Ein Gasthaus im Schnee...

  • Thraxas lehnte sich zurück und schwieg eine Weile, weil er die anderen Gäste die Aufmerksamkeit verlieren lassen wollte. Er beobachtete die Geweihte genau und hatte schon während ihres Ausbruchs erkannt, daß er in ein Wespennest gestochen hatte. Die schrecklichen Erlebnisse mit dem Schattenpriester mußten waren Alanis nur allzu präsent und machten ihre Aufwallung verständlich - es tat ihm leid und er hätte der Geweihten dies alles gerne erspart, aber wie wäre das möglich gewesen? So hielt er ihrem Blick stand und sagte dann: "Natürlich ist der Weg in den Schatten für diejenigen, die eigentlich im Licht wandeln sollten und wollten nicht leicht, denn er ist für sie wieder ihr Innerstes und ich verstehe auch Eure Aufregung und Eure Meinung zu den Taten die Tomori in der Vergangenheit tat und die sie vielleicht jetzt wieder tut.
    Ich halte aber die Meinung, daß sie mit dem Tode zu büßen habe, weil sie so viele Tode gebracht hat für zu kurz gedacht. Sollte es gelingen ihre Seele ins Licht zurückzuführen und sollte sie dann fürderhin nicht mehr aus Lust töten, sondern nur noch im Kampf für das Gute, so haben wir der Finsternis einen Streiter entrissen und dem Licht einen gegeben. Töten wir sie, dann haben wir nur der Finsternis einen Streiter entrissen, aber keinen für das Licht gewonnen."
    Thraxas wollte seine Hand nach der Alanis' ausstrecken, unterließ die Geste dann aber doch und fuhr fort: "Außerdem kann ihr Beispiel Hoffnung für so viele sein, die auf dem Weg straucheln und sich fragen, ob sie noch ins Licht zurück finden können."
    Plötzlich senkte der Landsknecht den Blick und legte seine Hände übereinander, ein leichtes Zittern unterdrückend und seinem nächsten Satz war die Überwindung ihn hier auszusprechen anzuhören. "Darüber hinaus...", er atmete noch einmal tief ein und aus, "...habe ich sie liebgewonnen. Sie ist...wie ein Tochter geworden und ich habe mich immer wieder gefragt, was aus ihr geworden wäre, wenn nicht diese Hexe Esha sie damals im Schnee gefunden hätte, sondern ich. Und ich habe die Götter mehrfach verzweifelt gefragt, warum sie uns erst so spät zusammen geführt haben."
    Thraxas hob den Blick und seine Augen schimmerten, weil sich Tränen darin sammelten.

  • Alanis seufzte, warf Thraxas einen langen, resignierten Blick zu und ihre Schultern sackten ein Stück nach unten. Sie fuhr sich mit der Hand über den Nacken, der sich warm und angespannt anfühlte. Vermutlich hatte sie ein bisschen Fieber, aber das wunderte sie nach den letzten Tagen überhaupt nicht.


    "Lass uns gehen", sagte sie verhalten und deutete in den Raum hinein, in dem sich zwar alles wieder beruhigt hatte, der ihr auf einmal jedoch viel zu klein schien. Erst nach ihrem eigenen emotionalen Ausbruch war ihr bewußt geworden, dass deutlich zu viele Personen im Raum waren, die vielleicht doch etwas mithören konnten. Und sie wollte ihren Schüler auch nicht der Blöße überlassen, sich in seiner Stimmung von den Leuten anstarren zu lassen. "Meinetwegen raus oder in den Stall oder auf mein Zimmer. Mir egal."


    Ihre Miene war versöhnlich, aber noch immer angespannt. Sie hatte noch nicht das letzte Wort zu dieser Angelegenheit gesagt, aber gerade war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

  • Bei dem 'Eure Gnaden' zuckte es ein wenig in Alanis Gesicht, aber sie erhob sich dann ohne weitere Regungen ruhig, wie es so ihre Art war, von ihrem Sitzplatz. Ein prüfender Blick ging zur Weinflasche, doch sie ließ sie stehen. Für einen Moment focht sie einen gewissen inneren Kampf aus, dann bog sie in Richtung der Gästeräume ab, die zu beiden Seiten eines langen Flurs verteilt waren. Ihr war nicht danach zumute, an diesem Tag noch einmal durch die Kälte zu laufen, also nahm sie den Landsknecht mit auf ihr Zimmer.


