Der Tempel der fünf Gottheiten (2)

  • "Auf unserer Heimatinsel versuchen die Menschen der fünf Provinzen, den Krieg zu vergessen und gemeinsam an einer neuen Zukunft zu arbeiten" , erklärt Johanna. "Aber nicht wenige haben beschlossen, hier in die Festlandspräfektur zu kommen und ganz von vorne anzufangen. Zuhause sind die anderen Provinzen teilweise weit entfernt, hier jedoch kann es sein, dass ein Tempturier neben einem Lorenier oder einem Hrayländer lebt. Sie müssen hier mit ihren Vorurteilen und ihrer Wut ganz anders umgehen lernen. Ich halte das für - gut." Ein unmerkliches Zögern ist in Johannas Stimme zu hören.

  • "Aha..."


    Dunja mustert die Priesterin nachdenklich, dann bemerkt sie leise,


    "Aber nicht allen Magoniern ist es vergönnt hier her zu kommen, was bedeutet, dass sie sich daheim ebenso mit den Folgen des Krieges und der Gestaltung ihrer Zukunft auseinandersetzen müssen..."


    Sie überlegt einen Augenblick und fragt Johanna dann,


    "War es ein Bürgerkrieg?"

  • Johanna verschränkt die Finger ineinander und nickt.


    "Ja, es war ein Bürgerkrieg, der sich vor vielen hundert Jahren entzündete und die fünf Provinzen in's Unglück stürzte und heute noch viel Hass und Schmerz in den Herzen zurückgelassen hat - und es wahrscheinlich noch vielen Jahre tun wird. Und nein, nicht jeder kann hierher kommen, das ist richtig. Jeder muss seinen eigenen Weg finden, mit dem Krieg und seinen Folgen umzugehen." Sie seufzt leise.

  • So ganz scheint Dunja die Notwendigkeit der neuen Siedlung nicht nachvollziehen zu können, doch da sie so gut wie nichts über die Hintergründe der ganzen Sache weiß, nimmt sie das Gesagte mit einem leichten Nicken vorerst hin und stimmt Johanna zu ihrer letzten Aussage mit traurigem Lächeln zu,


    "Da habt Ihr wohl Recht! Und nur weil ein Krieg endlich zu Ende ist, bedeutet das nicht, dass von jetzt auf gleich wieder alles beim Alten ist und eitel Sonnenschein herrscht...!"


    Ihre eigenen Erfahrungen hinsichtlich dieser Abläufe spiegeln sich recht deutlich auf ihren Zügen wieder, während sie interessiert fragt,


    "Aber ist es nicht so, dass gerade die Diener der Laya in diesen Zeiten prädestiniert sind den Menschen wieder neue Hoffnung zu bringen? Sie daran zu erinnern, dass sie leben... dass es Dinge gibt, für die es sich zu leben lohnt..."


    Sie blickt Johanna aufmerksam an...

  • Johanna wiegt leicht den Kopf hin und her.


    "Es war sicherlich die Aufgabe jedes Priesters, die Menschen gewahr zu machen, dass es über ihrem persönlich Schicksal immer den Willen der Götter gab, so unergründlich er für den Einzelnen auch gewesen sein mag." Sie macht eine kleine Pause und blickt Dunja durchdringend an, so als würde sie versuchen, der anderen Frau deren Erfahrung von den Augen abzulesen. "Die Laya-Kirche hat sich der Kinder angenommen, zum einen, weil sie die schwächsten und beschützenswertesten Wesen von allen sind. Und weil man wahre Freude und wahres Verständnis meist nur noch in kindlichen Seelen finden kann. - Was nicht heißen soll, dass wir Erwachsene, die Hilfe gesucht haben, abgewiesen hätten. Unsere Krankenstation und die Räume der Kinder waren immer voll."

