DIE STELLE ALS LEIBWÄCHTER

  • DIE STELLE ALS LEIBWÄCHTER


    Es ist eine üble Erfahrung, wenn man auf jemanden aufpassen soll – und es zu allem Überfluß auch wirklich will – und dann, trotz aller Anstrengungen, zu versagen.


    Ich lebte schon einige Zeit in Tripolla und war mit meinen Reserven ziemlich am Ende. Mein sauer verdientes Geld versprach, höchstens noch die nächste Nacht zu überstehen, und ich mußte mich wohl oder übel nach anderen Möglichkeiten umsehen.


    Einer dieser reichen Kaufleute, die in fast allen Städten die eigentliche Macht besitzen, fand es wohl nicht richtig, daß ich mir zumindest die Ausgaben für ein Essen dank einer seiner Auslagen ersparen wollte. Die beiden wohlbewaffneten Männer an meiner Seite waren Grund genug, erfreut auf seine Einladung einzugehen. Aber warum lieferte er mich nicht einfach den Stadtwachen aus?


    Man führte mich in das größte Haus am Platze. Schon der Hausflur strotzte vor Reichtum, an den Wänden hingen Teppiche, die mit Sicherheit nicht aus den Mittellanden stammten, an den Seiten standen Güter und Schätze aus aller Herren Länder. Ich wunderte mich, daß man mich nicht einfach in einen tiefen, dunklen Keller warf und dort versauern ließ – man führte mich im Gegenteil in einen großen Raum, der wohl der Arbeits- und Empfangsraum des Hausherren war. Hier nun war ich mir sicher, daß man mich zumindest nicht einfach töten würde, denn der Teppich, der auf dem Boden lag (!), sah so teuer aus, daß man auf ihm bestimmt kein Blut vergießen würde. Nun, ich kannte den Hausherren noch nicht.


    Aber er stellte sich mir vor:
    „Mein Name ist Almeran Karon, ich nehme an, dieser Name sagt dir etwas?“
    Natürlich sagte mir dieser Name etwas, ich war schon einige Zeit in Tripolla und wer kennt den Namen des reichsten und gefährlichsten Mannes einer Stadt nicht, wenn man sich wie ich in den Tavernen und Absteigen herumtreibt? Ich nickte nur.
    „Gut. Dann brauche ich ja nicht weiter auszuführen, daß du dein Todesurteil unterschrieben hast, als du dich an meinen Waren bereichern wolltest.“
    Kopfschütteln.
    „Aber dein Gesicht gefällt mir. Es gibt da etwas, was du für mich tun könntest.“
    Im meinem Kopf begann alles zu arbeiten. Wie kam ich aus dieser Situation wieder heraus? Wie konnte ich ihn davon überzeugen, daß es besser wäre, mich am Leben zu lassen. Aber Moment... Ich blickte ihn mit deutlichem Erstaunen an.
    „Ja, du hast richtig gehört. Ich möchte, daß du etwas für mich tust. Du weißt, daß ich eine Tochter habe, die mir sehr am Herzen liegt.“
    Ich nickte. Was, bei allen Göttern, wollte er nur von mir?
    „Es heißt ja, Kinder von Reichen sind meistens ein wenig – na sagen wir seltsam. Meine Tochter ist sehr schön, aber sie kommt mit dieser Welt nicht ganz zurecht. Immer wieder versucht sie, sich das Leben zu nehmen, daß ihr in dieser Form einfach nicht lebenswert erscheint, auch wenn ich alles tue, um ihr einen Sinn zu geben.“
    Warum erzählte er mir das alles bloß?
    „Kurz und gut, ich möchte, daß du sie den gesamten Tag bewachst, daß du ihr in jeder Situation beistehst, daß du sie davon abhältst, ihr für mich unheimlich wichtiges Leben zu vernichten!“


    Seine raubvogelartigen Augen hielten meinen Blick gefangen und hinderten mich daran, andere Gedanken zu fassen als: „Wenn sie stirbt oder ich mich vom Acker mache, werden seine Leute mich auf jeden Fall fangen, und dann habe ich keinen angenehmen Tod zu erwarten!“


    Almeran Karon selbst führte mich in die Gemächer seiner Tochter. Naja, was konnte ich schon erwarten? Der reichste Mann der Stadt zwingt mich, auf seine verrückte Tochter aufzupassen, auf daß sie sich nicht selber umbringt. Ich habe schon immer die Meinung vertreten, daß alle Leute, die viel Geld besitzen und dafür nicht hart arbeiten mußten, einfach Schwierigkeiten haben müssen. Wenn man das harte Leben auf den Straßen und in den Wäldern gewohnt ist, kann man diese Menschen einfach nicht verstehen. Obwohl, bei so einem Vater würde ich mich wohl auch umbringen wollen.


