Im Hafen von Rendor

  • "Oh, ja... der Hof von Kaotien..."


    Ein etwas bemühtes Lächeln huscht über Dunjas Züge,


    "Sicher wird es dort ungeheuer interessant werden und du wirst so viele neue Dinge sehen & lernen, dass du gar keine Zeit für etwas anderes haben wirst! Und der Herr Bedevere wird sich dir schützend zur Seite stellen... "


    Sie bricht ab und wechselt dann rasch das Thema,


    "Dein Vater stellt dir einen Aufpasser zur Seite?"


    In ihrer Stimme schwingt eine gute Portion Belustigung mit, als Dunja sich vorstellt, ihr Vater würde auf eine solche Idee kommen...

  • "Ja... ich weiß," bemerkte Marie belustigend und schulterzuckend... "Ich komme mir vor, als sähe er immer noch das kleine Kind in mir - oder..." Marie überlegte kurz: "oder es ist eben, weil ich es gerade nicht mehr bin," zwinkerte sie Dunja zu und schaute dabei an sich herunter... Wahrlich, sie war definitiv kein Kind mehr.


    "Lass uns rein gehen, bevor es Dunkel wird, damit wir die anderen Räume noch begutachten können."


    Marie und Dunja gingen den gleichen Weg wieder zurück. Sie hätten auch durch die Tür im Garten in die Küche gehen können, aber noch hatte Marie bei den vielen Schlüsseln, die sie überreicht bekommen hatte für dieses Haus, herausgefunden, welcher derjenige ist.


    Marie zeigte Dunja die mittelgroße Küche. Marie hatte hier einen neuen Ofen installieren lassen. Hier wurde Holz unterhalb von Kochplatten eingelegt. Marie war besonders stolz auf ihn, hatten in Rendor noch nicht viele Haushalte solch einen Ofen. Ansonsten standen in der Küche bisher nur ein Tisch, zwei Stühle eine Bank in der Ecke und leere Regale.

  • "Ja, möglicherweise auch das...!"


    Dunja fällt in Maries leichten Tonfall ein und folgt ihr dann zurück ins Haus.


    "Ein bißchen erinnert mich das alles hier an das kleine Gebäude neben der Taverne in Etztamuhl, in dem ich eine Weile mit Teclados zusammen gewohnt habe. Klein, gemütlich und angenehm! Nur die Küche haben wir fast nie benutzt... wenn man tagein tagaus in der Tavernenküche arbeitet, hat man wenig Lust & Muße dies auch noch daheim zu tun."


    Sie lächelt, fast ein wenig wehmütig, während sie sich fragt, was wohl geworden wäre, wenn sie beide nicht fortgegangen sondern geblieben wären...

  • "Teclados?"


    Dunja erwidert Maries Blick einen Moment wortlos und zuckt dann mit den Schultern,


    "Irgendwie schon, ja... Ich fragte mich gerade, was wohl gewesen wäre, wenn wir beide dort geblieben wären und nicht jeder von uns so lange seinen eigenen Weg gegangen wäre..."


    Sie seufzt leise und gesteht dann,


    "Manchmal wünsche ich mir, es wäre immer noch alles so einfach, wie es damals war! Ohne Verpflichtungen, ohne zu viel zu wissen... einfach nur ganz normal..."


    Verlegen bricht sie ab und schillt sich eine Närrin, 'einfach nur', lächerlich...

  • Wider Erwarten muss Dunja bei Maries Worten lachen und erklärt dann sehr bestimmt,


    "Nein, ich müßte lügen, würde ich behaupten, dass ich in Etztamul noch Kindheitsträume gehabt hätte, geschweige denn ein Ausbund an Unschuld gewesen wäre..."


    Sie schüttelt resolut den Kopf,


    "Manchmal habe ich trotzdem das Gefühl als wären diese Jahre in dieser fernen Stadt so etwas wie ein Atemholen, ein Ausruhen gewesen... fern von Politik und höfischem Gewese. Trotz der damaligen Umstände schien ich von all den Unruhen und Geschehnissen nicht betroffen."