  • Ein stilles Lächeln umspielt Dunjas Lippen. Zwar ist die Erinnerung an den Willen der Götter nicht gerade das gewesen, was ihr vorgeschwebt hat, doch sie kann die Priesterin gut verstehen und so bemerkt sie, immer noch lächelnd,


    "Ja... ich glaube, dass auch gerade die Kinder am ehesten der Fürsorge bedürfen. In Thyngary gab es damals eine Stiftung, die sich besonders um die Belange der Witwen & Waisenkinder gekümmert hat. Findelhäuser wurden gebaut, Renten eingerichtet und bisweilen auch der Versuch unternommen, verschiedene "Familienreste" zusammenzuführen, um so allen Beteiligten zu helfen."


    In ihren Augen liegen gute & schlechte Erinnerungen an jene Zeit eng beieinander,


    "Ich kann mich an eine ganze Reihe Ehen erinnern, die in jener Zeit geschlossen wurden... Witwer mit kleinen Kindern, die Witwen ebenfalls mit Kindern heirateten. Wir haben damals diese Fälle mit gewissen Hilfen bedacht und aus nicht wenigen haben sich zufriedenstellende Arangements entwickelt. Oder andere Familien, die Kinder verloren hatten und nun die ein oder andere Waise aufnahmen..."

  • "Wir bemühten uns auch, dass Kinder neue Eltern fanden oder die unversorgten Frauen die wenigen Männer, die der Krieg übrig ließ. Indes, es waren wohl zu wenige."


    Johanna denkt zurück an diesen Zeit und kann eigentlich nicht Recht glauben, dass seitdem schon so viele Jahre vergangen sind.


    "Thyngary? Wo liegt das, wenn ich fragen darf?" Johannas graue Augen blicken neugierig. Der Abend im 'Zaunkönig' mit den vielen Gästen aus anderen Ländern hat ihre Gedanken beflügelt.

  • Enril saß neben den beiden, hörte zu und hing zum Teil auch ihren eigenen Gedanken nach...

    Tasogare Sasori Ito Sonea


    Träumer des Traumes
    Mahou Tsukatai und Botschafterin des San-ji zu Sekai
    Bewahrerin der Universität der 5 Wege zu Mitrasperas

  • "Thyngary... weit, weit weg von hier... noch weit jenseits der Mittellande!"


    Ein wehmütiges Lächeln huscht über Dunjas Züge,


    "Manchmal kommen mir Zweifel, ob es überhaupt in den hiesigen Gefilden liegt."


    Sie beobachtet aufmerksam Johannas Reaktion auf ihre Erklärung,


    "Um dort hin zu gelangen muss man einige Male die Nebel durchqueren... Thyngary liegt im Osten des Kaiserreiches, welches wiederum im Westen des Kontinentes Adalonde liegt!"


    Kurz scheint sie ihre weiteren Worte abzuwägen, dann fügt sie noch hinzu,


    "Im Osten grenzt meine Heimat an die, von den dunklen Horden eroberten Lande, was immer wieder zu Konflikten in den Grenzregionen führt. Bis vor einigen Jahren tobte der Krieg in Thyngary selbst, das fast komplett von den Schergen Toroshs überrannt war..."


    Sie schweigt einen Augenblick, von Erinnerungen überwältigt,


    "Schließlich gelang es einem entschlossenen Mann die verbliebenen Kräfte des Landes zu mobilisieren und ein geeintes kaiserreichisches Heer auf die Beine zu stellen... mit dem er den Krieg zu beenden vermochte!"


    Ein bemühtes Lächeln auf ihren Lippen, zuckt Dunja mit den Schultern,


    "Danach ging es dann darum wieder aufzuräumen... aufzubauen und die Schäden, die der Krieg angerichtet hatte zu beseitigen..."

  • Johanna nickt leicht, als sie die Geschichte hört.


    "Auch bei uns war es ein einzelner Mann, der mit seinen Taten den Krieg beendete - eine Geschichte, die einerseits Hoffnung macht, weil sie einem zeigt, dass es wirklich nur einer Person und ihres Mutes bedarf, um große Veränderungen zu bewirken, die aber gleichzeitig auch nachdenklich stimmt, weil man sich fragt, warum es so einen Mann nicht schon lange vor ihm gab."


    Sie räuspert ihre Stimme frei, die ein wenig belegt geklungen hat.


