Es ist ein Tag im Hochsommer. Das Wetter war die letzten Nächte eher rau, die See stürmisch.
An der ohnehin schon eher unzugänglichen Küste machen wilde Wellen und unvorhersehbare Strömungen ein Anlanden unmöglich. Laut krachen die großen Brecher gegen steile Felsklippen und an den wenigen seichten Stellen knirscht das Gestein bei jeder weißschäumenden Woge geradezu ohrenbetäubend.
Es ist eine der Zeiten im Jahr, da sich viel Treibgut an den schmalen Kiesstreifen sammelt, nur um sogleich vom nächsten Wasserschwall wieder umsortiert, weiter auf's Land geworfen oder wieder heraus auf's offene Meer gezogen zu werden.
Alle paar Jahre finden sich hier Reste von Unglückseligen, die den Unbilden auf hoher See nicht widerstehen konnten; Plankenstücke, zerborstene Kisten, Fetzen von Segeltuch, von Wasser, Salz und Sturm arg mitgenommene persönliche Gegenstände und ganz selten sogar mal Frachtgut.
Eigentlich nie jedoch Leichen. Denn Seelen, die die See zu sich nimmt, gibt sie nicht mehr her. Dabei ist es gleich, ob die Unglückseligen menschlich oder tierisch sind - ihnen allen, was auch immer ihr Ziel gewesen sein mag, schenkt die See ein endgültiges, nasses Ruhebett.
Heute Nacht jedoch ist mehr angespült worden, als nur Wrackteile. Zwischen geborstenen Maststücken, Segeltuch, Fragmenten von Schiffsmobiliar, Bruchstücken von Kisten und Truhen, den nassen und nach Tang riechenden Überresten von Kleidung und Stoffballen, einzelnen Blatt Papier und einigen Planken liegt ein Körper.
Immer wieder zerren die Wellen an den Beinen der schlanken, humanoiden Gestalt, jedoch ist sie von ein paar kräftigen Wellen zu weit auf den Kiesstreifen geworfen worden, als dass sie wieder ins Wasser zurückrutschen könnte.
Die Person liegt auf dem Bauch, langes, zerzaustes, in seinem nassen Zustand fast schwarzes Haar verbirgt das Gesicht vor dem Betrachter. Die zerrissene Kleidung gibt den Blick auf geschundene, bloße Haut frei - offene Schürfwunden, Schnitte und blaue Flecke zeugen vom harten Kampf der See um diesen Körper.
Grotesk verrenkt, wie eine achtlos weggeworfene Marionette hat das Meer diese Seele dem Land übergeben. Ein schmaler Arm mit einem unnatürlichen Knick zwischen Handgelenk und Ellenbogen und zerkratzten, bleichen Fingern ist zu sehen. Das ständige Zerren an den Füßen hat diese und die Beine auf dem Kies wundgescheuert. Eine zwischen den Stofffetzen hervorschauende Seite weist einen ziemlich tiefen, hässlich angeschwollenen Schnitt in dem ohnehin schon in allen Regenbogen-Farben verfärbten Gewebe auf...