    Aber erst einmal wollte ich sehen, wie sie nun eigentlich aussah. Vielleicht wird es ja doch nicht so schlecht. Viele Hoffnungen machte ich mir jedoch nicht, denn Väter wie er haben meist ein sehr eingeschränktes Urteilsvermögen, was ihre Kinder angeht, denn selten sind Kinder so, wie sie sie gerne hätten.


    Doch als ich dann vor ihr stand, war ich mir dessen gar nicht mehr so sicher. Dort stand die schönste Frau, der ich je in meinem Leben begegnet bin. Ihre wunderschönen dunklen Haare waren so lang, daß sie sogar ihren Hintern, den bestgeformtesten, den ich je sah, überdeckten. Ihre Augen hatte eine Tiefe, die sich mit Worten einfach nicht ausdrücken läßt. Ihr ganzer Körper war einfach ein Traum.


    „Was willst du, Vater?“
    Rebellion stand in ihrem schönen Gesicht, aber gleichzeitig auch das Wissen ihrer Ohnmacht. Sie war nicht gewillt, dieses Leben zu führen, daß ihr Vater ihr aufdrängte, sie war nicht gewillt, nur ihm oder einem anderen Mann zu Gefallen zu sein. Sie wollte mehr. Aber sie sah keinen Ausweg.
    „Ich wollte dir jemanden vorstellen, Linara. Dies ist der Mann, der dir ab jetzt auf Schritt und Tritt zur Seite steht. Er hat die Anweisung, dich nie aus den Augen zu lassen.“


    Und dann ließ er uns einfach allein, allerdings nicht ohne mir noch einen seiner stechenden Blicke zuzuwerfen.


    Sie sah mich prüfend an. Ich konnte ihre Gedanken förmlich riechen. Was ist das jetzt wieder für einer? Naja, scheint ja gar nicht so schlimm zu sein. Dann drehte sie sich um und beachtete mich nicht weiter.


    Ich wäre nicht ich gewesen, wenn ich mich jetzt einfach still hingesetzt und nichts getan hätte.
    „Linara, wir beide befinden uns hier in einer Situation, die uns nicht paßt. Ihr habt nicht vor, Eurem Vater irgendwie zu Gefallen zu sein, und ich möchte die ganze Sache möglichst schnell hinter mich bringen und vor allem überleben. Ich würde sagen, wir machen uns das hier nicht unnötig schwer.“
    Sie sah mich wieder an. Was denkt der eigentlich, wer er ist?
    „Mein Name ist Akean Sappalyo, ich bin ein bißchen herumgekom-men und habe bisher auch immer alles ganz gut gemeistert. Ich lebe noch, und das war mit Sicherheit nicht immer einfach. Und ich habe überhaupt keine Lust, in diesem Zimmer zu versauern. Wenn Ihr Probleme habt, sprecht Euch aus, wir reden darüber, und ich werde sehen, was sich machen läßt, aber ich werde mich mit Sicherheit nicht wie ein Nichts behandeln lassen. Und schon gar nicht von so einer schönen Frau wie Euch.“


    Das war mehr, als ich eigentlich sagen wollte. Aber es war nun mal heraus, und wirklich bereuen tat ich es nicht. Jetzt war ich nur noch auf ihre Reaktion gespannt. Ihre Augen ließen darauf schließen, daß ich sie zumindest ein wenig beeindruckt hatte. Mit Sicherheit hat bisher kaum ein Wesen je so mit ihr geredet. Das ist das Problem dieser verhätschelten Kinder reicher Leute.


    „Du denkst also, du könntest mir helfen? Bildest dir ja eine Menge ein. Aber gut, dann laß uns gehen.“
    Sie stand auf.
    „Wo genau willst du hin?“
    Verdammt sei die höfliche Anrede. Sie stellte sich ganz nah vor mich, sah mir in die Augen, bückte sich und zog einen meiner Wurfdolche aus meinem Stiefel.
    „Nirgendwohin.“
    Mit diesem Wort wollte sie sich den Dolch ins Herz rammen. Aber ich kann es nun einmal nicht leiden, wenn jemand sich an meinem Eigentum vergreift. Gut, mir bedeutet das Eigentum anderer wenig, aber was nun schon mal meins ist, soll doch bitte auch meins bleiben. Schneller als sie zu erwarten schien, hielt ich ihre Hand mit festem Griff und entwand ihr meinen Dolch. Sie verzog keine Miene, obwohl ich nicht gerade sehr freundlich mit ihrem Handgelenk umging.
    „So leicht werde ich es dir bestimmt nicht machen, dein Leben – und nebenbei auch meines – zu vernichten!“
    Sie setzte sich wieder hin.


