Novigrader Gassen

  • Rieke warf Vladim zwischen den gläsernen Versuchsapparaturen einen zutiefst amüsierten Blick zu.


    "Wenn Du wirklich denkst, dass ich eine verrückte Giftmörderin bin, dann hättest Du es gar nicht soweit kommen lassen sollen." Sie goss etwas Blut in eine kleine Phiole, schwankte es und besah sich das Ergebnis im Licht der Talglampe. Dann seufzte sie götterergeben und fischte eine Brille mit Holzgestell aus ihrer Tasche und schob sie sich auf die Nase. "Aber bei allem, was man über Hexer hört, scheint Deinesgleichen vor solchen Bekanntschaften eh nicht zurückzuschrecken."


    Sie beträufelte ein Stück Papier mit einer Flüssigkeit und tropfte Blut darauf.


    "Was nicht heißt, dass ich meinen Ehemann vergiftet habe", setzte sie dann hinzu, die Brauen über dem Rand der Brille gerunzelt. "Aber man sollte nicht in der Vergangenheit leben, finde ich."


    Was ein eindeutiges Zeichen war, dass das Thema ihrer Ehe damit beendet war.

  • Das Schmunzeln des Hexers war mehr als sichtbar, als Rieke über Bekanntschaften mit Giftmördern sprach.

    "Da magst du Recht haben." ergänzte er einfach den Satz der Alchemistin.

    "Dennoch musst du verstehen, dass ich jede Menge Vertrauen in dich setze, was deutlich macht, dass ich echt tief in der Scheiße sitze. Aber ebenso wissen will, worauf ich mich bei dir einlasse."

    Dann setzte Vladim sich mit lautem Kettenrasseln wieder auf.

    "Also nimm mir nicht übel, dass ich so unverblümt frage. Was du natürlich ebenso tun darfst. Mit dem Teilen meiner Rezepte gehe ich sowieso ein unglaubliches Risiko ein, denn diese Dinger können richtige Scheiße auf der Strasse anrichten, wenn sie dort landen."

  • "Sieh es so, Vladim", erklärte Rieke freundlich, wenngleich etwas kühl. "Ich hätte Dich in Pieters Laden in Deinem Blut liegenlassen können. Tote Männer überall. Meinst Du das hätte der Wache gefallen?" Sie gab dem Blut noch etwas Pulver hinzu, rührte mit einem Stab um und tropfte dann noch etwas auf das Papier, um die beiden roten Flecken aufmerksam zu vergleichen. "Das sollte Dir Vertrauensbeweis genug sein, wie ich finde."


    Die Alchemistin blickte von ihrem Tun auf und maß den Hexer mit einem langen Blick.


    "Dies ist eine Geschäftsbeziehung. Wenn Du Zweifel hast, gebe ich Dir genug Fisstech, um Dir das Hirn zu zerbröseln und sende Dich Deiner Wege. Bis dahin sind Deine privaten Angelegenheiten die Deinen und meine die meinen." Nun zuckte ihr Mundwinkel doch wieder hoch, wohl, um ihren Worten die Schärfe zu nehmen. "Es sei denn Du möchtest mir berichten, ob es der Wahrheit entspricht, dass Hexer wahnsinnig ausdauernde Liebhaber sind."


    So, wie sie es sagte, war leicht zu verstehen, dass sie nicht unbedingt gedachte, das persönlich herausfinden zu wollen.

  • Vladim hob die Hände und rasselte wieder mit den Ketten, seine Stirn war kraus gezogen, als er ein wenig ruppiger und angefressen antwortete.

    "Ja, eine Geschäftsbeziehung...was sonst? Und ob Hexer ausdauernde Liebhaber sind, geht dich nen Scheiß an."

    Dann normalisierte sich wieder das Gesicht des Hexers ein wenig.
    "Ich glaube, ich könnte jetzt etwas zur Beruhigung gebrauchen können, wenn keine Umstände macht."

