Beiträge von Adrian Thule

    Vier Wochen. Oder waren es fünf? Sechs? Lesco hatte den Überblick verloren. Es gab nur noch Tag und Nacht. Zeit war irrelevant. Die Zahlen, die ihm sagte, wie lange er schon hier war, waren verblasst. In all der Zeit, hatte er auf Wände, Tür und Tisch eingeschlagen. Er hatte vergeblich versucht mit den Wächtern zu reden. Das Essen kam ihm Tag für Tag geschmackloser vor. Es war immer das Selbe. Keine Abwechslung. Monotonie. Gedanken waren die einzigen Begleiter in dieser Zeit. In den letzten Tagen kam das Ende durch den Dolch immer verlockender vor. Und doch gab es einen weiteren Weg hinaus. Ein Gedanke, der sich in den Tagen fest gebrannt hat war, dass Medina ohne ihn, wie Jaromar enden wird, wenn Lesco sie nicht beschützen konnte. Und hier drinnen konnte er Nichts für sie tun.


    Und so hatte er begonnen, noch vor dem Frühstück die Fäden wieder auf zu sammeln. Es war eine Heidenarbeit, sie alle auf den Tisch zu bringen und noch schlimmer war es sie zu sortieren.


    'Raus... raus... ich muss hier raus...' Seine Hände überschlugen sich förmlich dabei, die Fäden in den Stoff zu knüpfen. Er formte all das, an das er dachte, ohne sich wirklich Gedanken zu machen. Es ging ihm nicht, um Buße, sondern um Erlösung. Erlösung von dem Hiersein. Erlösung von den Gedanken, die ihn quälten. Es ging ihm darum, schnell etwas vorzuweisen, um schnell raus zu sein. Der Schlaf wurde unterdrückt. Stunde um Stunde mit dem Teppich verbracht. Das Bild nahm gestallt an, zeigte die Gassen Kephrams und seine Bande. Es zeigte eine harte, raue Welt, in die ein junge rutschte, ohne sich befreien zu können. 'Raus... raus, um Medina zu schützen... raus, um nicht mehr alleine zu sein.


    Der Zweifel kam, als Lesco fast fertig war. Er konnte nicht sagen, woher der Keim kam, aber er wucherte schneller in ihm, als es ihm Recht war. Die Nadel wurde langsamer und schließlich versiegte ihr Werk. War es richtig es so zu beenden? Warum interessierte es ihn plötzlich, ob es richtig war oder nicht? "Was willst du von mir?" Die Schritte hatten ihn zum Fenster weit über ihn. Die Sonne schien gerade fast genau hinein. Er wusste nicht, wieso er aufgestanden war, noch warum er das erste Mal seit Jahren wirklich mit ihm sprach; dem Erschaffer, das Licht... Lukranis.

    Die nächste Nacht verlief weniger ruhig. Die Gesichter der Toten quälten ihn. Lesco fand nicht eine Minute Ruhe. Immer, wenn er die Augen schloss, sah er die Vier. Immer, wenn er die Augen öffnete, hörte er ihre Stimmen. Die Kerzen waren erloschen und die Wächter würden erst am nächsten Abend wieder die Fackel hineinreichen, um sie erneut zu entzünden. Das Licht vom Mond, dass durch den Schacht fiel, war kaum genug, um mit den Schatten einen Streich für Lesco zu spielen. Kalt lag der Schweiß auf seiner Stirn. Er hielt das hier einfach nicht aus. Plötzlich zuckte Lesco herum, weil er glaubte etwas gesehen zu haben. Doch er war alleine. Zitternd ging er das Zimmer auf und ab. Hin und wieder versuchte Lesco es erneut mit dem Schlaf. Doch vergebens war jede Bemühung. Wenn es nicht die Vier waren, die ihn wach hielten, dann die Vorstellung, wie sein Bruder auf dem auf der Seite der Chaosschlampe auf dem Schlachtfeld steht und... ...


    Seite Hand krachte gegen den Stein. Tränen liefen seine Wangen hinab. Sein Hass auf Eshab wuchs, denn wenn dieser ihn nicht festgehalten hätte, wäre Lesco sicher bei Jaromar gewesen und hätte an seiner Seite gekämpft.