    Dort gab es einen abgenutzt wirkenden Tisch samt Stuhl, ein frisch bezogenes Bett mit Nachttisch und ihr Gepäck, das noch unausgepackt in einer Ecke stand. Es war recht warm in dem kleinen Raum, der in der Nähe der Küche lag und als Alanis die Öllampe angezündet hatte, die auf dem Tisch stand, entspannte sie sich fast sofort. Dies hier war deutlich besser als ein Raum voller Menschen, die sie nicht kannte und denen sie vermutlich auch nicht vertrauen konnte.


    Sie selbst ließ sich nach kurzem Zögern auf dem Stuhl nieder und deutete auf das Bett, falls Thraxas sich setzen wollte.


    "Und was -", fragte sie dann nach einem kleinen Moment, in dem sie sich gesammelte und ihre übliche, gelassene Körperhaltung eingenommen hatte, was ihr sichtlich schwer fiel. "Was haben Dir die Götter zur Antwort gegeben, als Du sie gefragt hast?"

  • Der Landsknecht schüttelte zu Alanis' Einladung nur sacht den Kopf und setze sich dann auf den Boden vor das Bett und lehnte seinen Rücken daran.
    Jetzt schaute er zu Alanis auf und antwortete: "Wie die Götter meist so sind, Meisterin, sie geben selten direkte Antworten und zu dieser Frage schwiegen sie völlig.
    Vielleicht diente Ihnen Tomori aber auch nur dazu mich zu prüfen, meinen Willen, meine Fähigkeiten. Deshalb mußte Tomori vielleicht erst so werden und vielleicht haben die Götter auch ihre Rückkehr betrieben, um mir meinen Hochmut vor Augen zu führen. Ich weiß es nicht, denn noch nie hat ein Gott direkt mit mir gesprochen, außer durch den Silbernen Avatar. Immer nur sind Zeichen zu interpretieren und sicherlich habe ich dabei etliche Fehler gemacht."

  • "Und vielleicht haben die Götter auch Dich geschickt, um Tomori zu prüfen - wer weiß das schon." Alanis lächelte leicht, aber nicht sonderlich froh. "Aber ich möchte von dem, was wir annehmen können, zu dem zurückkehren, was auf der Hand liegt. Du hast mir vorhin etwas erklärt und ich muss Dir noch etwas dazu sagen: wenn es beim Kampf um Tomori eine einfache Rechnung ginge, um das Bestücken einer Waage, um das Herumschieben von Figuren von Schwarz nach Weiß und vom Licht in den Schatten, dann wäre es einfach. Ginge es nur um eine einzige Person, die keinerlei Einfluss auf ihre Umwelt zu nehmen vermag, nur darum, der Finsternis einen Streiter zu nehmen und ihn dem Licht zu geben, dann wär es einleuchtend. Aber anhand der Dinge, die Du mir erzählt hast, kann ich Dir einfach nicht zustimmen.“


    Alanis schüttelte den Kopf.


    „So einfach ist es nicht. Es sind noch so viel mehr Menschen an den Geschehnissen um sie beteiligt, die Du aus der Rechnung einfach nicht ausschließen darfst.“ Einschließlich ihr selbst, wie sie zugeben musste. Eigentlich hatte sie geglaubt, sich aus diesem Gewissenskonflikt heraushalten zu können. Thraxas etwas beibringen, fertig, weitermachen. Aber das funktionierte nicht. Alanis schaute kurz auf ihre ineinander ruhenden Hände hinunter und verzog ob ihrer eigenen Naivität das Gesicht.


    „Wie viel Böses allein mag es schon erzeugt haben, sie zu verteidigen und es ihr zu ermöglichen, weiterzumachen? Es mag zwar für Dich gut und richtig sein, das zu tun. Silbern, ein Tribut an das Licht, denn das ist nunmal Dein Weg und daran habe ich persönlich keine Zweifel. Aber wie genau wirkt es bei denjenigen, die Schaden erlitten haben? Ihnen wirst Du die silbernen Aspekte in Deinen Taten niemals nahe bringen können, wie Du es vielleicht könntest, wenn Tomori nicht mehr Teil Deines Lebens wäre. Ich denke nicht, dass Du auf Deinem jetzigen Weg das Licht stärken kannst.“


    Sie bedachte Thraxas mit einem fragenden Blick, neugierig darauf, ob er die Punkte, die sie ansprach, einsehen konnte.

