Der See

"Du könntest lügen," antwortet sie ernst.

"Könnte ich, ja", gab Alanis amüsiert zurück und maß Tear mit einem Seitenblick. "Allerdings würde dann diese ganze Unterhaltung nicht stattfinden."

"Nicht unbedingt." Tear hebt eine Augenbraue, eben hatte Alanis noch gesagt, sie hätte Erfahrungen mit Tana'ris. Ein leichtes Kopfschütteln folgt.

"Lass mich sicher gehen... und wenn es kein Tanari ist, forschen wir weiter. Bedenke, du hast anscheinend eine ganze Menge mit deinen Meistern zu klären und ich glaube," und mit einem Schmunzeln musste sie an El Gar zurückdenken, "wenn sie bemerken, was für einen Einsatz du bereits, dein Problem betreffend gezeigt hast, könnte sie das positiv stimmen."

"Nein", wiederholte Alanis freundlich. "Vielen Dank, aber: nein. Ich möchte die Zahl der Personen, die in meiner Seele spazieren gehen, möglichst klein halten. Und dabei zählt nicht unbedingt, dass Du schonmal da warst."

Zumal sie einen Rüffel befürchtete, weil die Sache mit Tarant irgendwie - komisch war.

Wieder zieht die Elbe eine Augenbraue hoch.

"Dir ist schon klar, dass dieses Stigma meiner mentalen Fähigkeiten, die bisher doch im Vergleich eher hilfreich, als vernichtend waren... ein wenig übertrieben benutzt wird oder?"

Ein Kopfschütteln folgt, um die Verägerung über die Kleingeistigkeit abzuschütteln. Sie besinnt sich auf das Wesentliche.

"Ich bin ein magisch begabtes Wesen, dem es ein leichtes ist, dank einer kleinen Komponente und ein paar gesprochener Worte zu erkennen, ob etwas in dir ist, dass nicht zu dir gehört. Das ist keine Schwierigkeit und kein Mysterium, sondern ein schlichter Zauberspruch."

"Ich würde sagen Privatsphäre schlägt Möglichkeit", gab Alanis gelassen zurück.

"Ich denke falsche Annahme, schlägt hier Hilfe," erwidert die Elbe ebenso gelassen, dann lächelt sie wissend und wandert weiter. "Aber ich sehe schon, obgleich der Zauber mitnichten einen mentalen Eingriff bedeutet... suchst du dir die Wesen, die dir helfen sollen selbst aus. Das ist verstanden."

...

"Irgendwie ist es widersinnig, in meiner Gegenwart von deiner zu behaltenen Privatsphäre zu sprechen," sie grinst wieder, diesmal ist es aufmunternd. "Deine Geheimnisse sind sicher,...seit der Zeit, da ich sie kenne." fügt sie dann noch mit einem gewichtigen Kopfnicken bei, belässt es dabei und nimmt einen tiefen Zug kalte Luft, eingemummelt in Alanis Mantel.

"Vielleicht sind ja neue Geheimnisse dazugekommen", gab Alanis zurück und zog eine Augenbraue hoch. Trotz der klirrenen Kälte fror sie nicht und das erinnerte sie an den seltsamen Traum, den sie in der vergangenen Nacht gehabt hatte. Wenn man sich selbst einredete, dass es nicht kalt war, war es nicht kalt.

"Mit Sicherheit, sonst würde ich mir noch Sorgen, um dich machen." Sie geht weiter und wirft irgendwann beiläufig einen Blick hinter sich, den Spuren von Alanis Schritten zu.

"Mhh, ob es mir Sorgen machen soll, dass du hinter dir eine Spur von schwefeliger Säure hinterlässt?"

"Sooooo witzig, Tear", grinste Alanis und doch zuckte es in ihren Schultern, so als wolle sie sich umdrehen. "Das würde deutlich mehr zischen und spritzen."

Die Baumwipfel rauschten und große, nasse Tropfen fielen von den hohen Ästen auf die beiden Frauen hinab. Alanis hob den Kopf, um das Lied aufzufangen, das zwischen den Bäumen hin und her schwang, doch im Winter war es kaum zu verstehen.

"Was macht dir Angst... an deiner Situation, meine ich?"

Die Wildelbe folgt Alanis Blick in die Baumwipfel.

Alanis atmete durch. Sie spazierten inzwischen auf die geschwärzten Ruinen der Komturei zu, die sich am Rand des Sees befanden und wie Fremdkörper in der natürlichen Umgebung wirkten. Der Ort hatte ihr früher einen Schauer über den Rücke gejagt, doch inzwischen verband sie ihn mit einem denkwürdigen Nachmittag mit Damorg und so kehrte ein kleines, versonnenes Lächeln auf ihr blasses Gesicht zurück.

