Malglins und Kassandras Zimmer

  • Blut spritzt ins Gesicht, feucht und warm, voller Schlieren… das Schreien hungriger halbverwester Mäuler gipfelt sich in das siegessichere Lachen hunderter verderbter Seelen…

    Ein gewaltiges Schwert, dass die dunkle Energie wie einen Mantel trägt, schnellt herab, der Aufschlag ist mörderisch… Holz zerbricht in tausend Splitter… Die Erde beginnt zu schreien… so unsagbar laut und voller Leid, dass der zweite Schlag… voller hassendem Hunger untergeht… der Schmerz, der durch den Körper explodiert, trägt das Mal des Todes.


    Was nun an Bildern folgt geht unter im Gefühl des allumfassenden Verlustes und tiefer Trauer. Die Melodie wird zu einem leisen Wimmern. Blätter fallen. Erst eines, noch eines, dann immer mehr. Der singende Wald weint um den Verlust eines Volkes, weint Blätter, rote, gelbe, auch die vielen grünen, die sich länger als in den anderen Wäldern an den Ästen gehalten haben.


    Kassandra sitzt senkrecht im Bett, die Augen schreckgeweitet.
    'Malglin', ist ihr erster Gedanke. 'Malglin ist in Daynon gefallen.'
    Doch warum sollte ihr der singende Wald so etwas zeigen?
    Sie klammert sich an die Zweifel an ihrer vorschnellen Interpretation und versucht klar zu denken.
    'Wie kriege ich das raus?'


    Der erste Gedanke ist immer noch, rauszulaufen so schnell sie ihre Füße tragen, durch die Stadt, die ganze Strecke in den Wald.
    Doch es gibt einen schnelleren Weg. Sie versucht ihre Atmung zu beruhigen, den rasenden Herzschlag, schließt die Augen.
    Ihre Verbindung zum singenden Wald ist klar und deutlich, danach zu greifen eine lang eingeübte Selbstverständlichkeit.
    Ihr Geist watet durch fallende Blätter, das Wimmern zerrt an ihren Nerven.
    'Kinder, hört doch auf zu weinen. Wo kommt das her? Wo ist der Ursprung?'


    Ohne daß sie ihn bemerkt hat ist Parmenion an ihrer Seite, von jetzt auf gleich. Seine leuchtende Gestalt erhellt den Wald und die Präsenz des schneeweißen Tieres beruhigt sie, beruhigt auch die klagende Melodie.

  • Nicht lange danach öffnet Kassandra die Augen wieder.
    "Ja, wann hätte dich das aufgehalten", widerholt sie grimmig.
    Doch dann schiebt sie die Gedanken an Tear'asel beiseite. Es gibt dringendere Fragen.
    In all dem Wirrwarr, Sterben, Chaos hat sie keinen Hinweis auf Malglin gefunden. Aber heißt das, daß er überlebt hat?
    Sie muß daran glauben, darauf vertrauen, daß ihr irgend ein Hinweis gegeben würde wenn er fiele.


    Trotzdem ist sie unruhig, fahrig und könnte es nicht eiliger haben wie sie nun anfängt ihre Sachen für den Besuch der Akedemie zu Veste Nyestadt zu packen.

  • "Alanis!"
    Das klingt freudig überrascht, und nicht als würde jemand in aller Eile Dinge an sich raffen um irgendwelche Blößen zu bedecken. Nicht daß das jemals Kassandras Art gewesen wäre.
    "Komm doch rein", wiederholt sie.
    Und sitzt dann auch tatsächlich mit dem Säugling an der Brust im Schaukelstuhl am Fenster.
    "Wie lange bist du schon in Amonlonde?", fragt sie.

  • "Vierzehneinhalb Stunden", sagte Alanis trocken und machte die Tür hinter sich zu. Sie sprach leise, um das Kind nicht zu wecken, so es sich denn in dem milchseligen Zustand zwischen Schlafen und Wachen befinden sollte. "Ich dachte ich mache mal den zweitwichtigsten Besuch zuerst. Der Wichtigste war die Waschschüssel."


    Sie grinste und näherte sich langsam.

  • Alanis reichte Kassandra die Hand und drückte sie, als sie zu der frischgebackenen Mutter trat. Tatsächlich sah die Priesterin trotz ihrer frisch gewaschenen Haare ziemlich erschlagen aus - die grauen Ränder unter ihren Augen waren definitiv aber schon älter. Um sich so einzugraben, dafür würde keine Woche reichen.


    "Ätzend war die Fahrt", sagte Alanis, aus vollem Herzen abwertend. "Ich musste mir die Kabine mit einer Händlerin mit Liebe für Knoblauchwurst und Soleier teilen."