    Wieder krachte die Faust gegen den Stein. Blut trat hervor, doch der Schmerz half Lesco den Zorn zu vergessen. Nochmal. Wieder und wieder und letztlich sank Lesco auf die Knie. In diesem Moment verließ ihn die Wut auf diejenigen, auf die er sie in den letzten Tagen projiziert hatte. Es waren seine Taten, die ihn nach Kephram geführt hatten. Es waren seine Taten, die vier Menschen das Leben nahmen. Es waren seine Taten, die ihn hergebracht hatten. Die Gründe waren egal, hätte Lesco alleine doch andere Wege suchen müssen. Und doch fand er in all dieser Erkenntnis keinen Frieden.


    "Ich schaffe das nicht. Wie soll ich Buße ablegen für etwas, was ich immer wieder tuen würde? Wie soll irgend jemand verzeihen, was ich aus vollster Überzeugung getan habe? Wie... kann ich mir selbst verzeihen, was ich im Wissen aller Konsequenzen tat? Dieser Ort macht mir bloß klar, dass ich der Schuld nicht ins Gesicht blicken kann."


    Mit der verletzten Rechten griff Lesco den Dolch, nachdem er sich zu seinem Bett gezogen hatte. Zitternd umschloss die Hand den Griff. Alles hätte schon viel früher enden können. Wäre er einfach in Kephram verreckt, hätte Medina ihn nie gefunden.


    Die Klinge wurde zum Hals geführt. Das Zittern nahm zu. Und doch hätte sie weiter gesucht. Was Juvre wohl mit ihr gemacht hätte, wenn Lesco nicht mehr da gewesen wäre?


    'Wir, die wir im Dienste des Ordens der Träne Lukranis Werk in den Landen Daynons tun wurden ausgebildet zu heilen. Wir nehmen, das was geschehen ist auf uns und spenden Heilung. Dieses Geschenk und seine Bürde vermag keine weitere neben sich zu dulden. Schild und Schwert sind anderer Gläubiger Tagwerk. Wir vom Orden der Träne verteidigen nicht, sondern wir sind den Verteidigern Daynons Heiler und Heilerinnen.' Die Worte des Bewahrer traten zurück in seine Erinnerung. Und doch, war er kein Bruder des Steins von Gislafoth. Wie könnte er die nun je werden?


    Der Schmerz über seine Taten verzerrte sein Gesicht. Die Klinge ritzte die Haut am Hals auf. Bald würde es vorbei sein. Seine Schande würde mit ihm sterben. Der Tot war gerecht. Die einzige Strafe, die es für ihn gab. Wie konnte Medina mehr in ihm sehen, als einen Verbrecher und Mörder? Wie konnte Tacherlos so blind sein und den Weg nicht erkennen? Waren die Gesetze des Königs nicht gültig? Wieso sah der Schatten den Weg des Lichtes vor Lesco liegen, wo sein Leben doch in Dunkelheit getaucht war.


    'Wenn du mich wirklich schützen willst, dann lerne, wie du uns beide vor dem schützt, was die Chaosmaid aus Jaromar, gemacht hat oder machen wird!'


    Dann sackte sein Körper nach vorne. Metal fiel zu Boden. Doch statt sich selbst zu richten, hatten Medinas Worte ihn vor dem Ende bewahrt. Tränen flossen und Lesco weinte sich in den Schlaf. Hier würde die Geschichte nicht enden. Das konnte er seiner Schwester noch weniger antun. Nicht jetzt, wo sie ihn endlich gefunden hatte.

    Seufzend atmete Lesco aus. Da war er also. Alleine. Alleine mit den eigenen Gedanken. Doch keiner davon schien wirklich Sinn zu machen oder sich fassen zu lassen. Minute um Minute; Stunde um Stunde lag Lesco auf seinem Bett und starrte die Flamme an, nachdem sich sein Blick von der Türe gelöst hatte.


