Beiträge von Alanis Tatius

    "Eichhörnchen -", murmelte die Alchemistin und runzelte wieder einmal die Stirn. "Nun gut. Wäre schön, wenn ich nicht von eben jenen Pfeilen gespickt werden würde. Das käme uns beiden und unseren Plänen wirklich nicht entgegen."


    Ihre grünen Augen wanderten über die Gruft und ihre Aufbauten.


    "Wann müssen wir uns einschiffen? Ich muss nochmal zu meinem Schneider. So kann ich definitiv nicht im Herbst auf See."


    Sie deutete an sich herab.

    "Schade eigentlich. Gemütlich hier. Die Nachbarn sind ruhig und die Preise niedrig", murmelte Rieke leise und legte den Kopf leicht schief.


    "Insel Geddes - was gibt es da für mich zu gewinnen? Ich meine - wenn wir schon im Winter reisen, dann muss es sich für mich auch lohnen."


    Herausfordernd blickte sie den Hexer an.


    "Und sag nicht sowas wie "Meine Gesellschaft ist Gewinn genug", sonst müsste ich Dir leider sagen, dass ich auf Prahlerei nichts gebe."

    Rieke blickte auf.


    "Ja, wunderbar", nickte sie und sparte sich nachzufragen, ob der Hexer verletzt war. Er würde es ihr sagen oder schlichtweg umfallen, wenn die Wirkung des Tranks verflogen war. "Die regenerativen Eigenschaften sind wirklich interessant. Außerdem kann ich sicherlich einige Inhaltsstoffe herausziehen."


    Sie blickte irgendwann auf und ihre Stirn legte sich erneut in Falten.


    "Und, über Dein Wohnungsproblem nachgedacht? Einerseits brauche ich Dich in der Nähe, um mir Zutaten zu besorgen. Andererseits brauche ich meine Privatsphäre. Und ich kann Dich ja schlecht bitten, in einem der Sarkophage zu schlafen und denn Deckel zuzuziehen, wenn Du schnarchst."

    Die Alchemistin blieb zurück und wischte sich die Hände am Rockteil ihres Kleids ab. Die Ruhe, die sie schon einige Wochen genossen hatte und die durch den Hexer zerstört worden war, kehrte langsam zurück und sie streckte sich erst einmal, bis die Knochen knackten. Sie mochte es, allein zu sein. Alleinsein kam nicht mit Erwartungen und Enttäuschungen.


    Der Friedhof in der Abenddämmerung schien auf den ersten Blick friedlich zu sein. Es gab nur drei größere Mausoleen, von denen eines in Riekes neue Wohnstätte führte. Die beiden anderen, einst prächtig anzusehen, verfielen bereits seit einiger Zeit. Alle anderen Grabstellen waren unauffällig, die meisten Steine alt und verwittert. Doch ganz am Rande des Friedhofs gab es mehrere frische Gräber und die Grabspuren in der herbstnassen Erde schienen nicht von Menschen zu stammen.


    Noch war nichts zu sehen, doch das leise Geräusch von Schaben und Graben vibrierte durch den Boden. Für einen Menschen nicht zu hören. Für einen Hexer jedoch -.

    Rieke reagierte gar nicht auf das Lob. Stattdessen runzelte sie die Stirn.


    "Schnaps und Kräuter sind ja gut und schön. Aber zumindest hast Du jetzt das Handwerkszeug, um mir die Zutaten zu besorgen, die ich für weitere Tränke brauche."


    Sie blätterte in ihrem Buch.


    "Und wenn Du dabei bist, könntest Du sehen, ob Du an Ghulblut kommst. Ich habe eine Idee, was ich damit machen will."


    Ihre grünen Augen richteten sich über den Brillenrand auf den Hexer.


    "Ist das ein Problem? Ich kann nicht einschätzen, wie gut Du wirklich bist."

    "Das ging schnell", kommentierte Rieke und beobachtete Vladim sehr genau. "Zu schnell? Wie fühlst Du Dich?"


    Sie schob ihm einen Schemel hin, damit er sich setzen konnte, falls es Nebenwirkungen gab.

    "Melitele sei gepriesen", gab Rieke knochentrocken zurück. "Es ist so lästig, dass sich ständig Männer in mich verlieben. Das Abweisen kostet so viel Zeit."