  • In Thraxas' Gesicht konnte Alanis den inneren Widerstreit sehen, in dem er sich befand, insbesondere der letzte Satz hatte ihn aufgewühlt, aber das dürfte sie nicht überraschen. Der Landsknecht dachte lange über das Gesagte nach und fast schien es als wollte oder konnte er nicht antworten.


    In Thraxas' Geist fand ein Kampf statt, an dem nicht nur zwei Aspekte beteiligt waren. Alanis folgte viel kürzer dem Weg des Silbernen als er selbst, konnte, wollte er akzeptieren was sie sagte. Sah sie den Weg wirklich klarer als er? Und wenn nein, wie scharf konnte er ihre Ansichten ablehnen. Brauchte er ihre Hilfe tatsächlich noch oder war sie für ihn entbehrlich? Sollte er sie zurechtweisen oder war das vergebens oder vielleicht sogar falsch?
    Ihm waren unterschiedliche Meinungen immer wichtig, wenn er den Eindruck erweckte, als wolle er sie nicht hören, dann würde ihm irgendwann das Quentchen Wissen fehlen um zu das zu erreichen, nach dem er strebte. Das und vieles mehr schwirrte durch seinen Kopf und als er antwortete war seine Stimme ruhig, jegliche Provokation und Schärfe vermeindend. "Ich bin bestrebt das Licht durch mein Beispiel zu stärken. Es gibt viele auf dem Weg des Silbernen, die mir meine Bemühungen der letzten Jahre hoch anrechnen, selbst die Erhabene hat mich ausdrücklich für dieses Vorgehen gelobt.
    Es mag so klingen, als mache ich es mir leicht, in dem ich sage, daß die, die die Silbernen Tugenden in dieser Handlung nicht sehen, noch nicht bereit sind, aber dies ist ein Teil des Problems. Es gibt viele, die meine Beharrlichkeit nicht verstehen und manchmal verstehe ich sie selbst nicht. Sicherlich wäre es für diejenigen, die Angehörige verloren haben oder zu Schaden gekommen sind einfacher Tomori würde gerichtet und für uns wäre es das auch, aber dürfen wir es uns so leicht machen, wenn noch Hoffnung besteht?"


    Der Landsknecht wirkte als wolle er noch viel mehr sagen, aber er verstummte, so als wollten ihm keine Worte mehr einfallen seine Gedanken zu beschreiben.

  • "Es ist sehr silbern, immer eine Möglichkeit für einen weiteren Anfang zu sehen. Aber auch das Ende einer Geschichte ist ein Teil des Lebens, denn ohne ein Ende kann es keinen Anfang geben. So lehren es mich zumindest meine Meister", erklärte die Geweihte ruhig. Sie lehnte den Ellbogen auf die Stuhllehne und ließ die Wange in der Handfläche ruhen. Ihr Körper schrie nach Ruhe, aber ihr Geist war wach und angespannt und trieb ihre Gedanken vorwärts. "Was Deine Beharrlichkeit angeht, so verstehe ich sie. Du liebst Tomori", stellte sie fest. Schlichte Worte, aber eine Erkenntnis, die gar nicht mal so schlicht war. "Liebe zu den Menschen, auch denen gegenüber, die einen anderen Pfad gehen als wir, ist meiner Meinung nach ein wichtiger Teil des silbernen Wegs. Liebst Du aber einen Menschen und stellst ihn damit über die Anderen, dann gehst Du Fehl."


    Sie lächelte schmerzlich und für einen Moment glitt ihr Blick fort, aus dem kleinen Stubenfenster hinaus in die blauschwarze, kalte Nacht, bevor er wieder zu Thraxas zurückkehrte.


    "Was sagt Tomori? Was sagt sie zu Dir, zu Eurer Freundschaft? Woraus ziehst Du Deine Hoffnung?"

