Beiträge von Alanis Tatius

    Alanis verschränkte die Arme und dieses Mal sah sie nicht mehr so freundlich aus.


    "Oh ja, Vladim, roll ruhig die Augen über mich und meine Dummheit." Ihre Stimme klang noch erstaunlich ruhig. "Tja, wenn Du also die Erkenntnis hast, würde ich vorschlagen, dass Du versuchst, Dich von Frauen fernzuhalten, die nicht das tun, was Du von ihnen erwartest."

    Alanis zog eine Augenbraue hoch.


    "Gern geschehen. Aus meiner bescheidenen ärztlichen Sicht kann ich Dir sagen, dass es mehrere mögliche Ursachen gibt. Ein davon wäre eine körperliche Reaktion - Dein Körper erlebt eine starke emotionale Belastung und entscheidet dann, dass es Zeit ist, Deinen Geist für eine Weile auszuschalten. Das ist natürlich die falsche Reaktion für einen Monsterjäger, für einen Körper, der unter dem Eindruck steht, angegriffen zu werden, gar nicht so übel. Dann wäre da noch ein Anfallsleiden auszuschließen. "


    Sie hob die Schultern.


    "Aber es kann natürlich auch ein Fluch oder so etwas sein."

    Alanis hob die Augenbrauen. Als ob sie nur für sich selbst Tee gemacht hätte. Manchmal fragte sie sich ernsthaft, was Vladim für eine Menschenkenntnis besaß - an manchen Tagen vermutlich gar keine.


    Sie legte noch ein wenig Holz nach, blickte prüfend zu der Schlangenhexe hinunter und stellte den Kessel auf.


    "Du warst weggetreten", erzählte sie dann in abgeklärtem Tonfall. "So wie damals in meinem Arbeitszimmer. Ich habe versucht, Dir die Waffen wegzunehmen, damit Du nicht wieder versuchst, Dir oder mir Schaden zuzufügen, aber Dein Fokus in diesem Zustand sieht wohl vor, dass Du Dich mit scharfen, spitzen Dingen beschäftigst."

    Alanis musste zugeben, dass die Rückkehr des Monsterjägers ins Reich der Wahrnehmung eine Erleichterung war.


    "Willkommen zurück, Vladim", sagte sie freundlich. Nun, da sie nicht mehr wachsam sein musste - sie war nicht sicher gewesen, ob sie Vladim nicht doch in Schlaf schicken oder ihm die Waffen entreißen musste - ging sie durch die Küche und setzte einen Kessel auf, um Wasser zu erhitzen.


    "Melyanna war kalt", erklärte sie und blickte hinunter auf die ruhende Frau. "Ich denke ich hätte Lust auf einen Tee. Bist Du müde?"


    Sie sprach, wie sie zu einem Kind sprechen würde.

    Alanis widerstand der Versuchung, wieder einmal ihre Nasenwurzel zu massieren. Aber die Art und Weise, wie sie Melyanna ansah, war freundlich und durch Mitgefühl geprägt. Sie schaute darauf, dass auch genug Holz im Ofen lag und dass noch genug Vorräte bereitlagen, damit sie das Feuer auch weiter befeuern konnte.


    Fürsorge war nun einmal die Aufgabe einer Ärztin und Priesterin und darin war Alanis gut.


    Was Vladim anging, war die Sache mal wieder nicht so einfach und ihre Stirn furchte sich, als sie den Monsterjäger betrachtete. Wieder einmal fragte sie sich, ob das, was sie tat, richtig war.


    "Keine Ahnung, wie lange ich das mit Dir noch mitmache", murmelte sie und setzte sich dann auf einen Stuhl in der Nähe des Schleifsteins. Die Situation erinnerte sie an etwas, das sie bereits einmal gemeinsam durchgemacht hatten - und die damalige Lösung war schmerzhaft und ganz und gar unangenehm gewesen. Die Narbe in ihrer Handfläche hatte sie immer noch. "Immer auf der Suche nach jemandem, dem Du helfen kannst. Und dann beißt Du ein Stück zuviel ab und verschluckst Dich. Wäre mal schön, wenn Du erkennen würdest, dass Du Dein Netz, das Dich auffangen muss, ganz schön strapazierst."


