Die Küste von Renascân

Kassandra nimmt die beiden in den Arm.
"Es ist wieder gut", versichert sie ihnen. Und auch Bellaria.
"Du hast was gesehen", stellt Ancale fest. Seine Augen blicken Bellaria seltsam wissend an.
"Nein, nicht gesehen", stellt Kassandra richtig. Sie bezieht die Bardin nach einem weitern Blick in ihr Gesicht in die Familienumarmung ein.
"Es waren nur Stimmen. Also streng genommen nicht das was man eine Vision nennt." Ihre Stimme klingt seltsam abwesend bei dieser Feststellung. Dann ist sie wieder ganz da.
"Das passiert mir hin und wieder..." Jetzt klingt sie entschuldigend.
"Ich kann es nicht immer steuern. Nein, eigentlich so gut wie nie. Aber wieso du das abgekriegt hast..." Sie klingt verwirrt.

Bellaria erwidert die Umarmung, wirkt aber noch sehr verwirrt und nicht richtig da.
Was hab ich denn abgekriegt? Ich weiß nur, dass ich so große Angst hatte. Aber hier gibt es ja eigentlich gerade nichts, vor dem ich Angst haben müsste. Verrückt.
Ancale überrascht Bellaria erneut.
Gesehen habe ich nichts, nein. Nur gefühlt.

"Hast du nichts gehört?", fragt Kassandra. "Nur... gefühlt?" Sie wirkt verwirrt.
"Ich habe Stimmen gehört. Schreckliche Dinge, die auf Montralur passiert sind." Oder passieren. Oder passieren werden... Es war so viel Angst, Entsetzen in diesen Stimmen...

Hmmmm...
Bellaria versuchte sich an die Situation zu erinnern.
Gesehen habe ich nichts als Schwärze. Gehört habe ich etwas. Ein Flüstern? Ich weiß es nicht genau, es war nicht deutlich genug, zu weit weg.

Kassandra runzelt die Stirn.
"Ist dir das schon mal passiert?", fragt sie.

Nein.
Also, als Glanwen letztens einen ... nun ja... Anfall hatte, habe ich ihren Wirbelsturm an Gefühlen abbekommen. Das passiert ab und zu mit ihr. Aber das ist ja etwas Anderes. Sonst ist mir so etwas fremd.
Bellaria schaute Kassandra an, die Augen weiteten sich, doch sie schüttelte kurz darauf den Kopf. Nein, das konnte nicht sein.

Kassandra hält Ruth davon ab sie weiter als Klettergerüst zu benutzen und setzt die Kleine wieder auf den Boden.
"Du hast nie Visionen oder sowas gehabt?", wundert sie sich. "Aber warum dann jetzt?"
Ist das meine Schuld? Ist mein Kopf so undicht geworden?, fragt sie sich erschreckt. Werde ich wahnsinnig? Werde ich gefährlich?

Das ist eine gute Frage. Aber ich habe leider keine Antwort.
Schweigend, nachdenkend ließ sie den Blick über das Meer schweifen.

Kassandra seufzt.
"Dann liegt es vermutlich an mir", sagt sie leise und senkt den Kopf. Sie fährt sich über das Gesicht, das auf einmal alt wirkt.
"Und ich sollte so schnell wie möglich zurück nach Amonlonde..." Zurück zu Silia. Vielleicht weiß sie wie das einzudämmen ist.

Hee...
Nun ist es an Bellaria, Kassandra in den Arm zu nehmen und zu drücken.
Wieso sollte es deine Schuld sein? Wer weiß, was das war. Es ist ja auch gar nichts passiert.
Als Kassandra den Wunsch äußert, zurück nach Amonlonde zu gehen, wirkt sie traurig, aber nickt. Immerhin hat sie einen Mann dort. Und Freunde. Und andere Verpflichtungen. Die Bardin seufzte.

"Noch ist nichts passiert...", sagt Kassandra bedrückt.
"Bellaria, wie wahrscheinlich ist das, daß ich diese... Dinge höre und... fühle und du fühlst zufällig im gleichen Moment das selbe?"
Sie seufzt und legt den Arm um Ancale, der sich an sie schmiegt.
"Und seit Tagen sehe ich Mondelben... Gebäude. Wahrscheinlich kommt das von Endu... Irgendwas läuft schief, seit diesem Ritual. Irgendwas stimmt mit mir nicht mehr..."

Wieder schaut sie Kassandra erschrocken an. Dann wird sie ganz ruhig. Die nächsten Worte sind ganz leise.
Ich höre eine Geige spielen. Melodien, die ich nie zuvor gehört habe. Ich möchte selbst spielen. Und ich fühle mich seltsam in den letzten Tagen. Manchmal habe ich Gefühle, die nicht in die jeweilige Situation passen. Oder ich fühle plötzlich gar nichts mehr.
Sie schüttelt den Kopf, verwirrter als zuvor.

Kassandra schaut auf und starrt Bellaria an. Starrt sie einfach nur an.
"Du solltest mitkommen nach Amonlonde", sagt sie dann.
"Silia wird nicht begeistert sein... aber das hier ist mir zu unheimlich. Ich will sie um Rat bitten..."

Bellaria starrt zurück. Nach einer Weile löst sie den Blick, der wieder zum Meer wandert. Meer. Ruhe. Tiefe. Erkenntnis. Geheimnis. Sie seufzt.
Vielleicht sollte ich das.
Wer ist Silia?

"Silia ist Seherin. Sie unterrichtet mich was den Umgang mit diesen... Visionsgeschichten... angeht. Wenn irgendwer dieses Problem... Dieses Rätsel lösen kann dann sie."

Bellaria nickte. Mehr sagte sie jedoch erst einmal nicht.

Kassandra seufzt, zuckt noch mal die Schultern und steht dann auf.
"Komm, wir gehen. Mir ist kalt", sagt sie.

Ein Blick auf die Kinder lässt sie die nächste Frage hinunterschlucken. Die Kinder waren viel zu besorgt, um weiter zu spielen.
In Ordnung. Direkt nach Hause und packen? Wann fährt das nächste Schiff? Oder möchtest du vorher noch etwas tun?

"Nein, laß uns nach Hause gehen", sagt Kassandra. "Es sollte morgen ein Schiff nach Amonlonde fahren. Kannst du so kurzfristig weg?"

Ich hoffe es.
Damit stand Bellaria auf, klopfte sich den Sand von der Kleidung und wickelte sich erneut in den Mantel ein. Erst jetzt merkte sie, wie sehr sie fror.