  • Der Landsknecht seufzte. "Tomori sagt nichts zu unserer Freundschaft, sie traut ihr nicht mehr vollständig, weil sie nicht weiß, ob und wie böse ich ihr bin. Ich glaube aber, ihr mit allen meinen Gesten und Worten wieder mehr vertrauen in diese Freundschaft eingeflößt zu haben.
    Bei ihrem Abschied sagte sie, sie würde mich nie angreifen, außer sie müsse sich verteidigen. Sie sprach bei dem Grund, warum sie bei mir geblieben ist über all die Jahre verklausuliert von Liebe und Zuneigung, wie unter Freunden. Bei unserem erneuten Abschied beim letzten Fest der Drachen war sie gerührt und ebenso wankte sie gestern, ihre fröhliche Maske der absoluten Unbeschwertheit und der zur Schau gestellte Drang nach absoluter Freiheit bekamen Risse und es war deutlich zu spüren, daß sie sich nach Geborgenheit sehnte."
    Dies sagte er ruhig, fast unbeteiligt, dann aber loderte etwas in seinen Augen auf und seine Stimme gewann an Anteilnahme. "Und meine Hoffnung, Frau Alanis, gründe ich zum einen darauf, welche Fortschritte ich in den Jahren sehen konnte und zum anderen auf die Tatsache, daß sie sagte, Aegra habe sich verändert. Ich glaube nicht wirklich viel, aber zumindest soweit, daß Tomori sich mit ihr nicht mehr so uneingeschränkt wohl fühlt, wie früher. Der Dämon scheint entweder an Kraft verloren zu haben oder sein Opfer ist weniger zugänglich."

  • "Und wieviele Jahre willst Du jetzt noch warten, bis Tomori sich von ihrer Schwester losgesagt hat? Welcher Preis muss für diese Jahre gezahlt werden, den Du rechtfertigen kannst, vor allem und jedem - und vor allem vor Dir selbst? Wieviel mehr wert ist Tomori im Vergleich zu all den Menschen, die ihr begegnen werden - Menschen, die das vielleicht nicht überleben? Du hast sie am Gurkenpass nicht gefragt, ob sie wieder zum Vergnügen tötet, das hast Du mir erzählt. Warum hast Du sie nicht gefragt? Vielleicht, weil Du die Antwort nicht hören wolltest?"


    Alanis bemühte sich, nicht zu viel Gefühl in ihre Rede zu legen, doch ihr Gesicht hatte sich leicht gerötet und hinter ihren Schläfen pochte es. Sie spürte den verräterischen Geschmack von metallischer Flüssigkeit im Mund. Schon wieder Nasenbluten... . Sie stand auf, um zu ihrer Kiepe zu gehen und nach einem Taschentuch zu wühlen.


    "Und vor allem Anderen - wie lange hältst Du das alles noch aus? Und sag mir jetzt bitte nicht schon wieder, dass Deine Bedürfnisse nicht zählen. Das will ich nie wieder von Dir hören, denn damit trittst Du das Geschenk Deines Lebens mit Füßen!"


    In ihrer Stimme lag vor allem Anderen tiefe Besorgnis.

  • Thraxas zuckte unter Alanis' Worten, wie unter Schlägen zusammen, aber zuerst steigert sich nur seine Wut. Wer glaubte sie zu sein, so mit ihm reden zu können?
    Er hörte weiter zu.
    Soso, jetzt glaubte Ihro Gnaden auch noch, er verschließe die Augen vor der Wahrheit und wolle sich dem nicht stellen.
    Sein Atem ging heftiger.
    Und schon wieder eine Forderung, was erlaubte sie sich?


