Beiträge von Alanis Tatius

    Auch Alanis, die wie am Morgen in höflichem, aber bemerkbaren Abstand auf ein kurze Arbeitspause des Bauherren wartet, zieht im Angesicht derartiger körperlicher Kräfte interessiert die Augenbraue hoch. Sie korrigiert ihre erste Einschätzung, dass es sich bei ihm 'nur' um einen Menschen handelt und beobachtet interessiert die Konstruktion, deren Sinn sich ihr nicht erschließen mag.

    In fünf riesigen Kesseln blubbern Kohl, Speckstücke, Sahne und ein paar Gewürze vor sich hin. Es riecht ausgezeichnet und Alanis ist auch mit dem Geschmack zufrieden, den sie hin und wieder überprüft. Schließlich beschliesst sie, die Töpfe bis zum Abendmal abzuhängen und abzudecken, damit der Kohl nicht zu labberig wird. Der Eintopf soll abend mit dünnen Kräuterfladen gereicht werden, die sie noch im inneren des Unterstandes gefunden hat.


    Sie wäscht sich die Hände in dem Eimer, den sie sich zu diesem Zweck gefüllt hat, dann nimmt sie ihre Schürze ab und streckt sich. Ihre Gelenke knacken von der Arbeit, dennoch ist sie hoch zufrieden und gespannt, was die nächsten Tage bringen werden.


    Ein paar Brotkrümel von ihrem Kleid wischend, macht sie sich auf die Suche nach Baul.

    Die Sonne hat ihren Zenit überschritten, als Alanis aus der Stadt zurückkommt und die gekauften Vorräte schnell und mit Bedacht in den festen Teil der Feldküche räumt. An einigen Stellen, an denen sie Säcke auf den Boden stellt, legt sie erst einige Bohlen von der Baustelle aus und darauf Wachstuch, damit die Feuchtigkeit nicht in die Säcke dringen kann. Dann räumt sie die kleinen Pakete mit kostbareren Gewürzen wie Salz und Honig in eine Kiste und bedeckt sie wiederrum mit Tuch, um darauf einige Hartwürste zu legen. Draußen rumpelt unterdessen der Wagen wieder davon.


    Die neuen Kessel, Kannen, Pfannen, Geschirr und Messer übergibt sie Sotirios, der sie einmal mit Flusssand gut durchschrubbt und dann direkt in Betrieb nimmt, denn die von ihm geschnittene Kohlration stapelt sich inzwischen in allen verfügbaren Gefäßen. Sie stellen über drei kleineren Feuerstellen an der Seite des Unterstandes die Dreibeine auf, machen Feuer in den Feuerschalen und setzen den Kohl auf.


    Mit Sotirios geht Alanis die einzelnen Vorräte durch, erklärt ihm, was sie in den nächsten Tagen kochen will und fragt ihn auch nach seinem und dem Geschmack seiner Landsleute. Sie kommen überein, dass sie beide versuchen wollen, die Arbeit mit zwei Personen zu stemmen, aber dass sich Sotirios bei Bedarf unter seinen Kameraden umsehen soll, wen er noch für den Küchendienst fähig hält. Danach schickt sie den jungen Mann mit Seil, Reusen und der Versicherung, dass er schwimmen kann, los, um die Fischreusen im Fluss anzubringen.


    Schließlich stellt sich Alanis eine neue Liste mit Dingen zusammen, die sie mit Ferd nicht klären konnte und beschließt später, wenn das Essen so weit vorbereitet ist, dass sie nicht mehr dabei stehen muss, Baul zu suchen.

    Alanis blickt ihr, ein wenig überrumpelt, hinterher und hebt dann die Hand, um Jala nachzuwinken. Lächelnd schüttelt sie den Kopf. War sie jemals so jung und so glücklich gewesen?


    Ohne sich Zeit für die Beantwortung der Frage zu geben, dreht sie sich um, richtet Haare, Röcke und Ausschnitt zurecht und betritt dann entschlossenen Schrittes das Handelshaus.


    Die folgende Stunde verbringt sie zwischen Kisten, Fässern, Ballen, Säcken und Wannen mit nützlichen, unnützen und interessanten Dinge. Schließlich, nach heftigem Feilschen und der Anheuerung eines Gefährtes samt Lenker beim Mietstall, rumpelt Alanis mit dem hoch bepackten Wagen noch bei Solis Corona vorbei. Diese können ihr nur 20 Hühner verkaufen, versprechen ihr allerdings, so schnell wie möglich nachzuzüchten oder legefähige Hennen so schnell wie möglich zu besorgen.


    Schließlich macht sich Alanis sehr zufrieden auf den Rückweg zum Bauplatz

    Nach einem kleinen Fussmarsch von der Baustelle kommmen Alanis und Jala auf dem Marktplatz an. Es ist Mittag, und deutlich mehr los als noch am vergangenen Abend. Alanis zieht ihre Liste aus der Tasche und reicht sie an Jala weiter.


