Ashabas Hütte am Oberen Stichweg

  • Ashaba saß auf ihrem Baumstumpf und schaute in die Flammen. Ab und an brach sie ein Stück des Brotkantens ab und steckte in sich in den Mund. Einige Meter entfernt schnoberte Moclin durch die verbliebenen Büsche und schien Mäuse zu jagen. Man hätte ihm wohl an irgendeinem Punkt in seinem Leben erklären sollen, dass es die Aufgabe einer Katze ist, die kleinen Nager zu erlegen.


    Ashaba ließ wieder einmal das vergangene Jahr Revue passieren. Schon vor Tagen hatte sie sich dazu entschlossen, ein Gesuch einzureichen, das es ihr erlaubte, den größten Teil des laufenden Jahres in der Siedlung zu bleiben und das verhältnismäßig ruhige Leben hier zu leben. Das letzte Jahr hatte ihr genug Narben an Körper und Seele verpasst, dass es für ein Zeitalter gereicht hätte. Zwischen ihren Schulterblättern spannte die Haut manchmal. Sie konnte also nur vermuten, dass das Gewebe dort vernarbt war. Die Wunden, die Alexandre ihr abgenommen hatte, sollten eigentlich verschwunden sein und doch schienen sie manchmal zu schmerzen. Unwillkürlich legte sie ihre Hand auf die rechte Seite ihres Halses. Unverletzte Haut. So wie es sein sollte.


    Moclin hatte genug gewühlt. Mit dreckverschmierten Pfoten und Schnauze ließ er sich seufzend neben ihr nieder und beäugte sehnsüchtig ihr Brot.

  • Neugierig näherte sich Liam, von Alanis Haus kommend, dem halbfertigen Haus, an dem er bei seinen letzten Besuch im Stichweg bisher niemanden getroffen hatte. Er blieb auf dem Weg, schien wie jemand, der in der Dämmerung einen Spaziergang machen wollte. Tatsächlich ging es ihm nur darum, ein wenig Zeit totzuschlagen, bis er dem Ziel seiner Aufmerksamkeit nahe sein konnte.

  • Moclin hob schnüffelnd den Kopf. Er streckte ein wenig die Schnauze nach vorn und wackelte horchend mit den Ohren, legte sie an und versuchte offensichtlich jedes Geräusch einzufangen. Seine Nase bewegte sich sichernd und ein Geräusch, das einem leisen Grollen ähneln könnte, kam aus seiner Kehle. Dann richtete er sich auf und saß nun neben Ashaba, sog noch immer neugierig die Luft ein.


    Da das Feuer sich zwischen ihr und dem Weg befand, konnte Ashaba nicht einmal Schemen erkennen. Vorsicht hatte sie hier nicht vor notwendig gehalten. Schließlich waren sie hier in der Siedlung und innerhalb der Palisade. Die Wahrscheinlichkeit, dass hier jemand versuchte sie anzugreifen, war lächerlich gering. Beruhigend strich sie Moclins gesträubtes Nackenfell glatt und schaute in die Dunkelheit.


    "Ist schon gut." murmelte sie leise.

  • Liam ahnte das leise Grollen mehr, als er es hörte. Ah, ein Hund. Er schmunzelte kurz. Immer die alten Geschichten -.


    Er ging noch ein Stück weiter, bis die Gestalt, die er am Feuer hatte ausmachen können, auch ihn sehen konnte, dann stellte er sich haarscharf an den Rand des Weges. Interessiert betrachtete er sich die Frau, deren Züge vom zuckenden Licht beleuchtet wurden.


    "Guten Abend", sagte er höflich, schickte sich indes aber nicht an, das Grundstück zu betreten. "Muss ich mich vor dem Hund fürchten?"

  • Ashaba warf Moclin einen Blick zu, sah dann wieder zu dem Schatten.