    Sie wusste nicht, ob Vladim sie hörte. Und eigentlich war es ihr auch ganz gleich, denn die Worte mussten raus.

    "Das letzte Mal, als er so war, hat er versucht, sich die Haut vom Arm zu schälen." Die Art und Weise, mit der Alanis die Worte aussprach - ziemlich trocken, ziemlich unaufgeregt, zeugte davon, dass die Priesterin wohl tatsächlich ein paar Dinge im Leben mehr gesehen hatte als nur Rodalben und verletzte Bauern. "Naja, da hat dann eine kräftige Ohrfeige etwas gebracht. Hier dann schon nicht mehr. Also bin ich tatsächlich ratlos."


    Ihr Blick legte sich erneut auf Melyanna, die hatte sehen können, dass das Wort 'Schwester' eine seltsame Regung in Alanis auslöste. Sehnsucht, vielleicht. Oder Traurigkeit. Vielleicht beides.


    "Ich fürchte ihn sich selbst zu überlassen für mich als Priesterin nicht ganz so einfach." Alanis Stimme war sanft. "Aber ich wäre Dir sehr dankbar, wenn ich mich um ihn kümmern könnte."


    Sie ließ den Blick über das Haus und den Brennholzstapel streifen.


    "Ich kann Dir ein Feuer hier draußen machen, wenn Du möchtest. Und meinen Mantel kannst Du auch haben."

    Alanis seufzte leise. Also war diese bewährte Lösung nicht die Richtige. Was also war zu tun - sie hatte einen starrenden Monsterjäger und eine erstarrende Halbelfenschlangenhexe. Die Geweihte presste ihre Lippen zusammen. Was gäbe sie jetzt alles für einen simplen Beinbruch oder einen Küchenbrand. Das wäre wirklich einfacher als die Situation, in der sie sich befand.


    "Vladim, ich bringe Melyanna ins Warme. Ich schwöre Dir, wenn Du wieder versuchst, Dich aufzuschlitzen, dann hole ich Dich von den Toten zurück und bringe Dich wieder um. Glaub nicht, dass ich das nicht kann."


    Sie seufzte und schob ihm einen Stuhl in die Kniekehlen. Vielleicht würde er verstehen, was sie meinte und sich irgendwann hinsetzen, wenn sein Körper nachgab.


    Dann ging sie zur Tür der Hütte und sah Melyanna an. Ihr Gesicht war sichtlich angespannt.


    "Er - ehm - hat sowas wie einen meditativen Zusammenbruch. Ich schlage also vor dass wir jetzt gehen und ich Dich in mein Hospital bringe, damit Du ins Warme kommst. Danach muss ich also nochmal los und schauen, dass er keinen Unsinn macht."

    Alanis wiegte den Kopf hin und her.


    "Für mich - nein, siehst Du nicht gefährlich aus. Aber man kann nicht behaupten, dass sie Bauern hier in der Gegend im Leben mehr gesehen haben als ihre Scholle und hin und wieder mal einen betrunkenen Ritter."


    Letzteres war mit einem schwachen Grinsen begleitet.


    "Was Vladim angeht, kannst Du ja über Nacht darüber nachdenken, ob Du möchtest, dass er zur Besinnung kommt. Und vor allem - wie?"


    Die Frage war freundlich gestellt, eher eine Anregung zum Nachdenken als alles andere.


    "Aber das sind alles Fragen, die sich verschieben lassen, bis Du wieder warm bist. Ich gehe jetzt meinen Mantel holen und dann können wir los."


