Langsam reitet Baul neben Jala her. Der Stadtrand liegt schon hinter ihnen. Er sieht Richtung Gebirge und zur Sonne. Gelegentlich wittert er in den Wind.
Nach Norden zum Gebirge
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Entspannt sitzt sie im Sattel, genießt die Sonne, die Luft und seine Anwesenheit. Bis zuletzt hat sie gefürchtet, daß ihre Mutter es sich anders überlegt und sie zurückpfeift. Doch das ist nicht passiert.
Und jetzt hat sie tatsächlich frei, einen ganzen Tag, den sie mit ihm verbringen darf.
Verstohlen betrachtet sie ihn von der Seite. Daß er so aufmerksam den Weg prüft erinnert sie daran, daß die Wälder nicht ganz ungefährlich sind und so beschließt auch sie, die Umgebung im Auge zu behalten.
Trotzdem liegt immer noch ein glückliches Lächeln auf ihren Zügen. -
"Kassandra meinte ich hätte mir einen Namen gemacht, als ich diesem Lümmel seine Grenzen aufgezeigt habe. Was hast du gehört?"
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"Ferd hat die Geschichte überall erzählen müssen", antwortet sie. "Ich glaub nicht, daß sich nochmal wer traut mir solche Sachen zu sagen."
Sie klingt zufrieden.
"Glaubst du immer noch, daß du eine Sünde begangen hast?" -
"Ich bin mir immer noch nicht sicher, daß ich keine begangen habe." Er lächelt. "Gab es denn noch andere die dich beleidigt haben?"
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"Nicht so wie der", sagt sie mit Abscheu.
"Weißt du, ich hab darüber nachgedacht", fährt sie fort. "Wenn die eine Schrift sagt, daß du ihn töten mußt und die andere sagt daß du Menschen beschützen sollst -dann heißt das vielleicht nur, daß du dich selber entscheiden darfst. Vielleicht heißt es, daß beides richtig ist." -
"Nicht so wie der??? Wie denn?" Er scheint ihren Versuch einer theologischen Diskussion zu überhören.
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"Was? Willst du wissen wer alles schon 'blöde Kuh' zu mir gesagt hat? Die Liste ist lang."
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Er lacht. "Nein, das nicht. Wenn das alles ist." Er schweigt eine kurze Zeit. "Das mit den Schriften... das ist verzwickter als es den Anschein hat."
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"Es klingt so", nickt sie. "Erklärst du's mir?"
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"Ich werde es versuchen. Ich habe dir schon erzählt das Draug unter seine Gläubigen kommt und mit ihnen spricht. Das hat er immer getan. Die Schriften sind Abschriften dieser Gespräche. Sie geben wieder an was sich jene, die mit im sprachen, erinnern können. In den frühen Schriften ist er vielleicht nicht wählerisch in der Wahl seiner Mittel, jedoch zeigt er immer eine klare Tendenz auf der Seite der Schwachen und der Sterblichen zu stehen. In den jüngeren Schriften jedoch beginnt er zunächst die Sterblichen zu misachten und den 'Fremden' zu mistrauen. Und allem Anschein nach hat er sich in den letzten Jahren sogar noch gesteigert. Die Sterblichen verdienen unsere Hilfe nicht mehr. Sie sind schwach und unseres Schutzes unwürdig. Ich weiß einfsch nicht mehr was wahr ist. Das ist einer der Gründe warum ich hier bin. Hier in Amonlonde, und nicht bei meinen Leuten."
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"Du meinst Draug selber ändert sich?" Sie fühlt sich auf einmal töricht, daß sie ihm Hilfe und Rat bei diesem Problem anbieten wollte.
"Du beschäftigst dich schon sehr lange mit diesen Schriften, oder?" -
Er schmunzelt, "Weit länger als du lebst, Liebes. Und ja, wenn man die Schriften durch die historischen Abfolgen, welche beschrieben sind, temporal ordnet, kann man sogar relativ genau den Bruch festmachen. Das Problem liegt aber darin, daß der Drogoron, der oberste meines Ordens, ein klares Dogma ausgibt, an das sich alle zu halten haben. Leider bevorzugt er die jüngeren Schriften. Was die Drogurim zu dem gemacht hat, was ihr... Deine Mutter und die Anderen fürchten. Ich habe als junger Jäger genau das getan, was meine Offiziere verlangt haben, und erst seit ich Rang habe, habe ich mich selbst mit den acht Künsten beschäftigt."
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Länger als sie lebt... Nun, das ist wohl von seiner Warte aus betrachtet nicht sehr lang, aber es gibt dem Begriff 'Unsterblicher' eine gewisse Tiefe. Eigentlich hat sie sich noch gar nicht wirklich damit beschäftigt wie alt er wohl sein muß und ihr geht auf, daß sie das gar nicht weiß. Mit neuer Scheu schaut sie ihn an.
Trotzdem brennt die Neugier, das Verlangen nach Wissen, und jede Antwort wirft nur weitere Fragen auf -also fragt sie weiter:
"Was ist denn passiert, daß wir unwürdig geworden sind? Haben wir irgendwas getan?" -
"Das weiß ich nicht. Es geht einher mit einem Großen Krieg in meiner Heimat. Wie immer haben sich die Menschen in zwei Lager geteilt. Jene die Jala folgen, "er lächelt sie an, "und jene die Kama folgen. Also nichts besonderes. Bis auf die Tatsache, das der Anteil der magisch begabten zu diesem Zeitpunkt sehr hoch war. Das Thau war stark wie seit Äonen nicht mehr. Daher soviele Magier und Hexen. Aber ich kann es nicht genau klären."
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Sie erwidert das Lächeln. Natürlich weiß sie, daß er die Göttin meint, nicht sie selber. Trotzdem ist es seltsam ihren eigenen Namen in einer alten Geschichte zu hören.
"Und was sind die acht Künste?" -
"Das Trivium, bestehend aus Grammatik, Rhetorik und Logik. Das Quadrivium, also Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie. Wobei Musik nicht meine Stärke ist, ich bin gänzlich talentfrei in dieser Richtung, und natürlich das Arkanum. Ausserdem studierte ich einige artes mechanicae nämlich armatura und ein wenig agricultura."
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Sie wirft ihm einen raschen Blick zu und fühlt sich wieder unglaublich töricht. Musik ist das einzige, das sie auch nur zuordnen kann. Von den anderen kennt sie nicht mal die Namen.
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Er sieht den Blick aus den Augenwinkeln. "Du mußt bedenken ich hatte viel Zeit für meine Studien. Nebenbei auch noch Kriegshandwerk in Theorie und Praxis."
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"Nebenbei..." Sie fragt sich, wie das wohl ist so viel Zeit zu haben.
"Wann war das?", traut sie sich endlich zu fragen.