    Erneut muss sie lächeln und fügt schließlich mit einem Schulterzucken an,


    "Aber es ist müssig alten Zeiten nachzutrauern! Erstens sind sie in der Erinnerung eh' immer besser als die Gegenwart und zweitens läßt sich der Lauf der Geschichte in der Vergangenheit nicht mehr verändern..."


    Sie fasst Marie bei der Hand,


    "Komm, lass uns nicht weiter Trübsinn blasen! Trotz des fiesen Wetter ist der Abend viel zu schön, um ihn nicht ausgiebigst zu geniessen!"

  • Marie drückte Dunjas Hand und zog sie dann in den Flur zurück, hinauf über die Treppe in den oberen Stockwerk.


    Hier waren drei Zimmer zu finden. Das größte war Maries neues Schlafzimmer. Marie öffnete die Tür zu diesem und trat hinein. Der Raum war komplett leer - nicht einmal Vorhänge schmückten die Fenster. Marie hatte zwei Fenster, eins zur Straße hinaus und eins zeigte in den Garten. In einer Ecke stand eine Badewanne, die abgedeckt war. Ein großer Kamin hatte seinen Sitz gegenüber der Tür, so dass er als erstes auffiel.


    Auch hier waren die Wände schon frisch gekalkt und vereinzelt in den Ecken mit wunderschönen Kirschblüten und kleinen Vögeln bemalt worden. Doch irgendwas war anders wenn man sich im Raum bewegte.


    Marie sah Dunja die Stirn runzeln...

  • "Wie hübsch!"


    Sie bewegt leicht den Kopf und betrachtet den Effekt erfreut,


    "Wie bekommt man so etwas zustande?"


    Neugierig wirft Dunja Marie einen fragenden Blick zu...

  • "Oh...!"


    sichtlich erführchtig berührt Dunja die Wand sacht mit dem Finger.


    "Mir war nicht bewußt, wie reich dein Vater ist..."


    Ihr Blick wirkt ein wenig unergründlich...

  • Marie seufzte... was war schon Reichtum, wenn man oft allein war... sie hätte lieber einen weniger reichen Vater gehabt und dafür mehr einen, der mit ihr Zeit verbrachte und ihr zeigte, dass er sie vielleicht auch liebte...


    Aber so sah sie ihn vielleicht vier Mal im Jahr. Er schrieb ihr kaum, sondern eher dem Verwalter, der ihr dann seine "Wünsche" ausrichtete... Ihr Onkel Tuok war vielmehr die Vaterfigur für sie, die sie sich wünschte. Er war immer für sie da, wenn sie ihn brauchte, auch wenn er ein sehr beschäftiger Mann war.


    Marie seufzte abermals auf... und erwiderte:


    "Ja, wir sind reich - aber das ist nur Materielles... nichts, was Dein Herz mit Wärme erfüllen könnte..."


    Marie drehte sich schnell weg und schaute aus dem Fenster - musste sie sich doch beherrschen nicht loszuheulen.

  • Dunja tritt zu Marie und nimmt sie in den Arm,


    "Wie wahr, wie wahr! Aber trotzdem ist es besser genug zu essen zu haben, als wenn der Vater, wie sehr er auch für seine Kinder da ist, ihnen beim Verhungern zusehen muss..."


    Ihre Stimme klingt erstaunlich sanft bei ihren Worten und sie fügt leise an,


    "Zudem, wer weiß, wofür es gut sein mag...!"


    Ein kleines ironisches Lächeln huscht über ihre Züge,


    "Kurz nach meinem zehnten Geburtstag ist mein Vater verschwunden & wir hielten ihn lange Jahre für tot... erst zehn Jahre später erfuhr ich durch Zufall, dass dies ein Irrtum war und traf ihn auf einer meiner Reisen wieder..."


    Sie schüttelt wehmütig den Kopf,


    "Und nun sind wieder fast sechs Jahre vergangen, dass ich ihn das letzte Mal sah..."

