• "Oh, ich mache mir keinen Vorwurf", gab Alanis mit sicherer Stimme zurück. "Ich hatte einige Jahre Zeit, um mir über mein Verhalten Gedanken zu machen und finde nichts Falsches daran. Dennoch, ich habe damals die wertvolle Lektion gelernt, dass Worte unglaubliche Macht haben - gerade die Worte, die man als jemand spricht, der von den Elementen ausgezeichnet wurde. Als Priester. Als Wundertäter." Sie machte eine kleine Pause, um ihre Worte wirken zu lassen. "Aber es ist doch recht beruhigend, dass ich nicht dazu gezwungen sein werde, Dich aus dem Wasser zu ziehen. Vielen Dank."


    Ihr Mantel verhakte sich an niedrig wachsenden Brombeeren, die am Seeufer wuchsen. Die Geweihte stehen und beugte sich herunter, um die Ranke aus dem Stoff zu lösen. Dabei stach sie sich ordentlich in den Finger, was zu einem gemurmelten Fluch führte.


    "Mich dauert jedes Leben, das in der diesseitigen Welt vergeht", setzte sie dann hinzu. "Ganz abgesehen davon, dass es sich furchtbar anfühlt, wenn einem die Elemente verraten, dass ein Leben verlischt."

  • "Nicht jeden, nein. Zum Glück." Alanis Mund bildete eine schmale Linie. "Aber im Lazarett oder auf dem Schlachtfeld geschieht das hin und wieder. Ein Hinweis der Elemente auf jene, die gerade Beistand benötigen und jene, bei denen man alle Bemühen aufgeben muss, um seine Zeit und seine Anstrengungen dem Nächsten zu widmen."


    Ihre Miene hellte sich ein wenig auf, als sie hinzufügte:


    "Also ist es ganz schön, mal diesen Winter nicht auf einem Feldzug verbracht zu haben, sondern gänzlich ruhig - also, für meine Verhältnisse ruhig."

  • "Wenn das ruhig ist, dann möchte ich mit Euch keine aufregenden Zeiten erleben!" brummte der Landsknecht als Antwort.


    "Das die Elemente Euch tatsächlich bei der Einschätzung helfen, wem noch zu helfen ist und wem nicht, ist sicher hilfreich und auf der einen Seite könnte es die Verantwortung mildern, die man hat, wenn man die Behandlungsreihenfolge entscheiden muß, auf der anderen Seite würde ich mich aber glaube ich immer Fragen, ob ich den Willen der Elemente richtig gedeutet habe." überlegte er laut, seufzte und setzte hinzu: "Also doch wieder nicht so hilfreich."

  • "Natürlich ist es nicht hilfreich", gab Alanis ruhig zurück. "Ob sie mir nun diese Dinge zeigen, weil sie wollen, dass ich eingreife oder weil sie wollen, dass ich es nicht tue - ich weiß es manchmal nicht. Aber auch das nehme ich an und akzeptiere es als das, was es ist: der Beweis, dass ich noch auf dem Weg bin, es zu verstehen. Eine Lektion."


    Ihre Miene entwölkte sich wieder, im selben Maße, wie sich der Himmel zuzuziehen begann und der Wind auffrischte. Mit der Hand schob Alanis ihren Hut ein wenig fester auf ihren Kopf, damit er nicht fortgeweht wurde.


    "Armer Thraxas", setzte sie dann mit einem Seufzen hinzu und warf dem Landsknecht einen unbestreitbar schelmischen Blick zu. "Als mein Schüler wirst Du wohl nicht darum herum kommen, auch die aufregenden Zeiten mitzuerleben. Vielleicht hättest Du mich erst ein bisschen besser kennenlernen sollen, bevor Du mit Deiner Bitte an mich herangetreten bist. Zwischen Elementegeweihten und ihren Schülern gibt es nämlich einige interessante Traditionen, die sich jedes Mal aufs Neue bestätigen. 'Den Meister vom Schlachtfeld tragen' gehört zum Beispiel dazu; ich habe es bereits im Noviziat gelernt." Sie machte eine bedauernde Geste und fügte dann hinzu. "Aber Du bist ja kein richtiger Schüler, daher werden die meisten dieser Traditionen Dir wohl entgehen. Schade eigentlich. Vermutlich für mich."

