Beiträge von Kassandra

    "Na, der eine Mensch, den du da bei dir hattest. Dieser Kerl... War das nicht der, den du meintest als du sagtest du bist es nicht mehr gewöhnt mit mehr als einem Menschen zu tun zu haben?"

    "Und dann willst du gleich in ein Haus voller Kinder?!" Kassandra riß gespielt entsetzt die Augen auf.

    "Ich würde mich an deiner Stelle ja langsam an Menschen gewöhnen wollen. Brennender Tisch nach Feierabend vielleicht. Oder die Akademiemensa wenn's Essen gibt", zog sie die Elbe auf.

    "Wie geht's deinem Menschen?", fragte sie, während die beiden sich an den Abstieg nach unten machten. "Wie kommt's, daß der so lange durchgehalten hat?"

    "Du hast es ja eilig", lautete die Antwort.

    "Ich brauch noch zwei Tage. Dann legt die Alamlas in Richtung Mittellande ab. Ich wollte zu Handelspartnern nach Pirmasens. Und dann... mal schauen."

    "Oh..."

    Das waren einige und es dauerte eine Weile, die Liste der geborenen Kinder und gegangenen Bürger abzuarbeiten.

    "Und wie es mir geht? Ich hab nicht genug Zeit für all die Dinge, die zu tun sind. Ich habe beschlossen meine Dozentenstelle an der Akademie aufzugeben. Und auch das Richteramt, nach der nächsten Wahl. Es ist einfach zu viel für eine Person.

    Um diese Zeit, im Herbst, mache ich mich eigentlich immer auf den Weg um unsere Handelspartner zu besuchen. Pirmasens, Magonien... letztes Jahr war ich bei Arnulf in den Marklanden. Es ist gut mal raus zu kommen."


    "Und bei dir so?"

    "Ich bin die einzige, die im Nebel nicht mehr vom Baum wegkommt", beruhigte Kassandra Ancalima.

    "Ich kenne auch niemanden sonst in Amonlonde, der die Nebel zum Reisen benutzt. Das ist eine Fähigkeit der Fahrenden. Und auch unter ihnen nicht besonders häufig."

    "Seile zwischen den Bäumen spannen... Nein, ich glaube das ist keine gute Idee. Nachher bleibt doch noch irgendwas darin hängen."

    Und den leisen Verdacht hatte sie auch, daß es nicht helfen würde. Wahrscheinlich hangelte sie sich an den Seilen entlang und käme doch wieder beim Baum an.

    Kassandra setzte sich neben Ancalima und schnupperte an dem Becher. Dann nippte sie und ein Lächeln breitete sich über ihr Gesicht.

    "Danke. 'Durch den Nebel gehen' bedeutet die Feenwege zum Reisen zu benutzen. Man ruft sich einen Nebel - oder benutzt den, der schon da ist wenn man das Rufen nicht beherrscht - und geht durch den Nebel an einen anderen Ort. Nicht jeder der Fahrenden kann das und jene, die es können sind hoch angesehen. Wenn also die Sippe von... sagen wir Dargaras ins Aelm wollte, fand sich die Gruppe zusammen, Großmutter rief den Nebel, alle gingen hinein - man muß fürchterlich aufpassen sich nicht zu verlieren - und sie führte die Sippe durch den Nebel um im Aelm wieder herauszukommen. Eine Reise von mehreren Wochen läßt sich so auf wenige Stunden verkürzen.

    Aber die Wege sind unzuverlässig. Eine starke Führende, jemand mit einem starken Geist, kommt fast immer da an wo sie hin möchte. Oder weiß wann die Nebel zu unzuverlässig sind um sie zu betreten. Jemand, der sich ablenken läßt, nicht weiß was er will, sich nicht richtig konzentriert... der kommt irgendwo heraus.

    In meinem Kopf ist der singende Wald - und vor allem der Baum - so stark, daß ich immer hier heraus komme wenn ich in den Nebel gehe. Es sei denn jemand anderes führt. Das ist nicht ganz doof, es kürzt die Handelsrouten schon ab. Also, den Rückweg. Auf der anderen Seite - wenn ich mit dem Schiff reise und es neblig wird gehe ich lieber unter Deck. Nicht, daß ich Haiger die Alamlas im singenden Wald auf Grund setze..."

    Das war ihr zum Glück noch nie passiert, wäre aber sehr peinlich. Und teuer, das Flaggschiff der rothfeder'schen Handelsflotte würde einen Aufenthalt im Wald sicher nicht unbeschadet überstehen und käme ohne massiven Einsatz von Magie auch nicht mehr an einem Stück aus dem Wald heraus.

    "Naja, und wenn ich in den singenden Wald gehe und es ist von sich aus nebelig, also ein Herbsttag... dann komme ich alleine nicht mehr heraus. Ich gehe drei Schritte bis ich vor dem Baum stehe. Dann drehe ich mich um, gehe drei Schritte und stehe wieder vor dem Baum. Und so fort, bis irgendwer kommt und mich nach Hause bringt..." Sie zuckte die Schultern.

    "Ah...", machte Kassandra. "Das ist..."