    "Ich denke, ich kann ihn im Zaum halten."


    antwortete sie trocken und bedeutete Moclin mit einem leisem Knurren und einem Druck in den Nacken sich wieder niederzulassen. Die Art der Kommunikation funktionierte wunderbar zwischen den beiden. Moclin leckte sich über die Schnauze und fügte sich dann. Er platzierte die Nase zwischen den Pfoten und tat so, als schließe er die Augen. Gleichzeitig beobachtete er Liam aber sehr genau. Noch einmal grollte er leise scheinbar um seinen Standpunkt klar zu machen.


    "Die Fünfe zum Gruße. Ein seltsamer Zeitpunkt für einen Spaziergang."


    sagte Ashaba und lehnte ihr Bein an den Hund, so dass er den Körperkontakt spürte.


    Sie trug ein abgewetztes braunes ledernes Wams über einer beigen Tunika, dazu helle Hosen und lederne Stiefel. Um ihre Hüften lag ein Gürtel, an dem die Tasche und ein Dolch hing. Die Haare waren in einem Knoten im Nacken zusammengefasst. Ihr Hals war eng umschlossen von einem ledernen Kragen. Seit ihrem Erlebnis mit den Vampiren zog sie es vor, einen Schutz um ihren Hals zu tragen. So irrational das gerade hier war.

    Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.
    Homunkulus (~835 - 902)

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  • "Das ist auch kein Spaziergang, sondern ein Beinevertreten, der Tatsache geschuldet, dass Eure Nachbarin zur Zeit beschäftigt ist und ich sie noch nicht stören möchte."


    Liam lehnte sich auf seinen Stock.


    "Ihr seid neugierig."


    Er sagte das nicht wertend, eher amüsiert.

  • Ashaba lehnte sich ein wenig vor und sah ihren Gegenüber an.


    "Es ist meine Aufgabe, mich für die Dinge zu interessieren, die in dieser Siedlung vorgehen und entsprechende Fragen zu stellen."


    Zu ihren Füßen machte Moclin ein Geräusch, das an ein schaubendes "Mffffffff" erinnerte. Die Gestalt kam ihr nicht bekannt vor und dass Alanis wieder in Renascân war, war ihr bisher auch neu. In dem Haus brannte zumindest kein Licht oder die Läden waren so geschlossen, dass man es nicht sah.

  • "Garde?", fragte Liam rundheraus. Irgendwie schien es sein Schicksal zu sein, sich immer mit den örtlichen Autoritäten anzulegen. Er trat jetzt doch einige Schritt näher, um sich die Frau näher zu besehen. Dabei scheute er sich nicht, sein Humpeln zu zeigen. Immerhin wollte er nicht, dass an diesem Ort jemand Zeter und Mordio schrie. Er musterte seine Gegenüber. Im Gegensatz zu der Magierin - wie hieß sie noch einmal? - schien diese hier befehlsgewohnt zu sein. Der feste Klang ihrer Stimme und das Timbre, das von einem gewissen Selbstverständnis zeugte, zogen ihn geradezu magisch an.

  • Als er sich näherte scharrte Moclin mit den Pfoten über den Boden.


    "Hrrrrrrrrrrrrrmmmm...." machte er und hob den Kopf. Aufmerksam musterte der Hund den Menschen und schien sich in seiner Gegenwart wenig wohl zu fühlen.


    Ashaba nickte knapp.


    "Das habt Ihr richtig geschlossen. Alanis scheint nicht da zu sein. Kann ich ihr etwas ausrichten?"


    Sie schob sich eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht und wickelte das Brot wieder in das Tuch.

  • "Oh." Liam lächelte sanft und betrachtete die Bewegung, mit der die Frau sich durchs Haar fuhr. Er mochte ihre Finger, stellte er fest. "Sie ist da. Nur nicht allein. Und man ist ja kein Unmensch und stört das junge Glück."


    Er warf dem Hund einen skeptischen Blick zu. Ein Gebiss in seinem verletzten Bein zu haben war tatsächlich eine wenig interessante Zukunftsaussicht.