    Sie setzte sich an den ersten Versuch, "Schwalbe" herzustellen. Die kleine Waage, die sie benutzt, quietschte leise. Bald schon waberte der Geruch nach Kräutern durch die Gruft und Rieke murmelte leise Zahlen vor sich hin, die sie minutiös in ihr Buch eintrug.


    "Fertig", sagte sie schließlich und blickte auf. "Jetzt müssen wir Dich nur noch verletzen und dann schauen wir mal, ob der Trank etwas bringt oder ob Du nur die Boden vollbluten wirst."

    Rieke verdrehte wieder einmal die Augen, doch danach legte ein Grinsen ihre Augenwinkel in feine Fältchen.


    "Auch noch empfindlich, der Herr Hexer. Ich meinte ja auch nicht, dass Du sofort jetzt gehen sollst. Und das Abwasch muss definitiv gemacht werden und ich hasse Abwaschen."


    Dann schnaubte sie abfällig, was sich vermutlich eher auf das Abwaschen bezog.


    "Und Du hast gerade selbst bestätigt, dann dies eine geschäftliche Beziehung ist. Welche Geschäftspartner teilen sich Tisch und Bett, hm?"

    "Alkohol ist definitiv die Basis von -." Rieke blätterte in ihren Aufzeichnungen. "Allem."


    Dann jedoch schien die Realität eines spülenden Hexers in ihren Kopf einzudringen und sie hüstelte.


    "Du willst hier doch nicht wohnen, oder? Ich meine, noch haben wir uns nicht gegenseitig umgebracht, aber ich könnte mir vorstellen, dass das sehr schnell passiert, wenn wir eine Weile aufeinander hocken."

    "Ach Du meine Güte", sagte die Alchemistin trocken, als sie Vladim betrachtete. "Doch soviel zu tun?"


    Sie tappte verschlafen durch den Raum und kramt eine kleine Dose mit getrockneten Pflanzenblättern hervor, bevor sie den Brenner wieder ans Laufen brachte und sich erst einmal Teewasser aufsetzte. Dabei schweifte ihr Blick über den Abwasch - ein kurzes Nasenzucken folgte - und über die Zutaten, die er herausgelegt hatte.


    "Schwalbe, ja? Hast Glück, dass ich die Substanzen noch habe. Sind schwierig zu bekommen und wirklich teuer. Mehr als zwei oder drei kann ich Dir nicht machen, dann müssen wir sehen, dass ich das aus anderen Substanzen gewinnen kann. Das wird dauern - aber ich vermute, dass Du eh Zeit mitgebracht hast, nicht wahr?"

    "Gut", nickte Rieke und maß den Hexer noch einmal mit einem langen Blick. "Dann fang schonmal an, die Zutaten pi mal Daumen zurechtzulegen. Essen steht auf dem Tisch da."


    Dann gähnte sie und begann, ihre Kapuze aufzuknöpfen, während sie durch den Raum ging und den Vorhang, der zum Schlafbereich führte, zur Seite schob.


    "In der Truhe da sind Bücher, wenn Du das lesen willst. Und der Abwasch müsste auch gemacht werden. Wasser ist in dem Fass."


    Sie sagte es über die Schulter, nicht zurückblickend, so als käme ihr gar nicht in den Sinn, dass sich Vladim irgendwie verweigern würde. Den kleinen Dolch, den sie im Stiefel trug, legte sie dennoch unter ihr Kissen, als sie wie ein gefällter Baum - ein kleiner, zugegeben - ins Bett fiel. Und die wenige Haare des Hexers von der Decke zu pflücken, vergaß sie auch nicht, bevor sie einschlief.


    Es verging einige Zeit, bis sie wieder erwachte, nur halb ausgeruht. Schlafen in Kleidung hasste sie, aber eine Alternative gab es zur Zeit nicht. Der Nachteil der Gruft war zudem, dass sie keine Ahnung hatte, wieviel Uhr es war.


    Also taumelte sie verschlafen hinter dem Vorhang hervor und sah sich um, um herauszufinden, wo Vladim steckte und was er in ihrer Abwesenheit angestellt hatte.

