Wieder nickt Tíriêl zunächst schweigend. Endúneath sofortige Aufrichtigkeit lässt sie hoffen. Sie denkt sorgfältig über die Worte nach, die sie ihm entgegen bringen will, doch noch während sie verbissen überlegt, weiß sie längst, dass es einfacher und ehrlicher ist, frei aus dem Herzen zu sprechen.
„Ich habe die Briefe die du mir geschickt hast und auch die Berichte die mich erreichten, sorgfältig und mehrmals durchgelesen, doch können all diese niedergeschriebenen Zeilen nicht das vermitteln, was in so einer Lage wirklich wichtig ist – deshalb bin ich hier. Deine Angst Endúneath hat mich schon vor langer Zeit erreicht und hält dich selbst seit dem in ihrem Bann. Sie ist es, die dich zum zweifeln bringt, sie ist es dir die klare Sicht auf die Dinge raubt die vor, die hinter und.... sie greift kurz nach seiner Hand, legt sie in ihre und drückt sanft zu „...die neben dir liegen!“
Sie legt ihren Kopf in den Nacken und blickt zum Kronendach hinauf.
„Ich kenne Tear’asel nicht. Ich kenne nur die Elbe aus den Berichten und die Frau aus deinen Briefen. Mit diesem doch recht einseitigen Bild kann und will ich mir keine Meinung über sie machen, das wäre respektlos und falsch.....den es wäre keine allzu positive Meinung und daran glaube ich nicht. Vielmehr denke ich, dass es durch gewisse Missverständnisse zwischen unseren Kulturen erst soweit kommen konnte, das es nicht freie Worte und Freundschaft sind, auf die wir unseren Kontakt aufbauen, sonder Vorsicht und zaghaftes Annähern voller Vorurteile.“
Nun blickt sie den Wächter neben sich wieder direkt an.
„Und das ist auch eine weitere Grenze die zwischen euch liegt. Unter anderem hervorgerufen durch eben jene Ängste und Zweifel.“
Immernoch nach den richtigen Worten suchend, erhebt sich die junge Elbe und beginnt mit leisen Schritten langsam die Lichtung hinab zu schreiten, während sie weiter ihre Worte an den Wächter richtet. Endúneath kann spüren, dass es nicht einfach ist, die Worte die gewählt werden, laut und in einer für ihn verständlichen Reihenfolge zu sprechen. Während Tíriêl redet, lässt sie ihn teilhaben an den Gefühlen, die sie einst selber gespürt hatte, damit Endúneath vollends verstehen und begreifen kann.
„Damals in der alten Heimat, stand ich an vor einer ähnlichen Schwelle an der du nun stehst – wenngleich es auch nicht dieselbe Tür war. Mir selbst hat es damals nicht so geholfen wie einst gedacht, aber für dich könnte es jetzt von Bedeutung sein. Damals könnte ich viel in den Aufzeichnungen der Telconthar lesen, selbst in den verborgenen Schriften naneth nin!“
Ein Senden unterbricht die Stille die durch ihr plötzliches Schweigen hervorgerufen wurde
Du weißt, wer die Urheberin dieser Schriften war...
Ehrfurcht liegt in diesem kurzen Satz, den auch Endúneath sofort spürt.
Ein Name flackert kurz in seinem Bewusstein auf.....Velvedress....ein Flüstern, als ob die Göttin selbst ihre Stimme erhoben hätte....doch der Augenblick ist kurz und einen Wimpernschlag später bereits ungreifbar, gleich einem schwindenden Traum.
„Es gibt Wege mit dem umzugehen was du jetzt durchmachst, auch auf dem Pfad des Wächters. Es ist nicht ganz leicht, das gebe ich zu aber nichts ist jemals wirklich einfach oder?“
Sie lacht leise das Lachen, das Endúneath aus ihrer beiden Kindheit schon so oft gehört hat. Es erinnert ihn an die Wärme der Familie und an ungezwungenere Zeiten. Dann wird sein Gegenüber wieder schlagartig ernsthafter.
„Bündnisse zwischen den Hên Meneldû, auch bei den Dei ithil und anderen sind nicht so selten wie du anzunehmen scheinst....!“
Sie zögert erneut um die richtigen Worte zu finden. Langsam kniet sie sich nun vor dem Wächter nieder.
“Einst war es die große Göttin selbst, deren Willen es war die Verbindung zwischen ihren Kindern und denen des Waldes zu festigen. Du kennst diese Erzählung, du weißt was aus ihnen gewachsen ist!“ Es bedarf keiner Erklärung dafür. Endúneath wusste wovon sie sprach. „Nun sind seitdem Jahrtausende vergangen und aus Tatsachen wurden Geschichten die dann zu Legenden heranwuchsen. Du machst dir Sorgen eine Verbindung zwischen euch würde nicht gedultet werden? Ihr glaub eure Verschiedenheit und eure Kulturen stehen euch im Weg?! So eindeutig wie diese Grenzen auch sind, sie sind nicht alles was euch im Weg steht, aber das weißt du ja bereits!“ Mit der einen Hand umschließt sie die Hand ihres Cousin ohne ihn aus ihrem Blick zu entlassen. Mit der anderen Hand tippt sie Endúneath sanft auf den Kopf. „Hier beginnt diese Grenze!“ .... ihr Hand wandert weiter zu seiner Brust und legt nun ihre kleine zierliche Hand darauf. „Und hier wird ihr fallen oder ihr bestehen gefestigt!“ Sie lächelt sanft und ihr Blick zeugt von tiefem Verständnis.
„Enduneath, es liegt alleine bei dir zu entscheiden."
Ihr Blick wird durchdringender.
„Zunächst einmal musst du dir deiner Gefühle im klaren sein. Mach es nicht abhängig von deinem Wegs als Wächter. Hör auf dich hinter diesem Dasein zu verstecken. Es gibt Wege damit umzugehen und ich werde sie dir zeigen, aber zunächst einmal stell dich deiner Angst! Wenn du sie aufrichtig liebst, dann wirst du den Weg erkennen wenn er sich dir offenbart. Wenn sie dich aufrichtig liebt, so wird auch sie einen Weg finden, der weder sie noch ihre Kultur noch dich und die unsere bricht! Doch müssen beide dazu bereit sein!
Ein wenig Traurigkeit ist nun in ihrer Stimme und in ihrem Blick zu sehen. Endúneath kann noch nicht ganz verstehen was damals Tíriel Beweggründe waren, den zu verlassen, den sie liebte. Einen Sonnenelben, der im Exil lebte, den Rücken zu kehren und die Pflicht ihrer Geburt nachzugehen wenn es doch laut ihrer eigenen Aussage einen Weg gegeben hätte. Wie als ob sie seine Gedanken lesen konnte fährt sie fort zu sprechen. „Bist du bereit die Lehre der Pfade zu vernehmen, die schon seit langer Zeit in den Wurzen unseres Volkes verankert sind, doch in den schicksalsträchtigen Tagen unserer Zeit beinahe in Vergessenheit gerieten und die in den Lehren der Wächter gänzlich untergegangen sind!“