  • Etwas an diesem Lächeln störte Ashaba. Es störte sie gewaltig. Sie runzelte missbilligend die Stirn und war im selben Augenblick doch verwundert, wieso sie diese kurze Aussage in Rage zu bringen vermochte. Oder war es dieser Gesichtsausdruck? Irgendetwas störte sie zumindest.


    "Dann solltet Ihr möglicherweise morgen wiederkommen. Es ist ja nicht gerade früh am Tag, nicht wahr?"


    Woher zum Henker wusste er von Alanis und Damorg?

  • Liam stützte den Stock vor sich auf die Erde, faltete die Hände darauf und blickte sein Gegenüber lange an.


    "Offenkundig, ja." Er lächelte wieder, doch diese Regung erreichte seine Augen nicht. Er taktierte. Wäre er zu unverschämt, würde sie ihn vermutlich schneller unter irgendeinem Vorwand in den Karzer werfen als er ihrem Hund die Flötentöne beibringen konnte. "Wenn Ihr ihr denn eine Nachricht überbringen wollt, wäre das außerordentlich liebenswürdig. Ihr könntet Ihr einfach sagen, dass Liam hier war. Und dass gilt, was ich ihr geschrieben habe."

  • "Natürlich, gerne."


    Ashaba lächelte, aber auch diese freundliche Geste erreichte die Augen nicht. Sie war sich allzu sehr des Zettels bewusst, der in ihrer Tasche war. Er war also nicht allzu weit geflogen.


    "Sie weiß, wo sie Euch findet?"


    Moclin hatte inzwischen die Nase lang gemacht und schnupperte mit eng an den Kopf gelegten Ohren in Richtung des Mannes.

  • "Natürlich", gab er selbstbewußt zurück und deutete dann eine Verbeugung an - spöttisch? Ernst gemeint? Einfach nur höflich? "Dann wünsche ich Euch einen schönen Abend."


    Er musterte sie noch einmal, so als wolle er sichergehen, dass er nichts übersehen oder vergessen hatte. Dann gab er sich einen Ruck und zog sich zur Straße zurück, weg von der wärmenden Helligkeit des Feuers, zurück in die heranschleichende feuchte Nachtdunkelheit. Seine Schritte und das leise Klacken seines Spazierstocks hallten noch lange nach.

  • Nachdenklich schaute sie dem Mann nach bis sein Schemen in der Dunkelheit verschwunden und seine Schritte verklungen waren. Dann löste sie die Schnalle ihrer Gürteltasche und holte den Zettel heraus. Unwillkürlich zögerte sie, ob sie es entfalten sollte. Aber sie hatte es bereits gelesen.


    Sie hob die Schrift hoch, so dass das Licht des Feuers sie beleuchtete, betrachtete die Buchstaben. Dann faltete sie es wieder zusammen und steckte es zurück in ihre Tasche. Mit leicht gerunzelter Stirn verschränkte sie die Arme hinter dem Kopf und schaute aufs Meer hinaus.

  • Nach einiger Zeit hörte sie, wie Alanis Tür sich öffnete. Leise Stimmen erklangen und Licht fiel aus der in den Vorgarten. Ashaba beobachtete, wie eine vertraute Gestalt sich entfernte. Alanis war also zuhause und Damorg war bei ihr gewesen. Woher hatte dieser Liam das gewusst?


    Ashaba senkte den Blick auf das verbliebene Glutbett und verharrte in dieser Position. Moclin schnarchte leise neben ihr. Sie überlegte, ob sie jetzt die Gelegenheit ergreifen sollte und zu ihr gehen. Irgendetwas hinderte sie daran. Noch wusste sie nicht genau, was das war. Vielleicht eine Gewissheit, die sie nicht haben wollte?


