Der Wagen rumpelt mit zunehmendem Tempo durch das Tor gen Osten und Alanis muss sich mehr als einmal gut festhalten, weil es durch ein Schlagloch geht. Schließlich zuckeln die Ochsen auf den Innenhof eines Gehöftes, bei dem auf den ersten Blick sofort die groß angelegten Stallungen auffallen.
Alanis springt vom Bock und hievt ihren Korb vom Wagen, während Herbert mit scheinbar tausendfach geübten Handgriffen die Tiere fortführt, ihnen das Kummet abnimmt und sie in den Stall bringt. In einen anderen Bereich des Hofes, eine große, offene Scheune, in der verschiedene Arten von Karren stehen, schiebt er dann den nun leeren Wagen.
Auf dem Hof herrscht Zwielicht. Zwei Laternen, vom Wind bewegt, werfen schwankende Schatten auf den staubigen Boden. In der Ferne wiehern Pferde und erinnern Alanis daran, daß dies ein Mietstall ist. Stallduft, das Aroma von Heu, Pferdeäpfeln und warmen Tierleibern wabert aus den Holzbauten der Ställe. Eine große Tränke steht in der Mitte des Hofes, neben ihr Anleinbalken für die Tiere.
Da Herbert kurz verschwunden zu sein schein, greift Alanis zu ihrer Kiepe und zieht dann scharf die Luft ein, als sich ein Stück Weide in die Verletzung an ihrer linken Hand, die immer noch nicht verheilt ist, bohrt. Kurz atmet sie durch, dann nimmt sie vorsichtig ihre Kiepe auf und geht zur Tränke, um sich frisches Wasser zu pumpen. Nach einigem Suchen in ihrer Tasche findet sie endlich ein leidlich sauberes Tuch und befeuchtet es, um sich den gröbsten Reisestaub von Gesicht, Nacken und Armen abzuwaschen. Dann wickelt sie den Verband von ihrer linken Hand, lässt Luft an den entzündeten Schnitt, wäscht ihn vorsichtig aus und bestreicht ihn mit Salbe, bevor sie sich einen frischen Verband anlegt. All das geht ihr schnell von der Hand, hat sie doch in Mythodea gelernt, Verletzungen noch schneller und effizienter zu versorgen.
Ihr Blick fällt auf den Vollmond, der sich in der Tränke spiegelt, verzerrt, weltfremd, entrückt, nicht zu erreichen... . Sie seufzt leise. Ihr Groll gegen alles und jeden ist längst verflogen und sie fühlt sich müde und allein. Sie vermisst Alessia und die anderen Dargaresen, selbst Nepomuk und seine unendlich schlechten Kalauer. Und ihre Meister, die wahrscheinlich schon all den Fragen begegnet sind, mit denen sie sich in den letzten Wochen beschäftigt hatte.
War Verantwortung immer mit Einsamkeit verbunden? Sie schüttelt den Kopf. Das konnte und durfte es nicht sein. Sie betete zum Sein, zum Leben. Also warum nicht alle Teile des Lebens genießen, warum nicht alles auskosten?
Sie verzieht das Gesicht und befiehlt sich dann, ihre Gedanken ruhen zu lassen. Zu viel was geschehen, auf sie eingeprasselt, hatte sie verhöhnt, herausgefordert, verletzt, verängstigt und zum Nachdenken gebracht. Doch das waren Dinge, die sich nichtfür einen schönen warmen Sommerabend eigneten.