  • Thraxas horchte auf, irgendetwas in Alanis' Stimme war dafür verantwortlich, aber er konnte nicht bestimmen, was es war und verwarf den Gedanken daran. "Macht Euch keine Sorgen um mich, Meisterin!" erwiderte er gutgelaunt. "Ich habe schon so viele interessante Zeiten erlebt, daß ich mich als geübt bezeichnen darf, fürchte ich." Mit aller Macht drängten nun die Erinnerungen an diese interessanten Zeiten herauf, aber der Landsknecht knüppelte sie gnadenlos nieder. Seine Stimmung war nicht düster genug, um sie alle an sich ranzulassen.


    "Neben der Tradition, seine Meisterin vom Schalchtfeld zu tragen - ich werde mich allerdings bemühen, daß es dessen nicht bedarf, weil Ihr unversehrt beibt - gibt es noch welche weiteren Traditionen und warum sollte es schade für Euch sein, daß mir diese Trraditionen möglicherweise entgehen?" fragte er leicht irritiert.

  • Alanis Blick richtete sich auf den Weg, der vor ihren Füßen lag und sie lächelte breit. So ziemlich die wärmste und ehrlichste Regung, die bisher an diesem Tag von ihr zu sehen gewesen war.


    "Oh nein, es wäre schade für mich, dass mir diese Traditionen entgehen. Aber ich komme wohl zurecht, denke ich."


    Dann, mit deutlich reservierterer Miene, wandte sie sich wieder ihrem Schüler zu und erkundigte sich:


    "Da wir gerade vom Retten vom Schlachtfeldern reden - Du hast in Renascân etwas von einer Frau erzählt, in deren Diensten Du gestanden hast. Eine Priesterin? Irgendetwas an der Art, wie Du es erzählst hast, war seltsam."

  • Thraxas' Miene verfinsterte sich ebenfalls, was die hinter ihm gehende Geweihte nicht sehen, was ihr aber durch die Art und den Ton der Antwort bewußt werden konnte. Zudem hatte sich seine Gestalt gestrafft und er sich zu seiner ganzen Größe aufgerichtet, wie um einem Feind zu begegnen. Ohne sich umzudrehen knurrte er: "Das ist nichts, worüber wir im Gehen reden sollten, laßt uns zurückkehren und dann können wir auch dieses Thema besprechen."


    "Und später könnt Ihr mir zur AUfheiterung von den Traditionen berichten." schloß er, verstummte und ging noch entschlossener voran.

  • Alanis zog schweigend eine Augenbraue hoch. Wieder einmal einen wunden Punkt getroffen - sie war nicht schlecht darin. Allerdings war es ja auch nicht wirklich so, dass Thraxas eben jene Punkte gut vor ihr verhehlen würde. So folgte sie ihm also schweigend und nur mit einiger Mühe sein Tempo haltend durch die Gassen der Stadt, die sie wieder durch das Tor betraten. Der Abend und die Dämmerung rückten nun unaufhaltsam näher und brachten einen feinen, eisigen Regen mit, der daran erinnerte, dass es in den Nächten zu dieser Zeit des Jahres noch immer sehr kalt werden konnte. Der Himmel hing tief und grau über Angbar und Alanis blickte hin und wieder hinauf in die Wolken, doch in dieser Nacht würde sie der Mond wohl in Ruhe lassen...hoffte sie. Vermutlich war es im Anbetracht der Tatsache, was in der vergangenen Nacht geschehen war, besser, Thraxas nichts davon zu erzählen, dass ihr Problem durchaus auch in den drei bis vier Nächten rund um den vollen Mond auftreten konnte. Aber es gab Dinge, um die sie sich alleine kümmern mußte - und auch würde.


