Wie so oft war Lesco hier in den Mauern der Kathedrale gewesen. Zahlreiche messen hatte er besucht und im Gegensatz zu seiner ersten Anwesenheit an diesem Ort, seit seiner Zeit in Kephram, hatte Lesco jedes Mal zugehört. Er hatte sich anstecken lassen von dem Licht das den Worten der Priester innelag. Selten jedoch war der Ordenskriegernovize im Anschluss länger geblieben. Heute jedoch hatte Lesco seinen Ausbildern gesagt, dass er nach der Morgenandacht, noch ein wenig länger in den Hallen des Lichtes verbleiben würde, um dort die Ruhe des gebetes zu finden.
Über der grauen Robe lag schwer das Metal seiner Rüstung auf den Schultern. Es gab kaum einen Tag, außerhalb der Ordensfeste, an dem der Novize sie nicht trug. Und es gab keine Stunde, an keinem Tag, an dem er nicht eines seiner beiden Schwerter bei sich trug. Die Klinge der Ordenskrieger vom Steins zu Gislafoth waren Symbol der Hoffnung und des Schutzes. Und eines Tages würde dieses Schwert in Lescos Hand zu einer Waffe des Lichtes werden. Eines Tages...
Langsam und bedächtig schritt der Erbe des Avatars durch die Kathedrale. Er ließ sich alle zeit der Welt, um die Nischen, die Relikte und die Statuen genau zu betrachten. An dem Ebenbild Amalias blieb er jedoch am längsten stehen. Sie war einst eine von den Seinen, bis der Herr sie auserwählt hatte. Dies war ihr Schwert gewesen und ihre Rüstung. Sie hatte soviel Licht in die Welt gebracht, als sie noch dem Orden des Steins angehörte und vollbrachte jetzt als Oberhaupt der Kirche noch viel mehr. Gesehen hatte er sie schon oft, mit ihr gesprochen noch nie. Vielleicht würde auch das eines Tages der Fall sein...
Mit Bedacht zog Lesco die Klinge aus der Schwertscheide und stellte die Spitze auf dem Boden, während er sich an Ort und Stelle neiderkniete und die Augen schloss. Er blickte sich nicht um, um sicher zu stellen, dass er alleine war. Warum auch? Es gab an diesem Ort nur Wahrheit und Offenheit. Hier gab es nur Brüder und Schwestern, Kinder des Herren, die sie alle waren. Dies schien ihm der richtige Ort zu sein, um heute seine Gebete an den Herrn des Lichtes zu schicken.
"Lukranis, mein Herr,
möge Dein wachsames Auge deine Kinder behüten Tag und Nacht,
Halte Deine Hand schützend über meine Familie,
auf dass ich singe,
auf dass ich preise Deine Herrlichkeit.
Ich will in Chorälen Deiner jubeln,
im Gebet Deiner gedenken,
dass ich nicht falle in die Hand des Bösen,
und nicht strauchle auf meinem Weg
zu Dir, denn
ich glaube an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint.
ich glaube an die Liebe, auch wenn ich sie nicht fühle.
ich glaube an dich, auch wenn du schweigst.
Oh Lukranis!
wo du meine Schritte lenkst, kann ich nicht fehlen,
Stärke meinen Willen, das Chaos zu zerschmettern, wo immer ich es finde.
Gib mir die Stärke, Seite an Seite mit meinen Kameraden zu kämpfen.
Verleihe mir die Kraft, das Herz Daynons zu schützen und mein Leben für seine Bewohner zu geben.
Schenke mir den Sieg über unsere Feinde - oder einen ehrenvollen Tod.
Mein Glaube soll mein Schild sein und meine Waffe.
Nie will ich wanken, mein Arm soll nicht ruhen und mein Geist nicht schwach werden, bis die letzten Schatten aus Daynon geschwunden sind.
Und wie jeden Morgen, wie an jedem Tage, bitte ich dich Lukranis.
Lege deine Hand über die Seele meines toten Bruders.
Schütze ihn durch deine Herrlichkeit, umfange seinen Geist mit deinem Licht,
aufdass die Chaosmayd ihn nicht auferstehen lässt."