    Irgendwann schläft Medinas Bruder dann ein. Ohne sich umzuziehen oder die Kerze zu löschen. Die Müdigkeit kam und gewann schlicht ohne Gegenwehr. Erst am nächsten Morgen wurde er durch den Ordensbruder geweckt, der ihm das Essen brachte. Leicht verzog er das Gesicht, als ihm bewusst wurde, dass es schlicht Wasser und Brot gab. Einzig ein Apfel versah das Ganze etwas mit Geschmack.


    Nachdem er gegessen hatte, öffnete Lesco das Papier des Paketes endgültig und legte die Fäden und die Knüpfnadel auf den Tisch. Abfällig schnaubend wendete er sich schließlich von dem material ab und begann mit der Morgenwäsche.


    "Unklare Beweislast... ich habe gestanden Tacherlos... Klarer geht es nicht. Warum also bin ich hier und nicht da?", begann Lesco schließlich ein kleines Selbstgespräch. Jenes führte er während er in der Zelle auf und ab ging. Der Mann war unzufrieden; mit der Situation, seinem Leben und sich selbst. Und diese Unzufriedenheit fokusierte er aktuell auf diejeneigen, mit dennen er in letzter Zeit Kontakt hatte: Tacherlos, den Schatten, Eshab und sogar auf Medina und seine Eltern. Er wusste nicht warum, aber er fand bei jedem Gründe, die er ihnen in die Schuhe schieben konnte. Für Lesco stand am ersten Abend des Umhergehens und des Sitzens fest: Schuld an der Situation waren die Anderen. Wütend über eben jene, fegte seine Hand über den Tisch und warf alle Fäden quer durch die Zelle.


    Selbst die Tatsache, dass es eine Suppe zum Abendessen gab, konnte seine Laune nicht aufbessern. Die Nacht kam. Dieses Mal machte sich Lesco bettfertig und löschte das Licht, um sich ganz der Dunkelheit in der Zelle und in seinem Herzen zu ergeben.


    So verging die ganze erste Woche und Lesco versank immer mehr im Sumpf aus Selbstmitleid und Schuldsuche bei Anderen. Am Ende der Woche lagen die Fäden noch immer dort.


    Er hatte versucht mit dem Ordensbruder und den Wachen zu sprechen und niemand antwortete ihm, was die Wut in seinem Herzen nur noch mehr steigerte. Wären die Mahlzeiten nicht, hätte Lesco sicher jegliches Zeitgefühl verloren. Mit jeder Stunde fühlte sich Lesco noch einsamer.

    Mit den Schultern zuckend steckte Lesco den Dolch wieder ein und wedete sich dem Lager zu. Während Tacherlos die Türe schloss, ließ sich Lesco nieder. Das geräusch des Schlosses hatte etwas endgültiges an sich und Medinas Bruder kam nicht umher die Türe fast eine Stunde lang anzustarren.

    Ungläubig blickte Lesco das Knüpfmaterial an. Eine Braue hob sich und zuckte leicht. Das verlangten die Lukranisten jetzt nicht wirklich, oder? Er sollte einen Teppich knüpfen? Darauf können die lange warten.


    Sein Gesicht verhärtete sich und Lesco drehte seinen Körper in Richtung des Bewahrers. Seine Hand griff an den Gürtel und er holte den Dolch hervor, griff diesen an der Klinge und hielt Tacherlos den Knauf hin.


    "Den brauch ich hier nicht.", gab er trocken von sich. "Keine weiteren Fragen, Bewahrer."

    Sein Blick schweifte durch die Zelle und auch hinauf zu dem Oberlicht. Dann steuerte Lesco das Bündel auf dem Tisch an und öffnete es, um den Inhalt zu betrachten. Dabei lauschte er Tacherlos Worten. Mit Luxus hatte er ganz sicher nicht gerechnet.


    Als die Frage gestellt wurde, blickte er zu dem Priester.


    "Eine." Eine Pause folgte und Lesco legte den Kopf etwas schiefer, um ihn dabei zu mustern.


    "Warum macht ihr euch die Mühe, statt mich der Garde zu übergeben, wie es rechtens wäre?"

    Lesco lief ein Schauern über den Rücken, je tiefer sie in die Katakomben gingen. Furcht stieg in ihm auf; Angst davor hier zu verotten. Was wäre, wenn die Lukranisten ihn hier ewig fest halten würden? Das Ganze bekam immer mehr den Geschmack eines Gefängnisses. Aber wäre der Knast wirklich die Strafe, wenn die Garde ihn in die Finger kriegen würde?