  • "Oje, Dunja... aber ich kenne meinen Vater auch kaum... ich sehe ihn so wenig und ständig habe ich das Gefühl er schiebt mich von der einen in die nächste Ecke - als wäre ich ein Gegenstand. Ich weiß nicht, was schlimmer für ein Kind ist, seinen Vater für Tod zu halten oder zu wissen, dass Du Luft für ihn bist... und nun lass uns bitte das Thema wechseln, bevor ich doch noch losschluchze."

  • Bei diesen Worten konnte Marie nicht anders - ihr liefen die Tränen die Wange runter...


    "Ich... schluchz... ich habe es so satt wie ein Gegenstand behandelt zu werden! Ich... schnief... ich meinte das eben ernst... ich wünschte, ich würde keinen Vater haben, wenn man so behandelt wird."


    Aus Marie brach es heraus, was sie solange unterdrückte. Sie ballte die Fäuste und ging auf und ab: "Ich wünschte, ich wäre auch ein Mann könnte machen was ich will. ... Ich hasse es, als Frau so behandelt zu werden - als wäre ich nur eine hübsche Puppe... ein Gegenstand... etwas, womit man sich schmückt... vielleicht will ich auch nie heiraten... weiß ich denn, ob mein Gatte mich nicht auch so behandelt? Ich... schluchz... ich möchte was erleben, und nicht immer eingesperrt sein - einsam sein... ich will die Welt sehen... ich möchte gesehen werden... ich... ich... wünschte wirklich - ich wäre Du!"

  • "Oh nein, nein, nein! Das wünscht du dir nur, weil du so wenig über mich weißt!"


    Erneut nimmt Dunja Marie in den Arm und versucht sie zu beruhigen,


    "Außerdem sind nicht alle Männer so! Wirklich nicht! Es gibt auch genügend andere!"


    Sie lacht leise,


    "Denk nur an Ihn... glaubst du ernsthaft, Er würde dich einsperren?"

  • "Ach 'Er'... er sieht ich doch bestimmt gar nicht und wenn, dann sieht er nur das 'Äußere', die Puppe... die hübsch, brav und adrett funktioniert. Hätte er wirklich Interesse..., ach Dunja - ich mach mir da nichts vor... ich bin nicht für Herzensangelegenheiten geschaffen. Ich schaffe es nicht mal, das Interesse meines Vaters zu erhalten, warum dann des eines anderen Mannes? Ja, ja... sag nichts... ich weiß, es gibt Herren, die auf den letzten Veranstaltungen sehr charmant zu mir waren und vielleicht auch Interesse hätten... aber wirklich an mir - oder an eher an meinem Vermögen oder Verbindungen, die sich dadurh auftun? Ich habe keine besonderen Reize - schau mich an...


    Und warum sollte ich nicht so sein wollen wie Du - Du bist frei - kannst machen was Du möchtest... zur Not kannst Du Dich sogar selbst verteidigen... Du hast was gesehen von der Welt - auch wenn es nicht immer schön war... Ich wünschte, ich könnte, ich könnte einfach mal alle überraschen und Dinge tun, die man nicht von mir erwartet... aber nicht mal den Mut dazu habe ich... und das ist etwas, was mich manchmal so wütend macht...


    Stell Dir vor, als ich das letzte Mal vor meinem Vater stand hätte ich ihm am liebsten ins Gesicht geschrien, er möchte mich endlich mal ansehen, mich in den Arm nehmen - aber er kann es nicht. Wahrscheinlich, weil er immer noch meine Mutter in mich sieht. Und je älter ich werde, umso mehr sogar noch."


    Marie ging noch immer auf und ab... und schüttelte den Kopf


    "Ich weiß, für Dich hört sich das alles vielleicht albern oder gar lächerlich an und Du denkst sicherlich, es gibt viel schlimmere Dinge auf dieser Welt... aber Dunja - das hier ist meine Welt... so schön sie im Auge des Betrachters von Außen sein kann, all die schönen Dinge, der Schein, den man für Geld kaufen kann... so häßlich, traurig und einsam ist es für mich - hier", Marie öffente weit die Arme und drehte sich einmal um ihre Achse: "Hier in meinem Gefängnis."