"Was mir daran Angst macht? Gute Frage. Ich glaubte einige Zeit, nachdem es geschehen war, dass ich über jede Angst hinweg sein. Aber wahrscheinlich bin ich das nicht."

Sie blickte beim Gehen auf ihre Fußspitzen hinunter und grübelte.

"Ich habe Angst davor, Freunde zu verlieren, weil ich mich schon zu weit verstrickt habe. Ich habe Angst, dass ich so bleiben muss, wie ich gerade bin. Ich habe Angst vor dem Schlafen."

Tears Augen glühen kurz auf und werden wieder sanft, warum bleibt verborgen. "Du hast Verlustangst, ergo... hast du die Furcht nicht verloren."

"Erzähl mir darüber, wie du bist... das es dir so eine Angst macht, dadurch alles was du gern hast zu verlieren... und über die Alpträume?"

Tears Blick schweift kurz über die Stätte der Steingeborenen und innerlich hebt sie ihre Schultern. Beiläufig verändert sie den Weg ihres Spazierganges so, dass sie sich letztlich vom See entfernen würden.

Alanis überlegte, wie sie es am besten formulierne könnte, und paßte sich dem Weg, den Tear wählte, ohne Zögern an.

"Kassandra denkt, es könnte ein Incubus sein. Ich bin mir da nicht so sicher, obwohl die Beeinflussung sehr ähnlich ist und mich nachts immer wieder aus dem Schlaf reißt. Er manipuliert an meiner Seele und der Körper springt hinterher, in jeglicher Hinsicht."

Sie seufzte leise.

"Einige der Veränderungen sind willkommen. Ich bin kompromissloser geworden und neige dazu, mich nicht hinter ewiger Neutralität zu verstecken. Ich will nicht mehr das ewige Opfer und die ewige Heilerin sein. Ich kann in meinem Glauben bestimmter auftreten."

"Die beschriebenen Anzeichen deuten tatsächlich auf einen solchen Tanari hin, was nicht passt ist das nächtliche Aufwachen. Der Inkubus sorgt dafür, dass das nicht passiert. Und... ," sie sieht an Alanis hinunter. "auch wenn man auf viele Gerüchte um diese Art von Dämon nichts geben sollte, du bist weder schwanger, noch scheinst du körperlich stark geschwächt zu sein. Du bist zwar schlanker aber wirkst auf mich weder wirklich übermüdet, noch halb verhungert."

"Was die Müdigkeit angeht - ich bin geschminkt", gab Alanis zu. "Die Ränder unter meinen Augen sind spektakulär. Allerdings, gebe ich zu, habe ich heute Nacht wirklich gut und lang geschlafen, ohne dass etwas geschehen ist." Nunja, nicht ganz. "Schwanger bin ich meines Wissens nach auch nicht, zum Glück."

"Also spricht gegen die Inkubus-Theorie soviel wie dafür. Du kannst die Situation auch leicht testen, in dem du eine Nacht oder mehrere in einer Umgebung verbringst, die für einen Tanari absolut unzugänglich ist. Da es sich bei Tanari um Sphärenwandler handelt ist ein Tempel hier nicht die erste Wahl, weil klerikale Energie in erster Linie nur für Baate'zu negative Auswirkungen hat. Ein arkan gesicherter Raum wäre die bessere Alternative."

Sie überlegt eine Weile.

"Die andere Sache wäre... das du verrückt wirst. Was immer in Daynon passiert sein könnte, könnte deiner Seele so geschadet haben, dass sie daran erkrankt ist, gänzlich unabhängig von einer andauernden externen Störung ... zum Beispiel einer dämonischen Präsenz."

"Die paar Tage, bis meine Meistern hier sind, werde ich das auch noch ohne Überprüfung durchhalten, denke ich. Ich würde nicht in Kassandras Haus wohnen, wenn ich die geringste Gefahr abgeben würde." In diesem Punkt klang sie sehr sicher. "Was jedoch das Verrücktwerden angeht - tja, dagegen gibt es wohl kein Mittel."

Tear brummt leicht.

"Du verhälst dich etwas verantwortungslos, das ist ein unschöner Zug, den du entwickelst."

Ein Schulterzucken folgt.

"Natürlich gibt es ein Mittel gegen den Wahnsinn. Einige bezeichnen sich als Seelenheiler und versuchen dank des arkanen Gewebes die Seele eines Menschen zu heilen. Doch das ist in sich so komplex, dass nur sehr sehr mächtige Entitäten dazu fähig sind... Götter zum Beispiel. Daher solltest du tatsächlich einen Kleriker zu Rate ziehen."

"Ich habe genug Verantwortung getragen im Leben und nicht ein einziges Mal wurde es mir wirklich gedankt", gab Alanis, etwas kühler, zurück.