

  • Alanis zog ein Gesicht.


    "Schubsen ist eine äußerst unhöfliche Angewohnheit", gab sie ein wenig konsterniert zurück. "Das gilt in Glaubensdingen wie auch unter Menschen. Damit macht man sich wenig Freunde." Das Lächeln kehrte zurück. "Nein, ich werfe Dir das nicht vor. Aber es wäre wirklich nett, wenn Du guten Menschen nicht vor den Kopf stoßen würdest, weil gerade kein armer Opfer da ist, das Du retten kannst." Sie legte den Kopf leicht schief. "Und bevor Du mit dem Gedanken spielst: ich möchte übrigens auch nicht geschubst werden, vielen Dank."

  • "Ich glaube nicht, daß es ohne Schubsen geht!" erwiderte Thraxas trocken. "Wir tun das alle und wir tun das ständig. Gerade eben versucht ihr mich zu schubsen. Anderen unsere Meinung zu sagen, sie zu bitten dies oder das zu tun oder zu lassen, ist schubsen. Wir wollen beeinflussen und wir alle denken, unser Einfluß verhülfe demjenigen zu einem besseren Leben. Seid nicht besorgt um Ashaba, ich werde sie natürlich nicht bedrängen und ich stelle keinen auf einem lichten Pfad vor die Wahl, meinen Weg zu gehen oder zu sterben. Aber ich werde weiterhin vom Licht künden und Menschen dazu ermutigen ihrem Weg im Licht zu gehen." stellte er lapidar fest.

  • Alanis musterte Thraxas mit fragend zusammengezogenen Augenbrauen.


    "Es gibt allerdings einen kleinen Unterschied zwischen unseren Fall und anderen - Du hast mich gebeten, Dir zu helfen. Dass ich dabei Einfluß auf Dich nehme, um Dein Leben zu verbessern, ist wohl kaum erstaunlich."

  • Alanis schüttelte den Kopf.


    "Nein, nicht folgerichtig. Damit legimitisierst Du lediglich für Dich, dass Deine Wahrnehmung richtiger ist als die einer anderen Person und damit rechtfertigst Du auch jegliche Mittel, um Dein Ziel zu erreichen. Es gibt Leute, die interpretieren Fehler als Erlaubnis, demjenigen, der fehlt, den Kopf abzuschlagen, ihn auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen oder andere unschöne Dinge zu tun. Denn die Person hat ja immerhin 'um Hilfe gerufen', nicht wahr? Und ist nicht die finale und beste Hilfe das Eingehen in ein göttliches Nachleben, in dem man von der Last des möglichen Fehlens verschont ist?"


    Ein Hauch von Sarkasmus war deutlich in ihrer Stimme zu vernehmen.

  • Der Landsknecht hatte den Ball auf das Spielfeld geworfen und Alanis hatte ihn wieder in seine Hälfte geschlagen. Innerlich lächelnd nahm er ihn auf, machte aber ein entsetztes Gesicht und erwiderte: "Nein, so sehe ich das nicht und es erschüttert mich, daß Ihr dieser Meinung seid!" Alanis' Sarkasmus hatte er entweder nicht gehört oder er hatte ihn absichtlich überhört, das wurde nicht klar. Eindringlich redete er weiter, als müsse er sie überzeugen.
    "Sowas darf immer nur das allerletzte Mittel für einen vollkommen aussichtlosen Fall sein. Und das ich einen Fall nicht so schnell für aussichtslos halte dürfte bewiesen sein. Wir müssen die Menschen dazu ermutigen zu ihren Lebzeiten ein Leben im Licht zu führen und dadurch die Götter für die Zeit nach ihrem Leben auf Dere milde zu stimmen."
    Dann legte er den Kopf schräg und fragte: "Und Ihr glaubt, daß die Wahrnehmung aller Menschen oder Kreaturen gleichermaßen richtig ist, auch wenn sie sich vollkommen widersprechen?"