    Sie ließ noch etwa eine halbe Stunde ins Land gehen. Dann schüttete sie den Rest ihres Trinkschlauches auf das Glutbett und sah zu, wie es zischend verdampfte. Dann nahm sie ihre Habe, die sie vorher zusammen geschnürt hatte und bedeutete Moclin mit einem Wink, ihr zu folgen.

  • Gerion tauchte am Rand des Grundstückes auf, er nahm einen der Fasane von dem Stock und steckte ihn samt dem anderen in den Boden neben dem Eingang. Dazu nahm er einen der glänzenden Kiesel, die er in dem Bachlauf im Wald mitgenommen hatte und steckte ihn dem Vogel in den Schnabel.


    So schnell er kam verschwand der Späher auch wieder.

  • Die letzten warmen Tage des Sommers verbrachte Ashaba viel auf ihrem Grundstück. Als sie an diesem Nachmittag dem inzwischen ausgetretenen Pfad folgte, fand sie, geklemmt zwischen die Bretter ihrer kleinen Hütte ein gefaltetes Papier.
    Sie zog es heraus, setzte sich und faltete es auf. Mit unbewegter Miene las sie die Worte, ließ den Brief sinken und fuhr sich mit der Rechten durch die Haare. War das nicht.. zu erwarten gewesen? Sie hob den Blick, sah zu Alanis' Haus hinüber und faltete das Schriftstück wieder zusammen.


    "Viel Glück." sagte sie leise in die Stille und kraulte dem Hund, der sich nah an ihr Bein drückte, sanft über den Kopf. 'Möge die sanfte Herrin ihre Hand über dich halten, dir den Weg weisen und dich schützen.' fügte sie in Gedanken hinzu. Sie hätte sich gerne wirklich verabschiedet.

  • Einige Zeit später kam Ashaba mit Damorg den Hang hinauf. Die kleine Hütte war in der Tat recht windschief, aber sie hielt und war das Werk ihrer eigenen Hände. Statt einer hölzernen Tür hing eine schwere Decke vor der Öffnung und bewegte sich leicht im Wind.
    Die Läden der Fensteröffnungen waren fest verschlossen.


    Ashaba trat auf die kleine Veranda und schob die Decke zur Seite.


    "Tadaaaaaaa! Mein Heim." sagte sie und wies ins Innere.


    Der einzelne Raum hatte am linken Rand ein schmales Bettgestell mit einem gut gefüllten Strohsack als Lager. An dessen oberen Ende stand eine Truhe, die wohl auch gleichzeitig als Nachttisch dienen konnte. Darauf stand eine Kerze, die mit Wachs auf ein Stück Holz geklebt war. An der anderen Seite des kleinen Raumes befand sich ein Regal, in dem einige nützliche Kleinigkeiten lagen: Becher, Geschirr, Besteck, Werkzeug, ein paar Äpfel, Eimer. In einem der beiden Eimer klebte eine leicht ölig glänzende, schwarze Paste. Drin steckte ein Stock. An der Rückwand war ein Kasten angebracht, etwa einen Meter lang und mit einem Riegel fest verschlossen.


    Ashaba streifte die Deckentür über einen Nagel an der Außenwand, so dass Licht ins Innere fiel. Schon hatte sie den Eimer in der Hand.


    "Machs dir bequem." sagte sie und wies auf die Bank vor der Veranda, die direkt an der kleinen Feuerstelle stand. Dann schlug sie sich durch die Büsche zu Alanis' Haus um zu ihrem Brunnen zu gelangen.

  • Damorg setzte sich auf die Bank und legte das Bündel neben sich auf den Boden. Mit seinem Blick folgte er Ashaba und ein leiser Seufzer entfuhr ihm, als er das Haus der Priesterin erblickte. Auf dem Weg zu der Hütte hatte er absichtlich seinen Blick in eine andere Richtung gewendet.


    Während er wartete lies er sich seinen letzten Besuch hier im Wald bei Alanis durch den Kopf gehen, lange war es her gewesen.