    Sie atmete hörbar auf, als sie sich dem Gasthaus näherten. Rote Flecken hatten sich auf ihren Wangen breitgemacht, da es für jemanden mit kurzen Beinen nicht so leicht war, hinter jemandem herzulaufen, der zwei Köpfe größer war. Eigentlich hätte sie sich am liebsten ins Bett verzogen und den fehlenden Schlaf nachgeholt, doch ihre Neugierde war geweckt und sie würde es sich nicht entgehen lassen, diese zu befriedigen.

  • Als sie das Gasthaus erreicht hatten, öffnete Thraxas die Tür, ließ Alanis eintreten und folgte ihr dann. Den beiden schlug die Wärme des Raums wie eine heiße Faust ins Gesicht.
    Die Schankstube war bereits gut besucht, als sich Thraxas allerdings nach einem freien Tisch umsah, stellte er fest, daß der beste Platz, nahe am Kamin, noch frei war. Birnoscha muß sie alle verjagt haben. dachte er lächelnd, steuerte auf den Tisch zu, warf seinen Mantel über einen Haken am Kamin und schaute, ob er Alanis mit Ihrem Mantel noch helfen konnte oder ob sie ihn bereits abgelegt hatte.

  • Die Geweihte folgte Thraxas ohne zu zögern an den Tisch, doch je näher sie dem Kamin kam, desto schwummeriger wurde ihr. In der kühlen, klaren Luft und durch die stetige Ablenkung war es ihr nicht aufgefallen, aber jetzt bemerkte sie durchaus, dass sie den ganzen Tag über weder gegessen noch getrunken hatte.


    "Ich glaube ich habe mich selten so auf ein Abendessen gefreut", sagte sie, ein wenig lauter, um die Geräusche der Schankstube zu übertönen und nestelte am Verschluss ihres Mantels herum, der durch den feinen Regen schwer geworden war. Als sie bemerkte, dass Thraxas auf sie zu warten schien, wandte sie ihm den Rücken zu, um sich helfen zu lassen. "Würdest Du -?"

  • Ohne ein Wort half Thraxas der Geweihten aus dem Mantel und hängte ihn auf. Schon während sich die beiden setzten kam Glam mit zwei dampfenden Bechern an den Tisch und stellte sie vor Ihnen ab, dabei ruhten seine Augen ein klein wenig zu lange auf Alanis.
    Als er Thraxas' wissendes Lächeln bemerkte, lief er unter seinem leichten Bart rot an und verschwand eilig wieder in der Küche.


    Aus den Bechern stieg der Duft von gewürztem Wein auf.

  • Alanis bedankte sich bei Thraxas mit einem Lächeln und war froh, auf der Bank Platz nehmen zu können. Dem jungen Zwerg dankte sie ebenfalls freundlich und es entging ihr nicht im Geringsten, was die Blicke, die zwischen den Männern getauscht wurden, zu bedeuten hatten - wenn sich denn Zwergenmänner so benahmen wie Menschenmänner. Als Frau lernte man recht schnell und bereits in jungen Jahren, ob Blicke Interesse oder Probleme versprachen. Sie wartete, bis Glam außer Hörweite war und erkundigte sich dann bei ihrem Begleiter:


    "Also, was wollte er mir mit dem Blick sagen, hm?"


    Sie lächelte dazu, frei von Spott, den sie wohl normalerweise in so eine Frage eingeflochten hätte. Dann nahm sie den Wein und nippte daran, während sie mit der freien Hand gedankenverloren den obersten Knopf ihres hoch geschlossenen Kleids öffnete.