    Sie warf einen neugierigen Blick auf das jüngste Mitglied des Damar-Clans.

  • Kassandra begnügt sich nicht damit, nur Alanis Hand zu drücken, sie zieht die Priesterin zu sich um sie kurz an die Schulter zu drücken, an der das Kind nicht liegt. Und auch unter ihren Augen liegen Schatten, Zeugnis davon, daß ihre Nächte im Moment reichlich kurz sind.
    "Ist ja gräßlich", schmunzelt sie auf Alanis kurze Beschreibung ihrer Reisebegleitung. Und rückt dann das Neugeborene an ihrer Brust ein wenig zurecht, so daß die Besucherin den Kleinen, der schon fast wieder eingeschlafen ist, besser betrachten kann.
    Dicke, runde Bäckchen, eine noch recht flache Stirn und eindeutig Papas Nase. Und auf dem Kopf einen zarten blonden Flaum - mit einem noch deutlicheren Rotstich als Ancales Locken.

  • Alanis Mundwinkeln hoben sich und ein Ausdruck von ehrfürchtigem Staunen und Zuneigung erschien auf ihrem Gesicht, als sie das Kind betrachtete. Sehnsucht war auch darin zu lesen.


    "Und wie heißt er?", fragte sie neugierig.

  • "Julius", antwortet Kassandra. Dem Kind rutscht die Brustwarze aus dem Mund und es seufzt leise mit geschlossenen Augen. Kassandra wischt ein wenig ausgelaufene Milch fort und lächelt Alanis dann an.
    "Magst du ihn halten?"

  • "Öhm, ich -." Ein Aufflackern von Panik in Alanis Augen. Was, wenn sie ihn fallenließ? Er war doch noch so klein und hilflos. Aber dann straffte sie die Schultern. "Sehr gerne", sagte sie warm und bereitete sich darauf vor, das Bündel Mensch zu halten.

  • "Dann komm, setz dich hier her", Kassandra klopft auf den Stuhl neben sich, und als Alanis sich gesetzt hat legt sie das Kind einfach in ihre Arme. Dann beginnt sie, ihre Kleidung wieder zu richten.
    Klein, warm und erstaunlich schwer liegt der Knabe in Alanis' Armen.

  • Alanis schaute auf das Kind in ihren Armen und lächelte vollkommen bezaubert, betrachtete winzige Ohren, die kleine Nase und die winzigen Hände und Füße ganz versonnen und in sich gekehrt.


    "Perfekt", meinte sie schließlich und musste sich für dieses Wort ein wenig räuspern.

  • Alanis warf einen schnellen Seitenblick zu Kassandra und blieb ruhig. Sie schob Julius ganz vorsichtig zurecht, damit er es in den weichen Leinenfalten ihrer Robe bequem hatte und hoffte, dass er nicht aufwachte. Der Moment ihrer Kinderkompetenz endete eben meist dann, wenn das kleine Ding urplötzlich anfing zu schreien und sich nicht mehr beruhigen ließ.

  • Der Kleine sieht nicht aus als wolle er anfangen loszuschreien. Der Atem geht mal schneller, mal langsamer, doch die Augen bleiben geschlossen. Und dann fängt er an, beim Ausatmen leise brummende Geräusche zu machen, wie eine schnurrende Katze.


    "Er singt wieder", murmelt Kassandra.
    Dann fällt ihr auf, daß es vielleicht etwas unhöflich ist in Gegenwart eines Gastes einfach einzuschlafen.
    "Und was läuft so in Renascan?", fragt sie und öffnet die Augen wieder.

  • "Bei der Mutter ist es nicht unbedingt verwunderlich, dass er singt", gab Alanis relativ trocken zurück und betrachtete fasziniert das kindlichen Rosenknospenmündchen. "Tja, Renascân. Leider gerade für mich ein ziemlich heißes Pflaster. Wenn es ganz dick kommt, dann brauch ich wohl ein neues Haus."

  • Irgendwas an Kassandras Reaktion bewirkte seltsamerweise, dass auch Alanis grinsen musste. Die ganze Sache war so surreal, dass sie sie kaum glauben konnte.


    "Also, ich habe eigentlich nichts angestellt. Außer dem Üblichen - andersgläubig sein und so." Sie verzog kurz den Mund, dann glättete sich ihre Miene wieder. "Um es ganz kurz zu machen: ich hab den Beweis bei mir, dass der Präfekt ein syphilisverteilender Freier ist. Und leider ist wegen dieses Wissen bereits der Chef des Hospitals unter Vorwand verhaftet worden."