  • "Ich bin dieser Meinung, weil ich die schmerzhafte Erfahrung gemacht habe, dass im Namen des Lichts und mit Kräften des Lichts Dinge getan werden, die, wenn man davon ausgeht, dass der Weg des Lichts der richtige und gute und wahre Weg ist, eigentlich nicht möglich sein sollten - und es dennoch sind." Alanis fuhr sich mit den Fingern über die Stirn, hinter der wegen des mangelnden guten Nachtschlafs ein Kopfschmerz zu pochen begann. "Ist nicht so angenehm, wenn Fußsohlen zu verkohlen beginnen. Aber wenn man Glück hat, wird man vom Rauch vorher ohnmächtig", fügte sie mit einem schiefen Lächeln hinzu. "Und somit zeigt sich, dass auch der Weg des Lichts eine recht breite Straße ist und es im Endeffekt wohl auch in hohem Maß daran ankommt, wie der Mensch diesen Weg gestaltet. Gerade als jemand, der vom Licht mit Kraft beschenkt wurde, muss Du sehr darauf aufpassen, auf welcher Straßenseite des richtigen Weges Du gehst und welche Mittel Du einsetzt, um Andere auf den Weg des Lichts zu führen.“ Sie sammelte sich, um den Faden wieder aufzunehmen. „Kurz gesagt – übertreib es nicht, achte auf Dein Gegenüber und seine Bedürfnisse, versuche nicht zu viel, wenn es nicht an der Zeit ist. Es geht nicht darum, was Du für einen anderen Menschen willst, weil Du entschieden hast, dass sie im Licht wandeln sollen. Das ist zwar ein hehres Ziel, aber es birgt die hohe Wahrscheinlichkeit, dass Du den Menschen auf dem Weg verlierst. Es geht darum, was das Licht will. Wenn es für Deinen Gegenüber nicht an der Zeit ist, dann kannst Du nichts daran ändern. Du kannst nur da sein, wenn Du dann gebraucht wirst.“


    Sie ließ den Blick über den See schweifen und fröstelte dann, weil eine leichte Brise vom Land über die weite Wasserfläche fuhr. Außerdem war es nicht sonderlich angenehm, sich an die Sache mit dem Scheiterhaufen zu erinnern.


    „Was die Sache mit der Wahrnehmung angeht, eine kleine Geschichte: einst bat ein alter Priester sieben verfeindete Stammesfürsten in seinen Tempel und ermunterte sie, ihm zu sagen, wie der Elefant aussähe, den er in jenen Tagen in einer großen, dunklen Scheune hielt. Die sieben Männer also wurden zu dem Tier geführt und betasteten es ausführlich, denn sehen konnten sie in der Scheune nichts. Als sie wieder ans Tageslicht zurück traten, fragte der Priester, wie ein Elefant denn sei, sprach der erste Mann, dass das Tier wie ausgedörrter Boden sei. Der zweite Mann widersprach heftig – das Tier sei vielmehr wie ein fransiges Seil. Der dritte Mann wiederum behauptete, der Elefant sei wie ein kaltes und hartes Schwert und der vierte Mann rief, ein Elefant sei wie ein Baum, fest und rund. Der fünfte Mann war außer sich und erklärte, dass ein Elefant so fein und weich wie die Bespannung eines Fächers sei und der sechste konnte schon gar nicht mehr ausreden, weil die sieben Männer in einen derartigen Streit gerieten, dass bald schon die ersten Fäuste zu fliegen drohten. Der Priester lächelte indes vor sich hin und erklärte, dass sie alle Recht hatten, denn jeder hatte nur einen Teil des Tiers befühlt. Einer die ledrige Flanke, der Andere den Schwanz, der Dritte den Stoßzahn, der Vierte ein Bein…und immer so weiter. – So ist das mit dem, was wir erkennen können. Wir können schlichtweg niemals alles begreifen, was wahr ist und müssen stets mit dem Gedanken leben, dass wir nur einen kleinen Teil sehen – und dass wir in diesem kleinen Teil Recht haben können.“ Alanis erzählte die Geschichte so wie jemand, der sie schon sehr oft wiedergegeben hatte, doch am Ende stutzte sie dann doch und blickte Thraxas fragend an. „Du weißt doch, was ein Elefant ist, oder? Sonst macht das weniger Sinn, als es sollte.“

  • Thraxas lachte laut auf. "Ihr seid wundervoll, Meisterin!" rief er aus, erhob sich und streckte ihr eine Hand hin, um ihr aufzuhelfen. "Laßt uns zurück gehen, es wird bald kälter werden und wir sollten zum Essen zurück sein, sonst ist Birnoscha beleidigt."

  • Alanis blickte ihren Schüler verdattert an. Sie hatte mit heftigen Widersprüchen gerechnet oder mit einer abfälligen Bemerkung über jene Kindergeschichte, in der soviel erstaunliche Weisheit steckte. Aber nicht mit einer derart gearteten Aussage. Wollte er sie so abspeisen, weil er keine Lust mehr auf weitere Diskussionen hatte? An ihrem Gesichtausdruck war deutlich ihre Skepsis abzulesen, als sie ihm nach kaum merklichem Zögern die Hand reichte, um sich beim Aufstehen helfen zu lassen. Sie bückte sich dann jedoch wieder, um ihren Mantel aufzunehmen und ihn sich umzulegen.


    Der Nachmittag war tatsächlich schon ein gutes Stück ins Land gezogen und der Wind frischte noch einmal auf, so dass in einiger Entfernung auf dem See die ersten kleinen Schaumkronen zu sehen waren. Der Blick zum Horizont zeigte dort einige dunkelgraue Wolken, die Regen und Sturm versprachen - wenn man denn unter sie geraten würde.