  • Thraxas, der schon einen Schluck Wein im Mund hatte, hatte Mühe diesen nicht über den Tisch zu prusten. Willensstark unterdrücke er ein lautes Auflachen und schluckte den Wein hinunter. Dann sah er Alanis ein bisschen zu unschuldig an als er sagte: "Ich glaube nicht, daß Glam mit dem Blick etwas sagen wollte. Vielleicht hat er darauf gewartet, daß Ihr etwas sagt?"
    Innerlich lachte sich der Landsknecht über die Situation schlapp und überlegte, ob er wirklich richtig gesehen hatte. Er kam zu dem Schluß, daß es wirklich sein konnte, schließlich war Alanis nicht mal einen Spann größer als Glam. Vielleicht fühlt er sich zu "großen" Frauen hingezogen. dachte er und mußte unwillkürlich schmunzeln.

  • Alanis schenkte dem Landsknecht von unten einen Blick, der irgendwo zwischen Entnervtheit und Amüsement schwankte.


    "Schwindel mich nicht an, ich merke sowas. - Meinst Du er mag große Frauen?", erkundigte sie sich dann leicht irritiert und warf der Küchentür einen prüfenden Blick zu, so als hätte diese die Antwort auf diese Frage parat. Dann trank sie noch einen Schluck Wein und versteckte ihr Grinsen hinter der Hand mit dem Becher, da sie es sich angewöhnt hatte, in der Öffentlichkeit nicht zu viele Gefühle zu zeigen.

  • Thraxas lächelte. "Ja, vielleicht mag Glam große Frauen." meinte er leicht ironisch. "Vielleicht wartete er aber auch einfach nur auf ein "Danke" wegen des Würzweins."
    Dann fragte er unvermittelt. "Und Ihr, Euer Gnaden, mögt Ihr kleine Männer mit Bärten?"

  • Alanis zog eine Augenbraue hoch.


    "Ich habe mich bedankt. Aber Du hast wohl Recht, Du kennst ihn sicher besser als ich." Ihr Tonfall blieb vollkommen neutral und gelassen bei dieser Aussage, so als hätte sie seine Ironie zur Kenntnis, sich aber nicht zu Herzen genommen. Und auch die Worte, die folgten, wirkten so, als wäre das, was sie sagte, für sie nicht wirklich wichtig. "Definiere - mögen?" Sie schlug ein Bein über das anderen und nippte an ihrem Wein. Dabei blickte sie Thraxas an und legte den Kopf leicht schief, gespannt auf eine mögliche Reaktion wartend.

  • Thraxas lächelte weiterhin. "Naja, wie habt Ihr Euer "mögen" in Eurer Frage definiert?" antwortete er mit einer Gegenfrage, beließ es aber nicht dabei, sondern sagte: "Ihr könntet mir für alle Formen des "Mögens" antworten, für das "Mögen" unter Freunden, für das "Mögen" unter Kampfgefährten, für das diffuse "Mögen" welches einen in ein Gespräch kommen läßt oder es einem ermöglicht sich mit seinen Sorgen jemandem anzuvertrauen, für das "Mögen", das oft für den Beginn einer lebenslangen Gemeinschaft steht oder für das "Mögen", welches für den Austausch von Zärtlichkeiten zwischen Mann und Frau Voraussetzung ist."
    Dann grinste er schelmisch. "Eigentlich interessiert mich nur das letzte "Mögen". sagte er leichthin.

  • "Thraxas." Alanis seufzte, kam aber nicht umhin, ein Lächeln verstecken zu müssen. "Willst Du Dich ab jetzt jeden Abend mit mir über mein Liebesleben unterhalten? Solange, bis ich dabei nicht mehr in die Luft gehe?"


    Es war ein milder Tadel in den Worten zu hören, allerdings bei weitem nicht so heftig wie der des Vorabends.

  • Thraxas hob abwehrend die Hände und sagte: "Ihr habt angefangen.
    "Außerdem ist mir sehr daran gelegen, daß Ihr nicht in die Luft geht, ich weiß nicht, wie groß Eure Macht über die Elemente ist, aber vielleicht wäre es ungesund für uns alle, wenn Ihr in die Luft geht."
    Dann beugte er sich vor und flüsterte verschwörerisch: "Und ich will meinen kleinen Bruder doch nur schützen."