    Diese Frau zu durchschauen, war offensichtlich doch nicht so einfach, wie ich es erhofft hatte. Aber schön war sie trotzdem. Und sie schien doch zäher zu sein, als ich gedacht hatte.
    „Und, was jetzt?“
    Ich glaubte eigentlich nicht, daß sie mir antworten würde.
    „Schlag etwas vor.“


    Was bei allen Göttern konnte ich schon vorschlagen?
    „Mehr als drei Möglichkeiten gibt es nicht. Entweder, du bringst dich um, und ich werde von deinem verrückten Vater oder dessen Männern getötet (und sicher nicht auf schmerzfreiem Wege). Oder du rennst weg und gehst in der Welt dort draußen kläglich unter und mir würde dasselbe passieren wie bei der ersten Möglichkeit. Oder aber wir versuchen zusammen, den Fängen deines Vaters zu entkommen. Mit meiner Hilfe könnten wir draußen eine Weile überleben, wenn uns die Assassinen und anderen Kreaturen deines Vaters denn wirklich nicht finden sollten – was sie aber wahrscheinlich tun werden – und dann wird es mir mit Sicherheit noch schlechter ergehen als bei den anderen Möglichkeiten.“
    „An dir ist ein Optimist verloren gegangen.“


    Ihr Blick gefiel mir schon wieder nicht. Was hatte sie nur vor? Die Antwort sollte nicht lange auf sich warten lassen.
    „Ich würde sagen, wir wählen den dritten Weg. Na dann, auf!“
    Sie stand auf und kam erneut auf mich zu. Ich war auf der Hut, denn so weit wie eben sollte sie nicht noch einmal kommen. Aber sie ging einfach an mir vorbei.
    „Komm!“


    Diese Frau war wirklich das Merkwürdigste, was mir in meinem Leben untergekommen ist. Einerseits wollte sie ihrem Leben ein Ende setzen und andererseits ging sie mit einer Begeisterung auf einen Vorschlag ein, der einen gewissen Lebenswillen voraussetzte. Aber wie gesagt, sie war weit zäher, als ich angenommen hatte. Und ich würde lügen, wenn ich sagte, daß mich das nicht unheimlich beeindruckte. Sie hatte die Kraft, dieses Leben zu beenden, auf die eine oder andere Weise. Nur hoffte ich, daß wir durch diese Kraft nicht beide ins Verderben rennen würden.

  • Aber im Moment fesselte mich eigentlich mehr ihre Schönheit. Ich hielt ihren Arm fest und drehte sie zurück. Ich drückte sie ganz nah an meinen Körper. Ihr Duft verschlug mir beinahe den Atem.
    „Wir sollten nicht einfach so loslaufen, Linara. Das muß alles wesentlich besser...“
    ‚...plant werden’ wollte ich sagen, aber weiter kam ich nicht, denn sie drückte mir ihre wunderbaren Lippen auf die meinen. Schnell fanden sich auch unsere Zungen.


    Sie drückte mich weg und gab mir eine schallende Ohrfeige, die mir ihre Kraft auf durchaus schmerzhafte Weise klarwerden ließ.
    „Was denkst du, wer du bist?“
    „Ich...“
    Was sollte ich sagen? Dann sah ich ihr Lächeln. Ich konnte nichts tun, als sie wieder in meine Arme zu nehmen. Und sie ließ es sogar geschehen, daß ich sie wieder küßte.


    Es war schöner, als alles, was es je für mich gegeben hatte. Wie ihre warme Haut sich an die meine schmiegte, wie ihr Haar über meine Brust und meinen Rücken strich, wie sich unsere Atem ineinander vermischten und wie sich schließlich ihr vollendet schöner Körper mit dem meinen vereinigte. Da spürte ich deutlich, diesen unendlichen Willen zu leben, dies Leben bis zur Ekstase auszukosten.


    Aber vielleicht war es für uns beide ja auch das letzte Mal.


    Für sie war es das jedenfalls. Denn als sie aufstand, und ich nur wieder ihren so wohlgeformten Körper bestaunte, drehte sie sich um und sah mich noch einmal an, so voller Kraft und – ja, Liebe. Und stieß sich den Dolch mitten ins Herz. Meinen Dolch!


    Sie war tot. O Alcharon, wie konntest Du mir das nur antun?


    Und ich würde es auch bald sein, wenn ich nicht bald verschwände. Ich meine, stellt euch die Situation vor: Ich soll auf sie aufpassen, schlafe mit ihr und sie nimmt sich mit meinem Dolch das Leben!


    Fragt mich nicht, wie ich aus der Stadt kam. Beinahe wäre ich bei meinem Weg aus dem Fenster der Wache direkt vor die Füße gesprungen. Doch irgendwie schaffte ich es mal wieder.


    Und dann saß ich ein paar Tage später in einer jener abgelegenen Tavernen mitten im Wald und begegnete dieser wunderschönen Kämpferin, Anadis, die von drei jener üblen Burschen angemacht wurde, die man auch immer wieder trifft (am besten zwischen die Augen)...


    Stefan Reimann