    "Ich käme niemals auf den wahnsinnigen Gedanken, eine Zwergin zu beleidigen", gab sie leichthin zurück, setzte dann aber deutlich ernster hinzu: "Geht es Dir jetzt ein wenig besser?" Dabei blickte sie ihn unverwandt an.

  • Der Landsknecht lächelte immernoch. "Ja, Euer Gnaden! Es geht mir gut. Eure Unterweisungen inspirieren mich und Eure Gesellschaft belebt meinen Geist." sagte er und es klang aufrichtig. Dann drehte er sich um und strebte dem kleinen Pfad im Uferbewuchs zu, durch den er sie direkt an den See geführt hatte.

  • "Hm", machte Alanis nur, lediglich halb überzeugt, und folgte ihm dann vorsichtig, um nicht zu guter Letzt doch noch auf die Nase zu fallen. Sie versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, doch es gelang ihr nicht richtig. "Gut. Das letzte Mal, als ich mich mit jemandem so angeregt über Glauben und Erkenntnis unterhalten habe, hat diese Person kurz danach Selbstmord begangen", setzte sie irgendwann recht leise hinzu.

  • "Was...?" Alanis blinzelte und wich dann ein ganzes Stück zurück, so als befürchte sie, gleich in irgendeiner Form angegangen zu werden. Abwehrend hob sie die Hände. "Natürlich nicht. Ich meine - das letzte Mal, als ich mit jemandem, der kein Priester war, so ausführlich über Glauben gesprochen habe, war er am Ende so vollkommen - verwirrt und verletzt, dass er direkt nach unserem Gespräch einfach auf die feindlichen Reihen zugegangen ist. Er hat sich erschießen lassen." Sie schluckte kurz. "Du kannst Du vorstellen, dass Deine Aussage von gerade, dass Du doch gleich ins Wasser gehen könntest - nicht unbedingt dazu beiträgt, mich gerade zu beruhigen."

  • Thraxas lächelte. "Es tut mir leid, Euer Gnaden, jetzt verstehe ich Eure unangebracht heftige Reaktion von gerade." Der Landsknechts seufzte. "Und ich dachte schon, es läge daran, daß Ihr mich mögt." meinte er und es klang enttäuscht.
    Fröhlicher fuhr er fort: "Keine Sorge, unsere Gespräche werden wohl kaum dazu führen, daß ich mich dem Tod freiwillig hingebe, dazu habe ich noch viel zu viel zu tun." Er drehte sich um und setzte seinen Weg fort, ohne eine Antwort auf irgendwas abzuwarten, warf aber gleich eine neue Frage über die Schulter: "Wer war der arme Tropf und warum glaubt Ihr, daß Eure Worte schuld an seinem Schicksal waren?"

  • "Meine unangeb - ?" Alanis verkniff sich eine Weiterführung ihrer Worte. Immerhin hatte er sich entschuldigt. Und sie würde ihm garantiert nicht bestätigen, dass sie ihn mochte. Wenn er das nicht merkte, war er einfach - tja, ein Mann. Sie zog eine verkniffene Miene hinter seinem Rücken, atmete kurz durch und folgte ihm dann ohne weiteren Widerstand. "Der Mann war ein Knecht aus Lupien, einem Land, das ich hin und wieder bereise. Als ich ihn kennenlernte, war er unter den Einfluß einer Priesterschaft geraten, die ihm für ein Verbrechen, das er begangen hatte, einen Sündenablass versprochen hatten, wenn er zu ihrem Glauben konvertieren und ihrem Gott huldigen würden. Ich - war nicht einverstanden damit, wie diese Priester vorgingen. Und ich war auch nicht damit einverstanden, dass der Knecht meinte, dass es nun nicht mehr nötig sein, dass er sich mit seiner Tat beschäftigte." Sie seufzte wieder, diesmal hörbar. "Wir haben stundenlang miteinander gesprochen. Über die Rolle der Götter und die eigene Verantwortung, die wir tragen. Über Kritik am Glauben und über das, was wir dem Leben und den Menschen um uns herum schulden. Am Ende gestand er mir , dass er eine Frau getötet und im Wald verscharrt hatte. Dass ein Unschuldiger für das Verbrechen bereits im Kerker saß und wohl hingerichtet werden würde. In diesem Moment wurde das Dorf, in dem wir waren, überfallen. Er stand dann einfach auf, dankte mir und - rannte in den nächsten Pfeilhagel."

  • "Dann hat er es getan, weil er mit seiner Schuld nicht leben konnte und hat den einfachen Ausweg gesucht, anstatt sich der Obrigkeit zu stellen und das Ganze geradezurücken, der feige Lump!" erwiderte der Landsknecht noch immer vorausmarschierend.
    "Macht Euch keinen Vorwurf, der Ausweg, der ihm von diesen Priestern geboten wurde war falsch und auf Dauer hätte das sein Gewissen nicht beruhigt. Ich glaube, er hätte sich früher oder später sowieso umgebracht." stelle er dann noch fest.