Der Auftrag der Waldläufer

  • Fortsetzung aus: Die Dnkle Seite Montralurs, Nymbrolia, Ankunft in Nymbrolia


    Schnell wie der Wind schoss das amonlondische Schiff mit Namen „Westlauf“ durch die Wasserlandschaft nördlich der Insel Montralur auf seinem Kurs nach Westen. Die nymbrische Besatzung, die das Schiff seit drei Jahren steuerte, wusste was sie tat.


    Der Kapitän, der wusste, er würde sein geliebtes Schiff am Ende zerstören müssen, hatte es geschafft, allen anderen Schiffen aus dem Weg zu gehen. Die Passage um Usoz, die Stadt der Amonlonder, hatte man bei Nacht gewählt und dabei einen großen Bogen geschlagen. Backbord war Usoz im Dunkeln nur als eine Ansammlung kleiner Lichtpunkte weit entfernt am Horizont vorbeigeglitten.


    In sich versunken saß der Leutnant auf einem Schemel am Bug des Schiffes, seine Männer pflegten die Ausrüstung und gingen den Seeleuten zur Hand.


    „Westlauf, der Name des Schiffes, war passend für diese Mission, die ihnen allen den Tod bringen konnte“, sinnierte der Leutnant.
    Hatte Scha-Ra, oder wie immer sie hieß, ihnen zuviel zugemutet? War es unmöglich für sie, diese Mission zu erfüllen? Waren die Opferrassen stärker als sie? Fragen, die in seinem Kopf schwirrten und von denen seine Untergebenen nichts mitbekommen durften. Er liebte seine Männer und sie liebten ihn.
    Da war Ker-Lad, der Hufschmied, dessen Frau sich jetzt zu Hause mit den sechs Kindern rumschlagen durfte. Oder Korn-Mar, der Seilmacher, der schon geschaut hatte, ob einige der Taue des Schiffes nicht aus seiner Werkstatt stammten und sich schon abfällig über drei Seile geäußert hatte, die offensichtlich nicht aus seiner Manufaktur stammten. Natürlich wusste Korn-Mar, dass auch diese Seile von hervorragender Qualität waren, aber darum ging es nicht. Der Leutnant musste schmunzeln. Hinten am Heck lehnte Lera-Taun lässig über einem festgezurrten Wasserfass und schaute unverhohlen dem Steuermann auf die Hose. Ihr Mann war vor ca. einem Jahr im Drakenwald gefallen, als ihre Truppe in einen Hinterhalt elbischer Söldner geriet. Sie waren haushoch unterlegen gewesen und hatten den Rückzug angetreten. Lera-Tauns Ehemann hatte diesen gedeckt und war dabei wahrscheinlich umgekommen. Lera-Taun war Witwe und dies seit einem Jahr. Es war Zeit, dass sie wieder heiratete. Außerdem konnte ihre Mutter nicht ständig auf die Kinder aufpassen.
    Den Steuermann machten die Blicke Lera-Tauns sichtlich nervös und er stierte starr geradeaus und lauschte den Kommandos des Navigators. Dies veranlasste, die Soldatin des Leutnants, ihre Bemühungen nur noch zu verstärken. Ob sie ernsthaft etwas von dem Steuermann wollte, wusste der Leutnant nicht. Aber das war in der jetzigen Situation auch nicht so wichtig.


    Ja, er liebte seine Truppe und er würde alles tun, sie wohlbehalten wieder nach Hause zu bringen.


    Gedankenverloren starrte er weiter gen Westen.

    Lehrer (Lehrstuhl für Geschichte und Politik) und Direktor der Nymbrischen Universität zu Mar-Lot-Tor


    ---
    Das Wesen des Feindes ist, dich zu töten! Also zögere nicht!

  • Ker-Lad hatte dem 1. Maat gerade geholfen, ein lose herumhängendes Tau, welches am Rahsegel hing und munter im Wind geflattert hatte.
    Das wild flatternde Tau gebar sich wie eine Schlange, die sich weigert in den Korb zurück zu kommen!
    Schließlich erwischten beide fast gleichzeitig mit den langen Fischerhakenstangen das Tau und zogen sich zu sich rüber um es zu vertäuen.


    „Wie eine Schlange, nicht wahr“, bemerkte der Maat und schaute Ker-Lad aus den Augenwinkeln an.
    Doch dieser starrte wie gebannt auf das Meer und hielt nur noch locker das Tau fest.
    „Wie eine Schlange“, hörte der Maat Ker-Lad murmeln.
    Die Blicke des Maates folgten denen des Hufschmiedes auf das Meer und seine Augen weiteten sich.


    Geschwind wie das Schiff und doppelt so groß folgte ein großes Seeschlangenmonster parallel dem Schiff und versuchte durch kurze Seitwärtsbewegungen sich diesem langsam zu nähern.


    Im selben Moment hörte Ker-Lad schon das Rufen des Ausgucks nach Steuerbord, der das Monster fast zeitgleich entdeckt hatte.


    „Nicht jetzt“, dachte Ker-Lad. Sie hatten es geschafft, durch das relativ viel befahrene 222 Meilen breite Seegebiet zwischen den Inseln Montralur und Yerodin/Assynth zu kommen. Dies ohne von Piraten, Amonlondern, Montralurern oder anderen Opferrassen entdeckt, geschweige denn gar aufgehalten worden zu sein. Und nun dies!


    „Das darf nicht sein“, brüllte Ker-Lad dem Monster entgegen hinaus auf die See und rannte geschwind zu seinem Bündel, um seinen tödlichen Waldläuferbogen aus dem Segeltuch zu befreien und zu spannen.