  • Dunja läßt Marie gewähren, nimmt im Schneidersitz auf dem Boden Platz und beobachtet die junge Frau aufmerksam. Eine Weile wirkt sie nachdenklich, dann schüttelt sie den Kopf,


    "Nein, Marie! Ich glaube wirklich, dass das Interesse dir & deiner Person gilt und nicht irgendwelchen Verbindungen oder dem Vermögen deines Vaters!"


    Sie lacht leise,


    "Und bevor du Ihn so sehr verteufelst... warum gibst du Ihm nicht erst einmal eine Chance? Glaube mir, meine Liebe, es ist wesentlich einfach das Herz eines Mannes zu erobern als die Aufmerksamkeit & das Interesse eines Vaters!"


    In ihrer Stimme liegt Bedauern,


    "Und wenn du unbedingt tauschen möchtest... ich werde nie ein Heim wie dieses hier mein eigen nennen! Nie sesshaft werden können, eine Familie gründen, ohne stets und ständig mit der Angst zu leben, dass jemand sie benutzen könnte, um meiner Heimat zu schaden... du schimpfst nun und wünscht dir mehr Freiheit... aber das bedeutet auch mehr Verantwortung, mehr Fehler, die man machen kann... mehr falsche Entscheidungen..."


    Ihr Blick ruht auf Marie,


    "Ich wünschte, ich könnte wirklich für eine Zeitlang mit dir tauschen... vielleicht würdest du danach nie mehr hierher zurückkehren wollen... vielleicht aber auch um so schneller & lieber..."


    Sie schüttelt erneut den Kopf,


    "Nein, meine Liebe! Für mich hört sich das Ganze überhaupt nicht lächerlich an! Ganz im Gegenteil, ich kann sogar sehr, sehr gut verstehen, wie dir zumute ist!"


    Einen Moment schweigt sie und bietet der jungen Frau dann schließlich an,


    "Auch wenn ich nicht mit dir tauschen kann... und im Moment täte ich dir damit auch gewiss keinen Gefallen, so kann ich dir jedoch anbieten mich zu begleiten! Morgen nach Cornia und danach, wenn du magst nach Taron. Und irgendwann wird es mir vielleicht möglich sein, dir auch meine Heimat Thyngary zu zeigen."

  • Maries Miene hellte sich wieder auf bei der Vorstellung mit Dunja zu reisen und neue Abendteuer zu erleben.


    "Ja, ich möchte überall mit Dir hin. Zeig mir die Welt und lehre mich alles, was ich wissen muss, um da draußen zu überleben," zwinkerte sie ihr zu.


    Dann klatschte sie plötzlich in die Hände als sie einen Einfall hatte:


    "Dunja! Aber das ist es doch! Warum solltest Du nicht so ein Heim wie dieses hier haben?! Wohne bei mir, wenn Du nicht auf reisen bist. Es soll auch Dein Heim sein! Hier brauchst Du keine Angst haben, dass Dich irgendetwas zum Nachteil verfolgt! Komm - schau..."


    Marie zog die noch immer im Schneidersitz sitzende Dunja mit einem Ruck hoch und zog sie aus ihrem Schlafgemach in das Zimmer nebenan, das nur ein wenig kleiner war als das ihrige.


    "Schau - Da! Das soll Dein Reich werden. Richte es ein, wie Du willst und es wird immer Dein zuhause sein, wenn Du hier bist und des Reisens müde...! Und wenn es Dir zu klein ist oder Du möchtest, dass Teclados ebenfalls zu uns zieht, dann kaufe ich einfach ein größeres Haus - dazu ist immerhin das Geld gut, das wir besitzen."


    Marie sah Dunja erwartungsvoll an.