    Sie nickte Melyanna zu und kehrte zum Hauseingang zurück. Die Bodendielen knarzten leise unter ihren Füßen, als sie eintrat und sich dem Haken zuwandte, an dem ihr Winterkleidung hing. Erst auf den zweiten Blick, gerade, als sie sich ihren Schal um den Hals wand, bemerkte sie Vladims starre Haltung und seufzte leise.


    Noch mehr Dinge, die man nicht gebrauchen konnte. Mit festem Schritt ging sie auf den Monsterjäger zu und betrachtete ihn einen Moment, um sicher zu gehen, dass er sich wirklich in dem Zustand befand, den sie schon kannte. Dann machte sie sich daran, sämtliche Waffen aus seinem Umkreis zu entfernen, zögerte noch einmal und haute ihm dann ziemlich kräftig eine runter.

    Alanis presste die Lippen zusammen, aber die Art und Weise, wie sie die Schultern hob, hätte man beinahe komisch nennen können.


    "Ich glaube Vladim steht sich fast immer selbst im Weg. Und beißt zu große Brocken ab, die er nicht verdauen kann. Wenn er dann begreift, dass er sich verhoben hat, dass er scheitern könnte in seinem Willen, das Richtige zu tun, dann stößt er einen lieber weg als sein Scheitern offen einzugestehen. Scheitern ist das Eingeständnis, versagt zu haben. Und ein Monsterjäger, der versagt - nun ja, ist meistens tot. Ich könnte mir vorstellen, dass sie ihm das so eingetrichtert haben, als sie ihn gemacht haben."


    Die Geweihte seufzte.


    "Sei es, wie es ist. Du musst ins Warme. Ich kann Dich mit zu mir ins Hospital nehmen, wenn Du möchtest. Aber man wird Dich anstarren oder sogar Angst vor Dir haben. Angenehm wird das nicht."

    "Hm", machte Alanis und rieb sich die sich in der Kälte rötende Nase. "Du denkst, dass er sich hinter mir versteckt? Mich vorschickt, damit er sich nicht mit sich selbst beschäftigen muss, während er gleichzeitig sein Ziel verfolgt, Dir zu helfen? Möglich."


    Die Geweihte hob die Schultern und wirkte ein wenig hilflos.


    "Oder vermutlich - sehr wahrscheinlich. Er benutzt Menschen gerne, weil sie viel zu leicht auf ihn hereinfallen. Entweder sie haben Angst vor ihm oder sie fühlen sich angezogen, weil sie es exotisch oder herausfordernd mögen. Beides sind Verhaltensweisen, die einen berechenbar machen. Einsetzbar."


    Ein schiefes Lächeln legte sich auf ihre Lippen.


    "Vielleicht kann er nicht anders, weil er so erschaffen wurde und instinktiv Kämpfe scheut, die er nicht gewinnen kann. Das soll nicht heißen, dass es verzeihbar ist. Das musst Du wissen."

    Alanis Mund öffnete sich und schloss sich wieder mit einem hörbaren Klacken ihrer Zähne. Als die Tür aufschwang und die eisige Kälte in den Raum schoss, blinzelte sie, als sei sie von einer unsichtbaren Keule getroffen worden. Kaum war Melyanna über die Schwelle, war auch die Geweihte auf den Füßen. Sie war sich ziemlich sicher, dass es da eine Komponente in dieser Unterhaltung gegeben hatte, die sie übersehen hatte. Eifersucht? Deckmantel?


    "Melyanna", rief sie der Frau hinterher und beeilte sich aufzuschließen, was gar nicht so einfach war, da Alanis recht kurze Beine und ein nicht kleines Maß an Winterspeck besaß. "Du musst nicht gehen, wenn ich in irgendeiner Art und Weise ein Hindernis darstelle. Ein Wort und ich bin weg."


    Sie klang ernsthaft und aufrichtig, aber auch verwirrt.