    Als Alanis geendet hatte wollten die Worte aus dem Landsknecht herausplatzen, aber er hielt sie zurück. Stattdessen gab er seiner Sorge um Alanis' Gesundheitszustand ausdruck, aber in seiner Stimme lag nur wenig Wärme. "Verzeiht, Euer Gnaden, wenn Euch meine Handlungen und Worte so sehr aufregen, ich möchte Euch nicht schädigen. Vielleicht sollten wir das Thema nach meiner Antwort deshalb abschließen."
    Thraxas nickte bekräftigend bevor er mit einer Ruhe weitersprach, die in starke´m Kontrast zu der Aufregung in seinem Inneren stand. "Eure Anschuldigung geht fehl, Euer Gnaden. Ich habe die Frage nicht gestellt, weil sie mir nicht eingefallen ist. Tomoris Auftauchen hat mich ebenso überrascht, wie alle anderen hier und es ist nicht leicht in der kurzen Zeit, die uns dann immer bleibt alles zu besprechen und immer die richtigen Fragen parat zu haben.
    Ich bin sehr an einer Antwort auf diese Frage interessiert, weil sie mir wahrscheinlich helfen würde, mich aus einem Dilemma zu befreien."
    Thraxas schluckte seine Wut herunter und fuhr kühl fort: "Welcher Sterbliche mag schon entscheiden, wessen Leben mehr wiegt als das des anderen und doch tun wir alle das Tag für Tag im Kriege oder im Lazarett."
    Der Landsknecht beugte sich leicht nach vorne und kniff seine Augen zusammen. "Und, Euer Gnaden, ich will überhaupt nicht mehr warten. Ich wollte nie warten, ich wollte immer, daß sie sich so schnell wie möglich lossagt, lossagt von allem, was früher war. Das sie ein neues Leben beginnt und das alte hinter sich läßt. Dafür habe ich Strapazen auf mich genommen, die ich mir vorher nicht zugetraut hätte, ich habe eine Lebensschuld eingefordert, um ihr etwas zu ermöglichen und ich habe mein Land, welches mir zustand und meine Ablöse dafür verwendet und trotztdem ist sie gegangen. Ich will nicht mehr warten, aber muß das heißen, daß ich sie umbringen muß?
    Muß das heißen, daß ich mich abwenden und ihr die Tür zuschlage?"
    Seine Stimme wurde zynisch. "Ich weiß nicht mehr, was richtig ist. Ich weiß nur noch, daß welche Entscheidung ich auch immer treffen werde, ich mich ein Leben lang fragen werde, ob es die Richtige war."

  • Alanis setzte sich wieder und hörte zu, ein Bein über das andere geschlagen, wie so oft die Ruhe selbst. Seine Launen prallten recht mühelos an ihr ab und nur das Taschentuch in ihrer kleinen, angespannten Hand erfuhr eine drastische Wandlung von sauber geplättetem Stoff zu einer Kugel voller Knitterfalten. Es war mehr als leicht zu erkennen, dass Thraxas sich ärgerte und dass sie ihn getroffen hatte. Und es tat ihr Leid, aber sie hatte wissen müssen, wie er über gewisse Dinge dachte und wie weit man ihn treiben konnte.


    "Wenn ich mich in einem Punkt irren sollte oder in meinem Urteil vorschnell war, dann tut es mir natürlich Leid und ich entschuldige mich dafür", sagte sie ganz am Ende gelassen und lächelte Thraxas freundlich an. "Und danke für Deine Besorgnis, aber ich glaube kaum, dass ein wenig Wut mich ernsthaft schädigen kann. Ich stimme allerdings mit Dir überein, dass wir das Thema für heute ruhen lassen sollten."


    Sie erhob sich als recht deutliches Zeichen, dass es für in Zeit war zu gehen.


    "Wann willst Du morgen aufbrechen?"

  • Als Alanis aufstand erhob sich der Landsknecht ebenfalls und antwortete: "Nach dem Ausschlafen und dem Frühstück, wenn Ihr keine besondere Eile habt."
    Dann stand er auch schon vor der Tür zur Kammer der Geweihten und hatte das deutlich Gefühl irgendetwas verpaßt zu haben.
    Was war das für ein Gespräch? Hatte Alanis ihn nur prüfen wollen? Was hatte sie damit bezweckt? Oder wollte sie, daß er seine Motivation selber prüfte?
    Thraxas wußte es nicht, aber Alanis hatte einen Prozeß in gang gesetzt und der Landsknecht würde wohl eine ganze Weile immer wieder die Frage wälzen, wie weit er in seiner Loyalität zu Tomori noch gehe wollte oder ob der Rote nicht doch recht hatte.
    Bei dem Gedanken daran, daß er Rote recht behalten könnte wurde dem Landsknecht ganz anders, er haßte dieses Wesen, dem er eine deutliche Mitschuld an Tomoris Entscheidung beimaß.


    Nach einer wenig erholsamen Nacht wankte er eine Stunde nach Sonnenaufgang in den Schankraum der Herberge.