    "Ich sehe also, dass Ihr das magonische Volk in seinem Streben nach Wiederaufbau und Frieden verstehen könnt. Umso schöner ist es natürlich, dass Ihr Euch der Herrin Laya so nahe fühlt, obwohl Euch der Krieg in Euren Landen sicherlich den ein oder anderen Stein auf die Seele gelegt hat."

  • "Nun... möglicherweise ist es nicht alleine diesem Einzelnen zu verdanken, sondern vielmehr einem Zusammenspiel verschiedenster Faktoren. Wo andere vielleicht genau das gleiche taten... den selben Mut, das selbe Können & Wollen besaßen... nur nicht zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, um damit erfolgreich zu sein."


    Dunja zuckt mit den Schultern,


    "Mir war es vergönnt, diesen Mann kennenzulernen..."


    Ein feines, stilles Lächeln liegt in ihren Augen,


    "Und ich weiß, dass er kein Held war... kein geborener Führer, zu dem man aufblickt! Sondern vielmehr jemand, der es schaffte, jeden, mit dem er sprach, glauben zu lassen, dass das, was jeder Einzelne zu tun in der Lage ist, wichtig sei für das Ganze... für den Traum von einem befreiten Thyngary!"


    In ihrer Stimme scheint eine besondere Wärme, aber auch ein tiefer Kummer zu liegen, dann schüttelt sie kurz den Kopf, verscheucht alle trüben Gedanken und schaut Johanna dann wieder lächelnd an,


    "Vielleicht ist das gerade der Grund dafür... wer den Krieg gesehen und erlebt hat und trotzdem nicht nach Frieden und in diesem nach der Freude eines jeden neuen Tages strebt... ist in meinen Augen ein Narr!"

  • "Ich habe die Hoffnung, dass die Tempestarii - die Fürsten, die unseren Provinzen vorstehen - so weise sind, wie sie beim Friedensschluss waren."


    Sie blickt Dunja interessiert an.


    "Welche - Staatsform herrscht in Eurer Heimat, wenn ich fragen darf?"

  • "Eine Monarchie... Thyngary ist ein Königreich!"


    Ein äußerst ironischer Unterton liegt in diesen wenigen Worten,


    "Das Land wird mittlerweile von einem König regiert, dem zwei Fürsten als Hauptberater und die Herzöge & Grafen der verschiedenen Provinzen als Kronrat zur Seite stehen. Während des Krieges war Thyngary eine Zeitlang ohne legitimen Herrscher, da der alte König & seine bekannten Erben im Kampf gefallen waren... damals bestellte die Kaiserin jenen Mann, der später das Land von den Besatzern befreite & ihm den Frieden zurück gab als Erzherzog... er dankte ab als der neue König gekrönt wurde."


    Ihr scheinen diese Geschehnisse noch gut in Erinnerung zu sein, denn eine ganze Reihe widersprüchlicher Gefühle wechseln sich auf ihren Zügen ab.


    "Ich hörte, dass es in Renascân keine Adelsstrukturen gäbe... wie ist es in Eurer Heimat?"


    Es ist nur zu offensichtlich, dass es Dunja leichter fällt über die Siedlung oder Magonien zu sprechen als über ihre Heimat & die damit verbundene Vergangenheit...

  • Bevor diese noch antworten kann, ist Dunja schon herausgerutscht,


    "Das klingt aber doch auch sehr nach hierarchischen Strukturen, wenn auch die Namen andere sind..."


    verlegen errötet sie leicht,


    "Verzeiht, ich wollte Eurer Antwort nicht vorgreifen."


    Entschuldigend schaut sie zu Enril hinüber, richtet ihre nächste Frage dann allerdings wieder an Johanna,


    "Warum habt Ihr Eure Heimat verlassen und seid hier her gekommen?"

  • "Ja und nein..." lächelte die Priesterin. "Meiner Auffassung nach ist es hier nicht viel anders als in der Heimat. Doch auch dazu gibt es eine Geschichte, lasst mich also etwas weiter ausholen...