  • Rieke warf einen Blick auf die Sanduhr und tippte mit dem Stift an das Glas. Dann notierte sie etwas, in aller Seelenruhe. Ihre Stimme sprqch rein von wissenschaftlichem Interesse, als sie zurückgab:


    "Ja, ich glaube auch, dass Du etwas bräuchtest. Fünf Minuten noch. Dann haben wir die Stunde voll. Beschimpf mich ruhig, wenn es Dir hilft, die Zeit zu überbrücken."


    Sie nahm das Kästchen mit dem Fisstech und wog sorgfältig ab, wieviel sie ihm geben wollte.


    "Was machen die Symptome? Herzschlag? Übelkeit? Schwindel? Verzeih mir, dass ich das nicht selbst überprüfe, einmal vom Dir durch die Gegend gezerrt zu werden war wirklich genug."

  • "Fick dich!" der Ausbruch des Hexers war heftig und unerwartet, als er ziemlich schnell auf die Beine kam und an den Ketten zerrte, so dass selbst Rieke klar war, was wäre, wenn er frei wäre.

    "Gib mir das verdammte Fisstech! Jetzt!!"" Dann riß Vladim wieder an den Ketten, dass es nur so schepperte. Für Rieke war klar ersichtlich, dass der Herzschlag ziemlich erhöht worden war. Der Rest ging im Gereiße und Gezerre der Dimeritiumketten unter.

  • Die Alchemistin machte sich erneut eine Notiz, dann stand sie langsam auf und ging ein Stück von ihrem Arbeitstisch weg - falls die Kette nicht hielt, würde Vladim zumindest nicht ihre kostbare Ausstattung zerschlagen, wenn er hinter ihr hersetzte.


    Die Körnchen in der Sanduhr fielen langsam, aber stetig. Als die Zeit um war, gab Rieke das Fisstech in eine Schale und trat näher zu Vladim, sorgsam darauf achten, aus seiner Reicheweite zu bleiben.


    Die letzten Zentimeter schob sie die Schale mit einem Schüreisen, bevor sie zu ihrem Platz zurückkehrte und sich erneut in Beobachtungshaltung begab.

  • Der Hexer war inzwischen fuchsteufelswild und riß und zerrte an der Kette, dass dies fast schon ein durchgängiges Geräusch war. Vladims Gesicht war rot und wutverzerrt und Schaum stand ihm am Mund. Hätte sie nicht die Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, dann hätte er sie wohl getötet und ausgeweidet, da war sich Rieke fast sicher.

    Als die Schale in seine Reichweite kam, nutzte er seine Beine, um die Porzellanschale zu sich zu bringen. Mit zitternden Händen nahm er sie auf und nahm mit der Nase einen tiefen Zug, wobei sein Gesicht fast vollständig mit dem Fisstech überzogen wurde.
    Sofort nach der Einnahme änderte sich seine Körperspannung und Vladim erschlaffte förmlich in der Kette. Es dauerte gut fünf Augenblicke, bis sein Blick sich wieder klärte und er wieder ansprechbar erschien.

  • In dieser Zeit hatte Rieke die Sanduhr wieder umgedreht und sich weitere Notizen gemacht. Der Blick über den Brillenrand war kühl und kalkulierend, jedes Detail aufnehmend.


    "So", erklärte sie irgendwann fest. "Noch einmal eine Stunde, dann versuchen wir es mit dem Derivat. Wir werden sehen, ob seine Wirkung länger anhält und früher einsetzt und welche Nebenwirkungen sich ergeben."


    Dann entspannten sich ihre angespannten Schultern ein wenig.


    "Möchtest Du essen oder trinken? Aber zu allererst möchte ich die Versicherung, dass Du mir nichts tust, wenn ich Dich dafür losmache."

  • Der Hexer brummte etwas und es schien zu dauern, bis er eine Antwort gab, weil er immer noch fast teilnahmslos auf dem Boden saß.


    "Was zu trinken wäre toll. Lass mich einfach angekettet, wer weiß, was passieren kann." sagte er mit einem Kopfschütteln, dass eher so wirkte, als wenn er Spinnweben in seinem Kopf loswerden müsste.

    "Gut, dass du die Fesseln besorgt hast. Woher hast du die eigentlich?" Damit setzte er sich in den Schneidersitz und nahm das Trinken von Rieke entgegen.