  • Als Thraxas gegangen war, legte Alanis die warme Stirn gegen das kühle Holz der Tür und seufzte leise. Das war ja wirklich ganz großartig gelaufen. Sie war vermutlich als Meisterin eine totale Niete. Ob er am kommenden Tag überhaupt noch mit ihr reden würde? Sie hatte ihn schon ziemlich getriezt, aber etwas in ihr hatte ihr verraten, dass es notwendig war. Und wer wäre sie denn, ihren Eingebungen nicht mehr zu folgen, nachdem diese sie so eindrücklich hinter ihrem Schüler her zum Gurkenpass geschickt hatten… .


    Nachdem sie eine Weile so dagestanden hatte, fröstelte die Geweihte und beschloss, die Gedanken zu vertagen, denn sie würden ja doch nirgendwo hinführen. Es wäre nun wohl kaum zu ändern, wenn er wütend auf sie war. Sie schlüpfte in Nachthemd und Morgenmantel, löste ihre Haare aus den Zöpfen und machte sich dann daran, ihre trockene Kleidung nach und nach über die Bettdecke zu legen. So konnte sie wenig später, als das Nasenbluten vorbei war, unter mehrere sich schnell erwärmende Schichten aus Daunendecke und Stoff schlüpfen. Dennoch klapperten ihre Zähne leise vor sich hin, während sie versuchte, eine bequeme Schlafposition zu finden.


    Die vergangenen Tage waren anstrengend gewesen. Vor allem der Blick in Mirons Kopf und das Aufblitzen einer Präsenz, die sie frappierend an die Dinge, die sie erlitten hatte, erinnerten, hatte sich nachhaltig in ihr Gedächtnis eingebrannt und trugen einen großen Teil dazu bei, dass sie jetzt erschauerte. Diese klebrige, süßliche Note von Verführung und Verwandlung. Die Scham und die Schuldgefühle. Kein Wunder, dass einem bei so etwas der eigene Kopf ebenfalls kaputt ging.


    Sie hatte die Problematik um ihr durchlöchertes Sein – anders konnte man es wohl nicht bezeichnen – erfolgreich die Jahre über zurückdrängen können, da sie nicht viel gereist war und die Wunde, die sie langsam ausblutete, keine Probleme verursacht hatte. Nun hatte sich das allerdings innerhalb weniger Wochen komplett verändert und wenn sie ehrlich zu sich war, dann musste sie zugeben, dass ihr das ziemliche Angst machte. Sie musste unbedingt mit ihren Meistern sprechen. Shonas Plan zur Behebung des Problems war nicht übel, aber ziemlich gefährlich und entgegen aller bösen Zungen, die gerne das Gegenteil behaupteten, hing Alanis doch an ihrem Leben.


    Die Geweihte seufzte und verpasste ihrem Kissen als Stellvertreter all der Dinge, die sie ärgerten, einen strafenden Knuff. Aber vielleicht würde es auch wieder besser werden, wer wusste das schon. An sich gab es genug offene Baustellen, um die sie sich zuerst kümmern musste. Allen voran erst einmal ihr Schüler, dann sie selbst.


    Alanis rollte sich zu einer Kugel ein und schloss die Augen. Langsam wurde ihr warm, aber wirklich müde war sie nicht, da sich ihre Rückenschmerzen recht hartnäckig meldeten. Als dann auch noch ein nervtötender Gedanke in ihren Kopf schoss, war an Schlaf nicht mehr zu denken.


    Du hättest eine Rückenmassage haben können, er hat sie Dir angeboten.


    „Das meinte er sicher nicht ernst“, erklärte sie ihrer inneren Stimme entrüstet.


    Ich glaube er hat es Dir sogar zweimal angeboten. Ich schätze schon, dass er es ernst meint. Aber Dir ist es ja lieber, so etwas zu überhören, weil Du ein Problem damit hast, dass Dein Schüler ein Mann ist.


    „Das stimmt doch gar nicht“, gab Alanis zurück und seufzte dann resigniert. „Naja, vielleicht ein bisschen. Aber ich gewöhne mich schon dran. Er hat versprochen, dass er mir nichts tut und ich glaube ihm das sogar.“


    Und wo ist dann das Problem an einer Rückenmassage?


    „Es gibt kein Problem. Ich liebe Rückenmassagen.“


    Wieso hast Du sie dann nicht akzeptiert?