    Alanis massierte ihre Nasenwurzel und seufzte. Ein Kopfschmerz baute sich hinter ihrer Stirn auf. Nicht, weil sie die aufflammende Diskussion anstrengend fand, sondern weil sie so gut verstand, worum es ging. Sie hob die Hand, in der Hoffnung, weitere Wutausbrüche verhindern zu können, war sich allerdings nicht sicher, ob sie es konnte.


    "Ich glaube es hilft nicht weiter, wenn Ihr beide so miteinander sprecht", warf sie vorsichtig ein. "Es ist sicherlich wahr, dass Personen, die ein ähnliches Schicksal teilen, sich gut einfühlen können. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Ihr beide Euch gerade gut tut."


    Sie räusperte sich.


    "Damit meine ich nicht, dass Ihr Euch trennen solltet. Aber ich glaube, Ihr solltet erst einmal klären, was Ihr als Personen voneinander wollt - oder nicht wollt, bevor Ihr es angeht, Euch gegenseitig zu helfen. Versteht Ihr, was ich meine?"


    Die Geweihte sah ruhig von Melyanna zu Vladim.

    Vladims Seitenblick war Alanis nicht entgangen, aber sie erwiderte ihn gelassen. Ob sie eifersüchtig war, konnte man ihren Augen nicht entnehmen, auch nicht ihrer Körperhaltung. Wohl aber, dass sie ihm wohlwollend gesonnen war und nichts gegen seine Art, die 'Dinge' anzupacken, einzuwenden hatte.


    "Ich verstehe -", hob sie dann sehr leise und klar an. "- dass Du Dir die Emotionslosigkeit wünschst, Melyanna. Du kannst es mir glauben oder auch nicht, aber ich bin sicher dass jedes Lebewesen in seinem Leben ein- oder mehrfach an den Punkt kommt, an dem es sich nichts mehr wünscht als taube Leere, die alles ausmerzt, was einen noch verletzen könnte. Aber auch wenn Du es gerade nicht fühlen kannst - wenn es irgendwo noch so etwas wie Hoffnung gibt, dann wirst Du sie niemals finden oder gar wertschätzen können, wenn Du Dich von Deinen Emotionen endgültig abwendest."


    Ein sanftes Lächeln lag auf ihrem Gesicht.


    "Stillstand ist der Tod des Lebens. Wenn Du das wirklich wünschst, dann würde ich Dich niemals davon abhalten, das zu suchen."


    Ihr Blick wurde ernster.


    "Ich weiß nicht, ob das die Hilfe ist, von der Vladim erwartet, dass ich sie Dir gewähren würde. Wenn das so sein sollte -."


    Ihr Blick wanderte kurz zu dem Monsterjäger.


    "- dann tut es mir Leid, Vladim."


    Erneut sah sie Melyanna an.


    "Aber Du hättest dort draußen einen aussichtslosen Kampf suchen können. Ein scharfes Messer. Eine hohe Klippe. All das hast Du nicht getan, weil Du in diesem Mann etwas erkannt hast, das Du jetzt vielleicht noch nicht benennen kannst. Vielleicht einfach nur die Güte, Dich nicht als ein Monster zu behandeln, weil er sich selbst für eins hält. Vielleicht ist Eure Zusammensein auch nur der Versuch, noch einmal etwas zu fühlen. Sei es, was es ist, das musst Du wissen."

    Alanis lauschte aufmerksam. Den kleinen Becher mit dem Honigwein hielt sie eine Weile zwischen ihren schmalen Händen, drehte ihn hin und her. Alkohol, das wusste sie, war von jeher eine ihrer Schwächen gewesen und sie musste aufpassen, dass sie sich nicht wieder daran gewöhnte, den Schmerz und das Mitgefühl über das Gehörte mit dem tröstenden Effekt des Weins zu verbinden.


    Gerade der Teil der Erzählung, die sich mit Melyannas Eiern befasst, nahm die Geweihte sichtlich mit. Mehr als einmal schluckte sie schwer beim Gedanken daran, was man der Schlangenhexe angetan hatte. Sie gab sich wenig Mühe, ihre Gefühle zu verbergen, denn sie wußte, dass Vladim sehr gut in der Lage war, sie zu lesen.