  • Es war mit Wasser verdünnter Würzwein, den sie ihm reichte.


    "Zugegeben, eine nützliche, aber auch kostspielige Anschaffung." Rieke blickte auf die Demeritiumfesseln hinunter und seufzte. "Ich habe alte Verbindungen spielen lassen. Und ein wenig Fisstech in den Umlauf gebracht, um meine Neuanschaffungen zu bezahlen. Das Meiste hier habe ich allerdings Jonna zu verdanken." Ihr Blick wurde warm, als sie von der Köchin sprach. Da sie sonst nicht viele Emotionen zeigt, war das ein klarer Hinweis, wieviel die alte Dame ihr bedeutete. "Sie kennt eine Menge Leute, die wiederum jemanden kennen. Daher hat sie ein paar Gefallen eingefordert."


    Sie trat wieder an den Arbeitstisch und blickte auf das Papier mit Vladims Blut darauf.


    "Interessant", murmelte sie leise und wiegte den Kopf hin und her. "Naja, die Ergebnisse werden noch eine Weile auf sich warten lassen. Ich schlage wirklich vor, dass Du ein bisschen die Augen zumachst."

  • Zuerst roch Vladim an dem Trinkgefäß, dann nahm er vorsichtige Schlucke vom verdünnten Gewürzwein. Als klar war, was es war, stürtzte er die Flüssigkeit ohne Vorbehalte hinunter. Mit einem Ärmel wischte er sich die Reste vom Mund und stellte das Trinkgefäß so ab, dass Rieke es nachfüllen konnte.

    "Ich habe im Haus deiner Tante schon gemerkt, dass Jonna mehr Einfluß hat, als eine alte Köchin normalerweise hat. Und sie scheint sich deutlich mehr um dich zu kümmern, als es deine Tante tut. Magst du mir vielleicht davon erzählen?" Damit legte er sich wieder nieder und rasselte mit den Ketten.

  • "Vladim, als ob ich Dich vergiften würde", tadelte Rieke mit einem Lächeln. "Noch hast Du nichts getan, das mich dazu bringen würde - außerdem habe ich Zweifel, daß ich ein Gift finden könnte, das Du nicht bemerkst und das Dich schnell genug tötet, um zu verhindern, dass Du mir vorher noch den Hals umdrehst."


    Sie füllte ihm nach und lehnte sich an den Arbeitstisch.


    "Jonna gehörte das Bordell. Sie hat es an meine Tante verkauft, in der Hoffnung, dass sie es schaffen würde, gut zu wirtschaften und zu verhindern, dass irgendein Kerl das Haus und die Mädchen in die Finger bekommt. Tja - der Suff hat beiden einen Strich durch die Rechnung gemacht. Jonna blieb, um zumindest noch ein wenig Kontrolle über das zu haben, was sie mal aufgebaut hatte. Sie hat mir auch meine Flucht zu Pieter ermöglicht, als es damals für mich brenzlig wurde."

  • Dankend nahm Vladim das Becher erneut an und trank es in einem Zug leer. Ein Kopfnicken war seine Antwort auf ihre Worte.


    "Verstehe. Und nun ist sowohl Jonna, als auch deine Tante in einem Haus gefangen, wovon beide sich erhofft haben, dass sie es alleine schaffen könnten. Traurig."

    Er blickte hinunter in den Zinnbecher und drehte ihn in seiner Hand.

    "Dir ist sicherlich bewusst, dass Wein unter Zugabe von bestimmten Substanzen das Blei in dem Zinnbecher herauslösen kann, oder? Ich meine es wird mich niemals umbringen, aber einfache Menschen wird unglaublich schlecht werden, bis zur Bewusstseinstörung."

    Dann schloß er die Augen und lehnte sich wieder mit den Fesseln rasselnd an die Wand.

  • "Du bist ein scheußlich Klugscheißer", gab Rieke gelassen zurück. "Als ob ich aus Bechern trinken würde, die nicht aus Zinn mit Silberanteil sind. Ich habe meine Standards. Aber wenn Du möchtest, kaufe ich Dir einen billigen Becher und Du kannst jemand belehren, der leicht zu beeindrucken ist."