    Der Maat hatte sich derweil ebenfalls von dem Schock gelöst und brüllte wie gewohnt Befehle über das Deck.


    Piraten, Amonlonder, Montralurer, Seemonster, alles einerlei! So lange keiner zauberte. Das hasste er.


    In Windeseile bemannten die Mannschaften die beiden unter Segeltuch vor dem Salzwasser geschützten großen Ballistae und spannten die Seile nach, die bei einem Gerät dieser Größe die Funktion der Sehnen übernahmen.


    Stolz blitzte in den Augen des Maates auf.
    Seine Mannschaft hatte nicht umsonst drei Jahre dieses Schiff geführt. Und eines musste man den Amonlondern lassen: Sowohl Schiff als auch die Bewaffnung waren sehr gut gefertigt.

  • Die riesige Seeschlange kam immer näher!


    „Monster in Schussweite“, rief der Feuerleitbootsmann der zwei Ballistae.


    Der Kapitän der "Westlauf" atmete noch mal tief durch: „Nun, denn! Feuer auf deinen Befehl, Bootsmann!“

    Der Feuerleitbootsmann nickte seinem Kapitän zu und drehte sich wieder in Richtung Seemonster.


    „Feuer!“


    Die schweren über 3 Fuß Pfeile machten sich auf in Richtung Seeschlange. Geschwind wurden die Seile wieder gespannt und neue Pfeile eingelegt.


    Knapp verfehlten die abgeschossenen Pfeile ihr Ziel.


    „Feuer!“


    Erneut knallten die Sehnen und wieder begannen die Pfeile ihre auf die inzwischen gefährlich nah herangelangte Seeschlange.


    Wieder vorbei! Die Seeschlange tauchte unter dem Schiff her.


    Verdutzt schauten sich die Nymbra an. Ein Beben ging durch das Schiff und es wurde angehoben.


    „Das Schiff wird von der Schlange angehoben! Das gibt es doch nicht! Oh, Vergodonas: Beschütze deine Kinder in dieser gefährlichen Situation. Trotzdem Ich fahre besser nie mehr zur See.“


    Zitternd hielt sich der Leutnant der Waldläufer an einer Aufbaute fest.


    Einer der Matrosen hatte weniger Glück und schlitterte schreiend zum Rand des Deckes.


    Gerade, als er über Bord zu gehen drohte, packte ihn Korn-Mar, der Seilmacher!


    „Nicht so schnell, Herr Matrose“, sagte er mit dunkler Stimme. „Ich kann als Waldläufer kein so großes Schiff bedienen und Ihr müsst mich noch an Land bringen.“


    Mit großen, aber dankbaren Augen schaute der Matrose seinen Lebensretter an.


    „Und an Land kommen sollt Ihr“, sagte der Matrose und klopfte dem Seilmacher der Waldläufer dankbar auf die Schulter. Geschwind nahm er danach aus einer der Waffenkisten einen der Bögen aus seinen Öltüchern und spannte ihn mit einer trockenen Sehne aus seinem Gürtel.


    Geschickt legte er einen Pfeil auf und wartete, dass die Seeschlange gewendet hatte.


    Diese tauchte in knapper Entfernung kurz auf, um sich zu überzeugen, dass ihr Manöver wirklich keinen Nymbra ins Wasser befördert hatte.


    Dabei sah der Leutnant genau das hässliche vernarbte Antlitz der Schlange, welches mit seinen verschlagenen kalten Augen die Meeresoberfläche absuchte und dann das Schiff beobachtete.


    Wutentbrannt brüllte der Feuerleitbootsmann erneut „Feuer“.


    Auch der eben vom Seilmacher gerettete Matrose schoss seinen Pfeil ab.


    Die Schlange konnte die Pfeile gegen die Sonne nicht entdecken und so trafen alle diese drei das relativ ruhige Ziel. Die schweren Ballista-Pfeile bohrten sich in den Schädel der Schlange, richteten aber relativ wenig Schaden an. Der Bogenpfeil allerdings fand seinen Weg in ein Auge der Schlange und diese bäumte sich vor Schmerzen auf. Gerade am höchsten Punkt ihres Aufbäumens schlug ein zweiter Pfeil in das andere Auge ein. Zufrieden senkte Ker-Lad seinen Bogen. Die Schlange schlug hart mit dem Oberkörper auf der Wasseroberfläche auf und wand sich hin und her.


    „Das Vollzeug bleibt gesetzt“, rief der Kapitän.


    Verständnislos blickte der Leutnant den Kapitän an.


    „Ja, Ihr habt richtig gehört, Leutnant! Die Schlange ist nicht tot und sie wird auch nicht an diesen Verletzungen sterben. Dazu braucht es viel mehr. Ich kenne diese Viecher. Die Pfeile werden mit der Zeit herausgedrückt und es bleiben wahrscheinlich allenfalls Narben zurück. Selbst die Augen können, durch eine Membran geschützt, nicht ernsthaft beschädigt sein. Ich habe solche Schlangen schon sterbend und sogar tot untersucht. Und glaubt mir: Diese hier hat uns nur einen Aufschub gewährt und den sollten wir nutzen.“


    Flink brachte der Steuermann das Schiff wieder auf Kurs und der Leutnant blickte auf die kleiner werdende Schlange zurück, die jetzt langsam ziellos vor sich hin trieb.


    „Das Meer war wirklich nicht sein Ding!“