    Sie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht "Eine lange Geschichte."

    Sie schaute Ancalima fragend an, doch die schien Zeit mitgebracht zu haben - wie das die Art der Elben war.


    "Die Fahrenden nutzen die Nebel um zu Reisen. Keine sonderlich zuverlässige Methode - man kommt nicht immer unbedingt da an wo man hin wollte.

    Seit der Baum steht", sie nickt in Richtung des Sees, dort, wo vor fünf Jahren der nunmehr siebzehn Jahre alte leuchtende Baum wuchs, "kann ich nur noch in eine Richtung gehen. Das wiederum aber sehr zuverlässig. Wenns allerdings neblig bleibt komme ich nicht mehr nach Hause. Dann muß ich warten bis mich jemand abholt. Oder Nüßchen und Blättchen Lust haben mich heimzubringen..."

    Kassandra hatte Ancalima gehalten, so lange wie diese das Bedürfnis dazu hatte.

    "Recht gut", antwortete sie auf die Frage. Die grünen Augen musterten die Elbe aufmerksam, registrierten die Zeichen von Alter und Anstrengung eines nach dem anderen. Und auch seidene Gewänder und Krone. Sie selbst trug das alte grüne Wollkleid, das sie seit Jahren anhatte wenn sie in den Wald ging. Es war abgetragen aber warm und niemand störte sich daran wenn es schmutzig wurde, sie selbst am allerwenigsten.

    "Kinder werden größer, Arbeit wird nicht weniger... Du kennst das. Wo kommst du? Was verschafft uns die Ehre?"

    "Ja, oben ist wohl gemütlicher", nickte die Schankmaid und machte sich an den Aufstieg.

    Sie war ein wenig außer Atem als sie oben ankam - was vielleicht auch daran lag, daß sie rundlicher war als Ancalima sie in Erinnerung hatte. Und älter.

    Im kupferfarbenen Haar zeigten sich noch nicht viele weiße Fäden, und wenn fielen sie nicht auf, doch die Falten um die Augen waren tiefer geworden.

    "Da bist du ja wieder", stellte sie lächelnd fest.

    Aus dem Dunst, der vom See her zog, schälte sich eine hochgewachsene grüngekleidete Gestalt.

    "Komm, du mußt mich jetzt auch wieder loslassen", hörte die Elbe sie ein wenig undeutlich mit - dem Nebel?- diskutieren.

    "Sonst find' ich nicht mal zum Baumhaus...."

    Der Nebel löste sich nur sehr zögerlich. Er wurde immer dünner, verteilte sich weiter im Wald und hing als schwacher Dunst zwischen den Bäumen.


    Die Menschenfrau stapfte durch die Blätter zum Baum der Elbe.

    "Na, das ist ja ne Überraschung", grinste sie zu dem blassen, schmalen Gesicht hinauf, das ihr aus einem der Fenster entgegensah.

    *Wer sonst?*

    Die mentale Stimme der Menschenfrau fühlte sich amüsiert an - und trug wie immer eine gewisse unterschwellige Abwehr. An Kassandras Ablehnung geistigen Gesprächen gegenüber hatte sich offenbar nichts geändert.


    *Gib mir einen Moment. Ich bin gleich bei dir*


    Ein wenig diesig war es gewesen als die Elbe den Weg in den singenden Wald gefunden hatte. Herbstlich und feucht, aber nicht nebelig, nicht mal in Bodennähe. Das änderte sich jetzt - und wenn es langsamer gegangen wäre hätte man dem Vorgang keine weitere Beachtung geschenkt.

    Am See, in der Nähe des leuchtenden Baumes, krochen zarte weiße Finger über den Boden, verwoben sich zu dichter werdenden Gespinsten. Erst knöchelhoch, dann hätten sie einem Mann bis zu den Waden gereicht und kurz darauf bereits zur Hüfte.

    Das Lied war allgegenwärtig an diesem Ort.

    Hörst du das Rauschen, das Singen der Blätter...


    Teile davon warteten, knapp außerhalb des Wahrnehmungsbereiches, an jedem Ort des singenden Waldes.


    ...silbriges Flüstern der Wipfel und Höh'n...


    Wer aufmerksam war und in der Lage hinzuhören dem fiel es nie schwer, die Melodie auszumachen. Selbst jetzt im Herbst, wo die Blätter gelb und der Wald leise wurde.

    Anders...

    Der Wald war älter geworden. Größer. Dichter. Mächtiger.

    Auch das Bewußtsein das ihn durchstreifte, untrennbar mit ihm verbunden, war gewachsen. Möglicherweise hier und da in seltsame Richtungen, aber das blieb vermutlich nicht aus wenn sich Sterbliches und Unsterbliches mischte.

    Der Geist war einmal todkrank gewesen; und auch wenn das Jahre her war und ihm der gedeihende Lebensbaum im Zentrum am See Stabilität lieh war Irrsinn noch immer ein Option - wenn auch nicht mehr zum Greifen nah.

    *Ancalima...* Ein Hauch von Taverne schwang mit; Bier, Musik und Kerzenlicht.