    Dann nach endlosen Minuten waren sie an 'seiner' Kammer. Kurz überlegte Lesco den Bewahrer nach der Zeit zu fragen, die er hier verbringen würde. Doch machte das Wissen es nicht noch schlimmer? Ohne ein Wort zu sagen ging er hinein und nickte dem Bewahrer zu.

    Auch er löste die Hände von ihrer Schulter und drehte sich mit einem Lächeln auf den Lippen zum Bewahrer um. Doch dann hielt er nochmal inne. Sein kopf wendete sich zu Medina.


    "Dir liegt noch etwas auf dem Herzen, nicht wahr?"


    Zumindest hatte Lesco in Kephram. Nicht verlernt seine Schwester zu 'lesen'.

    "Einen Weg werde ich schon gehen. Welchen, werden wir sehen. Aber stehenbleiben werde ich sicher nicht."


    Seine erste Reaktion klang recht kühl und so, als wollte er ihre Argumente gar nicht hören. Dann aber sprach Medina Jaromar an. Daran, was aus ihm werden könnte, hatte er gar nicht gedacht. Gerüchte hörte man über die Untoten.Aber in Kephram war das nicht präsent gewesen.


    "Ich... ich..."


    Seine Hände ballten sich zu Fäusten, während Trauer und Wut in ihm anstiegen. Er hatte dadrauf einfach keine kühne Reaktion parat, also packte er Medina an den Schultern, beugte sich vor und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.


    "Ich... muss los. Wir werden uns wiedersehen"

    "Vielleicht... vielleicht sind wirklich irgendwo Reste von ihm irgedwo vorhanden. Das Einzige von dem, was einst war und das ich heute noch sehe, ist der Wunsch dich zu beschützen. Das ist mein Antrieb und nicht mehr."


    Er blickte kurz in Richtung des Bewahrers und dann zurück zu Medina. Seine Stimme war leiser, als sie es momentan sein müsste, obwohl sie unter sich waren.


    "Ich habe den Glauben an Lukranis verloren und ich bezweifel, dass ich ihn in einer Kammer, alleine mit mir selbst, wiederfinden werde. Es ist... zuviel schief gelaufen. Die ungeschönte Wahrheit ist: Ich bin hier, weil ich nicht ins Gefängniss gehen will. Punkt. Ich werde die Zeit hier über mich ergehen lassen und dann irgendwie neu anfangen."


    'Es ist von Wichtigkeit, welche Wege du gehst, ein jeder von ihnen ändert das Gefüge eines anderen Weges.', schoss es ihm durch den Kopf und er hielt schlicht in seinem Vortrag inne.

    Lesco zuckte innerlich zusammen, als sich die Tore mit einem Gefühl der endgültigkeit hinter ihm schlossen. Die Aussicht auf Frieden? Ob Lesco je wieder mit sich selbst finden konnte? Nach Allem, was er im Laufe der Jahre getan hat?


    "Ich hatte nicht erwartet, dass ich nur Stunden hier verbringe, Bewahrer."


    Er nickte Tacherlos dann schweigend zu und wendete sich dann gen Medina.


    "Ich habe nach Jemanden in Kephram gesucht, den ich noch einmal wiedersehen wollte. Aber ich war nicht erfolgreich."


    Er seufzte leise, doch dann versuchte Lesco es mit einem Lächeln.


    "Du hällst dich immernoch sehr an den Lesco fest, den du vor 10 Jahren kanntest. Und das, obwohl du weist, dass ich... ... nein... was ich getan habe."

    Lesco kam zu spät, wenn auch nicht tragisch viel. Er wirkte etwas abgehetzt und wurde erst in Sichtweite der Priesterschaft langsamer. Sein Atem ging schnell, als er bei ihnen war.


    "Verzeiht... ich, musste noch Dinge klären, bevor ich herkommen konnte und... wurde dabei aufgehalten."


    Lesco nickte den Anwesenden zu und wartete auf das, was folgen würde.