    „Weil!“


    Alanis, Du bist ein halsstarriges Weib.


    „Halt den Mund. Ich muss mich nicht von einer Fieberphantasie belehren lassen.“


    So ging es noch einige Minuten hin und her, bis Alanis schließlich die Hände um das metallene Amulett schloss, das zu jeder Zeit, ob Nacht oder Tag, beruhigend warm und bedeutungsvoll um ihren Hals hing.


    „Erde, Deine tiefe Schwere bitte ich herbei. Beruhige meinen Körper und meinen Geist, schenke mir Standfestigkeit, stärke und beschütze mich und die meinen auf unseren Wegen und in dieser Nacht… .“


    Wenig später war sie dann tatsächlich eingeschlafen und sie wachte erst am nächsten Morgen kurz vor Sonnenaufgang zu ihrer üblichen Zeit wieder auf. Sie hatte tief und fest geschlafen und das Fieber war beinahe fort, wie sie zufrieden feststellte. Die Erschöpfung jedoch war geblieben, ein tiefsitzendes, nagendes Gefühl, das sich nicht zur Seite schieben ließ. Nach einer Katzenwäsche zog sie sich an und ging hinunter in die Schankstube. Dort war sie der erste Gast, aber der Wirt war bereits auf den Beinen und hatte Feuer im Kamin gemacht. Dankbar lehnte die Geweihte den Rücken gegen die warme Wand des Kamins, trank Tee, sah aus dem Fenster hinaus in den morgenblauen, schneeumflorten Tag und wartete.


    Als ihr Schüler einige Zeit später in den Schankraum kam, meldete sich dann doch ihr schlechtes Gewissen, weil er so übernächtigt aussah. Mit einem reuevollen Gesicht goss Alanis ihre Tasse Tee noch einmal voll und schob sie ihm entgegen.


    „Guten Morgen. Es schneit ganz schön heute Morgen.. .“ Ja, ein Gespräch über das Wetter war sicherlich ein guter Einstieg in alles, was da noch kommen konnte.... .

  • Thraxas lächelte Alanis gequält an und mit einem kaum verständlichen "Morgen, Euer Gnaden!" steuerte er zielsicher am Tisch vorbei zur Tür und hinaus. Dort schlug er die dünne Eissicht über der Pferdetränke entzwei und tauchte seinen Kopf ins das Wasser, um ihn dann nach einigen Augenblicken wieder herauszureißen. Kurz verharrte er, so also ob er in sich hinein höre, dann tauchte er seinen Kopf erneut ein und riss ihn Augenblicken später ebenfalls wieder hoch, um seine Haare dann mit einem Tuch schnell etwas zu trocknen und in die Gaststube zurück zu kehren.


    Ohne Umschweife setzte er sich an den Tisch und fragte aufgeräumt: "Verzeihung, Euer Gnaden, was sagtet ihr?"

  • Alanis sah Thraxas verwirrt hinterher und bestellte in der Zwischenzeit schon einmal Kaffee für ihn beim Wirt, der auch prompt geliefert wurde. Ob Thraxas wieder herummoserte, dass der Kaffee kalt war, wenn er zurück kam, so wie beim Eintopf vor einigen Tagen? Als der Landsknecht mit frischer Gesichtsfarbe zurück kehrte und Alanis die Wasserspuren auf seinem Kragen erblickte, musste sie wider Willen lächeln, weil sie ahnte, was er gemacht hatte. In der Kälte herumzustehen schien Thraxas ja erfahrungsgemäß nicht viel auszumachen....oder er konnte es sehr gut verstecken.


    "Ich hoffe es ist jetzt ein bisschen besser?", erkundigte sie sich sanft. "Was ich sagen wollte - es schneit jetzt seit Morgengrauen durch. Können wir noch einen Tag hierbleiben?", fragte sie recht offen und blickte ihren Schüler fragend an. "Oder sollten wir sehen, dass wir noch zumindest einen Tagesritt weiter kommen, damit wir nicht doch hier einschneien? Ich kann das schwer einschätzen."


    Tatsächlich war das Wetter ziemlich schlecht. Der Wirt hinter der Theke, der ihre Frage mitbekommen hat, wiegte skeptisch den Kopf von der einen Seite auf die andere.