    "Ich brauche Lebensmittel, Küchenausstattung und Kräuter in größeren Mengen - was empfiehlst du mir? Bekomme ich alles bei Rothfeder?"

    "Das ist der klare Vorteil an älteren Männern, die wissen meistens sehr genau, was sie im Leben wollen und was nicht." Irgendwo am Wegrand raschelt etwas. Alanis legt eine Hand auf ihren Dolch und spannt sich kurz an, doch dann entpuppt sich der Verursacher als ein Eichhörnchen und sie atmet etwas auf.

    Alanis reißt gespielt entsetzt die Augen auf, zwinkert Jala dann aber beruhigend zu.


    "Mach keinen Quatsch, am Ende bin ich noch für irgendwelche Katastrophen verantwortlich und dann werde ich von Deinen Eltern UND Deinem Gefährten zu Gulasch gemacht!"


    Sie verlangsamt ihren Schritt ein wenig und schweigt eine Weile. Dann erklärt sie:


    "Du läufst schon davon, Jala, jetzt gerade in diesem Moment, in dem Du von einem eigenen Heim und Liebe sprichst. Deine Eltern haben sicherlich gerade eine Heidenangst, Dich zu verlieren, auch wenn ihr vielleicht später nur ein Stück auseinanderwohnt. Sie wollen Dich zurückhalten, wissen aber auch, dass sie das nicht engültig können.


    Wenn Menschen auseinanderstreben, dann ist das wie ein Band, an dem man zieht. Mit jedem Schritt, den Du gehst, dehnst du dieses Band zwischen Dir und Deinen Eltern, ganz langsam. Das ist mühsam, Du wirst vielleicht immer wieder zurück gezogen, doch am Ende ist das Band lang genug, damit Du den Punkt erreichen kannst, zu den Du willst. Das Band mag zwar etwas dünner sein, aber es ist da und wenn Du irgendwann allein bist, kannst Du daran den Weg nach Hause zurück finden. Wenn Du aber mit aller Macht gegen das Band anrennst, dann kann es sein, dass es reisst, verstehst Du, was ich meine? Und dann bist Du im schlimmsten Fall wirklich ganz allein.


    Dich von Deinen Eltern zu lösen und Ihnen die Möglichkeit zu geben, Dich als Tochter, als Kleinod und Augapfel in die Obhut eines anderen Menschen zu geben, ohne Zweifel und Ängste, das wir ein gutes Stück Arbeit. Aber geht den Weg miteinander, Du, Dein Gefährte und Deine Eltern, dann wird es für alle nicht so schwer und niemand wird verletzt. Und das ist es doch, was Du willst, oder?"

    "Gewöhn Dich daran, das wird niemals enden - denke ich zumindest. Da ich keine Familie mehr habe, die mich triezen kann, beobachte ich immer meine Freunde und deren Familien. Es ist ganz nett mitanzusehen, wie sich gestandene Männer im Angesicht einer über ihre feuchten Socken schimpfenden Mutter wieder in kleine Jungen verwandeln." Sie zupft nachdenklich an ihrem Verband herum und legt die Stirn in Falten."Natürlich sehen wir die Dinge anders als unsere Eltern. Wir machen neue Erfahrungen, sehen mehr von der Welt, freuen uns an neuen Erfindungen, Modeerscheinungen, Rezepten, Liedern und Gedichten. Der Mensch neigt dazu, dass Neue zu begehren und das Alte abzuschreiben - die Alten abzuschreiben. Aber ganz gleich wie sehr wir uns von unseren Eltern immer unterscheiden werden, Zugehörigkeit, Liebe und Sorge werden uns mit ihnen immer verbinden, ganz gleich, wie sehr man aneinandergerät. Reibung erschafft Wärme."

    Bei Alanis fällt das Silber kupferweise.


    "Oh, Baul ist Dein Zukünftiger? Und das wird DEIN Haus?" Sie ist sichtlich beeindruckt. "Er muss ja ganz verrückt nach Dir sein, wenn er sowas für Euch auf die Beine stellt."


    Sie tritt einen Stein voran, der ein paar Sprünge über die ausgetretene Straße macht und setzt dann ernst hinzu:


    "Eltern und eine intakte Familie sind ein großer Schatz. Irgendwann kommt man im Leben an einen Punkt, an dem man verstehen kann, weswegen einem die Eltern an gewissen Punkten der Jugend dies und das verboten haben. Die meisten ihrer Ratschläge, ganz gleich, in welchem Tonfall, zu welchem Anlass oder in welchem Umfeld sie gesprochen wurden, waren einfach nur Ausdruck von Liebe und Sorgen, auch wenn man das als Gescholtener nicht immer versteht."