    Heraufordernd zog sie eine Augenbraue hoch.


    "Also, willst Du noch ein bisschen Konversation machen?"

  • Der Löwe nickte mit geschlossenen Augen, wobei es eher so aussah, als wenn er gleich einschlafen würde.

    "Gerne." antwortete er.
    "Und wenn es etwas gibt, dass ich bin, dann ein schrecklicher Klugscheißer." Dann lächelte er immer noch mit geschlossenen Augen.

    "Du aber genauso. Bist du eigentlich noch woanders hingekommen, außer Novigrad und dessen Umfeld?" fragte er Rieke aus.

  • "Ich habe mit meinem Mann in Oxenfurt gelebt. Er hat an der Universität gearbeitet und wir sind oft gereist. Es war kein schlechtes Leben", erzählte Rieke und wandte sich wieder ihrem Versuchsaufbau zu. "Der Alltag zwischen schrecklich klugen Leuten macht einen ganz von selbst zum Besserwisser."


    Glas klirrte, als sie ihre Zutaten durchstöberte.


    "Also, Ertrunkenenhirn brauche ich, das hatte ich Dir bereits gesagt. Ich hatte etwas, weil die Dinger immer noch durch die Abwasserkanäle spuken und man auch als Mensch einigermaßen mit Fallenstellen dran kommt. Ghulblut wäre auch gut, um Vitriol zu gewinnen."

  • Der Hexer hörte mit geschlossenen Augen der Gelehrten weiter zu. Als sie über ihren Mann und Oxenfurt erzählte, brummte er nur. Bei dem Hinweis auf bestimmte Zutaten, öffnete er die Augen und rasselte mit den Ketten.

    “Was soll ich sagen? Da sind mir im Augenblick sprichwörtlich die Hände gebunden…“ dabei grinste er Rieke fies an. Dann wurde er wieder ernst.

    “Ich kümmere mich drum, wenn das hier durch ist.“


    „Klingt so, als wenn du eine gute Zeit mit deinem Mann verbringen konntest - zumindest für eine kurze Zeit.“ Dabei gingen die Gedanken des Hexers zurück nach Siofra und den dortigen Erlebnissen mit Malva und Lado. Seufzend schüttelte er den Kopf und schloss wieder die Augen.

  • "Was soll das Kopfschütteln?", erkundigte sich Rieke neugierig. "Bezog sich das auf die Ehe an sich? Heiraten Hexer nicht?"


    Sie füllte ihm Wein nach und benutzte dann eine Pipette, um etwas von dem Blut in eine flache Glasschale zu geben. Es folgten einige Tropfen einer leuchtend gelben Flüssigkeit. Es stank, aber der Geruch war aushaltbar und verflog beinahe sofort.


    "Dein Blut ist interessant", murmelte sie dann. "Als würde ein kleiner Kampf in jedem Tropfen stattfinden."

  • Die Augen blieben geschlossen, als Vladim der Gelehrten antwortete.


    "Meist ist es müssig zu heiraten, weil ein Hexer viel umher zieht. Und der menschlichen Gegenpart meist nicht so alt wird, wie wir."

    Wieder schüttelte er lächelnd den Kopf.

    "Nein, auf Siofra gibt es einen anderen Hexer - Vipernschule. Dieser Hexer hat seine Angebeteten einen Antrag gemacht - und sie hat ja gesagt." Das reumütige Lächeln verließ Vladims Gesicht nicht, während er träumerisch weitererzählte.


    "Ich hatte einst auch solch eine Beziehung, von der ich dachte, dass sie ewig halten würde. Länger als ein Menschenleben. Wie falsch ich da lag. Wir wären keine richtige Familie gewesen - sie und ich."

    Rieke konnte sehen, dass die letzten Worte, auch wenn sie fast nebensächlich geäußert wurden, dem Hexer nahe gingen, denn eine Traurigkeit breitete sich auf dessen vernarbten Gesicht aus.