  • Thraxas setzte sich an den Tisch. "Wir können gerne noch einen Tag bleiben oder auch eine Woche, sollte es notwendig sein." antwortete er auf Alanis' Frage. "Für meine Unterweisung werden wir hier sicher auch Zeit finden." vermutete er dann noch. Danach bestellte er bei Wirt Brot, Käse, Wurst und Honig.

  • Alanis sah ehrlich erleichtert aus. Noch ein Tag in der Kälte auf Bergfuß Rücken würde vermutlich aus ihrer Hüfte und ihrem Rücken Stein machen...schmerzenden Stein. Sie grübelte darüber nach, wie sie Thraxas etwas fragen sollte, was sie als unangenehm empfand, doch sie verschob es zu Gunsten des Frühstücks nach hinten - vielleicht irgendwann am Abend. Oder am nächsten Morgen. Oder - egal.


    Nachdem sie eine Kleinigkeit gegessen und noch mehr Tee getrunken hatte, um wacher zu werden, schob sie ihren Teller ein wenig zurück und lehnte die Unterarme auf die Tischplatte.


    "Wir können gerne mit Deinen Unterweisungen weiter machen. Mir haben sich in den letzten Tagen jedoch noch einige Fragen aufgedrängt, die ich vorab mit Dir besprechen wollte, was leider nicht so funktioniert hat, wie ich es wollte. Es hat es sich gezeigt, dass man nie genug Zeit hat, sich um alles zu kümmern - falls ich unaufmerksam Dir gegenüber war, tut es mir Leid.“ Man merkte ihr an, dass es sie ein klein wenig wurmte, gewisse Dinge nicht sofort angesprochen zu haben, aber die Ereignisse um Miron, um Andras Gefährtin und einige sehr persönliche Dinge hatten erstaunlich viel Zeit gekostet. „Die Erste lautet, was Dein erschreckendes Verhalten Serena gegenüber ausgelöst hat und ob das öfters geschehen ist und noch wird. Hast Du Dich schon einmal damit beschäftigt?“


    Ihr Blick war aufmerksam, aber freundlich und bar jeden Vorwurfs.

  • "Mein erschreckendes Verhalten gegenüber, Serana." echote der Landsknecht. "Nunja, ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, warum es in diesem Moment so deutlich nach außen trat. Vielleicht einfach nur, wegen Soris Farben in meinem Blickfeld und der Tatsache, daß man den Gänseflügel so herrlich zerfetzen konnte. Wahrscheinlich auch wegen der Anspannung in den Tagen vorher, weil ich glaubte, die heile Welt der Wolkoven wäre bedroht, was sie ja dann auch war." Thraxas seufzte. "Ich weiß es nicht, aber anscheinend scheint mein Hass auf die Spiralelbe so groß zu sein, daß ich sowohl von ihrem Tod träumte, als auch im Wachzustand davon phantasiere ihr den Tod zu bringen." Dann schüttelte er den Kopf. "Und nein, es ist nicht öfter aufgetreten und die Wahrscheinlichkeit, daß es in dieser Form nochmals auftritt ist gering. Haelga hat mir deswegen auch schon den Kopf gewaschen und da ich jetzt darüber nachdenken konnte, bin ich mir sicher, daß ich Nuquerna nicht auf eine grausame Art töten werde, sondern einfach im Kampf, wenn sie sich der Festnahme widersetzt."

  • Nuquerna. Alanis versuchte wieder einmal, Name und Gesicht zusammenzufügen und erinnerte sich an ein hübsches, feingliedriges Wesen in Rot und Blau auf dem Schlachtfeld. Eine dem Chaos anheim gefallene Elfe, deren Magie Thraxas für Tomoris Verhalten mit verantwortlich machte. Neben dem Dämon. Wie viele Leute gab es eigentlich noch, die in Thraxas Augen an Tomoris Verhalten Schuld haben mochten?


    "Das ist schön zu erfahren", sagte Alanis und konnte sich einen Hauch von Ironie nicht verkneifen, hinter dem jedoch ein tiefer Ernst lag, der in ihren Augen zu sehen war. "Ich finde es immer gut, wenn sich die Menschen in meinem Umfeld nicht wie die irrgeleiteten Kreaturen verhalten, vor denen wir eigentlich unsere Mitmenschen schützen müssten."