Beiträge von Alanis Tatius

    Alanis hatte sich an diesem Morgen eher zögerlich aus dem Bett begeben, aber die Pflichten im Hospital warteten nun einmal nicht. Nach dem Frühstück und der Sichtung der Patienten mit ihrer Stellvertreterin und einem Gebet an die Fünfe zog sich die Geweihte warm an - ein grünes, robustes Wollkleid, Mantel, Stiefel und Umhang mit Kapuze. Sie atmete tief durch - vielleicht ein wenig ängstlich und zögerlich, aber sie hatte schon ganz andere Dinge in ihrem Leben getan und würde sich nun von ihrem Versprechen nicht abbringen lassen.


    Der Morgen war zauberhaft schön, weiß berieselt durch Schnee und Frost und die kalte Luft auf dem Weg in den Wald hinein tat der Geweihten gut. Ihre Wangen und Nase leuchteten rot vor Kälte, als sie über den Trampelpfad schritt, vorsichtig, um nicht auszurutschen. Es war ruhig im Gehölz um das kleine Häuschen, doch als sie sich näherte, nahm Alanis Bewegung wahr und je näher sie kam, desto eher war sie sich sicher, dass es nicht Vladim war, der vor dem Haus seine Waffenübungen abhielt.


    Also blieb sie irgendwann stehen, als sie die Lichtung erreichte, auf der ihr Ziel auf sie wartete und betrachtete, was sich ihr für ein Bild bot.


    "Guten Morgen", sagte sie irgendwann, als das Schwert in der Luft stillstand. Sie war sich sicher, längst bemerkt worden zu sein.

    Alanis packte. Sie nahm sich Zeit dafür, hielt jeden Gegenstand, den sie in eine der Kisten oder Truhen packte, für eine kleine Weile in die Hand und besah ihn sich. Das, was sie entbehren konnte, flog auf einen Haufen im Arbeitszimmer, der immer größer wurde, je weiter sich die Geweihte durch ihr Haus arbeitete.


    Sie war sich nicht sicher, ob dies ein Abschied war. Fest stand, dass es Zeit war zu gehen.


    Das Haus besaß sie nun über fünf Jahre und damit stand es ihr frei, es zu verkaufen. Aber wollte sie das? Oder wollte sie es lieber verschenken?


    An diesem Nachmittag dachte sie über das Durcheinander aus Kisten und Taschen nach, als sie vor der Tür saß und über die Baumspitzen hinunter auf das Kristallmeer sah. Wem konnte sie dieses Haus schenken? Ashaba würde vermutlich konsterniert reagieren, wenn sie auf einmal vier Wände und ein Dach besaß, die keinen Regen durchließen und sogar lotrecht errichtet worden waren. Ob der Pater und die Schwester ein Haus brauchten? Immerhin hatten sie zwei kleine Kinder und im Tempel wurde es doch so langsam eng. Und was war mit dem Waisenhaus? Der Erlös einer ganz normalen Auktion für das Haus würde den Waisen ein erkleckliches Zubrot liefern.


    Die Geweihte runzelte leicht die Stirn. Möglichkeiten über Möglichkeiten. Keine von ihnen fühlte sich perfekt an. Vielleicht sollte sie das Haus doch einfach behalten und irgendwann zurückkehren, wenn sie in ihrer neuen Heimat wieder einmal alle Fettnäpfchen abgeklappert hatte.


    Mit einem leisen Seufzen stellte sie sich vor, was sie erwartete. Vermutlich kein eigenes Haus, sondern erstmal ein Zimmer in dem Gehöft, das zum Lehrhospital für sie umgebaut werden würde. Die Lehrlinge würden vermutlich auch zum Teil dort wohnen, wenn sie nicht aus der Umgebung stammten. Der Gedanke, nicht mehr allein zu wohnen, war für Alanis befremdlich, aber sie sagte sich, dass es vielleicht gar nicht so schlecht war, auf ihre mittelalten Tage noch einmal eine derart tiefgreifende Veränderung zu erleben.


    Ein eigenes Hospital. Sie hatte nicht geglaubt, dass das auf so nebensächliche Art und Weise geschehen konnte. Eigentlich hatte sie immer gedacht, sie würde sich irgendwo hocharbeiten, um ihren Wert zu beweisen. Und nun war es einfach so in einem Gespräch entschieden worden, dass sie nur zu fragen brauchte, um das zu bekommen, was sie sich gewünscht hatte.


    Nun ja, was sie sich gewünscht hatte. Ihre Lippen kräuselten sich kurz. Zumindest war Golodans Angebot sehr nahe daran, perfekt zu sein. Sie würde noch mit ihm verhandeln müssen, das war ihr klar. Keinesfalls würde sie von Luft und Liebe leben und ihrer ach so silbernen Ader. Da mussten andere Argumente her, auch wenn ein Kräutergarten mit Blick auf Felder und Wälder ein netter Anreiz war.


    Eigentlich hasste sie es, über Geld sprechen zu müssen. Müssen musste sie schon mal gar nicht, weil sie durch ihre Beteiligung an der Handelscompagnie von Havena gut aufgestellt war und über ein regelmäßiges Einkommen verfügte. Doch der Wind konnte sich immer drehen (gerade in der Seefahrtsbranche war das wohl so) und ein weiteres, wenn auch kleines Einkommen, wäre definitiv wünschenswert. Oder eine Gewinnbeteiligung beim Verkauf von wirklich wirksamen Arzneien. Oder...oder...oder...


    Alanis nippte an ihrem Weidenrindentee. Seit der Rückkehr aus der ersten Drachenwelt hatte sie noch hin und wieder Schmerzen zwischen den Rippen, die durch zwei verschiedene Einflüsse - einem sehr bösen Magier und einem sehr guter Feldarzt - zweimal hintereinander gebrochen worden waren. Kein Wunder, dass sie so schlecht gelaunt war....oder lag es doch an der Entscheidung, was sie mit ihrem Haus tun sollte?


    Ein unwilliges Hmpf entfleuchte Alanis Lippen. Sie sollte definitiv an etwas Schönes denken. An gutaussehende Waffenknechte mit weißen Leinenhemden auf gebräunter Brust. Oder an die bevorstehende Reise in die Drachenwelt und das Wiedersehen mit so vielen guten alten Freundin.


    Das würde es einfacher machen, eine Entscheidung zu treffen. Oder eben keine...

    Es waren einige Wochen vergangen und das Haus am Stichweg hatte in großer Ruhe dagelegen. Kein Rauch im Kamin, keine ordnende Hand, die sich um Garten und Dach kümmerte. Bis dann, eines Tages, eine erschöpft und angegriffen wirkende Alanis im Kreis von einer ganzen Menge Gepäck vor ihrer eigenen Tür erschien. Einfach so. Aus der Luft heraus.


    Die Geweihte blieb für einen Moment schwankend stehen, so als habe die Reise sie getroffen wie ein leichter Schlag mit einem Hammer, dann fasste sie sich und humpelte, sehr vorsichtig, auf ihre Haustür zu, um sie zu öffnen. Ihre Bewegungen waren sehr steif und sehr vorsichtig, als sie nach und nach ihre Besitztümer ins Haus schaffte, etwas Holz aus dem Verschlag holte und dann die Haustür hinter sich schloß. Wenig später stieg Rauch aus dem Kamin auf.


    Der Tag verging und es wurde Abend. Wieder wurde die Tür geöffnet, dann ging die Geweihte, in einen warmen Umhang gehüllt, den Stichweg entlang und hinauf in die Stadt, um einen Brief abzugeben.