    "Nunja, für Greifenhexer scheinen es die richtigen Tränke gewesen zu sein. Ich vermute, dass ihre Erschaffung sich so stark von der Deinen unterschieden hat, dass es zu dieser Reaktion gekommen ist."


    Sie runzelte leicht die Stirn.


    "Im besten Falle baut Dein Körper die Giftstoffe der falschen Tränke von selbst ab und wenn Du keine mehr nimmst, ist der Schaden zwar angerichtet, aber nicht mehr fortschreitend. Vielleicht wäre es sogar möglich, sie zu binden und die Heilung voranzutreiben."


    Sie nahm den Kupfertopf vom Feuer und schob einen Deckel über den Brenner, um die Flamme zu ersticken.


    "Im schlechtesten Fall verbleiben die gebildeten Gifte in Deinem Körper und der Zerfall ist fortschreitend. Das kann ich nur feststellen, indem ich Dich und Dein Blut weiter beobachte." Rieke räusperte sich. "Gehen wir einmal vom besten Fall aus. Dann sollten wir uns zeitgleich damit beschäftigen, Deine eigenen Trankrezepte auszuprobieren und die richtige Gewichtung der Zutaten herauszufinden."

    Tatsächlich sorgte Letzteres dann für eine Reaktion. Rieke blickte auf und lachte leise. Der erste wirklich warme, freundliche Laut, seit sie sich wiedergesehen hatten.


    "Das zählt. Aber das wundert mich ehrlich gesagt auch gar nicht. Wie ein edler Ritter einer Dame in Not beizustehen - ziemlich dumm. Aber es war vermutlich auch dumm, Dich nicht einfach im Laden liegenzulassen und die ganzen Probleme, die ich habe, auf einen Hexer zu schieben."


    Sie deutete auf ihren Versuchsaufbau.


    "Ich habe übrigens etwas über Dein Blut herausgefunden. Dass es toxisch ist, ist natürlich keine Überraschung. Allerdings scheint es bei Hexern ja so zu sein, dass das erwünscht und aushaltbar ist. In Deinem Blut allerdings sieht es anders aus. Die Tränke, die Du genommen hast, greifen die Bestandteile des Bluts an und die Produkte daraus sind teilweise noch schädlicher als die Tränke selbst."

    Rieke hatte indessen wieder ihre Brille aufgesetzt. Die runden Gläser ließen ihr Gesicht so wirken, als sei sie in einem Zustand permanenten Erstaunens gefangen. Die Augen hinter den Gläsern aber waren scharf und kalkulierend.


    "Wie lange kommst Du ohne Nahrung und Wasser aus?", erkundigte sie sich, wieder über ihre Notizen gebeugt, ohne sich auf seine kleine Provokation einzulassen. "Waren das alle Vorteile, die ein Hexer haben kann? Oder gibt es noch etwas, das ich dringend wissen sollte, bevor ich Tränke in Dich hineinschütte, falls Du es nicht mehr kannst?"


    Ihre Mundwinkel zuckten kurz nach oben.


    "Über Deine Schwächen werde ich Dich natürlich nicht befragen. Es wäre dumm, wenn Du sie einer fast Fremden gegenüber zugeben würdest. Also, über das hinaus gehend, was ich eh schon beobachte konnte und vermutlich in Zukunft noch werde."

    "Ja, danke für die Information", murmelte Rieke und verdrehte die Augen. Männer. Stolz auf ihre noch so geringen Körperfunktionen. Apropos Körperfunktionen. "Wenn Du wieder da bist, würde ich gerne mehr über Deinen Körper erfahren." Sie stockte kurz, als ihr bewusst wurde, wie das klang. "Heildauer von Wunden. Wachstum von Haaren und Fingernägeln. Erkrankungen, die Du bekommen kannst - oder auch nicht. Kannst ja darüber nachdenken, während Du - was auch immer."


    Sie wedelte mit der Hand, um ihn hinauszuscheuchen, denn in einem kupfernen Topf brodelte inzwischen eine scharf riechende Flüssigkeit, in die sie nun ein Pulver gab.