    "Ja, das ist schön. Bis Du irgendwann ganz allein verletzt im Regen in irgendeinem Land in einem Graben liegst und Dich fragst, wo das Gefühl, die Person, die Sache ist, die Dich aufrichtet, wenn Du nichts mehr alleine aufstehen kannst und willst. Da verliert die Sache mit der Eigenständigkeit und Ungebundenheit ihren Reiz und fängt an, an Dir zu fressen. Bei mir ist es mein Glaube, der mich stützt. Bei Dir sind es Deine Familie, Deine Liebe, Dein eigenes Haus. Da ist nicht das Eine besser, nicht das Andere. Beides hat seine Vor- und Nachteile. - Also sollten wir wohl nicht neidisch aufeinander sein, schätze ich."


    Ihr Blick ist nachdenklich, geht sowohl auf den friedlichen Wald zu beiden Seiten der Strasse, als auch tief in sie selbst hinein.

    Ihr Blick wird kurz weich und verschmitzt, dann winkt sie ab.


    "Ach, das mit dem Heiraten ist nicht mein Ding, für mich muss es keine Zeremonie sein, keine Ringe, Bänder oder zertretenes Geschirr - wenn ich jemanden liebe, dann geht das auch so. Du kennst das." Sie stutzt kurz, überlegt sehr genau, wie sie weiter formuliert. "Aber sich auf jemanden festzulegen bedeutet das Ende meiner Freiheit, meiner absoluten Selbstbestimmung, der Tatsache, daß ich bisher nur für mich, meine Wünsche, meinen Glauben und meine Arbeit gelebt habe. Ich kenne keine Familie, habe einige Freunde, die auch immer unterwegs sind und denen ich mich nicht über alles verpflichtet fühle. Im Kopf oder mit dem Körper sesshaft zu werden, ist einfach nicht mein Weg. - Und deswegen bin ich ein wenig neidisch, denke ich, weil ich Angst habe vor solch großen Veränderungen." Ihre Mundwinkel zucken ein wenig nach oben, ihre Worte sind fern jeglicher Bitterkeit.

    Alanis zieht eine Augenbraue hoch.


    "Ich wundere mich ja immer wieder über Religionen, die Dinge einschränken, die seit jeher fester Bestandteil des Lebens sind und deren Verzicht oftmals nur Probleme bringt. In meinem Glauben verpflichtet man sich durch das Priestertum zu nichts außer dessen Wahrung und das ist Prüfung von Leib und Geist genug.."


    Dann aber hebt sie die Schultern und lacht auf, als sie Jalas sonnigen Gesichtsausdruck sieht.


    "Aber jeder wie er oder sie meint. Solange Ihr glücklich seid und alles nach Deinem Herzen ist. Ich bin ja fast ein wenig neidisch."


    Sie spricht es aus und merkt, dass sie es tatsächlich ist - ein wenig neidisch. Mit einem schiefen Lächeln schüttelt sie den Kopf über sich selbst.

    Alanis betritt die Straße und klopft sich etwas Baumschlamm von den Füssen.


    "Ich bin Feldscherin. Die Kocherei ist mir als Leidenschaft aus meiner Jugendzeit übrig geblieben, damals habe ich zusammen mit meiner Mutter meine ganze Sippe versorgt und wann immer ich heute mal kein Geld habe, kann ich froh sein, in irgendeiner Küche in irgendeinem Land immer eine Anstellung finden zu können."


    Sie schreitet forsch voran, die Freunde über ihre neue Aufgabe ist ihr anzusehen.


    "Also wirst Du bald heiraten, ja? Ich gratuliere Dir, das ist eine wunderbare Sache."

    Alanis umrundet eine schlammige Pfüte und deutet darauf.


    "Aha, alles klar, also Essen von diesem Aussehen und dieser Konsistenz. Muss aber nichts das Schlechteste sein, die meisten Eintöpfe werden ja erst richtig gut, wenn man sie ein bisschen ruhen und durchsumpfen lässt."


    Sie legt die Stirn in Falten.


    "Hm, Honigkrustenbraten. Habe ich lange nicht mehr gemacht, muss ich sagen. Habe in letzter Zeit viel Feldküche gemacht und keinen anständigen Herd mehr unter den Händen gehabt. Aber was soll's, kochen ist kochen, egal, für wie viele Leute. Ist mal eine Abwechslung zu meinem sonstigen Beruf."

    "Tja, Baul sagte mir, ich solle mit seinem guten Namen zahlen. Wo das nicht funktioniert, werde ich einfach bestellen und mit meinem eigenen Geld anzahlen, das wird schon klappen!" Sie hebt die Schultern und sieht nicht aus, als wäre Geld ein Problem."Und was ist Matsch für die Mittellande?", fragt sie, schon im Gehen, verwundert.