    Die besonderen Umstände der Gründung von Renascan haben auch besondere politische Gegebenheiten zur Folge. Aus Tradition, religiösen und politischen Gründen war man nicht gewillt, der Kolonie den Status einer Provinz zuzubilligen - denn man wollte die uns heilige Zahl 5 erhalten. Insofern einigte man sich darauf, Renascân zu einer vereinigt-magonischen Festlandspräfektur zu machen, die direkt dem Rat der 5 Tempestarii unterstellt ist. Als einzige magonische Präfektur wird Renascân von einem Triumvirat geleitet. Die erste eingesetzte Obrigenkeit bestand aus dem Präfekten Negratin von Horsgenstein aus Taurien sowie den beiden Procuratoren Emerald di Lorenzo aus Tempturien und Deifontes de Bosque aus Lorenien. Auch hier sollten damit ehemals Verfeindete an einem Strang ziehen. Alle drei Führungspersonen besitzen die gleichen Befugnisse, allerdings wurde sich auf eine gewisse Aufgabenteilung geeinigt. Zudem sind die Procuratoren häufiger im Rahmen diplomatischer Missionen in anderen Ländern unterwegs, durch das Triumvirat ist also gewährleistet, dass stets einer der Obrigkeit über Renascân wacht. Mittlerweile wurden zwei der drei Oberen wieder auf die Heimatinsel berufen, lediglich Emerald di Lorenzo ist weiterhin Procurator. Den Posten des Präfekten bekleidet inzwischen Takis Haborym aus Hrayland, den der Procuratorin Chiara Marie Maillard de la Tour des Roses aus Lorenien.


    Sie machte eine kleine Pause.


    "Wir haben also ein fest etablietes Gefüge in das sich jeder Adlige aus Magonien einfügen kann. Das einzig Fremde kann und wird sein das der Adel der Provinzen sehr unterschiedlich ist. Ich hatte bisher jedoch nur mit seiner Excellenz Emerald di Lorenzo zu tun und ich kann nicht sagen das er mich nicht meines Standes entsprechend behandelt hätte. Wobei ich hier denke das mein Status als Priesterin eindeutig überwiegt. Wie sich ein reiner Adliger in das gefüge einfügen wird, bleibt also abzuwarten. Generell bleiben mir als Adel einige kleine Rechte vorbehalten, aber das wird anderswo nicht anders sein."

    Tasogare Sasori Ito Sonea


    Träumer des Traumes
    Mahou Tsukatai und Botschafterin des San-ji zu Sekai
    Bewahrerin der Universität der 5 Wege zu Mitrasperas

  • Johanna nickt.


    "Also doch alles wie Zuhause." Sie lächelt kurz und dankbar zu Enril hinüber. "Ihr wolltet wissen, warum ich hier bin, Dunja? Nun, man kann sagen ich bin meinem Herzen und dem Willen der Göttin gefolgt. Eine Freundin von mir ist von der Göttin berührt, sie spricht viele Wahrheiten aus, die die Zukunft weisen. Und eines Tages sagte sie 'Johanna, geh nach Renascân'. Und da ich gelernt habe, Ihr zu vertrauen, tat ich es."

  • Verblüfft schaut Dunja die Priesterin an, dann lächelt sie verstehend und nickt schließlich,


    "Und seid Ihr glücklich hier?"


    Sie macht eine leichte Handbewegung, die nicht nur den Tempel sondern die ganze Siedlung einzuschließen scheint...

  • Enril lächelte - sie mochte Nela sehr. "Nela ja... sie folgt der internen Gruppierung der Laya Priesterschaft, dem Weg der Bonbons." Es war nicht spöttisch oder abwertend gemeint. "Und sie zaubert damit vielen ein Lächeln ins Gesicht. Oder sorgt dafür das zu ernsten Personen einiges aus dem gesicht fällt. Sie hat eine Gabe Situationen zu entspannen."

    Tasogare Sasori Ito Sonea


    Träumer des Traumes
    Mahou Tsukatai und Botschafterin des San-ji zu Sekai
    Bewahrerin der Universität der 5 Wege zu Mitrasperas

  • "Das klingt sehr fröhlich... ich stelle es mir schön vor, so jemanden zum Freund zu haben!"


    Ein Hauch von Wehmut liegt in Dunjas Worten, doch ihr Lächeln scheint diesen Eindruck Lügen zu strafen...