    Nachdem Melyanna geendet hatte, schwieg Alanis für eine Weile und sah zwischen der Frau und dem Mann hin und her. Ihr Blick war sanft, vielleicht ein wenig melancholisch, aus Gründen, die sie allerdings für sich behielt.


    "Erst einmal", hob sie schließlich an und seufzte. "Möchte ich sagen, dass ich Deinen Verlust bedauere. Es mag Dir kein Trost sein, aber ich möchte es dennoch nicht unausgesprochen lassen."


    Nun nahm sie doch einen Schluck von dem Met.


    "Lass mich aus meiner Erfahrung sprechen, wenn Du gestattest. Vladim ist sehr gut darin, Weltbilder zum Schwanken zu bringen. Das ist tatsächlich weder gut noch schlecht. Er wirft mich immer wieder auf Fragen zurück, die ich mir bisher nicht gestellt oder erlaubt habe. Fragen, die ich für mich eigentlich schon beantwortet hatte und die nun wieder ins Licht des Tages treten."


    Ein kurzes Zögern, verbunden mit einem Blick in Richtung des Monsterjägers, der die Hoffnung ausdrückte, dass er ihre Worte nicht übel nahm. Dann konzentrierte sie sich wieder auf die anderen Frau.


    "Veränderung schmerzt, weil sie uns zwingt, etwas zurückzulassen. Und weil sie uns verwundbar macht im Angesicht einer Zukunft, die wir nicht kennen und die vielleicht noch viel mehr Schmerz bereit hält als den, mit dem wir umzugehen gelernt haben."


    Die grünen Augen der Geweihten waren voller Mitgefühl.


    "Ich weiß nicht, ob es das ist, was Dich beschäftigt. Dafür kenne ich Dich zu wenig. Aber vielleicht ist es etwas, über das Du nachdenken kannst - und wenn Du es dann für Dich verwirfst, kannst Du aufs Neue beginnen, Dich mit den Gründen für Deinen inneren Tumult zu befassen."

    Alanis schlug ein Bein über das andere.


    "Ich war noch niemals in Luxburg. Ich kenne lediglich die Erzählungen über glühende Steine, die vom Himmel fallen, uraltes Böses und die Tatsache, dass sich viele meiner Bekannten bemüßigt fühlen, dort regelmäßig hinzureisen, um sich halb umbringen oder traumatisieren zu lassen."


    Es war schwer zu sagen, ob ihr Tonfall traurig oder ironisch war. Vielleicht war er beides.


    "Was also sind die Shor na far?"

    Alanis hörte sich die Erläuterung aufmerksam an und nickte schließlich.


    "Darf ich also fragen, in welcher Art und Weise man sich Deiner Fähigkeiten bemächtigt hat - oder hast Du freiwillig gegeben, was Du konntest?"


    Sie hob zu einer weiteren Erläuterung an.


    "Denn wenn Du sagst, dass Dein Problem kein magisches ist - wie meinst Du das genau?"

    "Langsam, Vladim", lächelte Alanis und hob die Hand, um ihm zu bedeuten, die Dinge nicht zu überstürzen. Sie wusste, dass der Monsterjäger schnelle und pragmatische Ansätze bevorzugte.


    Dann wandte sie sich wieder der anderen Frau zu.


    "Es freut mich, Deine Bekanntschaft zu machen." Der Wechsel von der sehr höflichen, gestelzten Formulierung zu einem wirklich freundlichen 'Du' passierte ganz nebensächlich und ohne Ankündigung. "Die Heiligkeit des Todes ist ein gutes Credo, denn jeder Anfang braucht ein Ende, sonst würde diese Welt stillstehen oder im Nichts vergehen."


    Ihr Lächeln war kurz schmerzlich, so als würden ihre eigenen Worte an etwas rühren, das sie sehr bewegte.