    Die Alchemistin seufzte leise und ließ den Hexer schlafen. Als sie sich sicher war, dass er nichts mehr mitbekam, machte sie sich daran, ein wenig von seinem Blut abzufüllen und die kleine Phiole in dem Hohlraum hinter einem losen Stein in der Wand in einem Kästchen zu verbergen. Man konnte nie wissen, wozu man es noch brauchen konnte. Sie besah sich die Demeritium-Fesseln, fand dort aber keine Haare des Mannes - vermutlich würde sie diese später von der Decke sammeln müssen.


    Nicht, dass sie sich mit Chaos auskannte. Aber das war auch nicht wirklich nötig, wenn man die entsprechenden Menschen kannte.


    Dann ließ sie sich wieder an ihrem Platz nieder und beschäftigte sich mit dem restlichen Blut, das Vladim ihr hinterlassen hatte. Interessiert zog sie ein Vergrößerungsglas hervor, um sich im trüben Licht die Ergebnisse anzusehen, die sie bisher erreicht hatte.


    Nach einer Weile stand sie wieder auf, streckte sich und suchte etwas zu Essen zusammen, das sie auf einem Teller auf einen Tisch stellte, der ein wenig von ihrer Arbeitsbank entfernt stand - keine gute Idee, dort zu essen, wo ein Alchemist arbeitete. Selbst für Hexer.

    Riekes Fingerspitzen ruhten kurz auf dem Stoff ihres Kleids, genau dort, wo das Medallion nun lag. Als sie sich bewusst wurde, dass das vermutlich genau die Reaktion war, die sich Vladim ausgemalt hatte - herauszufinden, was das Schmuckstück bedeutete -, verengten sich ihre Augen zu Schlitzen. Sie atmete tief durch.


    "Nun gut", murmelte sie und holte die Schlüssel. Sie näherte sich Vladim vorsichtig, schien abzuwägen, ob er sie mit seinem friedlichen Verhalten zu täuschen versuchte, doch schließlich nickte sie leicht, um sich selbst zu bestärken und machte den Hexer los.


    "Du weißt, wo das Bett ist", erklärte sie dann kurz, aber nicht unfreundlich. "Ein wärmendes Feuerchen kann ich Dir nicht anbieten. Mach Dir warme Gedanken."

    Riekes Augen hefteten sich auf den Ring.


    "Hm, Du hast wohl recht. Für den Fortgang meiner Experimente sicherlich nicht von Vorteil."


    Sie lächelte schmal.


    "Irgendwelche Vorschläge, wie ich Dich am besten fixieren kann, ohne dass Du mir die Einrichtung kurz und klein schlägst?" Die Alchemistin erhob sich wieder und beugte sich über ihren Versuchsaufbau. Dabei rutschte ein kleines silbernes Medallion an einer Kette aus dem Halsausschnitt ihres Kleids, das sie rasch zurück schob. "Ansonsten können wir es beim Experiment mit dem Mondschein so belassen, wie es ist. Allerdings garantiere ich nicht für Spätfolgen, wenn Du es dauerhaft nimmst."

    "Ach, das habe ich nur gesagt, um Dich zu provozieren", murmelte Rieke und stützte das Kinn in die Hand, Vladim betrachtend und sich Notizen machend. "Tatsächlich schnurrst Du gerade wie ein Kätzchen, scheint mir."


    Sie runzelte die Stirn und drehte die Sanduhr ein weiteres Mal.


    "Ich vermute nicht, dass Dir gerade nach Gewalt und Monstertöten ist, oder? Will heißen - kannst Du negative Gefühle gerade irgendwie greifen oder erzwingen? Es wäre ja dumm, wenn ich aus einem Hexer einen friedensliebenden Melitelepriester gemacht habe. Schlecht für unser beider Geschäft."

    Rieke beobachtete sehr genau, wie sich Vladim nach der neu berechneten Dosis verhielt. Wenn sie eins über Süchtige gelernt hatte, dann, dass man ihnen nicht trauen konnte. Es blieb also nur die Provokation, um herauszufinden, woran sie bei ihm war.


    "Symptome?", fragte sie daher kalt, wohl wissend, dass die Nachfrage beim letzten Mal einen Ausbruch bei ihm bewirkt hatte. "Irgendwelche Veränderungen? Du bist wirklich ein interessantes Versuchskaninchen."