    "Nun, eine Bocore ist meines Wissen nach eine Hexe, die alle Wege zu wählen weiß? Oder liege ich damit falsch?"

    "Nun-." Die Geweihte zog ihren Mantel aus und hängte ihn an den Haken neben der Tür. Die Selbstverständlichkeit ihrer Handlung ließ nur den Schluss übrig, dass sie sich in dem kleinen Haus bestens auskannte. Dann zog sie sich einen Stuhl heran. "Ich schlage vor, dass wir uns setzen und uns vorstellen - Ihr und ich." Ihre grünen Augen ruhten auf Melyannas Gesicht. "Denn ganz gleich, was Vladim so für richtig hält, müssen wir beide letztendlich entscheiden, ob wir dieses Gespräch führen sollten."


    Ihr Blick wanderte zu dem Monsterjäger hinüber und ihr Mundwinkel zuckte hoch.


    "Und Du solltest Dich auch setzen, Vladim. Steh da nicht rum wie ein Ringrichter beim Boxkampf, der die Einhaltung der Regeln überwacht."


    Sie ließ sich nieder, ihre grünen Wollröcke raschelten angenehm, den Geruch nach Lavendel und Seife verströmend, die sie der Kleidung in ihrer Truhe immer beilegte. Dann kehrte ihr Blick wieder zu Melyanna zurück.


    "Ich bin Alanis Tatius, Geweihte der Fünf Elemente und die hiesige Oberärztin des Krankenhauses. Mein Glaube steht für die Heiligkeit des Lebens und dessen Mannigfaltigkeit. Ich fürchte ich kann beim Thema Optimierung nicht viel beitragen, denn ich bin keine Magierin, die die Dinge nach Belieben umformen kann. Das überlasse ich den Fünfen. Wohl aber kann ich seelischen Beistand geben und den Rat zu dem ein oder anderen weltlichen Bereich."

    "Als Grund? Jemand könnte meine Hilfe gebrauchen. Das ist ein ziemlich guter Grund, sich schnell um etwas zu kümmern", gab Alanis zurück und runzelte leicht die Stirn, weil sie nicht unbedingt den Eindruck hatte, dass sie willkommen war. "Aber da er nicht von fehlenden Körperteilen redete, habe ich beschlossen, zumindest auszuschlafen, bevor ich komme", setzte sie dann freundlich hinzu.


    Ihr Blick glitt zu dem Monsterjäger hinüber und sie nickte ihm zu, deutlich entspannter als noch zuvor.


    "Hallo, Vladim. Guten Morgen."


    Sie nahm Melyanna kritisch in Augenschein und bemerkte die Anzeichen von Kälteeinwirkungen im Gesicht der Frau. In ihrem Kopf machte es irgendwo Klick - was man auch auf ihrem Gesicht sah - und sie beeilte sich, den beiden anderen ins Haus zu folgen.


    "Also, was kann ich tun?", fragte sie dann direkt und sah nur Melyanna an. "Kommunikation über Dritte ist immer schwierig, auch wenn sie meist das Beste wollen."

    "Das habe ich gesehen", gab Alanis freundlich zurück, doch der mörderische Gesichtsausdruck der anderen Frau war ihr nicht entgangen. Sie grübelte, wann sie Melyanna das letzte Mal gesehen hatte. Das musste Jahre her sein. Sie war sich noch nicht einmal sicher, ob sie jemals offiziell einander vorgestellt worden waren.


    "Ich störe ungern, aber Vladim hat mich hergebeten und ich dachte mir, dass wir die Sache so schnell wie möglich angehen sollten."


    Sie trat näher. Schnee knirschte unter ihren Schuhen und ihr Blick fiel eher beiläufig auf Haus und Garten, die von einer weißen Schicht von Frost überzogen waren. Irgendwas war seltsam und sie konnte nicht genau sagen, was es war.


    "Ich bin Alanis", erklärte sie dann, für den Fall, dass Melyanna sich nicht mehr an sie erinnerte.